Der Welt droht
ein neuer Kalter Krieg
Der
Politologe Bernd Greiner analysiert in einem Buch die
friedensfeindliche Politik der USA und der NATO/ Viele
Parallelen zu Israel
Arn Strohmeyer - 23. 12. 2021
Die
Neuauflage des Buches des Politologen Bernd Greiner Was die
USA seit 1945 in der Welt angerichtet haben hätte zu keinem
besseren Zeitpunkt erscheinen können. Es passt genau in die
gegenwärtige politische Situation. Der Titel beschreibt, worum
es geht: die Macht- und Militärpolitik der USA mit ihren
verheerenden, oft verhängnisvollen Folgen für viele Staaten, ja
ganze Kontinente. Auf Geheiß dieser einzig verbliebenen
Supermacht ist die NATO bis an die westlichen Grenzen Russlands
vorgerückt und will sich auch in der Ukraine militärisch
festsetzen – alles im Namen der westlichen Werte natürlich.
US-Präsident
Joe Biden wiederholt immer wieder, was das bedeutet: Der Westen
befindet sich in einem Ausscheidungskampf zwischen Demokratie
und Autokratie, also – so muss man das verstehen – zwischen
Schwarz und Weiß, zwischen Gut und Böse. Die Aussage des
Präsidenten ist klar: Wer unsere Vorherrschaft als einzige
Super- und Ordnungsmacht auf der Welt stört, dem werden wir
zeigen, was es heißt, sich mit uns anzulegen.
Das ist ein
Bekenntnis zu nichts anderem als zu einem neuen Kalten Krieg.
Die „grüne“ Außenministerin der neuen deutschen Regierung,
Annalena Baerbock, vertritt genau dieses Konzept, nennt es eine
„Werte-orientierte“ Außenpolitik. Das klingt nicht ganz so
aggressiv wie Kalter Krieg, meint in der Sache aber genau
dasselbe. Man muss fragen: Sind die grünen außenpolitischen
Strategen wirklich so naiv zu glauben, dass sie Russland und
China mit ihrem westliches Wertekonzept beeindrucken können?
Die
außenpolitische Erfahrung lehrt doch, dass eine solche
aggressive Politik genau das Gegenteil der beabsichtigten
Wirkung auf der Gegenseite hervorruft: eine Stärkung der
Fraktion der Hardliner und eine Verhärtung der Fronten. Was
Russland betrifft: Schon Bismarck hatte erkannt, dass Deutsche
und Russen sich vertragen müssen, soll in Europa Frieden
herrschen. Zwei Weltkriege im letzten Jahrhundert haben die
Richtigkeit dieser goldene Regel bestätigt, aber bei den
deutschen Grünen ist diese Erkenntnis offensichtlich noch nicht
angekommen.
Bernd Greiner
legt in seinem Buch die Grundlagen der amerikanischen
Außenpolitik dar und damit auch die Gefahren, die sich für
Deutschland und Europa daraus ergeben:
„Erstens:
Vorherrschaft ist unverzichtbar. Stabilität gibt es nur auf der
Grundlage amerikanischen Übergewichts und unter der
Voraussetzung, dass die USA mehr auf die Waage bringen als
Störenfriede oder ernsthafte Konkurrenten; Sicherheit basiert
auf militärischer Dominanz und wird in erster Linie mit
militärischen Mitteln hergestellt.
Zweitens:
Eine Ordnungsmacht muss ihren Willen zur Gewalt demonstrieren,
andernfalls entgleitet ihr die Ordnung. Wirksame Außenpolitik
kann nur betreiben, wer das Handwerk der Einschüchterung,
Nötigung und Erpressung beherrscht und den Rest der Welt von
seiner Bereitschaft zum Risiko überzeugt – das Wagnis eines
Einsatzes von Nuklearwaffen eingeschlossen.
Drittens:
Macht beruht auf Angst. Oder auf dem Wissen von Opponenten, im
Fall eines militärischen Kräftemessens nicht mithalten zu
können. Also bleibt der Frieden gewahrt, solange andere mehr
Angst vor dem Krieg haben als man selbst. Und weil Amerika von
der Unsicherheit derer zehrt, die seine Interessen nicht teilen,
gehört die Inszenierung von Unberechenbarkeit zur hohen Kunst
der Diplomatie.“
Greiner
betont immer wieder, wie gefährlich eine Politik wie die
amerikanische ist, die stur und so gut wie ausschließlich auf
das Militärische fixiert ist. Also letzten Endes auf Misstrauen
beruht und so das Gegenteil des Beabsichtigten oder Angestrebten
bewirkt, nämlich anstatt absolute Sicherheit zu schaffen
absolute Unsicherheit erzeugt. Der Autor benutzt für ein solches
„Sicherheits“-Konzept das anschauliche Bild: dass prall gefüllte
Pulverfässer am besten vor Explosionen schützen. Anders gesagt:
Es ist eine Illusion zu glauben, dass man mit einer immer
größeren Anhäufung von Kriegsgerät Frieden schaffen kann.
