Über die Apartheidmauer
B. Michael, Yedioth Aharonot, 31.10.03
3000 km Stacheldraht sind bei der 1. Bauphase des
Trennungszaunes gezogen worden. Drei Millionen Meter, etwa die
Entfernung Israel-Schweiz. Mit 3000 km kann man eine Menge von
einander trennen. Den Viehbestand von seinen Besitzern, die
Oliven und die Weintrauben von denen, die sie ernten wollen,
einen Arzt von seinen Patienten, einen Arbeiter von seinem
Arbeitsplatz, einen Lehrer von seinen Schülern. Besonders aber
den Bauer von seinem Land. Eine besondere Art Trennung wird aber
durch die Tausenden von km Stacheldraht nicht erreicht: Den
Attentäter von seinen Opfern. Wie wir vom Bericht über
Sicherheitsprozeduren des Staatsrechnungsführer erfuhren, wird
er - wie heute - weiter sein Ziel erreichen: durch Checkpoints,
gewöhnlich in einem Fahrzeug, in entsprechender Verkleidung, im
Besitz falscher Papiere. Er wird weiter auf seinem Weg ins
Unglück rasen und mit sich das Leben Unschuldiger nehmen. Der
Zaun wird ihm nicht im Wege stehen. Im Gegenteil: der Kriminelle
wird beruhigt in seinen Tod gehen, denn dank des Zaunes werden
die, die ihn sandten, leicht potentielle Nachfolger für ihn
finden. Der Zaun wird die Infrastruktur der Verzweiflung, den
Verlust der Hoffnung, den verstärkten Hass, die Frustration und
den Wahnsinn unterstützen. Er wird ihnen die Infrastruktur des
Terrors liefern.
Also keine Sorge am Trennungszaun, dass er den
Selbstmordattentäter von seinen Mordopfern trennen wird. Das war
nur das angebliche Ziel. In Wirklichkeit hat er ein ganz anderes
Ziel.
Sein Zweck ist unsichtbar. In Wirklichkeit ist das
Stacheldraht-Schutzschild (screen) in eine Nebelwand (smoke
screen) eingepackt.
Doch auch wenn der Zweck des Zaunes unsichtbar ist, so sind
seine Auswirkungen ziemlich sichtbar. Und man kann auch seine
Augen nicht mehr nur nach Westen wenden und hartnäckig die
Schrecken, die sich im Osten zutragen, weiterhin ignorieren.
Um der Klarheit willen: ein echter Zaun, vernünftig und
menschlich würde mit Erleichterung und mit offenen Armen von den
Menschen auf beiden Seiten, von Israelis und Palästinensern,
begrüßt werden. Er würde niemandem etwas geraubt haben. Er würde
nicht Zehntausende in Käfige gesperrt haben. Er würde nicht
Zehntausenden die Lebensgrundlage nehmen. Und wer weiß,
vielleicht hätte er geholfen, Nachbarn zu schaffen, die ein
wenig besser sind als man von hohen Zäunen vermutet ( man kann
natürlich auch weiterhin seine Wirksamkeit gegen
Selbstmordattentäter in Zweifel ziehen.) Es ist nur der gewählte
Verlauf, das Schlängeln der bösen Linie, die durch den Kult von
Zeloten festgelegt wurde, die das Land an der Kehle und seine
kriecherischen Lakaien in der Regierung festhalten, die ihn in
eine so ekelhafte Abscheulichkeit wandeln.
Etwa 200 000 Leute leben in unmittelbarer Nachbarschaft im
nördlichen Teil des Zaunes. Es gibt kaum jemanden, der nicht von
ihm betroffen worden ist. Die ganze Stadt Kalkilia mit einer
Bevölkerung von 40 000 ist hermetisch abgeschlossen. Nur ein Tor
verbindet sie mit der Welt. Tulkarem ist vom Westen mit einer
Mauer abgesperrt und im Osten von geschlossenen Checkpoints. 18
Dörfer mit all ihren Einwohnern sind komplett von Stacheldraht
umgeben. Ihre Bewohner leben in einem wirklichen Pferch.
Wenigstens 3000 Familien sind schon von ihrem Land getrennt
worden. Die versprochenen „Tore für die Landwirte" existieren
nicht.
