TRANSLATE
Netanjau-Visite in Berlin: Ein Besuch zum völlig falschen
Zeitpunkt
Distanz zu Israel wäre nach dem jüngsten
Eklat gegen den Frieden die richtige Reaktion
Arn Strohmeyer
Selten findet ein politischer Besuch so zum
falschen Zeitpunkt statt wie die Visite von Israels
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und seinem Kabinett in
Berlin. Da kommen dieselben Leute, die vor wenigen Tagen die
Bombardierung des Gazastreifens befohlen haben – Resultat:
170 Tote (die meisten Zivilisten und Kinder), hunderte
Verletzte und wieder immense Zerstörungen in einem Gebiet,
das zu den bevölkerungsreichsten und ärmsten der Welt
gehört. Zur Jahreswende 2008/2009 waren es 1400 Tote und
tausende Verletzte. Wie viele Häuser, Olivenbäume und
Brunnen auf palästinensischem Gebiet sind in der
Regierungszeit von Netanjahu zerstört worden? Wie viele
Hektar Land sind den Palästinensern geraubt worden? Wie
viele Menschen sind auf Verdacht verhaftet worden und sind
in israelischen Gefängnissen verschwunden? Wie viel
menschliches Leid hat diese Regierung (und ihre Vorgänger)
durch ihre Besatzungs- und Unterdrückungspolitik einem
ganzen Volk zugefügt, das man hinter Mauern und
Elektrozäunen wegsperrt?
Zu Netanjahus Kabinett, das nun Berlin
besucht, gehört auch Innenminister Eli Yishai, der gerade
gefordert hat, man müsse Gaza ins Mittelalter zurückbomben.
Und Außenminister Avigdor Liebermann (der allerdings seine
Teilnahme an der Visite abgesagt hat), der ernsthaft
verlangt, dass die ganze Führung der Hamas in Gaza
liquidiert werden müsse. Es fällt schwer, da Verständnis für
die Worte von Kanzlerin Merkel aufzubringen, die da meint,
das seien ja alles Probleme, die man mit „guten Freunden“
besprechen könne. Während fast die ganze Welt (selbst die
USA!) zu Israel auf Distanz geht, weil seinen politischen
Führern auf die Zuerkennung des Beobachterstatus für
Palästina in der UNO nichts anderes einfiel, als den
Geldhahn für die Palästinenser zuzudrehen und neue
Siedlungen zu bauen, was dann der ohnehin nie gewollten
Zweistaaten-Lösung den endgültigen Ko-Schlag versetzen
würde. Rache als Politikersatz. Besser hätte man es nicht
sagen können: Wir wollen keinen Frieden! Und man kann
unbedenklich hinzufügen: Wir haben ihn auch nie gewollt!
Die große Mehrheit der Zionisten hat immer
nur ein Ziel angestrebt: das ganze Land, eben Erez Israel zu
besitzen – und zwar ohne Palästinenser, wobei man die
Grenzfrage immer offen gelassen hat. Exklusivität ist
deshalb der wesentliche – wenn auch unausgesprochenen - Teil
der zionistischen Ideologie. Der israelische Anthropologe
und Friedensaktivist Jeff Halper hat das so formuliert: Das
israelische Narrativ besagt, dass „das Land [vom Mittelmeer
bis zum Jordan] ausschließlich dem jüdischen Volk gehört. Es
gibt kein anderes Volk mit stichhaltigen nationalen Rechten
oder Ansprüchen auf das Land. Obwohl ‚Araber‘ im Land Israel
leben, stellen sie kein Kollektiv dar, das den jüdischen
Exklusivanspruch in irgendeiner Weise in Frage stellt. Da
das Land den Juden gehört, verfügen allein sie über das
Vorrecht, sein Schicksal zu bestimmen. Jede politische
Lösung des gegenwärtigen Konflikts, selbst eine, die einen
palästinensischen Staat hervorbringen würde, wird
ausschließlich von den israelischen Juden bestimmt. Die
Araber mögen konsultiert werden, aber echte Verhandlungen,
die auf der Vorstellung beruhen, dass die Palästinenser im
Land Israel ein Recht auf Selbstbestimmung haben, kommen
nicht in Frage.“
Der Zionistenführer David Ben Gurion, der
1948 Israels erster Ministerpräsident wurde, hat schon 1919
eindeutig festgestellt: „Jeder sieht die Probleme in den
Beziehungen zwischen den Juden und den Arabern. Aber nicht
jeder sieht ein, dass es keine Lösung dafür gibt. Es gibt
keine Lösung! Der Konflikt zwischen den Interessen der Juden
und den Interessen der Araber in Palästina kann nicht durch
Spitzfindigkeiten gelöst werden. Ich kenne keinen Araber,
der zustimmen würde, dass Palästina uns gehört (...) Es
handelt sich um eine nationale Frage. Wir wollen, dass das
Land uns gehört.“
Und der ersten Außenminister Israels und
zweite Ministerpräsident des Landes, Moshe Sharrett, der
durchaus bereit war, eine gewisse Verständigung mit den
Arabern zu suchen, aber am Widerstand des nationalistischen
und militärischen Establishments scheiterte, hat über die
Idologie des israelischen Militärs 1957 (!) geschrieben:
„Diese [militärischen] Aktivisten glauben, dass die Araber
nur die Sprache der Gewalt verstehen... Der Staat Israel
muss von Zeit zu Zeit unter Beweis stellen, dass er stark
und in der Lage sowie gewillt ist, Gewalt in einer
verheerenden und höchst effektiven Art und Weise anzuwenden.
