Betrifft:
Offener Brief von Ralph Giordano
Neu Isenburg, 10.Mai 2004
Leserbrief an die Jüdische Allgemeine
Kritik an
Ralph Giordano
Man muss schon sehr naiv und vollkommen unwissend sein, um die primitive
Propaganda von Ralph Giordano zu schlucken. Schon 1991 schrieb Uri Avnery
in einer Kritik zu Giordanos Buch „Israel, um Himmel´s willen, Israel“: Es
wäre vielleicht besser für Giordano, sich an Dinge zu halten, von denen er
etwas versteht. Wir, die Israelis, haben solche Fälschungen nicht nötig.
Giordano hat sich leider Avnerys gut gemeinten Rat nicht beherzigt.
Menschen wie Giordano helfen uns Juden und Israelis nicht aus der
abgrundtiefen Misere in der Israel steckt herauszukommen, so wenig wie
seinerzeit die westlichen Kommunisten, mit ihren rosaroten Brillen dem
russischen Volk dabei geholfen haben, auf dem Weg der Perestroika zu
gelangen.
Giordano bringt immer noch und immer wieder alle üblichen bis zum
erbrechen vorgekauten Argumente der israelischen Propaganda, wobei er
seine Verachtung der Araber und ihrer Kultur nicht unterdrückt.
Einspruch! Ich erhebe Einspruch gegen den widerwärtigen und heuchlerischen
Beitrag des notorischen Hetzer und selbstgerechten Moralprediger Ralph
Giordano, der nicht müde wird sein Gift in Ihrer Zeitung zu verspritzen,
Hass zu predigen, Lügen zu verbreiten und so zu tun, als ob die deutschen
Medien Israel „scharf kritisieren.“ Das Gegenteil ist der Fall. Ich
wünschte, die deutschen Medien würden Israel tatsächlich scharf
kritisieren und nicht mit Glacehandschuhen anfassen und in dicken Lettern
auf der Titelseite schreiben: WIR WEINEN MIT ISRAEL. Wer weint mit den
Opfern der Israelis? Giordano sicherlich nicht.
„Es ist eben widerwärtig zu sehen, wie empfindungslos sich Kreise der
deutschen Öffentlichkeit, Medien und Politik über israelische Opfer
hinwegsetzen“, hieß es in dem Text von Giordano. Umgekehrt wird aber ein
Schuh daraus. Widerwärtig, teilnahmslos und uninteressiert wird sich hier
über palästinensische Opfer hinweggesetzt, die zahlenmäßig das Vielfache
der israelischen Opfer ausmachen.
Diese ewige und immer wieder wiederholten Beschuldigung von „grenzenlos
einseitigen Schuldzuweisungen“ sind auch dann nicht wahr und richtig, wenn
Giordano sie zum hundertsten Mal wiederholt. Wenn bei der deutschen Presse
Einseitigkeit festzustellen ist, dann eher umgekehrt, dass man sich für
die Sache der Palästinenser zu wenig einsetzt. Über israelische Opfer
setzt sich jedenfalls keine deutsche Zeitung hinweg, es sei denn die
Soldatenzeitung. Deshalb ist das Geschrei des selbsternannten Predigers
Giordano hier fehl am Platz, heuchlerisch, verlogen und widerwärtig.
Giordano fragt „warum die gezielte Tötung zweier Männer, die unzählige
gezielte Morde angeordnet haben, schlimmer sein soll, als diese Morde“?
Wenn Giordano und die Redaktion der Jüdischen Allgemeinen das nicht
wissen, dann möchte ich es ihnen in aller Klarheit und Deutlichkeit sagen:
Nein, Herr Giordano, die gezielte Ermordung (nicht Tötung) zweier
palästinensischer Politiker ist in der Tat nicht schlimmer, als die
gezielte Ermordung unschuldiger Männer und Frauen, Kinder und Greise in
irgendeinem x-beliebigen Bus in Israel – sie ist genau so schlimm. Und wer
die Ermordung politischer Führer für richtig, gerecht und moralisch
vertretbar hält, hat das Recht verwirkt andere gezielte Ermordungen zu
verurteilen.
Mord ist Mord. Es gibt keinen moralischen vertretbaren Mord, und wenn es
einen solchen gäbe, dann würde eher die Morde der Palästinenser, die um
ihre Freiheit, Menschenwürde und Unabhängigkeit „morden“ eher darunter
fallen, als die Morde der Israelis, die nur ihre Unterdrückung eines
anderen Volkes, Landraub und Vertreibungen damit erreichen wollen.
