Zu schön,
um wahr
zu sein:
ein
liberaler
und
humaner
Zionismus!
Omri
Boehms
Vision
von
einer
schönen
neuen
Israel-Palästina
Welt
möchte
man
vorbehaltlos
zustimmen,
allein
es fehlt
der
Glaube
Arn
Strohmeyer
- 8.7.2020
Boehm, Omri:
Israel – eine Utopie
Propyläen-Verlag Berlin 2020,
ISBN 978-3-549-10007-3
20 Euro
|
Von
dem
israelischen
Philosophen
Omri
Boehm
stammt
der
Satz,
dass
Zionismus
und
Humanismus
unvereinbar
seien
(Interview
DLF
8.2.2015).
Inzwischen
hat
er seine
Meinung
aber
offenbar
wenigstens
zum
Teil
revidiert,
denn
er gewinnt
den
frühen
Zionisten
(er
meint
den
Zeitraum
bis
Ende
der
30er
Jahre)
doch
eine
gewisse
Menschlichkeit
gegenüber
den
Palästinensern
ab.
Wenn
er Namen
wie
Achad
Ha’am
oder
Martin
Buber
nennt,
dann
stimmt
das
sicherlich
– aber
bei
Wladimir
Jabotinsky
und
Ben
Gurion?
Auch
der
Begründer
des
Zionismus
Theodor
Herzl
sei
für
eine
humane
Lösung
eingetreten:
eine
binationale
Autonomie
sollte
mit
den
Palästinensern
hergestellt
werden,
die
Schaffung
einer
vollständigen
jüdischen
Souveränität
sei
ihm
vollständig
fremd
gewesen.
Warum
dann
aber
Herzls
berühmt
gewordene
Tagebucheintragung,
dass
man
die
einheimischen
Araber
diskret
über
die
Grenze
bringen
– also
vertreiben
– müsse?
Wie
ist
dann
Israel
Zangwills
ebenso
berühmter
Satz
„das
Land
ohne
Volk
für
das
Volk
ohne
Land“
zu verstehen?
Denn
auch
dieser
frühe
Zionist
wusste
sehr
genau,
dass
Palästina
nicht
„leer“
war,
dass
es dort
eine
indigene
Bevölkerung
gab,
aber
für
die
interessierten
sich
die
zionistischen
Ideologen
nicht,
diese
Menschen
existierten
für
sie
gar
nicht.
Natürlich
kann
Boehm
seine
These,
dass
die
frühen
Zionisten
eine
binationale
Lösung
anstrebten,
gut
belegen:
dass
etwa
Wladimir
Jabotinsky
sich
sein
Leben
lang
für
die
Idee
eines
„Nationalitätenstaates“,
also
die
Konzeption
einer
multinationalen
Föderation,
im Gegensatz
zu einem
jüdischen
Nationalstaat,
eingesetzt
habe.
Warum
dann
aber
seine
Idee
einer
„Eisernen
Mauer“,
die
er als
Vorposten
der
Zivilisation
gegen
die
asiatischen
Barbaren
errichten
wollte,
womit
ja zweifellos
die
Araber
einschließlich
der
Palästinenser
gemeint
waren?
Auch
Ben
Gurion
engagierte
sich
ursprünglich
(1926)
für
ein
jeweils
autonomes
Gebiet,
das
sei
das
geeignetste
Modell
sowohl
für
die
jüdische
wie
auch
die
palästinensische
Selbstbestimmung.
Er fügte
sogar
hinzu:
da autonome
Gebiete
die
Selbstbestimmung
sicherten,
mache
es keinen
Unterschied,
ob es
dort
eine
jüdische
oder
palästinensische
Mehrheit
gebe.
Ihm
schwebte
also
eine
jüdische
Selbstbestimmung
innerhalb
einer
binationalen
Föderation
vor,
die
aus
selbstverwalteten
Kantonen
oder
Staaten
innerhalb
eines
Bundesstaates
Palästina
bestehen
sollte.
