Im Büßergewand
Heiko Maas
erweist sich bei seinem Besuch in Israel als treuer Parteigänger
des Zionismus
Arn
Strohmeyer
„Wer Hitler
abschütteln will, muss heute die Palästinenser verteidigen.“
Diesen Satz hat nicht ein böser deutscher Antisemit formuliert,
sondern der deutsch-französische Jude Alfred Grosser, der als
Kind mit seinen Eltern Deutschland verlassen musste, um der
Mordmaschinerie der Nazis zu entkommen. Man möchte den neuen
deutschen Außenminister fragen, wie er zu diesem Satz steht.
Nach all den Äußerungen, die er in den vergangenen Tagen vor
seiner Israel-Reise und im Land selbst getan hat, muss er
Grossers Worte für blanken Antisemitismus halten.
Heiko Maas
hat sich in den wenigen Wochen seiner Amtszeit als überzeugter
(man kann auch sagen: blinder) Parteigänger Israels dargestellt.
Es klingt so schön, wenn er immer wieder sagt, er sei wegen
Auschwitz in die Politik gegangen. Der Holocaust bleibe Mahnung
und Auftrag, weltweit für Menschenrechte und Toleranz
einzutreten. Und dann fügt er hinzu: Die Freundschaft zwischen
Deutschland und Israel sei ein großes Geschenk. Die Solidarität
mit dem jüdischen Staat stehe im Zentrum der deutschen
Außenpolitik. Es gehe darum, für die Sicherheit Israels
einzutreten und den Antisemitismus zu bekämpfen.
Große Worte,
die man auf ihren Realitätsgehalt hin hinterfragen muss. Und
dann bleibt von Heiko Maas‘ blumiger Rhetorik nicht viel an
Substanz übrig. Der renommierte jüdische Historiker Yakov Rabkin,
ein Spezialist für die Geschichte des Judentums, kritisiert seit
Jahren, dass die deutsche Politik und die meisten Deutschen aus
ihren Schuldgefühlen heraus den Staat Israel in seiner
politischen Realität bis heute gar nicht wahrgenommen hätten.
Denn es bleibe die Frage, wie weit Israel die
Juden und das Judentum repräsentiere, es gebe sehr viele
jüdische Stimmen, die Israel genau diesen Anspruch bestritten.
Und Rabkin konstatiert: „Wenn sich Deutschlands permanenter
Kniefall vor dem Staat Israel aus dem Mythos speist, Israel
repräsentiere die Juden in aller Welt und sei ihre natürliche
Heimat, so muss das zu denken geben.“
Was Rabkin
hier meint, muss man wohl so verstehen: Deutschland hat wegen
der monströsen Verbrechen des „Dritten Reiches“ natürlich eine
Verantwortung gegenüber Juden, es darf ihm aber auf Grund der
schrecklichen Erbschaft des Hitler-Staates auch nicht das Recht
abgesprochen werden, aktuelle Menschenrechtsverletzungen und
Verbrechen gegen das Völkerrecht anzuprangern – auch wenn sie
von einem Staat begangen werden, der sich „jüdisch“ nennt.
Die deutsche
Israel-Politik hat sich dem zweiten Teil dieses Kriteriums nie
gestellt, das heißt, sie hat die politische Realität Israels nie
wirklich zur Kenntnis genommen, was ja nur heißen kann, dass es
sich hier nicht in erster Linie um den Staat der
Holocaust-Verfolgten handelt, sondern um einen äußerst
aggressives siedlerkolonialistisches System, das seine Existenz
auf der Herrschaft über ein anderes Volk begründet. Und weil
Deutschland diese Realität nicht wahrnimmt und auch in seiner
Politik nicht berücksichtigt, ist das deutsch-israelische
Verhältnis so unaufrichtig, unredlich und letzten Endes zutiefst
neurotisch.
Der deutsche
Völkerrechtler Norman Paech beschreibt diese Beziehung denn auch
als „vollkommen, verkrampft, erzwungen und verlogen – sie ist
geradezu von mafiotischer Struktur. Wie anders kann man diese
Beziehung werten, in der eine Partner mit dem Stiefel auf dem
Nacken eines Volkes dessen Vertreibung aus der Heimat betreibt,
ohne sich um die einfachsten Regeln des Völkerrechts zu kümmern
– und der andere Staat ihm die Hand reicht, ohne zu versuchen,
die angerichteten Schäden zu beheben? Das sind keine normalen
Beziehungen, die sich allein aus den Verbrechen der
Vergangenheit rechtfertigen lassen. Sie nehmen die wachsende
Kriminalität der [israelischen] Staatsführung und ihre
Isolierung in der Staatenwelt in Kauf. Normal werden diese
Beziehungen erst dann, wenn es Frieden mit dem palästinensischen
Volk gibt.“
Heiko Maas,
das wird nach seinem Auftritt in Israel klar, ist dabei, diese
unselige Tradition der deutschen Israel-Politik ohne Wenn und
Aber fortzusetzen. Dass er damit einer möglichen Friedenslösung
einen Bärendienst erweist, versteht sich von selbst. Denn eine
rückhaltlose Unterstützung des zionistischen Siedlerstaates, wie
Maas sie ankündigt, stabilisiert und festigt – allem Gerede von
der Zwei-Staaten-Lösung zum Trotz – das Besatzungssystem und die
Unterdrückung der Palästinenser. Und wenn Maas Angela Merkels
Satz von der Priorität der „Sicherheit“ Israels als deutsche
Staatsräson wiederholt, so begibt er sich vollends auf
politisches und auch militärisches Glatteis. Denn wenn die
deutsche Außenpolitik sich vollständig Israels Interessen
unterwirft (einem Staat, der sich auch 70 Jahre nach seiner
Gründung in einem permanenten Kriegszustand mit seinen Nachbarn
befindet), ist das ein äußerst riskantes Unternehmen, das
Deutschland in gefährliche Abenteuer hineinziehen kann. Man kann
auch sagen: Eine solche deutsche Politik ist völlig
verantwortungslos!