Amerikas
politisches Weltbild stellt sich nicht dadurch freundlicher und
versöhnlicher dar, dass es auf religiösen Fundamenten beruht.
Ganz im Gegenteil. Die USA unterstreichen und legitimieren ihre
Sonderstellung damit, die „größte“ Nation auf der Erde und aller
Zeiten zu sein, weil Gottes Gnade es so eingerichtet hat. Sie
leiten daraus ihre Sendung als „Erlösermission“ ab: dass Gott
ihnen den Auftrag zur Verteidigung der Freiheit – also des Guten
gegen das Böse – gegeben habe. Dieser Auserwähltheitsglauben
führt zu der Hybris anzunehmen, dass ein Scheitern dieses
göttlichen Auftrages eine Versündigung an Gott wäre und den
ganzen Schöpfungsplan zum Einsturz bringen würde. Amerika leitet
aus diesem Glauben seinen Anspruch ab, als globale Ordnungsmacht
aufzutreten und auch militärisch dafür zu sorgen, dass sich „die
Macht des Lichts gegen die Kräfte der Finsternis durchsetzen“
können.
Greiner
beschreibt, welche Gefahren dieser engstirnige und ins
Metaphysische aufgeblähte Nationalismus, der nur das
Eigeninteresse kennt, für den Rest der Welt bedeutet: „Die USA
dürfen sich bei der Durchsetzung ihrer Interessen alle
Freiheiten nehmen und sind frei von der Verantwortung für die
Folgen ihres Handelns aufzukommen. In diesem Sinne kann man
Rücksichtslosigkeit oder die Gewinnmaximierung auf Kosten
Dritter als Signatur amerikanischer Weltpolitik bezeichnen. Ein
schonender Umgang ist jenen Partnern und Verbündeten
vorbehalten, die als politische oder militärische Brückenköpfe
nützlich sind. Der Rest hat das Nachsehen und muss die
Konsequenzen tragen. Das Prinzip der Gegenseitigkeit und des
Angewiesenseins auf Dritte kommt in diesem Weltbild nicht vor.“
In Parenthese
sei gesagt (Greiner geht darauf nicht ein), dass das hier über
die USA Gesagte fast vollständig auch für Israel zutrifft.
Sicherheit beruht für diesen Staat ausschließlich auf seiner
militärischen Stärke und damit auf der Erzeugung von Angst.
Kompromisse – etwa mit den Palästinensern – werden nicht
eingegangen. Ariel Sharon hat das direkt immer wieder betont:
„Sie [unsere Gegner] müssen Angst vor uns haben.“ Das Weltbild
der Zionisten, obwohl säkular, leitet sich auch aus dem religiös
begründeten Auserwähltheitsglauben ab. Israel ist deswegen
politisch und militärisch alles erlaubt und braucht auch keine
Verantwortung für sein Handeln übernehmen.
Der Autor
geht ausführlich auf die Verheerungen ein, die die amerikanische
Politik der Stärke seit 1945 auf dem Globus angerichtet hat. Es
reicht, die Namen der Staaten zu nennen, die mit dem
amerikanischen Dominanzanspruch ihre furchtbaren Erfahrungen
machen mussten: der Iran, Guatemala, Vietnam, Indonesien, Kuba,
Chile, Nicaragua und der Irak – die Liste lässt sich beliebig
verlängern. Es ging dabei immer um die Durchsetzung der
amerikanischen Dominanz und um wirtschaftliche Vorteile. Der
amerikanische General J.H. Doolittle hat es einmal so
formuliert, dass die bislang akzeptierten Normen menschlichen
Verhaltens für Amerikas Vorgehen keine Rolle spielten. Man müsse
eben lernen, die Feinde durch Methoden zu unterwandern, zu
sabotieren und zu zerstören, die klüger raffinierter und
effektiver seien als die gegen Amerika angewandten.
Greiner
bringt ein Beispiel, wie der amerikanische Furor wüten kann,
wenn er einmal entfesselt ist. US-Präsident Nixon geiferte 1971
und 1972 mit folgender Hassrede gegen Nordvietnam (Ausschnitte):
„Wir werden Nordvietnam die Seele aus dem Leib bomben. (…) Was
auch immer mit Südvietnam geschieht, wir werden Nordvietnam
wegputzen. (…) Wir werden nicht mit einem Wimmern da rausgehen.
Wir werden ihnen verdammt nochmal alles um die Ohren hauen. (…)
Lasst dieses Land in Flammen aufgehen. (…) Einfach die verdammte
Scheiße aus dem Land rausbomben. (…) Einfach drei Monate die
Scheiße aus ihnen herausprügeln. (…) Macht Kleinholz aus ihnen.
(…) Wir müssen alles treffen, was sich bewegt. (…) Man muss die
Bastarde einfach – einfach pulverisieren. Ich will, dass
Nordvietnam zu Klump bombardiert wird. (…)“
Greiner
spricht es nicht ständig an, aber diese Schlussfolgerung ergibt
sich aus seiner Darstellung der amerikanischen Politik ganz
automatisch: Moral und Werte, Völkerrecht und Menschenrechte
haben bei den US-Interventionen in anderen Staaten nie eine
Rolle gespielt. Die Werte, die die Amerikaner predigen, sind
rhetorische Leerformeln. Die Richtung, die Washington vorgibt,
besteht vorrangig aus dem Bestreben, „dass der Rest der Welt
sich die Idee eines neoliberalen, von staatlichen Vorgaben
befreiten Welthandels zueigen macht und die Forderung nach
sozialer Gleichberechtigung aus dem Katalog schützenswerter
Menschenrechte streicht“, so der Autor.