Etwa 25 Brunnen/ Quellen sind zerstört worden, weitere 14 stehen
vor der Zerstörung. 36 andere Brunnen sind von ihren Gemeinden
getrennt worden, die dieses Wasser benützt haben. Diese Brunnen/
Quellen würden 6,7 Millionen Kubikmeter Wasser liefern.
Das ganze System, das aus doppelten Stacheldrahtrollen auf
beiden Seiten besteht, einem Spuren sichernden Pfad, einem
versteckt liegenden Pfad, einem petting path (?), einem
Hindernisgraben und Beobachtungstürmen - alles zusammen ist 50 m
breit. Es läuft durch einen 15 000 Dunum großen enteigneten
Landstreifen und wird durch weitere 120-150 000 Dunum Land
abgesichert, die plötzlich dem Staat Israel zufallen, da sie von
der Westbank abgeschnitten sind.
Annexion ? Gott behüte! Warum soll man annektieren, wenn man es
sich einfach schnappen kann?
Die Tulkarem-Jenin-Kalkilia-Region ist das fruchtbare Bassin der
Westbank. Etwa 45% seiner landwirtschaftlichen Produkte wachsen
nach der Weltbank dort. Nun nicht mehr. Wenigstens die Hälfte
dieser Produkte - vielleicht mehr - wird nicht mehr dort
wachsen. Tomaten haben eine schwere Zeit, um zwischen Zäunen,
Soldaten, Checkpoints und nicht vorhandenen Toren zu wachsen.
Etwa 4000 Bewohner Kalkilias - fast 10% - haben die Stadt schon
verlassen. Hunger und Arbeitslosigkeit haben ihren Job, wie
erwartet, getan. Ungefähr 1/3 der 1800 Lehrer, die in der
belagerten Stadt leben und in der Region unterrichten, sind
nicht in der Lage, ihre Klassenzimmer zu erreichen (Nach World
Bank Data)
Etwa 200 Häuser, meist Läden sind von den Bulldozern zerstört
worden. Über mehreren hundert anderen Häusern schwebt der
Abrissbefehl. Der ganze Markt des Dorfes Nazlat Issa, der weit
und breit für seinen regen Handel bekannt war, wurde dem
Erdboden gleich gemacht. Der Vorwand war wie üblich, dass sie
illegal gebaut worden seien. Dies ist ein besonders nützlicher
Vorwand, da die Palästinenser gar keine Chance haben, jemals
eine Baubewilligung zu erhalten. So ist alles, was sie bauen
„illegal" und jeden Augenblick für den Abriss bestimmt.
Bis jetzt sind 110 000 Oliven- und andere Fruchtbäume im
nördlichen Teil des Zaunes entwurzelt worden.
Einhundertzehntausend !! Seit Jahrhunderten haben Oliven hier
gestanden und haben ihre Besitzer mit Früchten und
Lebensunterhalt versorgt. Nun nicht mehr. Der Trennungszaun hat
sie von ihrem Land getrennt. Einhundertzehntausend Bäume!!
Und das ist nur die Spitze (des Eisberges). Und nur der Beginn.
Im Raum Jerusalem geht der Zaun vollkommen drunter und drüber.
Nach der geplanten Route (inzwischen größtenteils realisiert,
1.3.04 Anm. PR) wird er Dörfer und Gemeinden mitten durch
schneiden und Studenten und Schüler von ihren Schulen trennen,
Gemeinden von ihren Moscheen, Dorfbewohner von ihrem Friedhof.
Ein halber Vorort wird vom Osten getrennt, die andere Hälfte vom
Westen und beide von einander. Als ob ein blinder Parkinson
kranker Sadist diesen Verlauf aufgezeichnet habe.
Welche Logik steckt denn hinter solch einer schändlichen,
wahnsinnigen Mauer? Angeblich versucht sie, „uns" von „ihnen" zu
trennen - in Wirklichkeit bringt sie Zehntausende Palästinenser
nach Israel. Angeblich versucht sie, mörderische Attentäter zu
stoppen - tatsächlich schafft sie ein hervorragendes Treibhaus
für sie und hindert sie in keiner Weise an ihrer
augenblicklichen Handlungsweise.
