Eine israelische Liebesgeschichte
Uri Avnery, 7.7.07
SEIT DER Auferstehung Jesu Christi hat es solch ein Wunder nicht
mehr gegeben: ein Toter, begraben in einer Höhle, ist wieder
auferstanden..
Die
„Jordanische Option“ hatte ihren Geist vor fast zwanzig Jahren
aufgegeben. Auch zuvor war sie nie sehr gesund. Aber 1988 kurz nach
dem Ausbruch der ersten Intifada wurde sie offiziell von niemandem
anders als von seiner Majestät König Hussein selbst beerdigt. Er
verkündigte, er hätte jeden Anspruch auf die Westbank aufgegeben.
Es
war ein jämmerlicher Tod. Es gab kein angemessenes Begräbnis. Shimon
Peres, einer ihrer Erzeuger, behauptete jetzt, die Verstorbene
nicht zu kennen. Yitzhak Rabin wandte ihr den Rücken zu. „Der Staub
muss wieder zur Erde kommen“ (Pred.11,7).
Und
jetzt plötzlich scheint sie ins Leben zurück gekehrt zu sein. Zwei
umherziehende Schreiberlinge behaupten, sie hätten sie mit eigenen
Augen gesehen. Nicht in Emmaus, wo die beiden Jünger Jesu ihrem
auferstandenen Herrn begegnet sind, sondern in Washington, in der
Hauptstadt der Welt.
DIE
ISRAELISCHE Liebesgeschichte mit der hashemitischen Dynastie begann
vor drei Generationen. (Hashem war der Gründer der Familie in Mekka,
zu der der Prophet Mohammed gehörte.)
Im
2. Weltkrieg rebellierte der Irak gegen den hashemitischen König,
der ihm von den Briten aufgezwungen worden war, als diese einen
anderen Zweig der Familie in Transjordanien installierte. Der
irakische König floh mit seinem Hofstaat nach Palästina. Hier wurde
er von der zionistischen Führung aufs Wärmste empfangen – er wurde
sogar mit einer geheimen Radiostation auf dem Karmelberg ausstattet.
Viele Jahre später hörte ich dies von jemandem, der direkt darin
verwickelt war, dem Minister Eliyahu Sasson.
Die
Briten brachten die Hashemiten nach Bagdad zurück. Aber wie Sasson
bedauernd hinzufügte, sie vergalten Gutes mit Bösem: kurz nach ihrer
Wiedereinsetzung nahmen sie eine extrem anti-zionistische Haltung
ein. Übrigens kooperierte die jüdische Untergrundorganisation
Irgun damals mit den Briten und ihr Kommandeur David Rasiel kam im
Irak im Laufe der Operation ums Leben.
Issam Sartawi, einer der PLO-Führer, ein Flüchtling aus Akko, der im
Irak aufwuchs, behauptete später, dass, als die Hashemiten nach
Bagdad zurückkehrten, die Briten unter den Juden ein Massaker
anrichteten, um nationale Popularität für sie zu gewinnen. Die
Dokumente über diese berüchtigte Episode werden sogar heute noch in
den britischen Archiven unter Verschluss gehalten.
Aber die (guten) Beziehungen mit den Hashemiten hielten an. Am
Vorabend des Krieges von 1948 hielt die zionistische Führung engen
Kontakt mit König Abdallah von Transjordanien. Zwischen dem König
und Golda Meir, (als Beduine verkleidet, R.) wurden verschiedene
geheime Pläne ausgeheckt; aber als die Zeit kam, wagte der König
nicht, die arabische Solidarität zu brechen. So fiel er doch in
Palästina ein. Es ist behauptet worden, dass dies mit David Ben
Gurion in enger Absprache geschehen sei. Und tatsächlich vermied die
neue israelische Armee, die jordanischen Truppen anzugreifen (außer
in der Gegend von Latrun, wo versuchte wurde, den Weg zum belagerten
West-Jerusalem zu öffnen.)
Die
Zusammenarbeit zwischen Abdallah und Ben-Gurion brachte die
erhofften Früchte: das Gebiet, das von der UN für den anvisierten
palästinensisch-arabischen Staat bestimmt war, wurde zwischen Israel
und dem umbenannten Königreich von Jordanien aufgeteilt. (Der
Gazastreifen wurde an Ägypten gegeben) Der palästinensische Staat
kam auf diese Weise nicht zustande, und die israelisch-jordanische
Zusammenarbeit blühte. Auch nach dem Mord König Abdallahs vor der
Al-Aqsa-Moschee ging diese mit seinem Enkel, dem jungen Hussein,
weiter.
Zu
jener Zeit war die Welle des pan-arabischen Nationalismus auf
ihrem Höhepunkt, und Gamal Abd-el-Nasser, sein Prophet, wurde das
Idol der arabischen Welt. Das palästinensische Volk, das seiner
politischen Identität beraubt worden war, sah seine Rettung in einer
gesamt-arabischen Einheit. Es bestand die Gefahr, dass der
jordanische König jeden Augenblick gestürzt werden könnte, aber
Israel ließ verlauten, dass die israelische Armee in solch einem
Falle sofort in Jordanien einfallen würde. Der König blieb auf
seinem Thron sitzen, der von israelischen Bajonetten gestützt wurde.
