„1984“ auf israelisch
Die UNO soll das Wort Besatzung nicht mehr
benutzen
Arn
Strohmeyer
28.08.2017
Die israelische
Vizeaußenministerin Zipi Chotoveli redet
zionistischen Klartext und gibt sich nicht
einmal die Mühe, diplomatisch zu sein. Sie sagt:
Das ganze Land gehört uns, und es gibt keine
Besatzung. Und sie fordert die UNO deshalb auf,
das Wort „Besatzung“ nicht mehr zu verwenden.
Nach zionistischer Logik stimmt das sogar, denn
die lautet: Palästina beziehungsweise Eretz
Israel (also auch das Westjordanland) ist immer
– seit biblischen Zeiten – jüdisches Land
gewesen. Und sein eigenes Land kann man
schließlich nicht besetzen. Das mag für
Zionisten einleuchtend klingen, mit der Realität
hat es leider nichts zu tun. Denn der
zionistische Staat beruft sich hier auf Mythen
und beansprucht, dass das Völkerrecht sich nach
ihm richtet, aber nicht Israel nach dem
Völkerrecht. Das israelische Politik-Motto „Uns
ist alles erlaubt“ soll nun auch die UNO ganz
offiziell akzeptieren.
Ein Gutes hat die
Feststellung der Vizeaußenministerin allerdings,
dass das ganze Land den Juden gehört und es
keine Besatzung gibt. Sie gibt damit zu, dass
alles Gerede über Frieden mit den Palästinensern
und eine Zwei-Staaten-Lösung alles nur dummes
Geplapper war und ist. Israel hat in
Wirklichkeit nie daran gedacht, sich auch nur
von einem Quadratmeter geraubten Landes zu
trennen. Man hat die internationale Gemeinschaft
mit solchem Gerede immer nur hingehalten.
Das Ansinnen, dass
die UNO das Wort „Besatzung“ nicht mehr benutzen
soll, könnte aus George Orwells
Science-fiction-Roman „1984“ stammen, in dem die
brutalen Regierenden („die Wohltäter“) auch
verlangen, dass sich die Realität nach ihnen
richtet und nicht umgekehrt. Israels Vorgehen
ist nicht neu, es hat Methode und eine lange
Vorgeschichte, etwa die illegalen Liquidierungen
von Palästinensern – eine Praxis, die einem
Rechtsstaat Hohn spricht. Eine sarkastische
Rechtfertigung einer solchen Politik hat der
Berater des israelischen Militärs, Daniel
Reisner, gegeben. Sein Job sei es, bekannte er
freimütig, „ungenutztes Potential im Völkerrecht
zu finden“, das dann ein militärisches Vorgehen
in der Grauzone ermögliche. Wörtlich sagte er:
„Internationales Recht entwickelt sich durch
seine Verletzungen. Ein Akt, der heute verboten
ist, wird zulässig, wenn genügend Staaten ihn
begehen.“
Das internationale
Recht muss also – will der Israeli sagen – nur
so lange gedehnt beziehungsweise verletzt
werden, bis die Illegalität zur Gewohnheit und
letzten Endes dann zum Recht wird. Als Beispiel
führt er die gezielten Tötungen an, die die
Amerikaner bald nach „nine eleven“ übernommen
hätten. Und diese Praxis befinde sich heute
innerhalb der Grenzen der Legalität schon im
Mittelfeld, sagt Reisner. Man stelle sich einmal
vor, man würde eine solche Relativierung des
Rechts auch auf die innere Rechtsordnung von
Staaten anwenden, also das Recht so lange
aufweichen und dehnen, bis Mord, Totschlag und
Diebstahl eines Tages ganz legal wären!
Bei einem solchen
Vorgehen spielt auch die Sprache eine große
Rolle. Man muss sie nur so lange missbrauchen,
bis man Recht und Unrecht nicht mehr
auseinanderhalten kann. Der israelische
Schriftsteller David Grossman hat schon vor
Jahren über die israelische politische Sprache
geschrieben: „Ein Staat in Aufruhr erfindet ein
neues Vokabular für sich. Israel ist nicht der
erste Staat, der das tut, aber es ist empörend,
Zeuge der allmählichen Entstellung zu werden.
Nach und nach wird eine neue Gattung
rekrutierter, betrügerischer Worte entwickelt –
Worte, die ihre ursprüngliche Bedeutung verloren
haben. Worte, die die Realität nicht
beschreiben, sondern zu kaschieren suchen,“ Für
Abraham Burg ist die israelische
Propagandasprache der Sprache des Todes
erheblich näher als der Sprache des Lebens.
Und der
israelische Journalist Gideon Levy hat 2010
einen Artikel unter der Überschrift „Die
israelische Presse zensiert die Wahrheit weg“
geschrieben. Darin heißt es: „Eine Presse, die
sich in mancherlei Weise hervortut, sich aber
vor der Aufgabe drückt, über die Besatzung zu
berichten, ist selbst die größte Kollaborateurin
der Besatzung. Sie hilft mit, dass die Israelis
das Gefühl haben, es gäbe gar keine Besatzung.“
Das alles kommt „1984“ schon sehr nahe. Insofern
hat die Vizeaußenministerin nur nachvollzogen,
was in Israel lange schon offizieller Glaube
ist. Man kann nur hoffen, dass die UNO dieses
Spiel durchschaut und sich nicht
israelisch-amerikanischem Druck beugt, Lügen und
Fiktionen für die Wirklichkeit und die Wahrheit
zu halten.
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