Wenn ihm dies nicht gelingt, wird er überrannt werden und
vielleicht vom Erdboden vertilgt werden. Was den Frieden
betrifft – davon geht dieser Denkansatz [der Militärs] aus
-, so ist er in jedem Fall zweifelhaft, zumindest weit
entfernt. Falls er kommt, dann nur, wenn die Araber davon
überzeugt sind, dass dieses Land nicht besiegt werden
kann... Wenn Vergeltungsmaßnahmen das Feuer des Hasses neu
entfachen, so ist das kein Grund zur Furcht, denn dieses
Feuer wird ohnehin entzündet werden.“
Klare Worte, und an diesen zionistischen
Positionen hat sich bis heute (siehe die letzte
Bombardierung Gazas!) nicht das geringste geändert. Sie
haben sich unter der rechtsextremen jetzigen Regierung eher
noch verhärtet. Was zum Beispiel Netanjahus Reaktion auf den
palästinensischen Erfolg in der UNO belegt. Er sagte
wörtlich: „Das ist ein Verstoß gegen den Zionismus und den
darf es nicht geben!“ Diese Aussage bestätigt genau die
obige Aussage von Jeff Halper: „Das Land gehört den Juden,
sie verfügen allein über das Vorrecht, sein Schicksal zu
bestimmen.“ Was sollen da noch Verhandlungen?
Die in Deutschland politisch Verantwortlichen
ignorieren vollständig diese Wirklichkeit im Nahen Osten –
und haben das immer getan. Wegschauen und in Treue fest zu
Israel stehen, ist die Devise. Etwa wenn Kanzlerin Merkel
jetzt allein der Hamas die Schuld für die letzte
kriegerische Auseinandersetzung gibt und Israels „Recht auf
Selbstverteidigung“ betont. Völlige Abriegelung des
Gazastreifens durch Israel und gefängnisartige Zustände dort
– in Berlin ignoriert man das vollständig. Oder wenn
Außenminister Westerwelle hehre Bekenntnisse zu Israel
ablegt und dennoch glaubt, als neutraler Vermittler im Nahen
Osten auftreten zu können. Hat je ein deutsche(r)
Politiker(in) Mitgefühl oder Trauer mit den Palästinensern
geäußert, die die wirklichen Opfer in diesem Konflikt sind?
Dass das nicht geschieht, ist auch ein
völlige Verkennung der Realität. Deutschlands einseitiges
Engagement für Israel (noch gesteigert durch die Lieferung
von Waffen, die auch gegen die Palästinenser eingesetzt
werden!) kann sich auch nicht auf die deutsche Vergangenheit
berufen, denn eine solche Politik schadet letzten Endes
Israel und den Juden. Zu Israels Überleben trägt sie
jedenfalls nichts bei – ganz im Gegenteil. Die deutsche
Nahost-Politik ist genau an diesem Punkt gescheitert, weil
sie die unbedingte Maxime eines „vernünftigen“ Vorgehens in
dieser Region nicht beherzigt: Auch Israel kann nicht in
Frieden leben, solange es nicht bereit ist, den
Palästinensern Gerechtigkeit zukommen zu lassen.
Es ist nicht bekannt, dass eine deutsche
Regierung in dieser Richtung jemals etwas unternommen hat,
was ja hieße, Israel zu kritisieren, ja Druck auf diesen
Staat auszuüben, seinen selbstmörderischen politischen Kurs
zu ändern. Da hört die „Freundschaft“ natürlich auf. So wird
auch das Treffen in Berlin in gewohnter Manier ablaufen: Die
Israelis geben den Ton an und die Deutschen folgen brav –
ganz im Sinne der „Staatsräson“ – aber gegen jede Realität. |