„Äußert
Kritik
und
sagt,
was
Ihr
denkt!“
Der
israelische
Philosoph
Omri
Bohm
appelliert
an
die
Deutschen:
Bekämpft
die
Situation,
in
der
einen
das
Aussprechen
der
Wahrheit
zum
Antisemiten
macht!
Arn
Strohmeyer
-
1.7.2020
Boehm, Omri:
Israel – eine Utopie
Propyläen-Verlag Berlin 2020,
ISBN 978-3-549-10007-3
20 Euro |
Der
israelische
Philosoph
Omri
Boehm
hat
ein
neues
Buch
herausgebracht,
das
den
Titel
„Israel
–
eine
Utopie“
trägt.
Im
Vorwort
der
deutschen
Ausgabe
des
Buches
geht
er
auf
die
gegenwärtig
in
Deutschland
herrschende
Antisemitismus-Hysterie
ein.
Seine
kritischen
Ausführungen
zu
dieser
deutschen
Anomalie
sind
für
die
Debatte
hierzulande
so
bedeutend,
dass
sie
hier
–
unabhängig
vom
restlichen
Text
–
ausführlich
dargestellt
werden.
Boehm
erinnert
zu
Beginn
seines
Vorworts
an
eine
Aussage
des
deutschen
Philosophen
Jürgen
Habermas.
Er
wurde
2012
bei
einem
Besuch
in
Jerusalem
von
einem
Journalisten
der
Zeitung
„Haaretz“
nach
seiner
Meinung
zur
israelischen
Politik
gefragt.
Habermas
antwortete,
dass
zwar
die
gegenwärtige
Lage
und
die
Grundsätze
der
israelischen
Regierung
eine
politische
Bewertung
erforderten,
dies
aber
nicht
Sache
eines
privaten
deutschen
Bürgers
seiner
Generation
sei.
Boehm
hält
dem
entgegen,
dass
man
Habermas,
der
eine
Philosophie
der
Diskursethik
begründet
habe,
schwerlich
als
„deutschen
Privatbürger“
bezeichnen
könne.
Schweigen
sei
hier
selbst
ein
Sprechakt
und
zwar
ein
höchst
öffentlicher.
Boehm
geht
dann
auf
Immanuel
Kants
Begriff
der
Aufklärung
zurück.
Der
Königsberger
Philosoph
verstand
diese
geistige
Haltung
als
„Ausgang
der
Menschen
aus
ihrer
selbst
verschuldeten
Unmündigkeit“
–
ein
Prozess
des
Erwachsenwerdens,
der
darin
besteht,
den
„Mut
zu
finden,
sich
seines
eigenen
Verstandes
zu
bedienen.“
Dieser
Gebrauch
der
eigenen
Vernunft
ist
aber
– so
Kant
–
kein
privater
Monolog
mit
sich
selbst,
also
kein
inneres
Zwiegespräch,
sondern
ist
nur
im
Dialog
mit
anderen
sinnvoll,
um
zu
guten
Ergebnissen
zu
kommen.
Der
Gebrauch
der
eigenen
Vernunft
bedarf
also
der
öffentlichen
Sphäre.
Damit
ist
Boehm
wieder
bei
Habermas
angelangt.
Er
wirft
ihm
vor,
mit
seiner
Weigerung,
über
Israels
Politik
zu
sprechen,
nicht
den
Standpunkt
der
Aufklärung
einzunehmen,
sobald
es
um
jüdische
Angelegenheit
gehe.
Er
weigere
sich
buchstäblich,
selbst
zu
denken.
Boehm
hält
Habermas
und
anderen
deutschen
Intellektuellen
deshalb
entgegen:
„Die
Aufgabe
der
deutschen
Intellektuellen
besteht
wegen
und
nicht
trotz
der
deutschen
Geschichte
darin,
sich
mit
Israel
im
Forum
der
öffentlichen
rationalen
Diskussion
auseinanderzusetzen,
und
gerade
nicht
darin,
es
in
irgendeine
metaphysische
Sphäre
auszulagern,
von
der
man
nicht
sprechen
kann
und
über
die
man
schweigen
muss.“
Mit
anderen
Worten:
Die
Rückkehr
zu
Kant
wird
– so
Boehm
–
nicht
vollendet,
wenn
die
deutschen
Intellektuellen
nicht
den
Mut
finden,
aufrichtig
über
Israel
nachzudenken
und
zu
sprechen.