Die
Dinge erreichten im Schwarzen September (1970) einen Höhepunkt, als
König Hussein die PLO-Kräfte blutigst niederschlug. Die Syrer eilten
zu ihrer Verteidigung und begannen, die Grenze zu überqueren. In
Absprache mit Henry Kissinger stellte Golda Meir ein Ultimatum:
wenn die Syrer sich nicht sofort zurückzögen, würde die israelische
Armee einmarschieren. Die Syrer gaben auf, der König war gerettet.
Die PLO-Kämpfer gingen in den Libanon.
Auf
dem Höhepunkt der Krise rief ich bei eine Knessetsitzung die
israelische Regierung dazu auf, einen entgegengesetzten Kurs
einzunehmen: den Palästinensern in der Westbank die Möglichkeit zu
geben, einen palästinensischen Staat neben Israel aufzubauen. Jahre
später erzählte mir Ariel Sharon, er habe dasselbe während geheimer
Beratungen des Generalstabs vorgeschlagen. (Später bat mich Sharon,
ein Treffen zwischen ihm und Yasser Arafat zu arrangieren, um mit
ihm diesen Plan zu diskutieren: das Regime in Jordanien zu stürzen
und Jordanien – anstelle der Westbank - in einen palästinensischen
Staat zu verwandeln. Arafat weigerte sich, ihn zu treffen und
enthüllte dem König den Vorschlag.)
DIE
JORDANISCHE Option war mehr als ein politisches Konzept – es war
eine Liebesgeschichte. Jahrzehnte lang waren fast alle israelischen
Führer von ihr angetan – von Chaim Weizmann bis David Ben-Gurion,
von Golda Meir bis Shimon Peres.
Was
hatte die Hashemiten-Familie, das die Zionisten und das israelische
Establishment so entzückte?
Im
Laufe der Jahre hatte ich viele vernünftig klingende Argumente dazu
gehört. Aber ich bin überzeugt, dass der wirkliche Grund überhaupt
nichts mit Vernunft zu tun hatte. Der eine große und entscheidende
Pluspunkt der Hashemiten-Dynastie war und ist der, dass sie keine
Palästinenser sind.
Vom
ersten Tag an lebte die zionistische Bewegung mit der totalen
Verleugnung der palästinensischen Frage. Seitdem dies zu leugnen,
lächerlich geworden ist, bestreiten sie die Existenz eines
palästinensischen Partners für Friedensverhandlungen. Auf jeden Fall
streitet es die Möglichkeit eines lebensfähigen palästinensischen
Staates neben Israel ab.
Diese Leugnung hat tiefe Wurzeln im Unterbewusstsein der
zionistischen Bewegung und der israelischen Führung. Der Zionismus
kämpfte für die Schaffung einer jüdisch nationalen Heimstätte in
einem Land, in dem schon ein anderes Volk lebte. Da der Zionismus
eine idealistische Bewegung war mit tiefen moralischen Werten,
konnte sie den Gedanken nicht ertragen, dass es gegenüber einem
anderen Volk eine historische Ungerechtigkeit begehe. Es war also
nötig, das Schuldgefühl, das mit dieser Tatsache zusammenhing, zu
unterdrücken und zu leugnen.
Die
unbewussten Schuldgefühle wurden mit dem 1948er- Krieg vertieft, in
dem mehr als die Hälfte des palästinensischen Volkes seinen Grund
und Boden verlor. Die Idee, die Westbank dem hashemitischen
Königreich zu überlassen, schuf die Illusion, dass es kein
palästinensisches Volk gibt („Sie sind alle Araber!“) – so konnte
es auch keine Ungerechtigkeit erleiden.
Die
Formel „jordanische Option“ ist ein Euphemismus. Der wirkliche Name
ist „ Anti-palästinensische Option“. Darum geht es. Alles andere ist
unwichtig.
DAS
MAG die seltsame Tatsache erklären, dass seit dem 1967er-Krieg
keine Anstrengungen unternommen wurden, diese Option zu
verwirklichen. Die Hohenpriester der „Jordanischen Option“, die
diese von jeder Hügelkuppe predigten, rührten aber deshalb keinen
Finger. Im Gegenteil, sie taten ihr Bestmöglichstes, um deren
Verwirklichung zu verhindern.
Zum
Beispiel: während der ersten Amtszeit von Yitzhak Rabin als
Ministerpräsident nach dem 1973er-Krieg hatte Henry Kissinger eine
brillante Idee: Jericho an König Hussein zurück zu geben. So wäre
ein Fait accompli entstanden: die hashemitische Flagge würde
über der Westbank flattern.
Als
der Außenminister Yigal Allon Rabin den Vorschlag überbrachte,
lehnte dieser den Vorschlag entschieden ab. Golda Meir hatte zu
ihrer Zeit versprochen, dass neue Wahlen abgehalten würden, bevor
irgendetwas vom besetzten Land an die Araber zurück gegeben werde.
