„Oslo war ein Kapitulationsabkommen“
Die Aufkündigung des Vertrages durch Mahmoud Abbas war
überfällig, aber ist sie auch ernst gemeint? / Späte
Bestätigung der Kritik Edward Saids
Arn
Strohmeyer
Der
Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde Mahmoud
Abbas hat den 1993 mit Israel geschlossenen Oslo-Vertrag
aufgekündigt. Er fühle sich nicht länger an dieses
Abkommen gebunden, weil Israel es permanent verletze:
durch die Annexion palästinensischen Landes und den
fortgesetzten Siedlungsbau sowie die Weigerung Israels,
palästinensische Gefangene aus seinen Gefängnissen zu
entlassen und und... Recht hat er. Bravo! möchte man da
sagen, endlich setzen sich bei den Palästinenser
Realitätssinn und Mut durch. Aber warum hat man für
diesen Schritt so viele Jahre gebraucht?
Denn
schon lange holen die PLO die eigenen Sünden ein. Um es
mit dem Edward Said zu sagen: Oslo war nie etwas anderes
als ein Akt der Kapitulation. Diesem großen
palästinensischen politischen Analytiker und Humanisten
war schon bei Abschluss des Vertrages klar, dass dieses
Abkommen mit Frieden und Gerechtigkeit nichts zu tun
hatte. Er schrieb damals: „Ich glaube aufrichtig an die
Versöhnung zwischen im Widerstreit miteinander stehenden
Völkern und Kulturen und habe mir in meinem Werk das
Ziel gesetzt, die Versöhnung zu unterstützen. Die Art
von Versöhnung, die wirklichen Frieden bringen kann,
kann es aber nur zwischen Gleichen geben, zwischen
Partnern, deren Unabhängigkeit, Zielstrebigkeit und
innerer Zusammenhalt ihnen erlauben, den anderen
wirklich zu verstehen und mit ihm Kompromisse
einzugehen. In der gegenwärtigen Situation ist es Israel
gelungen, die Araber – und insbesondere die erschöpften
Palästinenser – davon zu überzeugen, dass Gleichheit
unmöglich ist und dass es Frieden nur zu den von Israel
und der Vereinigten Staaten diktierten Bedingungen geben
kann.“
Und
bitter schrieb er über die PLO: „Zum ersten Mal im 20.
Jahrhundert hatte eine antikoloniale Befreiungsbewegung
nicht nur ihre eigenen beträchtlichen Errungenschaften
einfach aufgegeben, sondern außerdem auch ein Abkommen
über die Zusammenarbeit mit einer Militärbesatzung
geschlossen, noch bevor diese Besatzung aufgehört hatte
und sogar noch bevor die Regierung Israels überhaupt
zugegeben hatte, dass sie eine Regierung der
militärischen Besatzung ist; bis auf den heutigen Tag
hat Israel nicht eingestanden, dass es eine
Besatzungsmacht ist.“ Mit dem Abkommen habe Jassir
Arafat damals mit einem Federstrich die Vergangenheit
des palästinensischen Volkes, seine zukünftigen Rechte
und seine gegenwärtigen Hoffnungen missachtet. Arafat
und seine Berater, zu denen damals auch Abbas gehörte,
hätten sich damit begnügt, „jeden Brotkrumen zu
akzeptieren, den die Vereinigten Staaten und Israel
vielleicht für sie vom Tisch fallen lassen würden, nur
um als Teil des Friedensprozesses zu überleben.“
Und zur
Bilanz des Oslo-Abkommens schrieb Edward Said vor mehr
als 20 Jahren: „Ich stehe vor der Notwendigkeit, die
Wahrheit aufzudecken und nicht der Sprache der
Heuchelei, Schmeichelei und Selbsttäuschung das Feld zu
überlassen. Ich bin überzeugt, dass die meisten
Palästinenser die totale Unwürdigkeit unserer Situation
empfinden. Israelische Soldaten hindern unser Volk an
der Fortbewegung in Gebieten, die angeblich unser
Territorium sind, sie töten unschuldige Zivilisten,
foltern Gefangene zu Tode, stehlen unser Land, sperren
unsere Menschen ein, zerstören ihre Häuser und Felder,
während die israelische Regierung ihre neuen Siege als
Erfolge von Frieden und Menschlichkeit ausgibt.“
An dieser
Situation hat sich bis heute nichts geändert, sie ist
eher noch schlimmer geworden. Was also hat Oslo
gebracht? Israel hat in den vergangenen Jahren keine
Anstalten gemacht, das Recht der Palästinenser auf
Selbstbestimmung anzuerkennen noch die Besatzung zu
beenden. Wenn Abbas aber heute den fortgesetzten
Landraub und den Siedlungsbau beklagt, dann trägt die
PLO (und damit auch Abbas selbst) ein gerüttelt Maß an
Schuld an diesem Zustand, denn in dem Vertragswerk gab
es keine Klausel, die die Beschlagnahme und Enteignung
von Land und den Siedlungsbau verbieten würde. Diese
Fragen sollten bis zu den Verhandlungen über den
endgültigen Status aufgeschoben werden, was Israel dann
in die Lage versetzte, ständig neue Siedlungsfakten vor
Ort zu schaffen. Der sogenannte „Friedensprozess“, der
von Israel nie als solcher gemeint war, diente dafür als
Schutzmantel. Kein Wunder, dass kein geringerer als
Shimon Peres sich am 1. September 1993 im israelischen
Fernsehen sehr zynisch über das Verhandlungsergebnis von
Oslo äußern konnte: „Nicht wir haben unsere Haltung
geändert, sondern die PLO. Wir verhandeln nicht mehr mit
der PLO, sondern nur noch mit dem Schatten, der von ihr
übriggeblieben ist.“
Angesichts der verheerenden Bilanz des Oslo-Abkommens,
das Ariel Sharon schon im Jahr 2000 für „ungültig“
erklärt hatte, ist die Kündigung durch Mahmoud Abbas nur
logisch und konsequent. Aber so wie das Abkommen schon
viel zu vage und wenig konkret formuliert war, hat der
Palästinenser-Präsident vor der UNO-Vollversammlung auch
nicht Klartext geredet. Bedeutet diese Kündigung der
Abkommen auch das Ende der Palästinensischen
Autonomiebehörde, also auch seinen Rücktritt, das Ende
auch der „Sicherheitszusammenarbeit“ (was ja bedeutet,
dass palästinensische Polizisten für die Sicherheit des
Besatzers sorgen, des Unterdrückers der eigenen Leute!),
und der Kooperation der Geheimdienste? Man muss deutlich
formulieren: Oslo war nichts weiter als eine
Unterwerfung der palästinensischen Führung unter das
amerikanisch-israelische Diktat. Ob Abbas dies wirklich
aufgekündigt hat, ließ er offen. Also alles nur Rhetorik
zur Beruhigung der eigenen Leute und doch irgendwie
weiter mit Oslo?