Boehm
geht
dann
auf
den
altgriechischen,
aber
sehr
modernen
und
aktuellen
Begriff
der
Parrhesia
ein,
der
bedeutet:
den
Mut
zu
haben,
der
Macht
die
Wahrheit
zu
sagen.
Denn
deutsche
Intellektuelle,
die
den
Mut
haben,
die
israelisch-jüdische
Politik
zu
kritisieren,
müssten
befürchten,
geächtet
und
zensiert
zu
werden
oder
sogar
ihre
berufliche
Existenz
zu
verlieren.
Boehm
sieht
natürlich
die
Gefahr
für
die
Betroffenen,
hat
aber
nur
die
eine
Antwort
darauf,
die
ganz
im
Sinne
der
Aufklärung
ausfällt:
„Äußert
eure
Kritik,
sagt,
was
ihr
denkt,
kritisiert
und
lasst
euch
kritisieren.
Lasst
das
Licht
der
öffentlichen
Debatte
dazu
beitragen,
ein
rationales
Urteil
über
den
jüdischen
Staat
zu
fällen.
Es
nicht
zu
tun,
macht
den
Juden
zum
gefährlichen
Anderen;
die
Angst,
kritisiert
zu
werden,
ist
bereits
mit
dem
Mythos
der
jüdischen
Macht
behaftet.
Nur
eine
vernünftige
Perspektive
auf
den
jüdischen
Staat
in
einer
Öffentlichkeit,
die
diesen
Staat
als
normalen
Gegenstand
einer
Debatte
behandelt,
kann
den
Antisemitismus
überwinden.
Aus
dieser
Perspektive
wäre
die
einzig
akzeptable
Antwort,
die
ein
Habermas
in ‚Haaretz‘
hätte
geben
können,
diese
gewesen:
‚Als
deutscher
Staatsbürger
meiner
Generation
habe
ich
Folgendes
zu
sagen…‘“
Boehm
schreibt
den
deutschen
Intellektuellen
ins
Stammbuch,
dass
man
nicht
den
Grundsätzen
eines
universalen
Humanismus
verpflichtet
sein
und
zugleich
zu
Israels
Verletzungen
des
Völkerrechts
und
der
Menschenrechte
schweigen
könne.
Der
darin
liegende
Widerspruch
trage
dazu
bei,
dass
Europa
und
speziell
Deutschland
an
der
Unterscheidung
zwischen
Antisemitismus
und
Israelkritik
„verrückt“
würden.
Deutschland
entziehe
sich
seiner
Verantwortung,
wenn
es
nicht
auf
den
gleichen
humanistischen
Grundsätzen
bestehe
und
auch
Juden
in
deren
Namen
kritisiere.
Es
konterkariere
darüber
hinaus
auch
die
politische
Bedeutung
des
Holocaust.
Als
Musterbeispiel
eines
solchen
„Verrücktseins“
führt
Boehm
die
Ideologie
der
Antideutschen
an,
die
beinhaltet,
dass
die
jüdische
Politik
bedingungslos
zu
unterstützen
sei.
Er
zitiert
den
antideutschen
Politologen
Stephan
Grigat,
der
eine
„verdrehte“
kantianische
Formel
eines
„materialistisch
zu
interpretierenden
zionistischen
kategorischen
Imperativs“
konstruiert
hat.
Dessen
zentrale
Maxime
verlangt,
„alles
zu
tun,
um
die
Möglichkeiten
reagierender
und
präventiver
Selbstverteidigung
des
Staates
der
Shoa-Überlebenden
aufrecht
zu
erhalten.“
Boehm
nennt
diesen
zionistischen
kategorischen
Imperativ
eine
„widersinnige“
Idee,
eine
„beschämende
Entstellung
des
humanistischen
Denkens,
angeblich
den
Juden
zuliebe.“
Boehm
schreibt
dazu:
„Was
sich
als
unbedingte
Solidarität
mit
Juden
ausgibt,
ist
in
Wirklichkeit
Verrat
an
ihnen,
weil
es
sie
von
der
Teilhabe
an
der
gemeinsamen
Menschlichkeit
ausschließt.
