o

Das Palästina Portal

Täglich neu - Nachrichten aus dem, über das besetzte Palästina - Information statt Propaganda

 Kurznachrichten  -  Archiv  -  Themen  -  Linksammlung -   Facebook  -  Veranstaltungen  - Sponsern Sie  - Suchen

 

 


Die zerstörerische Gewalt
der fünfzigjährigen israelischen Besatzung


Felicia Langer

Die israelische Besatzung der palästinensischen Gebiete seit dem so genannten Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967 hat das Leben von Millionen Palästinensern geändert. Auch mein eigenes Leben. Als Zeitzeugin und Augenzeugin habe ich zu helfen versucht, leider meist vergebens. Die israelischen Verbrechen wie Folterungen, willkürliche Verhaftungen in großem Stil, Administrativhaft, Deportationen, Enteignung von Land, Zerstörung von Häusern und Hab und Gut habe ich miterlebt und in meinen Büchern beschrieben, um diese Informationen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Bei meinen Lesungen habe ich allzu erlebt, dass Menschen zu mir kamen und sagten: „Das haben wir nicht gewusst!“

Die Neuauflage meines Buches „Mit eigenen Augen“, 2016 beim Cosmics Verlag erschienen, trägt den Untertitel „Israel hat den Palästinensern Land, Freiheit und Würde geraubt“. Das ist das Fazit der letzten 50 Jahre der israelischen Besatzung. – Zu den einschneidendsten gewaltsamen Übergriffen in das Leben palästinensischer Familien zählt die Zerstörung ihres Hauses, sei es dass es ohne Genehmigung gebaut wurde, weil diese nicht zu erhalten war, oder dass einem Familienmitglied die Beteiligung an einem Attentat vorgeworden wird. In diesem Fall stellt die Zerstörung eine völkerrechtswidrige Kollektivstrafe dar. Die israelische Nichtregierungsorganisation „Das israelische Komitee gegen Häuserzerstörungen“ (ICAHD), schätzt, dass seit 1967 bis heute 48.488 palästinensische Häuser zerstört worden sind. (Die Zahl der amtlich zugestellten Abrissbescheide, die jederzeit zur Vollstreckung kommen können ist dabei nicht erfasst.) Das ist eine erschreckende Zahl, vor allem, wenn man sich aus eigener Erfahrung die Geschichte vorstellen kann, die hinter der Nachricht steckt, israelische Behörden haben ein palästinensisches Haus zerstört. Mich erschüttert eine solche Nachricht bis heute zutiefst und ich möchte deshalb aus meinen ersten Erfahrungen mit Häuserzerstörungen zitieren (Zorn und Hoffnung, Seite 92 und 93):

Haus in den Blumen

Tausende von Häusern wurden seit jenem Tag im Jahre 1968 in die Luft gesprengt, an dem ich auf dem Hügel stand, der sich in Nablus neben den Ruinen des kleinen Hauses von Hamsi Tukan erhebt. Es war ein schönes geräumiges Haus mit Blumenbeeten an beiden Seiten der Stufen, die zum Haus hinaufführten. Der alte Tukan deutete auf die Trümmerhaufen dessen, was vor wenigen Tagen noch sein Haus gewesen war. Die gepflegten Blumenbeete waren von Betonbrocken zermalmt, und nur hier und da waren noch ein paar verwelkte Blumen zu erspähen. Er sinnierte darüber, was ihm angetan worden war, und wir blickten auf das Werk einer perfiden Bestrafung, die aufgrund von Vergehen erfolgte, die Tukans verhaftetem Sohn zugeschrieben wurden. Wir ahnten damals nicht, dass diese Maßnahme später vom Obersten Gericht legalisiert werden sollte.  

Ich verspürte den übermächtigen Drang, Tukan zu sagen, dass dies nicht das einzige Gesicht meines Volkes sei. So entstand die erste Spalte „Aus meinem Tagebuch“, die in „Zo Haderech“ und in „Al Ittihad“ unter dem Titel „An meinen Bruder Hamsi Tukan“ veröffentlicht wurde. Der Tag würde kommen, an dem Tukan ein neues Haus bauen und wieder Blumen pflanzen könnte, die in allen Farben blühen würden.

Einige Tage nach der Veröffentlichung, als ich gegen Abend nach Hause zurückkehrte, hörte ich plötzlich ein Geschrei aus dem gegenüberliegenden Haus, das, als ich bereits zu meiner Wohnung hinaufging, immer lauter wurde.