Und zu welchem Zweck die Milliarden von Schekel? 3 Milliarden
wurden bis jetzt ausgegeben - fast dreimal so viel wie für einen
fairen und vernünftigen Zaun. Alles dazu bestimmt, das Leben von
10 000 en von Palästinensern zu ruinieren, ihre Würde zu
verletzen, ihren Besitz zu zerstören, ihr Land zu enteignen?
Tragischerweise ist dies wahrscheinlich das Ziel. Dies ist das
Geheimnis des Zaunes: nicht die Sicherheit, nichts von alle dem.
Nicht Krieg gegen den Terror, Krieg gegen die Vernunft. Eine
schleichende Nakba (= Katastrophe, 1948 Vertreibung der
Palästinenser), eine langsame Strangulierung. Eine schändliche
Illusion, dass man so ein ganzes Volk dahin bringen möchte,
aufzugeben, um ein Volk von Sklaven zu werden und Scharons und
Mofaz’s krankhafte Träume wahr werden zu lassen.
In Akiva Eldars Artikel ( Haaretz , 28.10.03) lesen wir, dass
die ersten Dorfbewohner, die auf der östlichen Seite des
Trennungszaunes leben, die Abrissorder für die meisten Häuser
ihres Dorfes erhalten haben, einschließlich der Moschee und des
Kindergartens. Natürlich können sie innerhalb der nächsten drei
Tage Einspruch dagegen erheben, aber es ist besser, wenn sie den
Umzugswagen bereithalten. Fürs erste Mal kann man mit
Verwunderung feststellen, dass der Alptraum wahr wird: ein
östlicher Zaun wird den zukünftigen Staat Israel in das
vergangene Südafrika verwandeln. Eine mono-ethnische
Gemeinschaft übt die Kontrolle über die umgebenden Townships
eines anderen Volkes aus. Riesige Gefängnisse für
Billiglohnarbeiter. Soweto-Süd -- Soweto-Nord. Privilegierte
Herren -- offenkundige Sklaven.
Das ist das Ziel.
Aber solch ein Ziel ist schwer zu vermarkten. Sogar Israels
gleichgültige Leute würden anfangen zu kochen, wenn man ihnen
geradewegs sagen würde, dass Milliarden von Schekel nicht in
ihre Sicherheit investiert werden, sondern um eine unmögliche
Halluzination eines messianischen Kultes und eines alternden
Generals in die Tat umzusetzen. Kein Wunder, dass eine Mischung
von Betrug und Ausflüchten herhalten muss, um den völlig
unvernünftigen Trennungszaun zu vertuschen.
Es scheint, als ob seit den Tagen des Libanonkrieges niemand den
Bürgern Israels solch eine Lüge verkauft hat. Scheinbare
Sicherheit, scheinbarer Krieg gegen den Terror, scheinbar
begrenzte taktische Ziele, scheinbare allgemeine Übereinstimmung
zwischen der Koalition und der Opposition. Tatsächlich noch ein
Versuch, die Welt nach Ariel Sharons Plänen zu organisieren.
Noch ein hinter Zweideutigkeit, verschwommenen Karten,
hinterhältigen Deals und endlosen Portionen von Brutalität
versteckter Versuch, um das palästinensische Problem zu
beseitigen und die Langlebigkeit der „Siedlungsmission" um jeden
Preis auszudehnen. Déjà-vu! - - genau so schon einmal gesehen!
Das Comic Relief der verschwommenen Bemühungen wird auf der
Website der „Seamzone-Verwaltung" geliefert. Es unterrichtet
uns, dass das ganze Projekt in einem „humanitären und
umweltfreundlichen Geist" ausgeführt wurde.
Landschaftsarchitekten gehörten zum Team und äußerste Bemühungen
seien gemacht worden, um die Natur und die Vegetation zu
schützen. Tatsächlich sind 60 000 Olivenbäume entwurzelt worden
( das ist etwa die Hälfte der wirklichen Zahl!!), aber „ein
innerer Mechanismus wäre aufgebaut worden, um sie an geeigneten
Plätzen wieder anzupflanzen". „Innerer Mechanismus" : ein
externer Bauunternehmer erhielt Geld für den Entwurzelungsjob,
dann wurden die meisten Bäume gestohlen und an Reiche und
Vornehme in Kfar Shemayahu, Herzlia-Pituach und andere schicke
israelische Gemeinden verkauft. Die Bäume erfreuen gewiss ihre
aufgewertete Residenz.
