Arn Strohmeyer
Bremen, 12. Mai. 2011
arn.strohmeyer@web.de
Betr.:
• Boykottaktion gegen Waren aus den von
Israel besetzten Gebieten in Bremen und die Reaktionen
darauf
• Ergänzung zu dem Offenen Brief an den Bremer Bürgermeister
Jens Böhrnsen
Sehr geehrte Damen und Herren,
Ich habe in der vergangenen Woche einen
Offenen Brief an den Bremer Bürgermeister Jens Böhrnsen
wegen seiner Verurteilung der Boykottaktion der
Arbeitsgruppe Nahost des Bremer Friedensforums und des
Arbeitskreises Süd-Nord gegen Waren aus den von Israel
besetzten Gebieten geschrieben. Dieser Brief hat, obwohl er
nur kurze Zeit im Internet stand, eine ganz erstaunliche
Reaktion in ganz Deutschland gehabt. Sehr viele Menschen
haben mir geschrieben und darum gebeten, dass ihre
Unterschrift unter den Brief gesetzt wird - darunter auch
sehr viele in Deutschland lebende Juden/Jüdinnen und
Israelis aus Israel selbst, was mich besonders gefreut hat.
Was aber auch beweist, dass diese Menschen keineswegs so
einhellig hinter Israels Politik stehen, wie uns das von
deren Verteidigern immer erzählt wird.
Inzwischen haben
die Bremer Parteien (mit Ausnahme der Linken) und
verschiedene Israel nahestehende Gruppen sowie die Jüdische
Gemeinde eine Erklärung veröffentlicht, in der sie
unsere Aktion ebenfalls scharf verurteilen. Ich füge die
Erklärung meinem Schreiben und meinem Offenen Brief an Jens
Böhrnsen mit den hinzugekommenen Unterschriften bei. Diese
Erklärung enthält, weil unsere Aktion Israels Politik scharf
verurteilt, indirekt den Vorwurf des Antisemitismus, gegen
den wir uns entschieden wehren. Uns sind die Verbrechen der
Deutschen an den Juden sehr wohl bewusst. Wir sind aber der
Meinung, dass die Schuld und die Verantwortung, mit der wir
gegenüber den Juden belastet sind, mit Billigung und
Einverständnis der offiziellen deutschen Politik auf Kosten
eines anderen Volkes - eben der Palästinenser - beglichen
werden. Das darf unter keinen Umständen sein und muss
endlich ein Ende finden.
Die Erklärung der Bremer Parteien Gruppen und
Gemeinden lässt jede Kenntnis des Nahost-Konfliktes
vermissen, wenn es dort heißt, dass man Israel nicht allein
für den Konflikt verantwortlichen machen könne. Denn man
kann nicht die Kolonisten und die Kolonisierten, die
Eroberer und die Eroberten, die Besatzer und die Besetzten,
die Belagerer und die Belagerten sowie die Unterdrücker und
die Unterdrückten auf eine Stufe stellen. Nicht die
Palästinenser haben israelisches Land besetzt und eine Mauer
um Israel gebaut. Der fortgesetzte Siedlungsbau auf Land,
das Israel nicht gehört, beweist, dass Israel an einem
friedlichen Ausgleich mit den Palästinensern nicht
interessiert ist.
Zudem wirft die Erklärung weitere Fragen auf,
die die Autoren näher erläutern müssen.
1. Ist Israel ein „jüdischer Staat“? Denn
immerhin sind 20 Prozent seiner Bürger Palästinenser. Laut
seiner Unabhängigkeitserklärung, die in Israel die
Verfassung ersetzt, soll dieser Staat ein Staat aller seiner
Bürger sein. Wenn Israel aber ein „Jüdischer Staat“ ist,
kann er nicht mehr demokratisch sein, weil er dann Juden
privilegiert. Alle seine nicht-jüdischen Bewohner würden
dann zu Bürgern minderer Klasse degradiert. Ist das im Sinne
Ihrer Erklärung?
2. Für Boykottaufrufe gegen den jüdischen
Staat sei in der demokratischen Tradition dieser Stadt kein
Platz, heißt es in der Erklärung. Da muss man fragen: Wie
verhielt es sich mit der „demokratischen Tradition unserer
Stadt“ während der Zeit des Nationalsozialismus? Noch heute
gibt es in Bremen Straßen, die nach prominenten Nazis
benannt sind. Außerdem muss man fragen, wie man einen
Boykottaufruf, der sich gegen eine menschenverachtende
Besatzungspolitik und seine Auswirkungen richtet, offenbar
verbieten will, aber gleichzeitig sich nicht in der Lage
sieht, eine Partei mit klaren faschistischen Zielen wie die
NPD und ihre Aufmärsche in der Stadt zu verbieten, ja sie
sogar noch mit großem Polizeiaufgebot schützt?
3. Was heißt also: „Wir werden unsere
Überzeugung deutlich machen, dass solche Boykottaufrufe
gegen den jüdischen Staat (...) in unserer Stadt keinen
Platz haben?“ Ist das eine Drohung? Wir bitten um nähere
Erläuterung dieses Satzes.
