Sawsan Chebli: Karriere machen um jeden Preis
Die deutsche Politikerin palästinensischer
Herkunft ist sogar bereit, das Narrativ ihrer Herkunft zu
ignorieren
Arn Strohmeyer
Sawsan Chebli ist eine aus einer palästinensischen Familie
stammende deutsche Politikerin. Sie wurde 1978 in Berlin
geboren. Ihre Eltern wurden 1949 während der Nakba aus Palästina
vertrieben und mussten in einem Flüchtlingslager im Libanon
leben, bis sie 1970 nach Berlin übersiedelten. Dem Vater wurde
in Deutschland drei Mal das Asyl verweigert, er wurde in den
Libanon abgeschoben. Er kehrte immer wieder zurück, 1993 erhielt
die Familie die deutsche Staatsangehörigkeit. Sawsan Chebli ist
also ein Opfer der Nakba in der zweiten Generation und gibt auch
an, dass ihre familiäre Herkunft und der persönliche Bezug zum
Nahost-Konflikt sie motiviert habe, Politik zu studieren und
anschließend auch in die Politik zu gehen.
Sie trat 2001 in die SPD ein und hat mit dem
sozialdemokratischen Parteibuch eine steile Karriere gemacht.
Sie bekleidete hohe Positionen in der Berliner Senatsverwaltung,
2014 wurde sie stellvertretende Sprecherin des Auswärtigen Amtes
unter Frank-Walter Steinmeier. Dann wechselte sie als
Bevollmächtigte des Landes Berlin und Staatssekretärin für
Bürgerschaftliches Engagement und Internationales in die
Berliner Senatskanzlei. Zurzeit bereitet sie den nächsten
Karriereschritt vor und will 2021 in den Bundestag kommen. Bei
den parteiinternen Vorwahlen tritt sie gegen ihren direkten
Vorgesetzten, den Regierenden Bürgermeister Michael Müller, an,
was für viel politischen Wirbel gesorgt hat. Aber das ist eine
interne Angelegenheit der SPD.
All das ist aus den Medien bekannt. Sawsan Chebli wäre also auf
Grund ihrer palästinensischen Herkunft, des Schicksals ihrer
Familie und ihrer hohen Positionen eine ideale Fürsprecherin und
Verteidigerin der Rechte ihres Herkunftsvolkes. Doch genau
dieser Punkt markiert den Bruch und den Widerspruch im Leben
dieser erfolgreichen Karrierefrau. Zwar äußert sie sich
bisweilen zu Fragen des Islam – etwa, warum sie als Muslimin
kein Kopftuch trage. Aber zu Palästina – der Besatzung und der
damit verbundenen brutalen Unterdrückung der Palästinenser –
sagt sie kein Wort. Sie spricht immer nur von den „zwei Seiten“
des Konflikts, als ob es nicht einen Besatzer und die Besetzten,
den Unterdrücker und die Unterdrückten gibt.
Aus
gutem Grund, denn sie kennt sehr gut die mit dem Verhältnis
Deutschlands zu Israel verbundenen Tabus und die respektiert sie
voll und ganz. Und so unterwirft sie sich dem hierzulande
geltenden zionistischen Dogma, dass Kritik an Israels Politik
gegenüber den Palästinensern „Antisemitismus“ ist. Sie schreibt
auf ihrer Webseite ganz im Einklang mit der deutschen
Israel-Ideologie: „Ich träume davon, dass wir endlich Frieden
und Versöhnung zwischen Israelis und Palästinensern haben. Die
Folgen von Krieg und Vertreibung habe ich als Kind
palästinensischer Flüchtlinge aus dem Libanon erlebt. Meine
Eltern haben 20 Jahre in libanesischen Flüchtlingslagern gelebt.