Wenn
Kants
kategorischer
Imperativ,
die
Krönung
des
humanistischen
Denkens,
bestimmt,
dass
Menschen
an
sich
immer
als
‚Zwecke‘
–
nie
bloß
als
‚Mittel‘
–
behandelt
werden
sollen,
dann
stellt
dieser
angebliche
‚zionistische
kategorische
Imperativ‘
Juden
als
Wesen
dar,
die
über
dem
Rest
der
Menschheit
stehen.“
Und
weiter:
„Nach
diesem
Grundsatz
werden
die
jüdische
Politik
und
Macht
(‚Möglichkeiten
reagierender
und
präventiver
Selbstverteidigung‘)
zu
einem
unbedingten,
kategorischen
Zweck;
daraus
folgt,
dass
es
in
Ordnung
sei,
Nichtjuden
als
bloße
Mittel
zu
behandeln
– im
Dienst
des
unbedingten
Zwecks
der
jüdischen
Politik.
Juden
sollten
einen
solchen
Grundsatz
energisch
zurückweisen.
Allzu
leicht
schließt
er
im
Übrigen
an
die
schlimmsten
antisemitischen
Verschwörungstheorien
an.“
Boehm
vergleicht
die
„verrückte“
Situation
in
Deutschland
mit
einer
Erkenntnis,
die
Hannah
Arendt
schon
vor
Jahrzehnten
beschrieben
hat:
dass
öffentlich
bekannte
Tatsachen
als
„Geheimnisse“
behandelt
werden.
Dieselbe
Öffentlichkeit,
die
die
Tatsachen
kenne,
bringe
es
fertig,
dass
diese
mit
dem
besten
Erfolg
und
häufig
sogar
spontan
zu
Tabus
erklärt
würden.
Auf
Deutschland
angewandt
heißt
das:
Die
Mehrheit
der
Deutschen
weiß
sehr
genau,
was
in
Israel
und
den
palästinensischen
Gebieten
geschieht,
aber
sie
schweigt
dazu.
Zensur
und
Schweigen
aber
– so
Boehm
–
machen
Israel
gleichsam
zu
einem
der
Kritik
enthobenen
Staat,
der
nicht
auf
herkömmlicher,
legitim
zu
hinterfragender
und
zu
diskutierender
Politik
beruhe,
sondern
auf
einem
quasi
sakralisierten
Holocaust-Gedenken.
Wenn
sich
dieser
Staat
aber
durch
das
Andenken
durch
den
Holocaust
in
einer
Sphäre
jenseits
des
normalen
öffentlichen
Diskurses
verorte,
führe
das
dazu,
dass
seine
Politik
sich
gegenüber
jenen
Kräften
immunisiere,
die
den
Sieg
humanistischer
Werte
förderten.
Ein
demokratischer
Humanismus
kann
sich
– so
Boehm
–
nicht
durch
Schweigen
durchsetzen,
sondern
nur
durch
politisches
Handeln,
in
dem
der
öffentliche
Diskurs
über
die
Kraft
verfügt,
gegen
Barbarei
zu
immunisieren.
Dazu
gehöre
der
Mut,
der
Macht
die
Wahrheit
zu
sagen
–
etwa,
dass
Israel
keine
liberale
Demokratie
ist,
sondern
ein
Staat,
der
nur
die
Souveränität
des
jüdischen
Volkes
und
nicht
die
seiner
Bürger/innen
darstelle.
Boehm
ruft
zum
Kampf
gegen
eine
Situation
auf,
in
der
das
Aussprechen
solcher
Wahrheiten
die
Kritiker
zum
Radikalen,
zum
Antisemiten
oder
Antizionisten
mache.
Diesen
Kampf
könnten
aber
nur
Intellektuelle
bestehen,
die
sich
eine
Sprache
bewahrten,
in
der
eine
unverfälschte
Diskussion
über
Israel
möglich
sei.
Diesen
Kampf
hätten
wir
bisher
nicht
verloren,
sondern
noch
gar
nicht
richtig
geführt
Der
Schlusssatz
von
Boehms
Vorwort
lautet:
„Heute
ist
es
an
der
Zeit,
dass
die
Deutschen,
die
aus
Habermas‘
Generation
und
die
jüngeren,
sich
freimütig
in
dieser
Weise
äußern:
‚Das
ist
es,
was
ich
als
Deutscher
zu
sagen
habe.‘“
1.7.2020
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