Wir nehmen unser in der Verfassung verbürgtes
Demonstrationsrecht wahr und fühlen uns inhaltlich durch das
Urteil des Internationalen Gerichtshofes in den Haag aus dem
Jahr 2004 zur Mauer und den besetzten Gebieten sowie das
Urteil des Europäischen Gerichtshofes zu Waren aus den von
Israel besetzten Gebieten und durch den
Brief der ehemaligen
Staats- und Regierungschefs der EU, die dasselbe fordern wie
wir, auf sicherem juristischen, politischen und moralischen
Boden, von dem aus wir natürlich unsere Aktion fortsetzen
werden. Sich öffentlich für einen Frieden im Nahen Osten
einzusetzen, der beiden Seiten dort gerecht wird, kann ja
wohl nicht zu den Dingen gehören, die man in dieser Stadt
nicht „dulden“ kann.
Mit freundlichen Grüßen
Arn Strohmeyer
(Journalist, Autor und Mitglied in der
Nahostgruppe des Bremer Friedensforums)
Den Offenen Brief an den Bremer
Bürgermeister Jens Böhrnsen vom 4.5. 2011 haben
unterzeichnet:
Abrams-Hourani, Paula (Kritische jüdische
Stimme, Wien)
Altshuber, Galit (Berlin)
Arendt, Erhard (Dortmund)
Bauer, Prof. Dr. Rudolph (Bremen)
Belz, Winfried (Heidelberg)
Bode, Friedrich (Pastor i.R., Jeddingen)
Borchardt, Hans (Augsburg)
Brinkmann, Antonie (Bremen)
Budinger, Margit (Duisburg)
Busche, Dr Ernst (Bremen)
Cantor, Eleanor (Berlin)
Dierkes, Hermann (Duisburg)
El-Choura, Franziska (Verden)
Feest, Johannes und Christa (Bremen)
Forberg, Martin (Berlin)
Friedrich, Andreas (Düsseldorf)
Hefets, Iris (Kritische Juden und Israelis
Berlin)
Heinrigs, Carsten (Bremen)
Hever, Shir (Jerusalem)
Hildebrandt, Annemarie und Klaus (Bremen)
Holst, Dr. med Conny (IPPNW Kiel)
Jost, Norbert P. (Berlin)
Kahla, Souhail (Bonn, Düsseldorf)
Kaiser-Livne, Michael (Vorstand jüdische
Stimme)
Kaltenhäuser, Dieter und Elisabeth (Breisach)
Kamel, Isam (Berlin)
Karas, Claudia (Berlin)
Khalil Abu, Nicola (Vorstand Flüchtlingsrat,
Schleswig-Holstein)
Klepzig, Anette (Wilhelmsfeld)
Knitzer, Assaf (Israel)
Konetzka, Margot (Bremen)
Kramer Ingeborg (Bremen)
Lévy, Dr. med Jean Joseph (Hautarzt Berlin)
Matar, Dr. Anat (Ramat Hasharon, Israel)
Matar, Hagai (Tel Aviv, Jaffa)
Memming, Hermann (Pastor i.R., Bremen)
Meyer, Hajo G. (Heiloo, Niederlande)
Meyer-Strüvy, Gisela (Bremen)
Michaeli, Yarden (Berlin)
Noy, Orly (Jerusalem)
Oz, Hava (Berlin)
Reusse, Dr. Eberhard (Rom)
Ripplinger, Franz (Vorderweidenthal)
Roer, Prof. C. Dorothee und Dr. Ingo Roer
(Frankfurt/ Main)
Rohlfs, Ellen (Leer)
Ruf, Werner Prof. Dr.(Edermünde)
Sampat, Dr. rer nat. Nathan (Physiker,
Berlin)
Schenk, Günter (Straßburg, Collectif Jedéo
Arabe et Citoyen pour la paix Straßburg)
Schkilnik, Gal (Berlin)
Schneider, Dr Angelika (Lilienthal)
Siebourg, Gisela (Berlin)
Sörenesen, Marianne (Bremen)
Stolle, Armin (Bremen)
Stoller, Barbara (Lindau, Bodensee)
Ströh, Christa und Jochen (Bremen)
Tal, Shapira (Tel Aviv)
Uri, Tanya (Künstlerin, Köln)
Vormann, Gisela (Bremen)
Watzal, Dr. Ludwig (Journalist, Bonn)
Weiß, Sabine (Bremen)
Zal, Michael (Neve Shalom/ Wahat al Salam,
Israel)
Nachträglich unterschrieben unteranderem:
Budde, Ingo (Achim)
Drewes, Hartmut (Pastor i.R., Bremen)
Duhm, Dr. Reiner (Bremen)
Ghannam, Doris (Berlin)
Lange, Berthold (Kant-Stiftung, Freiburg)
Leppert, Ursula (München)
Moskowitz, Reuven und Varda (Jerusalem)
Russek, Ursula (Bremen)
Schinagl, Gertrud (Psychoanalytikerin, Bremen)
Dietrich, Prof. Dr Barabara (Frankfurt/Main)
Jürgensen, Uwe (Bremerhaven)
Kolze, Detlef (Bremerhaven)
Padovan, Elfi (München)
Pfleiderer, Eberhard