Zwölf meiner Geschwister sind in diesen Lagern geboren. Als
palästinensisches Flüchtlingskind war ich 15 Jahre staatenlos,
geduldet, schutzlos. Der Konflikt hat also mein Leben immer
mitbestimmt. Als Staatssekretärin für Internationales setze ich
mich ein für Begegnung und Versöhnung zwischen Israelis und
jungen Deutschen mit arabischen Wurzeln ein. Erst kürzlich habe
ich eine Schulklasse aus Berlin mit einem hohen Anteil
arabischstämmiger Schüler*innen nach Israel und Palästina
begleitet. Das ist eine große Bereicherung für diese
Jugendlichen, die sonst oft nur aus den sozialen Medien die
Heimat ihrer Eltern oder Großeltern kennen. Ich setze mich dafür
ein, dass Gelder bereitgestellt werden, damit solche Reisen eine
stärkere Förderung erhalten.“
Und weiter: „Durch die diplomatische Annäherung zwischen Israel
und arabischen Staaten in der Region ergibt sich die Chance, den
Nahen Osten sicherer und kooperativer zu gestalten. Eine
gerechte und mit internationalem Recht im Einklang stehende
Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts ist damit
allerdings leider nicht näher gerückt. Deutschland und unsere
Partner in Europa sollten sich dafür einsetzen, dass Israelis
und Palästinenser wieder an den Verhandlungstisch zurückkehren,
den sie vor vielen Jahren verlassen haben. Unser Engagement für
Frieden und Gerechtigkeit in Nahost sollte immer das Wohl der
beiden Völker, Israelis und Palästinenser, zum Ziel haben. Auch
hier bedarf es der Einbindung der Gesellschaften und der
gewählten Volksvertreter*innen im Sinne einer Annäherung.“
Bloß nicht anecken
mit Kritik an Israels Politik gegenüber den Palästinensern, ist
ganz offensichtlich ihre Devise, denn ein falsches Wort in
dieser Hinsicht und die Karriere wäre zu Ende. So bleibt sie mit
ihren Äußerungen zu diesem Thema im Allgemeinen und
Unverbindlichen stehen. Sie will Frieden im Nahen Osten (wer
will den nicht? Aber wer verhindert ihn mit Besatzung und
Landraub?) Sie kämpft gegen den Antisemitismus (auch ein
löbliches Unterfangen), hat hierfür sogar einen Arbeitskreis
begründet und organisiert Israel- und Auschwitz-Fahrten junger
Menschen – auch von Muslimen. Das Aufsuchen der NS-Todeslager
kann ein guter Beitrag zur politischen Bildung sein, wenn es
nicht zum chauvinistisch-zionistischen Spektakel gerät, wie es
die Israelis praktizieren, was selbst dort scharf kritisiert
wird – etwa von den Historikern Moshe Zuckermann und Tom Segev.
Bei den Palästinensern kommt etwas anderes hinzu. Sie hatten mit
dem Holocaust nichts zu tun, das ist nicht ihre Geschichte. Sie
haben ihr eigenes Narrativ, das eine furchtbare Hypothek für das
zionistische Israel ist – Nakba, Landraub, Besatzung und
Apartheid. Wenn Sawsan Chebli unentwegt für eine offene und
freie Gesellschaft mit den hohen Werten Meinungsfreiheit, Dialog
und Toleranz plädiert, dann müsste sie sich auch dafür
einsetzen, dass die Palästinenser und andere betroffene Muslime
ihr eigenes Narrativ in die Diskussion einbringen können. Das
ist aber in Deutschland unmöglich. Und deshalb sind auch Sawsan
Cheblis Plädoyers völlig unglaubwürdig, denn sie laufen darauf
hinaus, dass Palästinenser und Muslime das zionistische Narrativ
übernehmen und ihr eigenes verschweigen müssen.
Deshalb ist es auch
wenig überzeugend, wenn nicht widersprüchlich für eine aus
Palästina stammende Frau, wenn sie ständig versichert, gegen den
Antisemitismus zu kämpfen, ohne zu sagen was sie damit
eigentlich meint. Dass man gegen den „klassischen“
Antisemitismus kämpft, der zum Hass gegen Juden aufruft, weil
sie Juden sind, versteht sich von selbst. Aber erzeugt Israel
durch seine brutale Politik gegenüber den Palästinensern nicht
selbst Antisemitismus? Und hat dieser Staat nicht den neuen
„funktionalen Antisemitismus“ erfunden, den der israelische
Historiker Daniel Blatman beschrieben hat und mit dem Israel in
zynischer Weise Politik macht?