„Ich werde doch wegen Jericho keine Neuwahlen abhalten,“ erklärte
Rabin.
Dasselbe geschah, als Shimon Peres mit König Hussein ein geheimes
Abkommen erreichte und das fertige Ergebnis dem damaligen
Ministerpräsidenten Yitzhak Shamir vorlegte. Shamir warf das
Abkommen in den Mülleimer.
(„Sie stehen vor einer schwierigen Wahl,“ scherzte ich einmal bei
einer Knessetdebatte, „ob man die besetzten Gebiete nicht Jordanien
zurückgibt oder nicht den Palästinensern .“)
EINER DER interessanten Wesenszüge dieser langen Liebesgeschichte
war, dass keiner der israelischen Liebhaber sich jemals die Mühe
machte, das Problem von der andern Seite anzusehen. In der Tiefe
ihres Herzens verachteten sie die Jordanier genau so, wie sie alle
Araber verachteten.
In
der Mitte der 80er-Jahre erhielt ich eine inoffizielle Einladung
nach Jordanien, das damals noch offiziell als „Feindesland“ galt.
Ich reiste zwar mit einem ziemlich dubiosen Pass ein, vor Ort ließ
ich mich als israelischer Journalist registrieren. Da ich der erste
Israeli war, der offen durch Amman lief und seine Identität
erklärte, zog ich große Aufmerksamkeit der oberen Kreise auf mich.
Ein
hochrangiger Regierungsangestellter lud mich zum Abendessen in ein
piekfeines Restaurant ein. Auf einer Papierserviette zeichnete er
die Umrisse Jordaniens auf und erklärte mir das ganze Problem mit
ein paar Worten.
„Wir sind von Ländern umgeben, die unter einander sehr verschieden
sind. Hier ist das zionistische Israel und hier das nationalistische
Syrien. Auf der Westbank blühen radikale Tendenzen, und im nahen
Libanon gibt es ein konservatives sektiererisches Regime. Hier ist
der säkulare Irak Saddam Husseins und hier das fromme Saudi Arabien.
Aus all diesen Richtungen kommen Ideen und Leute nach Jordanien. Wir
absorbieren alle. Aber wir können uns nicht mit einem unserer
Nachbarn streiten. Wenn wir uns ein wenig in Richtung Syrien
bewegen, müssen wir am folgenden Tag gegenüber Saudi-Arabien eine
Geste machen. Wenn wir uns Israel annähern, müssen wir schnell den
Irak beruhigen.“
Die
offensichtliche Schlussfolgerung: die „Jordanische Option“ war von
Anfang an eine Torheit. Aber keiner in der israelischen Führung
begriff dies. Der weise Boutros Boutros-Ghali sagte mir einmal: „Ihr
habt in Israel die größten Experten für arabische Angelegenheiten.
Sie haben jedes Buch und jeden Artikel gelesen, sie wissen alles –
und verstehen nichts – weil sie keinen einzigen Tag in einem
arabischen Land gelebt haben.“
Alte Liebe stirbt nicht. Die erste Intifada tötete die „Jordanische
Option“, und die Regierenden Israels flirteten mit der
„Palästinensischen Option“. Aber sie widmeten sich dieser neuen
Liebe nicht mit vollem Herzen, sie handelten, als treibe sie ein
Dämon. Das erklärt, warum keine ernsthaften Anstrengungen gemacht
wurden, um das Oslo-Abkommen zu erfüllen und den Prozess zu seinem
logischen Schluss zu bringen: einen palästinensischen Staat neben
Israel.
Jetzt auf einmal fangen die Leute wieder an, über Jordanien zu
sprechen. Vielleicht könnte man König Abdallah den Zweiten fragen,
ob der nicht seine Armee in die Westbank schicken könne, um die
Hamas nieder zu schlagen ? Vielleicht könnten wir die
„Zwei-Staaten-Lösung“ in einer jordanisch-palästinensischen
Föderation beerdigen, die es Jordanien erlauben würde, die Westbank
wieder zu übernehmen.
Der
König war entsetzt. Genau das fehlte ihm noch! Die turbulente und
geteilte palästinensische Bevölkerung in sein Königreich
aufzunehmen! Die Grenze für eine neue große Flut Flüchtlinge und
Immigranten zu öffnen. Er bemühte sich, klar zu stellen, dass er
an diesen Plänen keinen Anteil habe.
Föderation? Das sei durchaus möglich, sagte er - aber erst
nachdem ein freier palästinensischer Staat entstanden sei, nicht
vorher und sicher nicht anstelle von diesem. Dann mögen die Bürger
frei entscheiden.
Der
Titel eines berühmten Buches des israelischen Autors Yehoshua Kenaz
heißt : „Verlorene Lieben zurückbringen“.
Aber es scheint, dass diese alte Liebe für immer vergangen ist. .
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs
und Christian Glanz, vom Verfasser autorisiert)
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