Heiko Maas
erweist sich also als ein treuer Erfüllungsgehilfe einer solchen
unberechenbaren und aggressiven israelischen Politik. Dass die
Israelis eine solche Kniefall-Politik nicht einmal honorieren,
machte eine ganz undiplomatische Äußerung der Sprecherin der
israelischen Botschaft in Berlin, Adi Farjon, deutlich. Sie
erklärte im Juli 2015, dass es im Interesse Israels liege, die
deutschen Schuldgefühle wegen des Holocaust aufrechtzuerhalten
und dass Israel deswegen keine völlige Normalisierung der
Beziehungen anstrebe. Allein diese Äußerung straft die ständigen
Bekundungen der Bundesregierung – und jetzt auch von Heiko Maas
– Lügen, wie hervorragend und ungetrübt die Beziehungen seien.
Die Äußerung
der Botschaftssprecherin belegt aber auch, wie sehr Israel den
Holocaust für seine politischen Zwecke instrumentalisiert. Was
Heiko Maas gar nicht gefallen kann, zieht er doch (wie oben
erwähnt) die Schlussfolgerung aus dem Holocaust, weltweit für
Menschenrechte und Toleranz einzutreten – ohne in diesem
Zusammenhang freilich die Palästinenser zu erwähnen, was seinem
Bekenntnis deshalb schon jeden Wert nimmt. Die israelische
Politik hat aus dem Holocaust nie universelle Konsequenzen
gezogen (dass so etwas niemandem auf der Welt noch einmal
geschehen dürfe), sondern immer nur nationalistische Folgerungen
aus dem Holocaust betont (dass Juden so etwas niemals mehr
passieren dürfe). Dass Israel mit dem Holocaust-Argument auch
den Landraub und seine anderen Verbrechen gegen die
Palästinenser rechtfertigt („Wir haben den Holocaust
durchgemacht, uns ist alles erlaubt!“), belegt, dass man
eigentlich auch in puncto Holocaust mit Israel nicht
übereinstimmen kann.
Wenn Maas
sein Engagement für Israel mit dem Holocaust begründet, kommen
zwei weitere Argumente hinzu, die der deutsche Außenminister
bedenken müsste: Der israelische Staat hat immer ein sehr
gespaltenes Verhältnis zu diesem Mega-Verbrechen gehabt, was mit
seiner Verachtung für das Diaspora-Judentum zu tun hat, das als
„devot“ und „feige“ eingeschätzt wurde. In Israel galt das Ideal
des „tatkräftigen, starken und wehrhaften neuen Juden“. Auf die
Holocaust-Überlebenden hat man deshalb eher verächtlich
herabgeschaut, weil sie sich „wie die Lämmer haben zur
Schlachtbank führen lassen.“ Und das zweite Argument: Der
Konflikt zwischen Israelis und den Palästinensern ist nicht –
wie er heute so oft falsch dargestellt wird – die Fortsetzung
der jüdischen Verfolgungsgeschichte bis zum Holocaust
(Stichwort: „Antisemitismus“), sondern ein
siedlerkolonialistischer Konflikt ganz eigener Art. Aber auch
Tatsachen wie diese dürften am Weltbild des überzeugten
Israel-Anhängers Heiko Maas sicher nichts ändern.
So ist auch
seine „Freundschaft“ zur israelischen Justizministerin Ayelet
Shaked nicht zu erschüttern, die symbolhaft für das verquere
deutsch-israelische Verhältnis steht. Diese Frau bekennt offen,
dass die Politik des Zionismus (der israelischen
Staatsideologie) nichts mit Menschenrechten und Völkerrecht zu
tun habe, der Zionismus habe seine eigenen Gesetze. Und die auf
ihrer Webseite über die Palästinenser bekannte: „Sie sind
feindseige Kämpfer gegen uns, und sie werden dafür bluten. Dazu
zählen auch die Mütter der Märtyrer. Sie müssen verschwinden und
ebenso die Häuser, in denen sie die Schlangen großziehen.“ Ein
eindeutiger Aufruf zum Mord!
Sind das die
gemeinsamen Werte – Menschenrechte und Toleranz, für die Heiko
Maas immer wieder gelobt einzutreten? Der neue Außenminister
hängt wie die gesamte bisherige deutsche Israel-Politik einem
idealistischen Wunschbild von diesem Staat an, das mit der
Realität nicht viel zu tun hat. Aber man hofft, durch das
Auftreten im Büßerhemd die Vergebung der deutschen Schuld zu
erlangen – und sieht dabei gar nicht, dass man durch sein
Schweigen und eine grundfalsche Politik furchtbare neue Schuld
auf sich lädt.