Wie die
Amadeu Antonio Stiftung mit pädagogischen Mitteln
nicht nur den Antisemitismus bekämpft
12. 7. 2019 - Franz Piwonka
Die
Amadeu Antonio Stiftung hat mit der Förderung des
Familienministeriums eine Studie über israelbezogenen Antisemitismus
erstellt mit dem Titel: „Eine
pädagogische Handreichung zum Umgang mit israelbezogenem
Antisemitismus“. Sie erhebt nicht nur den Anspruch, anhand
der geschichtlichen Entwicklung Merkmale des Antisemitismus
herauszuheben, sondern auch eine Unterscheidung von Antisemitismus
und Israelkritik zu treffen. Ich werde aber an einigen
argumentativen Beispielen zeigen, daß Letztere nicht gelingt und
auch gar nicht beabsichtigt ist.
Den
Anfang macht Frau Kahane, Vorsitzende des Vorstands der Stiftung.
Sie schreibt in der Einleitung, daß bestritten werde, daß all das,
was Antisemitismus charakterisiere, nicht mehr gelte, sobald Israel
ins Spiel komme und fügt hinzu: „Hierzu hat sich eine ganze
Argumentationsindustrie entwickelt, die von reichlich naiv über
einseitig aggressiv bis bösartig ideologisch reicht“ (S.3). Dafür
mag es Beispiele geben, aber bereits hier macht sich eine
unzulässige Verallgemeinerung breit, die gar nicht belegbar ist.
In
ihrem Artikel: „Israelbezogener Antisemitismus – zu Charakter,
Quellen, Funktion und Effekten“ legt sie gleich im ersten Absatz
ihre Sichtweise dar. Die Mechanismen und die Intention des
Antisemitismus blieben stets die gleichen, auch wenn er zu den
besten Formwandlern unsere Zeit gehöre. Er könne zwar seine Gestalt
verändern, doch behalte er Intention und Mechanismen des
Antisemitismus bei, was auch für die Narration über Israel gelte,
denn der antisemitische Israelhass tue genau das, was der Hass auf
Juden auch tue. Damit unterläuft sie bereits den Anspruch, sinnvoll
zwischen Antisemitismus und Israelkritik zu unterscheiden. Der
Ausdruck „Formwandler“ unterstellt, daß man auf Differenzierung
verzichten könne. Wer so argumentiert, daß es sich lediglich um
alten Wein in neuen Schläuchen handele, greift sofort zur
psychologisierenden Strategie, daß, wer diesen Vorwurf zurückweist,
nur seine tatsächlichen antisemitischen Ambitionen rationalisieren
wolle. Auf diese Weise hat man sich gegen Kritik abgedichtet und
bestätigt nur sich selbst auf zirkuläre Weise.
In
dieser Sichtweise liegt Antisemitismus vor, wenn die
Israelkritiker/innen eine „sehr selektive Wahrnehmung vom
vermeintlichen Gegenstand der Kritik“ hätten um dann fortzufahren: „
Es geht nicht darum, ob Israel Fehler macht, falsche Politik
betreibt oder ungerecht ist. Das zu beurteilen ist ebenso schwierig
wie für andere Staaten auf der Welt. Gerade im Nahen Osten sind die
Kontexte komplex. Ich würde mir nie anmaßen, hier so rabiat zu
bewerten, wie meist gegen Israel geurteilt wird“ (S. 7f.). Sieht man
einmal von dem merkwürdigen Ausdruc k „Fehler“ ab, der lediglich
einen menschlichen Mangel benennt, leugnet sie die Erkennbarkeit von
Menschenrechtsverletzungen, wofür das Zauberwort „komplex“ in
Anspruch genommen wird, mit dem meist gesellschaftliche Zustände
auch noch mit moralischem Impetus unsichtbar gemacht werden, denn
man nimmt für sich in Anspruch, eben das Ganze im Blickfeld zu haben
und so verkürzte Sichtweisen zu vermeiden. Aber genau auf diese
Weise wird das Blickfeld eben selbst „verkürzt“.
Genauso gut kann man sich fragen, ob nicht Frau Kahane eine
selektive Wahrnehmung besitzt. Der geforderte Verzicht auf eine
„rabiate Bewertung“ fungiert wie eine Einwandsbehandlung, wird sie
doch von den sog. „antiisraelischen Antisemit/innen“ mit schweren
bis schwersten Menschenrechtsverletzungen der israelischen Politik
gegen Palästinenenser konfrontiert, wie sie von zahllosen
israelischen und nichtisraelischen Menschenrechtsorganisationen
eingehend belegt sind. Das Framing „rabiat“ unterstellt nicht nur
einen unangemessenen und extremen Blick auf die Welt und lenkt daher
ganz von dem Gegenstand ab, um den es geht, sondern fungiert
geradezu als Beleg für ein antisemitisches Weltbild. Wer
demgegenüber auf der Artikulation dieser Menschenrechtsverletzungen
insistiert, bestätigt somit nur seine „hysterische Beschäftigung“
und „Aggressivität“, mit der Israel „eine geradezu dämonische Macht“
zugeschrieben wird. Wer somit von „israelischem Staatsterrorismus“
spricht, ist in den Augen von Kahane des Antisemitismus überführt.