(Boehm
fügt
dieser
Idee
Ben
Gurion
die
Bemerkung
hinzu:
„Seine
Prophezeiung,
dass
jede
andere
Art
von
Politik
unsere
Existenz
in Palästina
untergraben
würde,
kann
sich
noch
bewahrheiten.“)
Der
Prozess
eines
radikalen
Umdenkens
bei
den
Zionisten
setzte
aber
sofort
ein,
als
1937
die
im Auftrag
der
britischen
Regierung
eingesetzte
Peel-Kommission
forderte,
dass
Palästina
in zwei
separate
Staaten
geteilt
werden
sollte.
Ihr
Konzept
sah
auch
vor,
dass
Teile
der
palästinensischen
Bevölkerung
aus
den
jüdischen
Territorien
„umgesiedelt“
(das
heißt
vertrieben)
werden
sollten.
Ben
Gurion
und
die
Zionisten
gingen
sofort
auf
dieses
Angebot
ein,
denn
plötzlich
war
die
Schaffung
eines
souveränen
jüdischen
Nationalstaates
möglich
– etwas,
das
Ben
Gurion
„in
seinen
kühnsten
Fantasien
nicht
zu träumen
gewagt
hatte“,
wie
er in
seinem
Tagebuch
schrieb.
Da nahm
dann
auch
die
Vorstellung
von
der
„Zwangsumsiedlung“,
das
heißt
Vertreibung
der
Palästinenser
konkrete
Formen
an.
An weiteren
Äußerungen
von
Ben
Gurion
lässt
sich
gut
belegen,
dass
die
Schaffung
einer
binationalen
Föderation
nie
das
angestrebte
Endziel
des
Zionismus
war,
sondern
bestenfalls
nur
ein
Zwischenschritt.
Anlässlich
der
Vorschläge
der
Peel-Kommission,
schrieb
er zudem
„mit
glühender
Begeisterung“
in sein
Tagebuch:
„Ich
sehe
in der
Umsetzung
dieses
Plans
ein
fast
schon
entscheidendes
Stadium
am Anfang
unserer
vollen
Erlösung
und
als
unvergleichlich
starken
Hebel
zur
schrittweisen
Eroberung
des
ganzen
Landes
Israel.“
Das
war
das
wirkliche
Ziel
des
Zionismus
und
nicht
ein
Zusammenleben
mit
den
Palästinensern.
Die
Entwicklung
zeigt,
wie
sehr
die
politische
Planung
der
Zionisten
nicht
von
humanen
Ideen
abhängig
war,
sondern
von
den
jeweiligen
Zeitumständen
– ein
Punkt,
den
Boehm
nicht
deutlich
genug
herausarbeitet.
Mit
anderen
Worten:
Die
angebliche
Humanität,
die
er den
frühen
Zionisten
unterstellt,
war
kein
echter
Antrieb
ihrer
Politik,
sondern
war
den
politischen
Entwicklungen
der
Zeit
geschuldet.
Die
Ansprüche
der
Zionisten
steigerten
sich
mit
der
Gunst
der
jeweiligen
historischen
Gelegenheiten:
Am Anfang
wollte
man
mit
den
Arabern
friedlich
zusammen
leben
(1897),
nach
der
Balfour-Deklaration
war
das
Ziel
die
Errichtung
der
„jüdischen
nationalen
Heimstätte“
(1917/1918),
dann
trat
die
Forderung
nach
einem
binationalem
Staat
auf
die
zionistische
Agenda
(1929)
und
wurde
von
der
Postulierung
eines
eigenen
Staates
(1942)
abgelöst,
der
dann
1948
errichtet
wurde.
Mit
der
Eskalation
der
Ansprüche
gingen
die
Eliminierung
der
arabischen
Bevölkerung
(ab
1948)
und
die
Vergrößerung
des
israelischen
Territoriums
einher
(1948,
1956,1967).
Die
Erwähnung
dieser
Vorgeschichte
ist
deshalb
so wichtig,
weil
Omri
Boehm
seine
Vision
oder
Utopie
einer
jüdisch-palästinensischen
Zusammenarbeit
auf
dem
Vermächtnis
der
frühen
Zionisten
aufbaut.
