Arn Strohmeyer
Der US-Präsident scheint zum
Krieg gegen Syrien entschlossen. Seine „Glaubwürdigkeit“
steht auf dem Spiel heißt es im Westen, weil er vor Wochen
von einer „Roten Linie“ gesprochen hatte, die überschritten
sei, wenn der syrische Präsident Assad Chemiewaffen
einsetzen würde. Nun ist mit solchen Waffen in der Tat ein
furchtbares Massaker angerichtet worden, bei dem hunderte
Zivilisten ums Leben kamen. Aber würde Obama mit der
Auslösung eines Krieges glaubwürdiger, der auch wieder
Tausenden das Leben kosten würde und vermutlich eine ganze
Region, wenn nicht die Welt, ins Inferno stürzen würde?
Wer hat den Massenmord mit
Chemiewaffen in Syrien begangen? Man kann nur spekulieren
und die Frage stellen: Cui bono? Wem nützt es? Wer könnte
ein Interesse daran haben, ein solches Verbrechen zu
begehen? Am nächsten liegt die folgende Antwort: Die
Aufständischen in Syrien sind seit einiger Zeit auf dem
Rückzug, haben schwere Niederlagen gegen die Truppen Assads
hinnehmen müssen. Da sie nur noch mit einem Eingreifen von
außen den Umsturz in Damaskus schaffen können, wäre es
denkbar, dass sie den Anschlag begangen haben, um die USA
und den Westen zu ihrer Unterstützung zu zwingen. Und
umgekehrt: Da Assad die Warnungen vor einem Überschreiten
der „Roten Linie“ bekannt waren, was sollte er für ein
Interesse haben, die geballte Militärmacht der Amerikaner
auf sich zu ziehen, deren Zuschlagen sein politisches Ende
bedeuten würde. Denkbar wäre bestenfalls, dass er (falls er
den Anschlag doch befohlen hat) die eigene Bevölkerung
warnen wollte, sich mit den Rebellen zu verbünden. Aber wie
gesagt: Das sind alles Spekulationen.
Was aber kann Amerika für
ein Interesse an einem Angriff auf Syrien haben? Humanitäre
Gründe können das Motiv nicht sein, denn Menschenleben (Kollateralschäden)
zählen in der US-Politik nicht viel. Beim ersten Angriff mit
Mittelstreckenraketen auf Bagdad 2002 sollen rund 100 000
Menschen umgekommen sein, der ganze Irak-Krieg hat über eine
Million Menschenleben gekostet. Wer hat sich im Westen
darüber aufgeregt, als das israelische Militär im Gaza-Krieg
2008/09 rund 1500 Palästinenser umbrachte (die meisten
Zivilisten) und tausende schwer verletzte? Nein,
Menschenleben zählen in der US-Außenpolitik nichts. Wenn die
Toten des Giftanschlages der Kriegsgrund sein sollten, ist
das nur ein Vorwand.
Was aber sonst können die
Beweggründe Obamas sein, einen so brisanten Krieg zu
beginnen? Es besteht kein Zweifel, dass Washington den
syrischen Diktator Assad stürzen möchte. Aber was kommt in
diesem wichtigen arabischen Land nach Assad? Niemand kann
heute sagen, welche Gruppe unter den Aufständischen sich
dann durchsetzen würde. Insofern geht Obama, wenn es denn zu
dem Waffengang kommen wird, ein hohes Risiko ein. Selbst
eine Machtergreifung Al-Kaidas ist nicht ausgeschlossen.
Aber eins würden die USA mit Assads Sturz in jedem Fall
erreichen (und darauf kommt es ihnen an ): Nach dem Irak
hätte man einen weiteren großen arabischen Staat zerstört
und damit destabilisiert und aus der Allianz Iran, Syrien
und Hisbollah ein wichtiges Glied herausgebrochen. Wenn man
sich dann demnächst auch noch den Iran vorknüpft und Israel
die Hisbollah, sind der Nahe und Mittlere Osten von Feinden
Amerikas und Israels „gesäubert“. Die geostrategische,
militärische und ökonomische Herrschaft über diese Regionen
wäre vollkommen. Israel würde von einem Angriff der USA auf
Syrien also am meisten profitieren. Denn ein zerstörtes
Nachbarland Syrien wäre aus Sicht der Zionisten ein Gewinn
für seine Sicherheit. Aber diese Rechnung ist sehr
kurzsichtig angelegt. Man muss es nicht immer wiederholen:
Israel kann nur mit einem wirklichen Frieden und dem
Ausgleich mit seinen Nachbarn überleben. Ein weiterer Krieg
kann seine Existenz nur unterhöhlen.