Nein, Herr Giordano, die Tötungen der Israelis sind nicht „schlimmer“, als
die Tötungen der Palästinenser – sie sind aber ungerechter, unmoralischer
und widerwärtiger. Sie vergessen auch zu erwähnen, dass diese Morde
immerhin von einer „Demokratie“ in Auftrag gegeben werden. Haben Sie sich
je gefragt was das für eine Demokratie sei, die mit Mord Politik macht und
dutzende Male billigend in Kauf genommen hat, dass unschuldige Männer und
Frauen, Kinder und Greise getötet werden, nur weil man einen „mutmaßlichen
Terroristen“ in einem Häuserblock vermutet.
In einer richtigen Demokratie würde man auf Mutmaßungen nicht einmal einen
Haftbefehl bekommen, geschweige denn die Erlaubnis zu morden.
Sie sind so stolz auf die „Demokratie Israel“ und ich frage mich schon
lange wieso und weshalb. Israel ist nur dann eine stabile Demokratie, wenn
Sie es mit Syrien, Jordanien, Ägypten und Lybien vergleichen. Einen
Vergleich mit europäischen Demokratien würde Israel niemals standhalten.
Israel, ein Land in dem die militärische Führung seit Jahrzehnten nahtlos
nach Beendigung des Jobs bei der Armee in die politische und
wirtschaftliche Führung des Landes hinüberwechselt. Die letzten 4
Ministerpräsidenten (Rabin, Netanjahu, Barak und Sharon) waren hohe
Militärs und sogar Generalstabschefs. Die israelischen Wirtschaftsbosse
sind zum allergrößten Teil ehemalige Generäle. Das einzige, was Israel von
einer Militärjunta unterscheidet sind die Wahlen, die aber in Israel auch
alles andere als demokratisch und korrekt sind. Wir Juden haben keinen
Grund auf die israelische Demokratie stolz zu sein und die Ereignisse der
letzten Monate, Wochen und Tage haben es ganz deutlich gezeigt. Ein
Ministerpräsident Sharon, der in mehreren Korruptionsaffären verwickelt
ist, in denen auch seine Familie und einige seiner Freunde stecken. In
jedem anderen echt demokratischen Staat wäre das schon längst ein Grund
abzudanken, nicht so in Israel.
Wenn aus der linken oder rechten Ecke Israel mit Nazideutschland
verglichen wird, dann schreien Sie zum Himmel und denunzieren die
Übeltäter sofort als verkappte Antisemiten. Sie aber nehmen für sich das
Recht in Anspruch falsche und irreführende Vergleiche zu machen, ohne
dabei auch nur den leisesten Zweifel zu haben.
Wären „zwischen Flensburg und München“ Terrorakte zu beklagen…? Ja Gott
sei Dank sind keine zu beklagen, weil Deutschland eben nicht in einer
ähnlichen Situation wie Israel ist. Deutschland hält keine millionenfache
Bevölkerung in einem tödlichen Würgegriff. Deutschland hält kein anderes
Land besetzt und als es das vor 60 Jahren gemacht hat, da gab es auch
Widerstand, den die Nazis „Terror“ nannten., den aber Giordano und
seinesgleichen nicht müde sind zu verherrlichen und zu loben – und
zurecht.
Sie würden mit Sicherheit die Reaktion auf die Tötung von Heydrich, die
Liquidierung von Lidice, als Völkermord, Verbrechen gegen die Menschheit
etc. bezeichnen. Die Liquidierung von Jenin, oder nur der Altstadt von
Jenin, finden Sie richtig und moralisch vertretbar, weil sich ja dort
einige mutmaßliche Terroristen versteckt hielten.
Und können Sie mir erklären warum Arik Sharon an dessen Händen viel Blut
getöteter arabischer Zivilisten klebt, worauf er auch noch stolz ist, ein
besserer Mensch sein soll, als Arafat, der auch nur um die Freiheit seines
Volkes kämpft, der aber persönlich noch keinen einzigen Juden getötet hat?
„Wollen ungefährdete Deutsche tatsächlich und allen Ernstes die Israelis
besserwisserisch belehren“, fragt dieser Giordano mit einer gespielten
Empörung. Gespielt deshalb, weil es ja nicht wahr ist, weil wir in
Deutschland immer noch weit davon entfernt sind „die Israelis zu belehren“
und gegen israelische Verbrechen die Stimme zu erheben, denn wenn es einer
tun wird, werden sofort die üblichen Moralprediger wie Giordano, Broder
und Friedman wie von der Tarantel gestochen aufspringen und laut
„Antisemitismus“ schreien. Und davor hat man hierzulande Angst wie der
Teufel vor dem Weihwasser.
Andererseits, warum nicht? Warum beklagt Giordano heute, dass nicht genug
Bürger Zivilcourage gezeigt haben und zu Unrecht, Unrecht sagten und zu
Verbrechen, Verbrechen. Dürfen denn Deutsche Israels Politik deshalb nicht
kritisieren, weil sie Deutsche sind und die Israelis Juden? Oder weil sie
„ungefährdet“ sind oder weil man Israels Politik einfach nicht kritisieren
darf?
