Mit
Felicia Langer sprach der Journalist Arn Strohmeyer.
Die israelische
Menschenrechtsaktivistin und Trägerin des alternativen Nobelpreises,
Felicia Langer, fordert die Regierungen des Westens auf, Druck auf
Israel auszuüben, denn nur so könne eine Friedensregelung, die
diesen Namen auch verdiene, zustande kommen. Israels
„friedensresistente Haltung“ führe dagegen in den Abgrund. Das Land
sei jetzt schon dabei, durch die brutale Besatzungspolitik gegenüber
den Palästinensern „seine Moral und seine Seele zu verlieren“.
Eindringlich fordert sie die Menschen im Westen auf, das Schweigen
zu brechen und den Menschen in Gaza zu helfen. Hunderttausende seien
nach dem Krieg dort obdachlos. Was Israel dort jetzt tue, sei ein
Verbrechen: Erst habe es den Gaza-Streifen zerstört und nun
verhindere es mit seiner Blockade auch den Wiederaufbau. Mit Felicia
Langer sprach der Journalist Arn Strohmeyer.
Wie erklären Sie sich
die Tatsache, dass die große Mehrheit der Israelis eine Regierung
gewählt hat, die keinerlei Interesse an einer Friedensregelung mit
den Palästinensern hat? Der israelische Journalist Gideon Levy hat
dieser Tage in einem Artikel darauf hingewiesen, dass es auch im
israelischen Parlament (der Knesset) keine Fraktion mehr gibt, die
einen Frieden mit den Palästinensern anstrebt. In Israel herrsche
die Meinung vor, die sind hinter der Mauer und interessieren uns
nicht mehr.
In
der Knesset gibt es kleinere Fraktionen – Kommunisten und Araber – ,
die einen Frieden mit den Arabern anstreben. Die israelische
Friedensbewegung wurde aber durch die Arbeit der Arbeitspartei und
speziell vom damaligen Ministerpräsidenten Ehud Barak zerstört, als
er erklärte, dass es keinen Partner für den Frieden gebe. Die
offizielle militaristische Indoktrination der israelischen
Bevölkerung und die ständige Gehirnwäsche der Propaganda haben ihre
Wirkung gezeitigt. Das Ergebnis war, dass die Israelis glauben, sie
seien von Feinden umzingelt und müssten immer mehr aufrüsten und
permanent Krieg führen. Dabei wurden die Möglichkeiten einer
friedlichen Lösung des Konflikts und verschiedene
Friedensinitiativen völlig ausgeblendet. Israel kann seit fast 42
Jahren ungestört und völlig straffrei eine unterdrückerische und
kolonisatorische Besatzung betreiben – und die Welt schweigt dazu.
Diese Besatzung ist auch der Nährboden für Extremismus. Eine totale
Herrschaft der Israelis über das palästinensische Volk brutalisiert
aber die Israelis selbst und erodiert ihre Moral. So verliert Israel
seine Seele. Das Schweigen der Welt dazu ist sehr gefährlich. Martin
Luther King sagte einmal: „Ein Tag wird kommen, und wir werden
vergessen, was unsere Feinde gesagt haben, aber wir werden in
Erinnerung haben, dass unsere Freunde geschwiegen haben...“
Die ganze Hoffnung
ruht nun auf dem neuen US-Präsidenten Barack Obama. Wird er Druck
auf Israel ausüben, um die Situation zu verändern?
Obama ist eine Hoffnung, obwohl er schon gezeigt hat, dass er sich
der mächtigen jüdischen Lobby in den USA beugt. Aber die israelische
Politik der Friedensresistenz, so wie sie vom neuen
Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu und seinem Außenminister, dem
Faschisten Avigdor Liebermann, vertreten wird, wird dem Interesse
der USA im Nahen Osten nicht dienen. Die neue israelische Regierung
setzt nur die Politik der Friedensresistenz ohne Maske der
Vorgängerregierung von Ehud Olmert und Zipi Livni fort. Auch die
öffentliche Meinung in den USA – inklusive der Mehrheit der Juden
dort – ist gegen diese Politik. Das ist aber genau die Voraussetzung
für Obamas Einmischung.
Israel muss aber
etwas unternehmen und das Problem mit den besetzten Gebieten lösen
denn es befindet sich ja in einem großen Dilemma: Wenn es aus dem
Westjordanland abzieht, besteht die Gefahr, dass es mit einem Teil
der Siedler zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommt. Annektiert
Israel aber das Westjordanland, läuft die Entwicklung auf einen
bi-nationalen Staat heraus, in dem es in nicht allzu ferner Zukunft
eine arabische Mehrheit geben wird. Wie kommt Israel aus dieser
Sackgasse heraus?
Ich glaube nicht an einen Bürgerkrieg, wenn Israel die Siedlungen
räumen wird. Die conditio sine qua non ist ernster internationale
Druck, der dem israelischen Volk klar machen wird, dass die Räumung
der besetzten Gebiete die dem Völkerrecht entsprechende Lösung ist.