„Da schau sie an, dieses Miststück, diese Verräterin! Dieser dreckige Araber ist ihr Bruder! Soll sie doch zu ihm nach Nablus gehen, wir brauchen sie hier nicht!“

Das Schreien lockte die Nachbarn auf ihre Balkone, und wenn jemand noch nicht gewusst hatte, wovon die Rede war, so erhielt er von der schreienden Nachbarin und ihrem Mann, der sie dabei unterstützte, Aufklärung: „Sie schreibt, dass dieser Terrorist aus Nablus ihr Bruder ist, und nennt sich auch noch Jüdin!“

Ich trat mit Michael, der ganz blass vor Aufregung war, auf den Balkon hinaus. Die Gesichter meiner Nachbarn waren verzerrt, wie ich es noch nie gesehen hatte. Ich versuchte, etwas zu sagen, aber meine Worte gingen in der Flut von Beschimpfungen und den hysterischen Schreien unter.

„Verschwinde aus diesem Haus“, brüllten sie, „wir dulden nicht, dass due hier wohnst! Möchtest du, dass wir diesem Araber Blumen pflanzen? Du kannst solche wie die hier auf deinem Grab haben!“

Und sie zeigten auf die gepflegten Beete in meinem Hofanteil. Manche Nachbarn stimmten in die Beschimpfungen mit ein, manche schauten nur zu und lauschten. Niemand intervenierte zu meinen Gunsten.

Die ganzen Jahre hindurch wurden alle meine Bewegungen von durch bohrenden, hasserfüllten Blicken begleitet, hin und wieder fiel auch ein Fluch. Und ich ging mit demonstrativ hocherhobenem Kopf vorbei, obwohl sich jedesmal etwas in meinem Inneren zusammenzog. Wenn ich Glück hatte, begegnete ich auch der Clique von Jugendlichen nicht, die immer, wenn ich an ihnen vorbeiging, in meine Richtung spuckten.

1968 besuchte ich auf meiner Reise nach Israel und Ost-Jerusalem auch den palästinensischen Schriftsteller und Dichter Mahmud Shukeiri. Wir hatten eine „gemeinsame Vergangenheit“, insofern wir 1975 gemeinsam daran scheiterten, seine Deportation aus seiner Heimat zu verhindern. Erst 1994, nach vielen Jahren Exils in Jordanien, durfte er in seine Heimat zurückkehren. In „Lasst uns wie Menschen leben“ Schein und Wirklichkeit in Palästina beschreibe ich unser Treffen (Seite 68):

Er begann mir zu erzählen, wie im Mai 1995 das Haus seiner Schwester in Djebel Mukaber zerstört worden war. Das Haus, eigentlich ein Anbau zu einem bestehenden Haus, war 1993 vor der Zerstörung erbaut worden, nachdem sich die Familie vergrößert hatte.

Die Stadtverwaltung erteilt den arabischen Bewohnern keine Baugenehmigungen, denn man hat beschlossen, dass dies eine Grünfläche sei. Die Grünfläche ist allerdings keine Grünfläche mehr, sobald man sie zum Bau einer Siedlung nutzen will. Für einen Palästinenser ist es ein nahezu unmögliches Unterfangen, eine Baugenehmigung zu erhalten, und daher bauen die Leute aus purer Verzweiflung ohne Genehmigung.

Der damalige Bürgermeister Ehud Olmert versprach, so wurde gesagt, dass ein Anbau an ein bestehendes Gebäude abgerissen werde, er sei sich der Wohnungsnot bei uns bewusst.

Ich werde dir nichts über die juristischen Schritte erzählen, Felicia, die mein Schwager und meine Schwester unternahmen, um den Abriss zu verhindern, sondern nur über den Tag sprechen, an dem der Bulldozer kam, der zuerst ein paar Olivenbäume entwurzelte, um an das Haus heranzukommen, und wie er dann sein Werk der Zerstörung begann. Mein Schwager war nicht zu Hause. Sein Sohn versuchte, den Vorgang zu fotografieren. Die Soldaten vom Grenzschutz verprügelten ihn und zerbrachen seine Kamera. Er war verletzt, die Nachbarn brachten ihn ins Krankenhaus.

Meine Schwester alarmierte mich per Telefon. Ich kam hin, war sehr erregt, aber hilflos. Das Gebiet war völlig umzingelt von den Grenzschutztruppen, um jede Art von Unterstützung oder Solidaritätsäußerung zu unterbinden.

