Stoppzeichen gegen die Antisemitismus-Hysterie
Der Deutsche Presserat hat über die Netanjahu-Karikatur von
Dieter Hanitzsch ein kluges Urteil gefällt
Arn Strohmeyer
Der
deutsche Presserat hat weise geurteilt, hätte er anders
entschieden, hätte man wirklich annehmen müssen, Deutschland
wäre eine Bananenrepublik, von der der hysterische Ausmaße
annehmende, grassierende Antisemitismus-Verdacht vollständig
Besitz ergriffen hat. Aber Gottseidank gibt es doch noch Leute,
die ihre fünf Sinne offensichtlich beieinander haben und nicht
vom Virus der Antisemitismus-Hysterie angesteckt sind. Bei der
Leitung und in der Redaktion der Süddeutschen Zeitung war das
offenbar der Fall, und die Entscheidung des Presserates ist eine
Riesenblamage für die Edel-Postille aus München, die so viel
Wert auf ihre kritische Liberalität legt. Hoffentlich
entschuldigt sich die Chefredaktion in aller Form bei dem
Karikaturisten Dieter Hanitzsch, den man nach Erscheinen der
Zeichnung wegen des Antisemitismus-Vorwurfs gefeuert hat.
Was eine Karikatur
ist und bezweckt, liest sich bei Wikipedia so: „Karikatur von
lat. carrus – Karren, also Überladung, ital. caricare -
überladen, übertreiben. Karikatur bedeutet also die komisch
überzeichnete Darstellung von Menschen oder gesellschaftlichen
Zuständen, auch mit politischem bzw. propagandistischem
Hintergrund.“ Genau das – in übertriebener und überzeichneter
Form das politische Agieren des israelischen Regierungschefs
Benjamin Netanjahu darzustellen – hat Dieter Hanitzsch mit
seiner Karikatur getan: Wie dieser höchst umstrittene und nicht
zimperliche Politiker (um es zurückhaltend auszudrücken) im
Gewand der Eurovisions-Song-Contest-Gewinnerin Netta drohend
eine Rakete mit Davidstern in der Hand schwingt.
Da ist genau
Netanjahus aktuelle politische Situation wiedergegeben: Er sonnt
sich im Sieg der israelischen Sängerin beim ESC und
instrumentalisiert ihren Triumph für die eigenen politischen
Zwecke. Und dass Israel völkerrechtswidrig mit Raketenangriffen
ständig in den Krieg im Nachbarland Syrien eingreift, weil ihm
die Anwesenheit der Iraner dort nicht passt, ist auch kein
Geheimnis. Und den herrschenden Mullahs in Teheran droht er
ständig mit einem militärischen Angriff. Was ist also an der
Karikatur so aufregend? Wer sich über den Davidstern auf der
Zeichnung mokiert, dem sei gesagt, dass dieser nicht das Symbol
des Judentums ist (das ist der siebenarmige Leuchter – die
Menorah), sondern des Zionismus, also des säkularen israelischen
Staates.
Nüchtern und
sachlich abwägende Experten wie zum Beispiel Wolfgang Benz, der
renommierte frühere Leiter des Zentrums für
Antisemitismus-Forschung an der TU Berlin, konnten denn auch
keinen Antisemitismus in der Karikatur entdecken. In einem
Interview sagte er: „Ich erkenne keinen Antisemitismus in dieser
Karikatur.“ Und er fügte hinzu: „Den verstärkten und wuchtigen
und massiven angeblich neuen Antisemitismus, der derzeit durch
die Medien geistert, sehe ich wirklich nicht.“ Benz zitiert dann
Dieter Hanitzsch, der selbst bekannte, dass ihm jeder
Antisemitismus fernliege, er habe sich lediglich politisch
äußern wollen. Und das habe er getan. Benz meint denn auch,
Hanitzsch’s Zeichnung sei unfreundlich für Netanjahu, aber nicht
judenfeindlich.
Genau hier liegt
der Kern des Problems: Auch Benz spricht im Zusammenhang mit den
ständig vorgebrachten Antisemitismus-Vorwürfen in Deutschland
von einer „Hysterie“, die durch permanente Wiederholung in den
Medien immer mehr gesteigert werde. Eine sehr gefährliche
Entwicklung, die Benz da anspricht, denn da sie auch von der
Politik aller Parteien mitgetragen wird, sehen sich die im
Grundgesetz festgeschriebene Meinungs-, Presse-, Kunst- und
Wissenschaftsfreiheit (man kann auch die Versammlungsfreiheit
noch dazunehmen) massiver Bedrohung ausgesetzt. Was hier
stattfindet ist nicht mehr und nicht weniger als ein massiver
Angriff auf die tragenden Säulen der Demokratie.
Die
Auseinandersetzung um die -Netanjahu-Karikatur spiegelt das
ganze unehrliche, verlogene und deshalb höchst neurotische
Verhältnis Deutschlands zu Juden und Israel wieder. Da die
furchtbare NS-Vergangenheit immer noch nicht in angemessener und
rationaler Weise aufgearbeitet ist, glaubt man Sühne zu
erlangen, indem man den Staat Israel und seine barbarische
Politik gegenüber den Palästinensern blindlings unterstützt. Was
aber auch bedeutet: Die Sicht auf das reale Israel ist ein
totales Tabu.
So wird Israel
idealisiert und ihm in allem und jedem eine Sonderstellung
eingeräumt. (Dass gerade dies auch eine Quelle für neuen
Antisemitismus ist, wird geflissentlich übersehen.) Um bei
Karikaturen zu bleiben: Man darf zwar den islamischen Propheten
Mohamed oder die iranischen Mullahs in jeder Form dämonisieren
und lächerlich machen, aber nicht Benjamin Netanjahu karikieren,
wie er im Netta-Gewand Raketen schwingt. Dass der Deutsche
Presserat hier klar Stellung bezogen und sich für die Freiheit
der politischen Kunst entschieden hat, kann man gar nicht hoch
genug bewerten.
14.06.2018
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