Thomas Mann hat die Politik der Nazis auch aus einer „ungefährdeten“
Position im Exil kritisiert. Ist seine Kritik deshalb weniger richtig und
wertvoll? Und Giordano selber, sitzt er nicht auch ungefährdet in diesem
Land und verspritzt ungefährdet seinen Gift in allen Richtungen. Nicht
vergessen ist seine Schlagzeile: Ein Gespenst geht um in Europa – das
Gespenst des Antisemitismus. Er hat diese Zeile bei einem anderen Juden
entliehen und wieder wirkungsvoll eingesetzt, nur leider falsch. Wenn aber
Giordano so sehr unter diesem Gespenst leidet, dann soll er doch in das
Land der Juden gehen und vielleicht entdeckt er dort ein anderes Gespenst,
das umgeht. Es ist auch für Giordano leicht und ungefährdet in Köln zu
sitzen und von Sachen zu schreiben, von denen er keine Ahnung hat, die er
nicht versteht und die ihn nicht angehen.
Giordano sieht nur positives in Israel und Israels Politik und ärgert sich
über Kritik an dieser Politik so sehr, dass er den Kritikern niedere und
finstere Motive unterstellt. Seine verabscheuungswürdigen Unterstellungen
gehen so weit, dass er sogar seine Verachtung vor Israelis und solchen
Juden nicht unterdrücken kann, die zurecht und aus patriotischen Motiven
eine andere Meinung haben.
Und schließlich seine rassistischen Ausfälle gegen die Araber und die
arabische Welt.
Giordano schreibt: „Nicht von Israel aus würden große Schatten über das
21. Jahrhundert fallen, sondern von Seiten der 22 arabischen Staaten.“
Haben denn die Araber sechzig Prozent des israelischen Staatsgebietes
völkerrechtswidrig annektiert? Greifen die Palästinenser Israel mit Panzer
und Kampfhubschrauber an? Sprengen die Palästinenser in Israel Häuser,
roden Olivenhaine und machen Israel systematisch unbewohnbar? Hier werden
doch die Tatsachen geradezu auf den Kopf gestellt.
Als Begründung für seine falsch und widerwärtige Behauptung führt er nicht
die oben erwähnten Untaten an, sondern die lächerliche, primitive und
banale Feststellung, dass „in der arabischen Gesellschaft die Frauen und
damit die Hälfte der Bevölkerung so gut wie rechtlos sind.“ Wieso und
weshalb die uralte Tatsache die Welt bedroht verrät er uns allerdings
nicht. Von der weitaus gefährlicheren Bedrohung, die „ihren Schatten auf
das 21. Jahrhundert wirft, der israelischen Atombombe, sagt er kein Wort.
Und woher nimmt sich dieser selbsternannte Moralist das Recht die
arabische Welt in ihrer Wertstellung, Gesellschaftsordnung und Moralität
so zu verurteilen, voller Hass, Verachtung und Häme. Es waren schließlich
die Europäer, die die arabische Welt jahrhundertelang unterdrückt,
ausgebeutet und ausgeplündert haben. Es waren die Europäer, die die
arabische Welt in der selben Unordnung zurückgelassen haben, wie sie es in
Asien und Afrika gemacht haben. Viele Konflikte in diesen Teilen der Welt
sind auf den europäischen Kolonialismus zurückzuführen und da könnten
diese 22 arabischen Staaten, die von den Europäern nicht immer nur
Demokratie, Humanität und Gerechtigkeit gelernt hatten, auf solche dumme,
hasserfüllte, arrogante und überhebliche Vorurteile und Ratschläge gut
verzichten, zumal die Schatten von denen Giordano spricht, eben erst auf
die gesamte westliche Welt gefallen sind durch die
Menschenrechtverletzungen und Verbrechen der USA-Soldaten, die im Irak
verübt worden sind. All das unter dem Vorwand den Iraker Zivilisation,
Demokratie, Recht und Freiheit näher zu bringen. Dabei war der Irak schon
eine hoch zivilisierte Region, als es die USA noch gar nicht gegeben hat.
Und was die Anpassung an die Moderne betrifft, so ist mir Tradition lieber
als diese verlogene Selbstgerechtigkeit, die man leider auch bei den
Israelis vorfindet. Auch in israelischen Gefängnissen wird gefoltert,
gedemütigt und schließlich ermordet. Wenn Herr Giordano sich darüber
informieren will muss er nichteinmal nach Israel fliegen. Er kann sich die
in deutsch vorliegenden Bücher von Felicia Langer vornehmen, sie lesen
vielleicht öffnet es ihm auch das eine oder andere Auge.