Bedenkt man
die Abhängigkeit der deutschen Politik von den Leitlinien aus
Washington (man denke nur an das US-Diktat, Nord-Stream 2
aufzugeben), dann verwundert die Naivität oder Skrupellosigkeit
(wie man will) der deutschen Grünen und besonders ihrer
Außenministerin, sich mit den amerikanischen Wertevorgaben
vollständig zu identifizieren und zu glauben, damit auf der
internationalen Bühne irgendetwas erreichen zu können. Der
Westen unter der Führung der USA tritt die von ihm verkündeten
Werte – Völkerrecht und Menschenrechte – selbst permanent mit
Füßen. Man denke nur an Israels Politik gegenüber den
Palästinensern, die von Washington mitgetragen wird, oder an das
Vorgehen gegen sogenannte „Schurkenstaaten“ wie Iran oder
Syrien, die mit Sanktionen so stranguliert werden, dass der
Zusammenbruch der Wirtschaft dort die Menschen zu einem
Hungerdasein verurteilt. Wobei der Begriff „Schurken“ immer
relativ ist. Der frühere US-Präsident Reagan hat sich über
Tyrannen, die Amerika gegenüber wohlgesonnen sind, einmal so
geäußert: „Natürlich sind das Gangster, aber es sind unsere
Gangster.“
Greiner
analysiert und deckt nicht nur auf, er stellt der amerikanischen
Weltbeherrschungspolitik ein Friedensmodell gegenüber, das im
Wesentlichen auf der Entspannungspolitik von Willy Brandt und
Egon Bahr, aber auch von Olof Palme und Bruno Kreisky beruht.
Ihr liegt die Einsicht zu Grunde, dass Sicherheit nicht allein
auf militärischer Stärke beruhen darf. Sicherheit kann es nur
geben, wenn das entscheidende Prinzip die gemeinsame
Sicherheit ist. Soll heißen: Jede Seite muss vor allem auch
das Sicherheitsbedürfnis der anderen Seite mitberücksichtigen
und mittragen. Der Autor schreibt: „Sicherheit gibt es – so
gesehen – nicht mehr voreinander, sondern nur noch miteinander,
die Sicherheit des Gegners ist Teil der eigenen Sicherheit. Alle
verlieren zusammen, wenn sie nicht gemeinsam gewinnen wollen.“
Die NATO
unter Führung der USA tut genau das Gegenteil eines friedlichen
Aufeinanderzugehens. Sie denkt gar nicht daran, auf das
russische Sicherheitsbedürfnis einzugehen. Ganz im Gegenteil:
Sie platzieren ihre Streikkräfte unmittelbar vor der russischen
Grenze, was verständlicherweise von den Russen als Bedrohung
aufgefasst wird. Man stelle sich vor, was passieren würde, wenn
die Russen militärische Basen in Kanada und Mexiko an der Grenze
zu den USA postieren würden! Greiner merkt an, dass die
Doppelstrategie der NATO mit ihrer Konzeption eines
Nebeneinanders von militärischer Abschreckung und politischer
Entspannung widersprüchlich und absurd sei, weil man das eine
nicht wollen könne, ohne das andere zu ruinieren. Rüstung beruhe
immer auf Misstrauen und deshalb untergrabe sie das Fundament
jeder Friedenspolitik.
Bernd Greiner
hat ein sehr wichtiges Buch geschrieben. In einer Zeit
chaotischer Begriffsverwirrung entlarvt er die Sprache und
Ideologie der eigensüchtigen und gewalttätigen US-Macht und
bring Klarheit in den politischen Diskurs. Krieg und Gewalt –
aus was für Motiven auch immer – dürfen nicht mehr die ultima
ratio sein. Werte wie Frieden, Sicherheit, Freiheit und
Menschenrechte werden von ihm eindeutig definiert und in die
Zusammenhänge einer human verstandenen Politik eingeordnet.
Dieses Buch sollte Pflichtlektüre für alle mit Außenpolitik
Befassten sein. Große Hoffnung auf eine friedliche Zukunft kann
der Autor aber nicht machen. Denn es gilt immer noch, was der
frühere US-Präsident Jimmy Carter einmal angemerkt hat: „Die USA
sind die kriegerischste Nation in der Geschichte der Welt, weil
wir andere Länder zwingen wollen, unsere amerikanischen
Prinzipien zu übernehmen.“ Und nichts deutet auf eine Abkehr von
einer so verstandenen Politik hin.
Bernd
Greiner: Was die USA seit 1945 in der Welt angerichtet haben,
C.H. Beck-Verlag München, ISBN 978 3 406 77744 8, 16,95 Euro
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