Es ist die einzig mögliche Lösung und sie wird ein Segen für Israel
sein.
Israel ist ganz
offensichtlich nicht gewillt und in der Lage, das Problem mit den
Palästinensern zu lösen und auch mit seinen arabischen Nachbarn
friedlich zusammenzuleben, weil es allein auf seine militärische
Stärke setzt. Das wirft aber die Frage auf, ob der Staat Israel und
die zionistische Ideologie mit der Politik, die dieser Staat
betreibt, überhaupt auf Dauer überleben können?
Ja, Israel ist nicht gewillt, mit den Palästinensern und den anderen
Arabern Frieden zu schließen. Ich habe in meinem letzten Buch „Um
Hoffnung kämpfen“ geschrieben, dass Israel seine Politik ändern
müsse, wenn es überleben will. Wörtlich habe ich geschrieben: „Die
wirklichen Freunde Israels müssen das Land dazu bringen, diesen Weg
der Vernunft einzuschlagen. Dann werden sich diese Freunde auch als
Freunde aller Völker des Nahen Ostens erweisen. Der Weg der Gewalt,
den Israel mit Unterstützung der westlichen Regierungen geht und für
den einzig richtigen hält, führt in den Abgrund.“
Viele Deutsche können
nicht verstehen, dass die Juden, die in ihrer Geschichte und dann
besonders durch die Nazis so gelitten haben, nun einem anderen Volk,
das den Juden nichts getan hat, so große Leiden zufügen. Hängt
dieses Verhalten der Israelis mit der Traumatisierung durch den
Holocaust zusammen? Oder ist es direkt ein Folge der zionistischen
Ideologie, die ja den totalen Anspruch auf Palästina zum Inhalt hat,
ohne die Ureinwohner dieses Landes überhaupt zur Kenntnis zu nehmen?
Das Leid macht Menschen nicht zwangsläufig besser. Man muss aus ihm
die richtige humane Lehre ziehen, wie es etwa meine Familie und die
israelische Friedensbewegung getan haben. Die Lehre heißt:
Menschlichkeit. Diese Lehre hat das israelische Establishment nicht
gezogen. Die offizielle Indoktrination in Israel lautet, dass
überall ein neuer Holocaust lauert. Man folgert daraus, dass man
rüsten muss. Wie Lieberman mit einem Zitat der alten Römer sagt: Si
vis pacem para bellum! (Wenn Du den Frieden willst, bereite den
Krieg vor!). Die zionistische Ideologie hat ja als Ziel nicht nur
einen jüdischen Staat in Palästina, sondern sie will ganz Palästina
für ihren jüdischen Staat. Das heißt: Sie wollen ein Maximum an
Territorium mit einem Minimum an Palästinensern.
In Deutschland ist
das gute Verhältnis zu Israel aufgrund des Holocaust „Staatsraison“.
Tut die deutsche Regierung mit diesem kritiklosen Verhalten
gegenüber Israel und sich selbst einen Gefallen oder schadet sie
damit nicht sogar dem Friedensprozess im Nahen Osten?
Das ist nicht von Seiten Deutschlands nur ein gutes Verhältnis,
sondern eine Huldigung. Sie ist durch eine totale Einseitigkeit
gekennzeichnet, die für Israel nur schädlich ist. Der Gipfel der
Einseitigkeit war der Besuch von Kanzlerin Angela Merkel im März
2008 und dabei besonders ihre Rede in der Knesset. In der
israelischen Friedensbewegung wird die Kanzlerin genau dafür
kritisiert. Einer der sich auch kritisch zu Wort gemeldet hat, ist
der israelische Historiker Meir Margalit. Er wies darauf hin, dass
das israelische Friedenslager alles andere als glücklich über
Merkels einseitige Parteinahme ist. Es sei vielmehr Merkels Aufgabe,
mit lauter Stimme zu sagen, dass das 21. Jahrhundert keinen Platz
mehr für Besatzungsmächte habe. So hat er es formuliert.
(Frankfurter Rundschau, 26.3.2008).
Sollte Deutschland
zusammen mit der EU Druck auf Israel ausüben, um ernsthafte Schritte
zu einem Nahostfrieden zu unternehmen?
Ja, absolut. Das ist im Interesse Israels. Das ist ein Brandherd
geblieben. Und Druck ist auch im Interesse Europas.
In Deutschland wird
nach dem Gaza-Krieg heftig über die Frage diskutiert, ob Deutsche
wegen der NS-Vergangenheit an Boykottaktionen gegen israelische
Importe – etwa Früchte und Obst – aus den besetzten Gebieten
beteiligen sollten. Denn diese Produkte sind ja zumeist mit einem
falschen Herkunftsetikett versehen. Sollen Deutsche an solchen
Boykottaktionen teilnehmen?
