Henryk M. Broder, die Aufklärung und
der Untergang des Abendlandes
Von Arn Strohmeyer
Der „Spiegel“ galt einmal als das „Flaggschiff“ der Aufklärung“.
Damals hieß der Herausgeber noch Rudolf Augstein und dem nahm man
das ab. Das ist lange her und die Zeiten und mit ihnen der „Spiegel“
haben sich gründlich geändert. Wie gründlich, konnte man
jetzt einem Artikel des „Spiegel“-online-Redakteurs Reinhard Mohr
entnehmen. Dieser erklärte wahrhaftig Henryk M. Broder zu einem
der letzten aufrechten Kämpfer für Menschenrechte im Abendland, weil
er einer von den Publizisten sei, der unermüdlich auf westliche
Werte – und damit auf das hohe Gut der Aufklärung – poche. So sieht
Broder sich wohl auch selbst, sonst hätte er kaum dem großen
Immanuel Kant – in Abwandlung – den Buchtitel „Kritik der reinen
Toleranz“ entliehen.
Was war der Anlass?
Die Feuilletonisten Claudius Seidl (FAZ) und
Thomas
Steinfeld (Süddeutsche Zeitung) hatten in Artikeln gewagt, den
selbsternannten Verteidiger der „Achse des Guten“ und radikalen
Islam-Kritiker Broder anzugreifen und ihm weltanschaulichen
„Fundamentalismus“ vorzuwerfen, ja ihn einen „Hassprediger“ der
westlichen Werte zu nennen.
Steinfeld begründete das so: „Wenn man aber mit den westlichen
Werten ebenso kämpferisch umgeht, wie es der radikale Islam mit
seinen heiligen Schriften tut, dann verhält man sich, wie der, den
man zum Feind erkoren hat.“ Ja, schlimmer noch: „Man zerstört die
sozialen und moralischen Einrichtungen, die man zu verteidigen
sucht.“ Broder hatte zuvor gefordert, die Islam-Kritik müsse jetzt
„militant“ werden und ihre Kritiker „mit der Axt ins Bad“ treiben,
so wie der dänische Mohammed-Karikaturist Kurt Westergaard ins Bad
getrieben wurde, als ein Islamist bei ihm einbrach.
„Spiegel“-Mohr war empört über das, was Steinfeld da behauptet,
nämlich: Mit ihrem quasireligiösen Furor unterminierten die
Islam-Kritiker und Fahnenschwinger der westlichen Werte wie Broder
den Kern ihres eigenen Glaubensbekenntnisses – die demokratischen
Institutionen und die Werte, zuvörderst Meinungsfreiheit, Toleranz
und das Gebot von Gleichheit und Menschenwürde.
Claudius Seidl von der FAZ war als erster Broder entgegen getreten.
Er warf ihm vor, mit den Muslimen nach dem Prinzip „Wie Du mir, so
ich Dir!“ umzugehen. Etwa: Wenn wir Kirchen und Synagogen in Mekka
bauen dürfen, lassen wir Euch Moscheen in Rom bauen. Und: Wenn
unsere Frauen nabelfrei durch Riad bummeln dürfen, lassen wir Eure
Frauen verschleiert auf die Maximilianstraße. Seidl folgert ganz
richtig: „Klingt nur fair, ist aber, erstens eine Selbsterniedrigung
aufs Niveau orientalischer Verhältnisse; zweitens, weil ‚wir’, nach
vollzogener Einbürgerung, eben auch Muslime und Kopftuchträgerinnen
sind, ist es ein Rassismus, der sich seiner selbst nur nicht bewusst
ist.“
Dem sekundierte in der „Süddeutschen Zeitung“ der
Antisemitismus-Forscher Wolfgang Benz, der zwar Broders Namen nicht
nannte, aber bei den radikalen Islamkritikern „strukturelle“
Ähnlichkeiten zwischen Antisemitismus und einer Islam-Kritik sieht,
der er „islamophobe, rassistische Motive“ unterstellt. Feindbilder
bedienten immer – so der Wissenschaftler verbreitete Sehnsüchte nach
schlichter Welterklärung, die durch rigorose Unterscheidung von Gut
(das Eigene) und das Böse (das Fremde) auf Ausgrenzung und
Schuldzuweisung beruhten. Das Feindbild Islam bediene sich dabei
zuweilen eines „aggressiven, aufgesetzten Philosemitismus“. Kein
Zweifel, auf wen das gemünzt war.
Mohr entrüstete sich noch mehr: „Die Muslime, so könnte man glauben,
seien die verfolgten Juden des 21. Jahrhunderts.“ Ihm machte die
„sensationelle Umkehrung von Worten und Werten“ beinahe sprachlos:
„Man könnte vom Glauben abfallen. Aufklärung ist also Religion
geworden.“ Was Mohr uns mit seiner Empörung sagen will, ist klar:
Jetzt wird auch noch einer der letzten Siegelbewahrer der
Aufklärung, des Gipfels der menschlichen Humanität, nämlich Henryk
M. Broder, als religiöser Fanatiker und Rassist beschimpft. „Mehr
Selbstverachtung und Realitätsverlust war selten“, schreibt Mohr
fassungslos. Der Mann sieht offenbar das Abendland in seinem Bestand
gefährdet.
Hat Reinhard Mohr einmal Broders Einsichten und Ausführungen zum
Nahost-Konflikt gelesen? Zeigt dieser da irgendwo Engagement für
Toleranz, Freiheit, Gleichheit und Menschenwürde – gegenüber der
schwächeren und unterlegenen Seite – den Palästinensern? Oder bei
seinen Attacken auf Leute, die nicht seiner Meinung sind? Der
angebliche Aufklärer Broder hat sich allein durch seinen fatalen und
zynischen Satz im Zusammenhang mit Israels Vorgehen im Nahen Osten
„Es macht mehr Spaß, Täter statt Opfer zu sein!“ unsterblich
gemacht. Arme Aufklärung: Was ist aus Dir geworden?
Eine nötige Nachbemerkung: Broder ist wie Mohr Mitglied der
„Spiegel“-Redaktion. Und deshalb ging es letzterem mit seinem
Artikel wohl eher um eine Geste der kollegialen Solidarität mit dem
Kritisierten als wirklich um das hohe Gut der Aufklärung. Wissen die
beiden überhaupt, was das ist? Seidl zitierte zu Recht den großen
Voltaire, der einmal – in abgewandelter Form – gesagt hatte: „Ich
mag Ihr Kopftuch nicht, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen,
dass Sie sich kleiden dürfen, wie Sie wollen.“