Dummerweise stammt dieser Ausdruck von dem Antisemitismusforscher
Klaus Holz. Deshalb verkehrt sie die Verhältnisse und schreibt:
„Meist sind aber das Ressentiment und der Mangel an Bereitschaft zu
Empathie die Quellen der Kritik und nicht die ohnehin komplizierte
Sachlage“ ( S.9). Wiederum dient die Komplexität der Verdunkelung
der dortigen realen Verhältnisse.
Sie
konzediert zwar, daß es die Privilegierung der Juden im israelischen
Staat gegenüber den israelischen Palästinensern gibt, was aber
legitim sei, denn ein gleichberechtigtes Zusammenleben von Juden und
Palästinensern würde den jüdischen Charakter dieses Staates
unterminieren, wovor sich Juden fürchten würden, zumal der Hass der
umliegenden Staaten Israels Existenz bedrohe. Hier wird aber
entgegen dem eigenen Anspruch der Komplexität eine simple Kausalität
behauptet und unterschlagen, daß der brutale Umgang der israelischen
Politik mit den Palästinensern eine feindselige Haltung arabischer
Staaten gegenüber Israel geradezu hervorruft. Und diese wird
instrumentalisiert, um noch massiver das Leben von Palästinensern zu
beschneiden.
Danach widmet sich Riebe, Mitarbeiter der Stiftung, demselben Thema:
„ Wie unterscheide ich Kritik von israelbezogenem Antisemitismus“.
Auch hier wird im selben Duktus argumentiert, weshalb er betont, daß,
wer sich mit Antisemitismus beschäftige, sich notgedrungen mit
seiner Wandlungsfähigkeit und Facetten beschäftigen müsse. Im
Gegensatz zu Kahane geht er jedoch differenzierter und damit
tatsächlich auch komplexer vor, indem er sich sowohl mit dem
bekannten 3D-Test von Sharansky beschäftigt, dessen
Unterscheidungskriterien sind: Dämonisierung, doppelte Standards und
Delegitimierung, als auch mit der EUMC-Definition von
Antisemitismus. Er übernimmt nicht unbesehen diese
Unterscheidungskriterien als hinlänglich zuverlässig, wenn er auch
nicht in Betracht zieht, daß es sich dabei um polemische und daher
beliebig interpretierbare Kriterien handelt. Riebe schreibt sogar:
„Kritik, auch harsche Kritik, an der israelischen Politik, die sich
keiner antisemitischen Zuschreibungen bedient, ist jedoch kein
Antisemitismus“ (S.13). Wer sich jedoch an den Artikel von Kahane
erinnert, wird feststellen, daß sie eine solche Kritik als „rabiat“
verurteilt.
Bei
diesen Differenzierungen bleibt es allerdings nicht lange, denn nun
ist von ihm zu vernehmen: „ Den »Israelkritiker*innen« in
Deutschland geht es im Regelfall nicht in erster Linie um den
Nahostkonflikt oder den Konflikt um die iranische Atombombe.
Israelbezogener Antisemitismus bedeutet häufig, über Israel zu
reden, ohne über Israel zu reden….Es hat daher im Regelfall keinen
Sinn, nach solchen Äußerungen intensiv die Politik Israels oder den
Nahostkonflikt zu erörtern. Stattdessen sollte die jeweilige
Funktion solch antisemitischer Äußerungen offengelegt und
anschließend diese Funktion statt Israel in den Blick genommen
werde“ (S. 17).
Wer
Israel kritisiere, müsse sich daher folgende drei Fragen stellen:
„Kritisiere ich Israel anders als andere Staaten und wenn ja warum?
Beschäftigt mich der Nahostkonflikt mehr als alle anderen Konflikte
und wenn ja warum und: Bin ich bereit, meine Position zu Israel
aufgrund von Fakten zu revidieren?“. Bereits diese Fragen
unterstellen einen bestimmten, allein gültigen Blick auf Israel. Wer
allerdings nur die Stellungnahmen von Amnesty International zur
Kenntnis nimmt, wird feststellen, daß sich Israel seit Jahrzehnten
schwerer Menschenrechtsverletzungen schuldig macht, die in den
Staaten der westlichen Wertegemeinschaft so kaum vorstellbar sind.
Und auch die zweite Frage impliziert, daß der israelische Staat
lediglich Mißstände auf weist, die auch in den anderen westlichen
Staaten anzutreffen sind. Die dritte Frage ist deshalb interessant,
weil die Studie des Friedens - und Antisemitismusforschers Prof.
Wilhelm Kempf: „Antisemitismus und Israelkritik: Eine
methodologische Herausforderung für die Friedensforschung“ ergeben
hat, daß gerade Israelkritiker in der Regel über den Konflikt besser
informiert sind als Philosemiten, die sogar anfälliger für
antisemitische Einstellungen sind (https://www.medienverantwortung.de/wp
content/uploads/2009/07/Kempf_Abschiedsvorlesung2012.pdf).
