Die
Illusion von Etzion
Gershom Gorenberg,
Haaretz, 29.9.08
Geschichte – die
Geschichte, von der jeder meint, er kenne sie –
führt uns in die Irre. Nehmen wir nur die Geschichte
von Kfar Ezion, der ersten israelischen Siedlung in
der Westbank, die in dieser Woche vor 41 Jahren
errichtet wurde.
Im israelischen
Bewusstsein hat Kfar Etzion eine doppelte Rolle
gespielt. Auf der einen Seite war es die eigentliche
„Konsens-Siedlung“. Schließlich kehrten die Siedler
an den Ort eines Kibbuzes zurück, der am Vorabend
von Israels Unabhängigkeit mit dem Etzion-Block (
von jordanischen Militär) überrannt worden war.
Sogar alte Gegner der Siedlungen in den besetzten
Gebieten zucken mit den Schultern, lächeln und sagen
„mit dem Etzion Block ist es etwas anderes“.
Auf der andern Seite
wird Kfar Etzion als der Anfang der religiösen,
messianischen Siedlerbewegung angesehen. In der
Geschichte, die von Unterstützern genau so wie von
Gegnern jener Bewegung akzeptiert wird, hatte eine
Gruppe junger religiöser Juden Levi Eshkols
zögerlicher Regierung ihren Willen aufgezwungen.
Und das war wie ein Omen für das, was kommen sollte.
Aber dieses
Einverständnis der Rückkehr nach Kfar Ezion beruht
auf Irrtümern und Täuschungen. Die Kfar
Etzions-Siedler hatten Levy Eshkol nicht besiegt –
sie haben bei ihm nur eine offene Türe eingerannt.
Wie Dokumente aus dem
Archiv bezeugen, argumentierte Eshkol im Sommer
1967 mit sich selbst und entschied dann
selbstsicher, die Siedlung Kfar Etzion voran zu
bringen. Als er in jenem Juli ein äußerst geheimes
Memorandum über Optionen für die Zukunft der
Westbank erhielt, schrieb er nur einen Kommentar an
den Rand – es betraf den Etzion Block und Beit Ha
Arava, einen Kibbuz, der 1948 verlassen wurde.
Eshkol, der Veteran der
Labor-zionistischen Besiedlung, war daran
interessiert, verlorene Kibbuzim wieder zu
errichten. Im September erhielt er - anscheinend
auf seine Bitte hin - von der jüdischen Agentur
einen Bericht über die wirtschaftliche Basis einer
Siedlung im Etzion Block. Unterdessen erbat er sich
ein geheimes Gutachten über die legalen Aspekte des
Siedlungsbaus in den besetzten Gebieten, besonders
in dem Gebiet von Etzion. Ein paar Tage später
informierte er das Kabinett, dass er Nachkommen der
ursprünglichen Etzion Block Bewohner das Siedeln
dort genehmigt habe.
Die Überlebenden des
Etzion Blocks und ihre Kinder wussten nichts davon.
Sie sahen seine Entscheidung als Reaktion auf ihren
Druck an. Aber das Gedächtnis säkularer Politiker,
die von den Siedlern getrieben werden, verbergen die
Partnerschaft, die sich zwischen ihnen tatsächlich
entwickelt hat.
Was das rechtliche
Gutachten betrifft: es war vom Rechtsberater des
Außenministeriums, Theodor Meron, einem
Holocaustüberlebenden mit einem Doktorat über
Völkerrecht von Harvard, geschrieben worden. Meron
war der Spitzenexperte der Regierung auf diesem
Gebiet. Zehn Jahre später nahm er eine akademische
Berufung in die USA an und wurde ein weltweit
anerkannter Völkerrechtler. Heute ist er Richter am
International Criminal Tribunal für das frühere
Jugoslawien.
Sein Status gibt seinen
Worten, die er vor 41 Jahren schrieb, besonderes
Gewicht: „Meine Schlussfolgerung ist die, dass
zivile Siedlungen in den verwalteten (besetzten)
Gebieten den expliziten Bestimmungen der Vierten
Genfer Konvention wiedersprechen.“
Einfach ausgedrückt:
Meron machte im voraus darauf aufmerksam, dass
Siedlungen in den (besetzten) Gebieten illegal sind.
Die Behauptung, dass die Westbank kein „normal“
besetztes Gebiet sei, würde international nicht
anerkannt werden, schrieb er. Andrerseits sagt er,
dass „Siedlungen für Militär“, die einen
vorübergehenden, also nicht dauerhaften Charakter
haben“ erlaubt seien.
Eshkol nutzte diese
Möglichkeit aus. Der Öffentlichkeit und Israels
Vertretern bei den UN wurde gesagt, dass Kfar Etzion
ein Außenposten des Militärs – des Nahal - werden
wird, ein militärischer Ableger, der Armeedienst mit
Siedlungstraining kombiniert.
Eine geheime
Militärorder vom 27. September 1967, dem Tag an dem
die Siedlung gegründet wurde, besagt, dass die
Verbindung zwischen Kfar Etzion und Nahal ein
„Vorwand wegen der diplomatischen Schlacht“ sei,
aber „es gebe keine Absicht, praktische Schritte in
dieser Richtung durch die IDF zu unternehmen“. Dies
war Täuschung, unter Ordern ausgeführt, um die
Verletzung des Völkerrechts zu verbergen.
Aber die größte
Selbsttäuschung betraf die Emotionen, die die
Entscheidung antrieb, den Etzion-Block wieder zu
besiedeln und so einen Konsens zu schaffen, der dies
unterstützte. Es gab das Gefühl, dass jene, die ihr
Heim verloren haben, wieder zurückkehren müssen.
Siedlungen, die aufgegeben werden mussten und im
nationalen Gedächtnis eingeprägt waren, mussten
wieder errichtet werden. Wenn die Flüchtlinge selbst
oder ihre Nachfahren nicht daran interessiert waren,
zurückzugehen, dann würden andere Juden an ihrer
Stelle „zurückkehren“.
Mit andern Worten: das
Recht auf Rückkehr für die 1948er-Flüchtlinge wurde
als Selbstverständlichkeit genommen - wenn die
Flüchtlinge Juden waren. Das wurde eine
diplomatische Position. Bei Verhandlungen würde kein
israelischer Vertreter davon träumen, den
Etzion-Block aufzugeben. Die arabische Seite wird
unsere emotionalen Verbindungen zu diesem Ort
akzeptieren müssen. Dies ist ein rührseliges und
gefährliches, strategisches Denken. Gibt es nicht
eine größere Torheit als die, dass Israel darauf
besteht die Akten von 1948 wieder zu öffnen und alle
Flüchtlinge ( auch die palästinensischen ? ER)
wieder zu ihren Häusern zurückkehren zu lassen?
Die wirkliche
Geschichte von Kfar Etzion ist eine Geschichte von
Kollaboration zwischen Siedlern und einer
politischen Führung, die die Siedlungen als heiligen
Wert ansahen. Es ist eine Geschichte der Täuschung,
der bewussten Illegalität und einem verfehlten
politischen Denken. Und auf diese Weise war es
tatsächlich ein böses Omen für das, was kommen
sollte.
Gershom
Gorenberg ist der Autor von „The Accidental Empire:
Israel and the Birth of the Settlements, 1967-
1977,
( zu empfehlen ist
noch das Buch von Idith Zertal/ Akiva Eldar: „Die
Herren des Landes – Israel und die Siedlungen seit
1967“ (2007) ER)
(dt. Ellen Rohlfs)
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