Und als Bulldozer Zehntausende von Dunums und ganze Wälder
zerstörten, versäumte die „Seamzone -Verwaltung" nicht,
vorsichtig einige tausend von Irisknollen aus dem Boden zu holen
und sie ( in Ambulanzwagen?) zu anderen Wiesen zu bringen, damit
die Schönheit des Landes nicht verdorben wird.
Aber die instruktivste und deutlichste Botschaft ist der
Abschnitt in der englischen Version der Website: stolz wird
erklärt, dass die Landenteignungen absolut legal seien und nach
der Klausel 23 G der Haager Konvention durchgeführt werde, in
der Regeln und Prozeduren für den Fall des Krieges seit 1907
festgelegt seien. Die Welt wird sicher erfreut sein zu erfahren,
dass sich Israel sehr genau an diese Verfahren hält. In der
hebräischen Version hält man sich nicht mit solchen Torheiten
auf. Kriegsverfahren und internationale Konventionen haben
hebräisch Sprechende noch nie interessiert. Und die Klausel,
nach dieser Website , erlaubt die In-Besitznahme von privatem
Land, wenn die In-Besitznahme absolut wichtig für die Belange
der Selbstverteidigung ist.
Ich bin aber eine misstrauische Person. Ich nahm mir die Haager
Convention genauer vor und entdeckte zu meiner großen
Überraschung, dass der juristische Weise der „Seamzone-Verwaltung"
mit dieser Klausel das tat, was man sonst mit palästinensischem
Besitz tut: sie arrangierten es mit einem Bulldozer. Um genauer
zu sein: sie verfälschten es.
Die Klausel bezieht sich nicht auf das Land, schon gar nicht auf
privates Land und erwähnt nicht einmal die Selbstverteidigung.
Sie sagt nur, dass Feindbesitz nicht weggenommen oder zerstört
werden soll, wenn dies nicht absolut für den Kriegsbedarf nötig
sei. Es steht darin auch, dass die Verwendung von Gift verboten
sei und die Exekution von Kriegsgefangenen, die Anwendung von
ungesetzlichen Waffen und ähnliches, was in der Hitze des
Gefechtes beachtet werden sollte.
Vielleicht ist es erlaubt, einen alten Wagen in der Altstadt von
Nablus zu zerstören, wenn es keinen anderen Weg gibt, um ans
Ziel zu gelangen oder einen Balkon vorübergehend zu besetzen, um
ihn in einen Beobachtungsposten zu verwandeln. Aber um von
dieser Klausel zu dem Schluss zu kommen, dass hunderttausende
von Dunum Land enteignet werden dürfen, wo möglich für immer,
für die „Selbstverteidigung" ... für dies ist eine besondere
Fähigkeit für historische Fälschung und rechtliche Betrügerei
erforderlich.
Und was die Wahrheit in diesem Abschnitt betrifft so spiegelt
sie die ganze Website und den ganzen Zaun wider.
Viele Politiker, einige davon Unschuldige/Einfältige, andere
Zyniker, sind kräftig in die „Sicherheits"-Falle gestürzt, die
für sie gelegt worden war. Und jedes Mal, wenn ein paar
Bulldozer aussetzen, schreien sie „ nachlässige Sicherheit!".
Auch viele Figuren in den Medien kauen froh und mit Hingabe
diese Märchen wieder und teilen ihr wiedergekäutes Futter mit
ihren Zuhörern. Die meisten von ihnen neigten schon immer dazu,
ihr professionelles und öffentliches Gewissen zu verlieren, wenn
sie das Wort „Sicherheit" hörten.
Aber schließlich müssen alle begreifen: man kann nicht
weitergehen und wegschauen, die Augen, die Ohren, den Mund
schließen und scheinheilig in anerzogener und beharrlicher
Unwissenheit sich wälzen. Weil der Staat Israel auf der andren
Seite der östlichen Grenze eine erschütternde Folge schändlicher
Taten, herzloser Taten, Raub, Betrug und Barbarei ausführt. Nach
den Genfer, Haager und Römischen Konventionen liegen diese auf
der Ebene von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die
Menschlichkeit.
Und so ist es.
(Aus dem Englischen : Ellen Rohlfs)
Quelle
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