Giordano beklagt dass die Frauen in der arabischen Welt so gut wie
rechtlos sind. Dazu nur folgendes: Erstens, er kennt die arabische Welt
nicht und weiß nicht was er da sagt; zweitens, als ob die Frauen in der
westlichen Welt schon überall die Gleichberechtigung haben. Und drittens,
als ob nicht auch große Teile der israelischen Gesellschaft rechtlos
seien, Menschenrechte dort unbekannt sind und für dieses Übel auch noch
die Opfer verantwortlich gemacht würden.
Alles in allem: Herr Giordano sollte öfters mal in den Spiegel schauen und
feststellen ob sein Menschenantlitz noch vorhanden ist. In seinem Buch
„Menschen von Sodom“ schreibt der israelische Autor Ehud Ben-Ezer: Es ist
besser sein Menschenantlitz im Tode zu bewahren als es im Leben zu
verlieren. An diesen Worten dürfen sich heute viele Israelis erinnern,
wenn sie zB an einer Straßensperre mit ansehen müssen, wie israelische
Soldaten arabische Zivilisten behandeln. Die Soldaten wollen den
Palästinensern die Menschenwürde nehmen und sie mit Füßen treten oder, wie
eben auch geschehen, von oben herab bepinkeln. Leider merken sie nicht,
dass sie dabei nur ihre eigene Würde verlieren und dabei die Würde der
ganzen israelischen Nation. Das Problem, vor dem heute die Amerikaner
stehen, ist schon seit vielen Jahren auch das Problem vor dem Israel
steht. Es hat den Palästinensern nicht nur Land geraubt sondern versucht
permanent seit mehr als fünf Jahrzehnten auch die palästinensische
Identität zu zerstören und zu vernichten in der Hoffnung, die
Palästinenser würden bald aufstehen und ihre Heimat verlassen.
Giordano und in der letzten Ausgabe der Jüdischen Allgemeinen sogar auch
Helmut Karasek stellen die Welt auf den Kopf, wenn sie in Arik Sharon
einen umsichtigen und weitsichtigen Politiker sehen, der nun bereit war
den Gazastreifen einseitig zu räumen und es der arabischen Autonomie zu
überlassen. Sie vergessen aber zu erwähnen, dass Punkt zwei dieses
perfiden Planes der war, dafür auf der anderen Seite die israelischen
Siedlungen in der Westbank auf alle Ewigkeit zu zementieren, wofür Bush
kurzfristig seine Zustimmung gab und diese, nachdem er von allen Seiten
zurecht geprügelt worden ist, nun zurückgenommen hat. Sharon wird gelobt
dafür, dass er für eine „strikte Teilung“ ist, die in der Tat zur Zeit die
einzige realistische Aussicht ist. Nur, Sharon will bei dieser Gelegenheit
weitere große Teile der Westbank annektieren und damit wieder jede Menge
Land rauben, am liebsten mit Zustimmung der amerikanischen Regierung, die
ihm aber jetzt, in letzter Minute, doch verweigert wurde. Da schreibt
Karasek von der „Machtverschlagenheit“ von Arafat und dabei ist Sharon der
alte, verschlagene Fuchs, der konsequent seinen Weg geht mit dem Ziel
eines Großisrael, vom Mittelmeer bis zum Jordan, koste es was es wolle.
Das Ziel einer ethnischen Säuberung, die in Israel immer noch „Transfer“
genannt wird, ist immer noch auf Sharons Agenda und das wird hier in
Europa von vielen übersehen.
Sharon ist nicht bereit Opfer zu bringen. Die Räumung des Gazastreifen ist
für Sharon kein „Opfer“, zumal man überhaupt sich fragen muss, und
vielleicht auch Herrn Karasek, wieso die Rückgabe von geraubten, eroberten
Land, das einem weder in der nahen noch in der früheren Vergangenheit je
gehört hat, ein „Opfer“ bedeutet?
Und als ob das nicht genug sei, meint Karasek, dass erst jetzt, nachdem
die Partei ihrem Führer Sharon die Gefolgschaft verweigert hat, klar wird,
wie viel Sharon und mit ihm George W. Bush auch den Israelis zumutet.
Keiner, weder Karasek noch Giordano noch Herr Fischer und wie sie alle
heißen, fragt sich, wie viel Sharon und George W. Bush den Palästinensern
zumutet, um deren Land und Leben es schließlich geht.
„Grenzenlos einseitig“ sind demnach Giordano und andere gute Menschen, die
es gut mit uns Juden meinen und uns am liebsten in Watte einpacken würden
und einer Schublade verschließen auf nimmer wieder sehen.
Abraham Melzer
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