Am gleichen Tag zerstörten sie noch ein Haus in der Gegend. Wenn du wüsstest, wie zornig diese geknebelten Menschen sind, dass man sie stranguliert, während sie die nahegelegene jüdische Siedlung Armon Hanaziv blühen sehen. Obwohl auch wir Steuern zahlen, erhalten wir die schlechtesten Dienstleistungen und die Siedlungen den besten Service!“

 

Ich habe in meinem Buch „Quo vadis Israel?“ Die neue Intifada der Palästinenser  (2001) über die israelische Praxis der Zerstörung von palästinensischen Häusern geschrieben:

Die zerstörenden Hände

Ich verfüge über eine große und traurige Erfahrung über die israelische Praxis der Zerstörung von palästinensischen Häusern, die ohne amtliche Erlaubnis in den besetzten Gebieten gebaut worden sind. Ich führte lange, vergebliche Prozesse, um für Palästinenser eine Genehmigung zu erstreiten, auf ihrem eigenen Land ein Haus bauen zu dürfen. Daher kenne ich die grausame Methode sehr gut, die palästinensische Bevölkerung zu strangulieren, indem man die wachsenden Familien daran hindert, mehr Platz zum Wohnen zu erhalten. Die palästinensische Zeitung „Peoples Rights“ veröffentlichte eine Untersuchung von Kiran Young und Uda Walker über die Auswirkungen der Häuserzerstörung auf palästinensische Kinder. In ihr wird auch die israelische Politik der Verweigerung von Genehmigungen erklärt:

„In den meisten Gesellschaften gibt es Gesetze, welche die Bautätigkeit und die Vergrößerung von privatem Eigentum regeln. In vielen Ländern verlangt man von den Hausbesitzern, dass sie für den Ausbau und Neubau Genehmigungen einholen. In Israel verhält sich das nicht anders. Das Bauen ohne Genehmigung ist nach israelischem Recht in der Tat illegal. Wenn man sich jedoch die Gesetze näher ansieht, dann wird deutlich, dass diese Gesetze absichtlich manipuliert worden sind, um das palästinensische Bauen und das natürliche Wachstum (der Bevölkerung) einzuschränken.

Fast alle palästinensischen Häuser, die zerstört worden sind oder bei denen eine Anordnung zur Zerstörung droht, liegen in der Nähe von illegalen israelischen Siedlungen, nicht weit von  Umgehungsstraßen, unweit der ‚Grünen Grenze‘ (die Israel vom Westjordanland trennt) oder in der Nähe von israelischen Militäreinrichtungen. Manche liegen auf dem Weg geplanter Umgehungstraßen und auf Land, das für die Erweiterung einer Siedlung vorgesehen ist. Einige (palästinensische) Häuser wurden auf einem Landareal gebaut, das Israel als ‚Staatsland‘ , als ‚Grünes Gebiet‘ oder aber als Land gekennzeichnet hat, das keiner Zone angehört, oder als Land, das für die Landwirtschaftszone vorgesehen ist, oder als Land, das Zwecken der Sicherheit dient. Will ein Palästinenser ein Haus in einem dieser Gebiete bauen, wird man ihm eine Genehmigung verweigern. (…) Letztendlich bleibt den Palästinensern keine andere Wahl, als illegal zu bauen, um dem Bevölkerungswachstum Herr zu werden.

Palästinensische Kinder erleben nicht selten, dass ihre Eltern oder andere Familienmitglieder von israelischen Soldaten oder der Polizei geschlagen werden, weil sie sich der Zerstörung ihres Hauses widersetzen. In vielen Fällen werden Familienmitglieder verhaftet und angeklagt. Oft werden die Spielsachen der Kinder und ihre persönlicher Besitz unter den Trümmern begraben. Plötzlich verändert sich ihr ganzes Leben, die Sicherheit und Zuflucht des Hauses gibt es nicht mehr, ja, es gibt auf einmal nicht mal mehr ein Dach über ihrem Kopf…“

Die Lage der Palästinenser hat sich während all der letzten Jahre bis heutzutage nicht verbessert. Im Gegenteil, nicht nur das natürliche Wachstum der Ortschaften, das bei israelischen Siedlungen immer als Grund für Erweiterung angeführt wird, wird massiv eingeschränkt, sondern auch der Zugang zu den landwirtschaftlich genutzten Flächen, dabei bildet Landwirtschaft immer noch die Lebensgrundlage für einen Großteil der palästinensischen Bevölkerung. Dagegen wachsen und gedeihen die israelischen Siedlungen, auf palästinensischem Boden gebaut, die nach dem Völkerrecht illegal sind.

 Die Palästinenser leiden nunmehr seit fast fünfzig Jahren unter der völkerrechtswidrigen israelischen Besatzung und die zerstörerische Gewalt dieser Besatzung gegen das palästinensische Volk nimmt nicht ab,  sondern ist weiter voll im Gange. – Und die Welt schweigt…

Wie lange noch?   

 

 

 

Start | oben

Mail           Impressum           Haftungsausschluss           KONTAKT      Datenschutzerklärung          arendt art