Und
im Artikel über BDS, den Jan Riebe zusammen mit dem Autor Sebastian
Mohr verfaßt hat, läßt er weitere differenzierte Hüllen fallen und
landet so auf der Ebene der üblichen Denunziation und Diffamierung
israelkritischer Positionen.
Die
Forderung der BDS-Bewegung:“
»Besetzung und Kolonisation allen arabischen Landes“ wird natürlich
fehlinterpretiert, als wäre damit ganz Israel gemeint. Deswegen
steht im deutschlandweiten Aufruf, daß es um das seit „1967
besetzte arabische Land“ geht, was von den beiden Autoren auch
erwähnt wird. Sie erwähnen auch, daß die führende Köpfe der Bewegung
sich gegen eine Zwei-Staatenlösung und dafür für eine
Einstaatenregelung aussprechen, während sich die deutsche Sektion
diesbezüglich enthalte. Flugs wird daraus gefolgert, daß es sich um
einen gewollten Interpretationsspielraum handele, da die Bewegung
sich im anderen Falle zum Existenzrecht des jüdischen Staates
bekennen müßte. Tatsache ist jedoch, daß sich viele Sektionen
deshalb enthalten, weil ihr Ziel lediglich die Umsetzung von Völker-
und Menschenrecht ist und die Territorialfrage eine Angelegenheit
der beiden Konfliktparteien ist. Die Konkretisierung, daß es sich um
das seit 1967 besetzte Gebiet handelt, schließt aber logisch das
Existenzrecht Israels ein.
Um
nun die Bewegung in toto zu delegitimieren, damit die bisherigen
Differenzierungen wieder einkassieren zu können, holen die Autoren
nun zum Rundumschlag aus und greifen auf verschwörungstheoretisches
Gedankengut zurück. „Taktik“ sei nämlich die entscheidende
Vorgehensweise der Bewegung, die sich in der Politik der kleinen
Schritte realisiere (S.25). Die differenzierten Stellungnahmen
werden so nur zum Schein vorgenommen, um auf diese Weise den
israelischen Staat insgesamt bekämpfen zu können. Hierbei handelt es
sich um die bereits genannte Methode der Motivumdeutung, deren
diffamierender Charakter bereits an der völligen Beliebigkeit der
Anwendung dieser pseudoargumentativen Strategie erkennbar ist. Diese
Unterstellungspraxis ist schon deshalb abwegig, weil, wäre diese
zutreffend, gar nicht erklärbar ist, warum diese Bewegung erst 2005
ins Leben gerufen wurde.
Der
nächste Schritt zur Diffamierung von Israelkritik ist die Forderung
des Endes der Apartheid der israelischen Politik, die sich erkennbar
als antisemitisch „entlarve“, da sowohl der Blick auf den
israelischen Alltag als auch in die Knesset, dem israelischen
Parlament, diese Deutung wiederlege. Entlarvend ist dieser Einwand
aber selbst, da unterschlagen wird, daß es in der Geschichte des
israelischen Staates bisher nur einen einzigen palästinensischen
Minister gab. Unterschlagen wird auch, daß der Vorwurf sich in
erster Linie auf das Westjordanland richtet, wo die
Apartheidsstrukturen evident sind. Hier genügt bereits ein erster
Blick. Man verwundert sich, daß in einer pädagogischen Anleitung
gegen Antisemitismus inhaltliche Stellungnahmen über den angeblich
empirischen Zustand der dortigen Verhältnisse vorgenommen werden,
die doch gerade Gegenstand der öffentlichen Auseinandersetzung sind
und dieser auch vorbehalten sein sollte.
Nicht zuletzt wird die Forderung nach dem Rückkehrrecht der
vertriebenen Palästinenser in üblicher Manier als Versuch der
Zerstörung des jüdischen Charakters interpretiert und somit die
zahllosen Stellungnahmen ignoriert werden, daß es sich lediglich um
eine rechtliche Grundlage als Verhandlungsbasis handelt und die
überwiegend vertriebene palästinensische Bevölkerung gar kein
Bedürfnis nach Rückkehr hat.
Diese Überlegungen bestätigen, was überraschenderweise gerade der
wohl bekannteste Antisemitismusforscher, Prof. Wolfgang Benz, über
die Gegner der BDS-Bewegung gesagt hat: „Wer diese Bewegung als
antisemitisch abstempelt, hat primär ein politisches Interesse – und
kein Interesse an Aufklärung und Frieden. Wer die Boykott-Bewewgung,
der ich persönlich ganz fernstehe, im Kern als antisemitisch
bezeichnet, hat schon Partei ergriffen und sich fanatisieren lassen
– und ist zu keinem unbefangenen Urteil mehr fähig“(https://www.swp.de/politik/inland/interview-mit-antisemitismusforscher-wolfgang-benz-30241771.html).
»Man wird ja wohl Israel noch kritisieren dürfen …«? Eine
pädagogische Handreichung zum Umgang mit israelbezogenem
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