Er bezieht
sogar
Menachem
Begins
Autonomie-Plan
von
1979
in diese
humane
Geschichte
des
Zionismus
mit
ein,
des
Mannes,
der
als
Irgun-Führer
an den
schrecklichsten
Massakern
(King
David-Hotel
und
Deir
Jassin)
beteiligt
war,
als
Ministerpräsident
den
Massenmord
1982
in Sabra
und
Schatila
mit
zu verantworten
hatte
und
Palästinenser
grundsätzlich
als
„Tiere
auf
zwei
Beinen“
bezeichnete.
Dieser
Plan
Begins
enthielt
für
Boehm
dennoch
einige
positive
Eckpunkte:
Selbstverwaltung
der
Palästinenser,
das
Angebot
die
israelische
Staatsbürgerschaft
zu erlangen
sowie
die
Ausübung
des
aktiven
wie
passiven
Wahlrechts
bei
Wahlen
zur
Knesset.
Die
Kritik
der
Palästinenser
war
dennoch
berechtigt:
Die
Selbstbestimmung
in Verwaltungsangelegenheiten
war
eben
keine
Souveränität
und
die
militärische
Kontrolle
über
die
Palästinenser
sollte
erhalten
bleiben.
Israel
behielt
sich
zudem
das
Veto-Recht
bei
jedweder
Vereinbarung
vor.
Edward
Said
nannte
den
Vorschlag,
der
auf
Drängen
von
US-Präsident
Jimmy
Carter
und
Ägyptens
Präsident
Anwar-as-Sadat
zustande
gekommen
war,
eine
„Kombination
aus
Theologie,
juristischer
Raffinesse
und
purer
Kasuistik“.
Said
fügte
hinzu,
dass
Begin,
wenn
er von
Autonomie
für
die
palästinensische
Bevölkerung
spreche,
natürlich
nicht
das
Land
meinte,
auf
dem
diese
Menschen
lebten,
das
sollte
weiter
den
Israelis
gehören.
Auch
Omri
Boehm
gesteht
die
Mängel
des
Begin-Plans
ein,
sieht
in ihm
wie
auch
in den
Oslo-Verträgen
aber
das
Potenzial
des
Übergangs
zu einer
binationalen
Föderation
zwischen
Israelis
und
Palästinensern
als
Ersatz
für
das
durch
die
israelische
Landnahme-Politik
unmöglich
gewordene
und
deshalb
überlebte
Zwei-Staaten-Konzept.
Boehms
Utopie,
die
ein
gewandelter
„liberaler“
Zionismus
herbeiführen
soll,
umfasst
– kurz
zusammengefasst
– folgende
Elemente:
Vereinigung
der
zwei
Staaten
Israel
und
Palästina
in einem
binationalen
Zusammenschluss;
jeweilige
kulturelle
und
nationale
Selbstbestimmung;
gemeinsame
Verfassung,
die
die
Menschenrechte
und
Grundrechte
garantiert;
Freizügigkeit
mit
offenen
Grenzen;
wirtschaftliche
Freiheit;
jeweilige
Verantwortung
für
die
eigene
Sicherheit;
Wahlrecht
zu den
jeweiligen
Parlamenten
sowie
die
Anerkennung
von
Arabisch
und
Hebräisch
als
gleichrangigen
Amtssprachen.
Eine
Bedingung
gehört
als
unabdingbare
Voraussetzung
zu Realisierung
dieser
Vision:
Israel
darf
erstens
seine
Identität
nicht
weiter
auf
dem
Holocaust
aufbauen,
muss
ihn
„vergessen“,
ohne
ihn
zu verdrängen,
denn
eine
Zukunft
lasse
sich
nicht
auf
der
Asche
der
Toten
aufbauen.
Und
zweitens
darf
Israel
nicht
weiter
die
Nakba
verdrängen
oder
sogar
gutheißen.
Juden
und
Palästinenser
müssten
gemeinsam
des
Holocaust
und
der
Nakba
als
Menschheitsverbrechen
gedenken.
Boehm
merkt
zu seiner
Vision
an:
„Der
Wert
des
vorliegenden
Vorschlags
besteht
darin,
dass
er einen
Weg
aufzeigt,
wie
sich
die
Menschen-
und
Bürgerrechte
im gesamten
Territorium
sichern
lassen,
ohne
mit
den
historischen
Ambitionen
von
Juden
und
Palästinensern
zu brechen
– der
Ausübung
nationaler
Selbstbestimmung
und
nationaler
Rechte.