Man sollte keine Angst vor dem Vorwurf des Antisemitismus haben.
Alles, was eine Wirkung auf eine Kehrtwende der aggressiven
israelischen Politik ausübt, ist ein Beitrag zum Frieden. Israel ist
ein Apartheidsstaat. Das sagen ehemalige Kämpfer gegen die Apartheid
in Südafrika – etwa Bischof Desmond Tutu und der ehemalige Minister
Ronny Kasrils, der im übrigen Jude ist. Kann man die Apartheid mit
Lobeshymnen wie von der Bundeskanzlerin bekämpfen? Boykott ist ein
gewaltfreies Druckmittel – die meisten Mitglieder der israelischen
Friedensbewegung (nicht alle) befürworten solchen Druck.
Israel wird wegen
seiner Besatzungspolitik und der Diskriminierung der Palästinenser
in Israel selbst immer wieder vorgeworfen, ein „rassistischer“ Staat
zu sein. Auf der zurückliegenden UNO-Konferenz in Genf wurde ein
entsprechender Vorwurf aus dem Schlussdokument gestrichen. Gibt es
in Israel Rassismus?
Die Politik Israels in den besetzten Gebieten ist klar rassistisch.
Wer die Mauer auf palästinensischem Gebiet, die Sperren, die Straßen
nur für Juden, die Bevorzugung der jüdischen Siedler mit Wasser, die
eingeschränkte Bewegungsfreiheit der Palästinenser und die Wegnahme
des Bodens mit eigenen Augen gesehen hat, der kann sich selbst ein
Urteil bilden. Das ist aber nur die Spitze des Eisberges. Der
Rassismus zeigt sich auch gegenüber den Palästinensern in Israel,
die die israelische Staatsbürgerschaft besitzen. Beim Erwerb von
Boden und Bildung, bei der Arbeit und bei der Gerichtsbarkeit sind
sie klar benachteiligt. Lieberman hatte 2006 vorgeschlagen, die
arabischen Abgeordneten der Knesset, die Verbindungen zur Hamas oder
Hisbollah unterhalten, wie Nazi-Kollaborateure hinzurichten.
Die Menschen in Gaza
vegetieren nach den furchtbaren Zerstörungen des Krieges nur noch
dahin. Nach allen Berichten aus dem eingeschlossenen Gebiet kann
kein Wiederaufbau stattfinden, weil Israel keine Baumaterialien
durch die Grenze lässt. Auch Lebensmittel und Medikamente kommen nur
sehr spärlich durch. Was kann und soll die Welt angesichts dieser
Situation tun?
Der so genannte Gaza-Krieg war ein Kriegsverbrechen. Und was Israel
jetzt tut, ist auch ein Verbrechen. Papst Benedikt hat jetzt bei
seinem Besuch in Bethlehem Anteil genommen an den Opfern, die man
den Menschen in Gaza durch den Krieg zugefügt hat. Die immer noch
andauernde Blockade ist auch ein Kriegsverbrechen und bereitet
eineinhalb Millionen Menschen so viel Leiden. Der Papst hat klar und
deutlich ihr Ende gefordert. Hunderttausende von Palästinensern dort
sind obdachlos – zum zweiten Mal in ihrem Leben. Das erste Mal
wurden sie es durch die israelische Vertreibung 1948. Der
Wiederaufbau der zerstörten Häuser und der Infrastruktur ist
unmöglich, weil die Israelis ihn nicht zulassen. Was Israel tut, ist
einmalig: Erst zerstören und dann den Wideraufbau verhindern. Man
darf nicht vergessen und darf nicht schweigen und man muss Druck
ausüben – das sind wir der Bevölkerung von Gaza schuldig. Der Papst
hat wenigstens bei seiner Rede in Bethlehem das Leiden der Bewohner
von Gaza erwähnt und er hat einen wirklich souveränen Staat für die
Palästinenser gefordert. Das ist sehr verdienstvoll.
Israel droht seit
Monaten, die Atomanlagen im Iran zu bombardieren. Ist der Iran
wirklich der gefährliche Feind Israels? Israel ist selbst Atommacht
und soll über etwa 250 Bomben verfügen. Wäre nicht Abrüstung im
Nahen Osten der bessere Weg?
Die Gefahr kommt von Israel – der viertgrößten Militärmacht der
Welt, die atomare Waffen besitzt und eine sehr gefährliche Regierung
hat. Der Iran bedroht Israel nicht. Iran ist kein aggressives Land,
es hat seine Nachbarn seit Jahrhunderten nicht angegriffen. Die
Rhetorik von Präsident Ahmadinedschad ändert daran nichts. Abrüstung
ist im Nahen Osten ein Imperativ. Israel will aber keine Kontrolle
seiner Atomwaffen zulassen. Der israelische Publizist Uri Avnery
nennt die ganze Geschichte von der angeblich existenziellen
Bedrohung Israels durch den Iran einen Bluff ...
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