Blatman lehrt an der Hebräischen Universität in Jerusalem (sein
Fachgebiet ist der Holocaust) und er ist zugleich der
Chefhistoriker des Warschauer Ghetto-Museums. Ein Mann also, den
man wahrhaftig nicht unter Antisemitismus-Verdacht stellen kann.
Er spricht von der „Verzerrung des Antisemitismus“ besonders in
Deutschland und einer „Hexenjagd“ auf alle, die den gängigen
Antisemitismus-Begriff nicht akzeptieren und Israels Politik
kritisieren. Blatman nennt die Veränderung („Verzerrung“) des
Antisemitismusbegriffs eine „Revolution“. Warum? Er setzt den
traditionellen, vertrauten Antisemitismus, der durch
Feindseligkeit, Hass und Dämonisierung gegenüber Juden und
Judentum gekennzeichnet war und ist (es gibt ihn ja noch) und
sich in Mythen und Stereotypen ausdrückt von dem neuen
funktionalen Antisemitismus ab, der auf dem Prinzip beruht, dass
jeder, den bestimmte Juden als antisemitisch definieren wollen,
als solcher auch definiert wird.
Was Blatman dann definitorisch ausführt, ist für das deutsches
Mainstream-Verständnis ein solcher Tabubruch, dass man es
wörtlich anführen muss: „Mit anderen Worten, es handelt sich
[bei dem funktionalen Antisemitismus] nicht mehr um einen
Antisemitismus, der zwischen Juden und Nichtjuden nach Kriterien
wie Religion, Kultur, Nationalität oder Rasse unterscheidet –
sondern um einen, der zwischen Antisemiten und Nicht-Antisemiten
unterscheidet, nach Kriterien, die von der israelischen
Regierung und von Juden und Nicht-Juden, die ihn unterstützen,
in Deutschland und anderen Ländern aufgestellt werden.“
Und weiter: „Was hier geschieht ist nicht weniger als eine
historische Revolution im Verständnis des Antisemitismus:
Antisemitische Deutsche definieren nicht mehr, wer ein Jude ist,
der aus der Gesellschaft verbannt werden muss, sondern bestimmte
Juden definieren, wer ein Antisemit oder ein Philosemit ist, und
die Deutschen nehmen ihre Meinung an.“ Diese Definition bedeutet
nicht mehr und nicht weniger, dass die Führung in Israel
festlegt, was Antisemitismus ist und was nicht und dass man im
Ausland – besonders in Deutschland – diesen Vorgaben brav und
gehorsam folgt. Nach diesem israelischen Verständnis sind die
Palästinenser Antisemiten, ja die „neuen Nazis“.
Welchen Antisemitismus-Begriff meint Sawsan Chablin also, wenn
sie gegen ihn kämpft? Wenn sie hier keine klare Unterscheidung
trifft, setzt sie sich dem Verdacht aus, dass ihr Engagement
gegen Antisemitismus nur ein Alibi ist, das sie als Abkömmling
von Palästinensern in der gegenwärtigen deutschen
Antisemitismus-Hysterie unangreifbar machen soll. Das wäre aber
ein schlimmer Verrat an den Interessen ihres Herkunftsvolkes.
Von Berlins neuem Antisemitismus-Beauftragten Samuel Salzborn –
also einem Kollegen von Sawsan Chebli im Berliner Senat – ist
das Zitat überliefert: „Wenn im Zug am Nachbartisch die Leute
anfangen, ohne jeden Grund auf ‚Palästina‘ zu sprechen kommen,
ist es wahlweise Zeit, auszusteigen, Kopfhörer aufzusetzen oder
sie anzuschreien: ‚Antisemitismus!‘“(Quelle: Twitter 20.10.2019)
Man wüsste gern, was Sawsan Chebli zu diesem Satz sagt? Kann sie
mit ihrer palästinensischen Herkunft in einer Institution (dem
Berliner Senat) mit einem solchen Mann zusammenarbeiten? Aber
sie wird schweigen, denn sonst wäre die Karriere zu Ende.
4.10.2020