Er entspringt
der
Überzeugung,
dass
der
Zionismus,
das
Verlangen
nach
jüdischer
Selbstbestimmung,
im 21.
Jahrhundert
als
ein
realistisches,
erstrebenswertes
Ziel
bewahrt
werden
kann,
aber
nur,
wenn
er grundlegend
verändert
werden
wird,
wenn
er in
einer
aus
seiner
Vergangenheit
bekannten
Form
neu
erfunden
wird.
Wäre
Israel
zu diesem
Wandel
nicht
fähig,
so würde
es zu
einem
Rhodesien
des
21.
Jahrhunderts
herabsinken.“
Boehm
beschreibt
hier
die
Sackgasse,
in die
Israel
sich
durch
die
Verweigerung
der
Zwei-Staaten-Lösung
manövriert
hat.
Die
Fortsetzung
seiner
bisherigen
Politik
plus
die
Realisierung
des
Trumpschen
„Jahrhundert-Deals“
können
nur
zu einem
Apartheidstaat
führen
(der
Israel
jetzt
eigentlich
schon
ist)
und
damit
die
Existenz
und
das
Überleben
Israels
in Frage
stellen.
Denn
eine
Apartheid
mit
menschlichem
Antlitz
gibt
es nicht.
Insofern
ist
eine
Konzeption,
wie
Boehm
sie
darstellt,
der
einzige
Ausweg
aus
der
Misere.
Aber
genau
da setzen
die
Zweifel
ein.
Denn
Boehms
Utopie
setzt
die
„Transformation“
des
Zionismus
voraus,
also
einen
Bewusstseinswandel
von
einer
inhumanen
Ideologie
zu einer
humanen
Weltanschauung.
Und
dafür
gibt
es im
heutigen
Israel
nicht
die
geringsten
Anzeichen.
Es gibt
großartige
human
denkende
Menschen
dort,
aber
sie
sind
eine
verschwindend
kleine
Minderheit.
Der
jüdische
Auschwitz-Überlebende
Hajo
G. Meier
sagte
zum
Verfasser
dieser
Zeilen
in einem
Gespräch:
„Die
Israelis
haben
mit
ihrer
inhumanen
Erziehung
zum
Zionismus
schon
drei
Generationen
geprägt.
Wie
soll
man
das
aus
den
Köpfen
wieder
herausbekommen?“
In vielen
Medienkommentaren
ist
immer
wieder
der
Satz
zu finden:
Israel
braucht
einen
Willy
Brandt.
Das
ist
richtig,
aber
man
darf
das
Pferd
nicht
von
hinten
aufzäumen.
Erst
muss
ein
Mentalitätswandel,
ein
Prozess
des
Umdenkens,
in einem
Großteil
der
Bevölkerung
stattfinden,
erst
dann
kann
ein
Willy
Brandt
die
politische
Bühne
betreten
und
politisch
wirken.
Davon
ist
in Israel
nichts
zu sehen,
der
politische
Prozess
bewegt
sich
stramm
in die
andere
Richtung.
Viele
Beobachter
(auch
in Israel)
nehmen
sogar
das
Wort
„Faschismus“
in den
Mund.
Das
heißt
aber
nicht,
dass
Omri
Boehm
ein
schlechtes
oder
unsinniges
Buch
geschrieben
hat.
Er geht
hart
und
unerbittlich
mit
der
israelischen
Realität
ins
Gericht
und
bietet
Aufklärung
im besten
Sinne.
Auch
die
Vorstellung
seiner
Utopie
ist
völlig
legitim,
sie
ist
ja auch
die
einzige
humane
Alternative,
die
Israel
noch
hat.
Aber
angesichts
der
politischen
Realitäten
in diesem
Staat
fehlt
schlicht
der
Glaube,
dass
Israel
diesen
Weg
gehen
wird.
Omri
Boehm:
Israel
– eine
Utopie,
Propyläen
Verlag
Berlin,
2020,
ISBN
978-3-549-10007-3,
20 Euro
8.7.2020
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