TRANSLATE
Warum ich nach Gaza segle
Max Suchan , PSP-Aktivist Palestine Solidarity
Project, 30.Juni 2011
In den letzten Monaten fragten mich meine Familie und
Freunde, warum ich an der Freedom Flotilla als Passagier auf dem US-Boot
– Audacity of Hope – teilnehmen möchte. Ein Teil dieser Initiative -
40 von uns - haben sich in Athen in der Hoffnung versammelt, in den
nächsten Tagen nach Gaza zu segeln, um die israelische Seeblockade
herauszufordern. Wir werden uns mit zehn Booten in internationalen
Gewässern mit Hunderten von Passagieren aus 22 Ländern aus aller Welt
treffen. Die 2. Freedom-Flotilla kommt nach etwas über einem Jahr, (als
israelische Kommandoeinheiten acht türkische und einen
türkisch-amerikanischen Aktivisten töteten), als sie versuchten, mit
humanitärer Hilfe an Bord der Mavi Marmara nach Gaza zu bringen, aber
noch 70 Seemeilen von Gaza Hafen entfernt waren.
Ich habe keine Zweifel, dass wir vom israelischen
Militär aufgehalten werden, das gedroht hat, unsere Schiffe mit
Scharfschützen, Hunden und Wasserkanonen anzugreifen. Ich erwarte auch,
dass wenn wir von Bord gehen, dass wir verhaftet. ins Gefängnis kommen
und in die USA deportiert werden. Angesichts dieser Risiken wollen
viele, die mir nahe stehen, wissen, warum wir trotzdem fahren wollen.
Ich fahre, weil die Menschen Palästinas das Recht
haben, über ihre eigene Zukunft zu entscheiden: frei von militärischer
Besatzung, wirtschaftlicher Kontrolle und ihnen auferlegten
Einschränkungen. Ich fahre, weil die israelische Blockade der Küste
Gazas Teil einer Belagerung des am dichtesten bevölkerten Gebietes der
Welt ist, in dem Israel die Küste, den Luftraum und die Grenzübergänge
kontrolliert, die Wirtschaft lahm legt und den Gazastreifen tatsächlich
in ein Open-Air-Gefängnis verwandelt. Diese Belagerung kann nur als ein
Akt kollektiver Strafe verstanden werden, die nach dem Völkerrecht und
der Vierten Genfer Konvention verboten ist. Ich fahre auch, weil ich ein
Amerikaner bin, dem schmerzhaft bewusst ist, dass meine Regierung die
Besatzung finanziert und direkt Israels Politik unterstützt, die dahin
ausgerichtet ist, den Palästinensern ihre zivilen Grundrechte zu nehmen.
Wo unsere Regierung versagt hat, gerecht zu handeln,
müssen gewöhnliche Menschen – wie wir - aufstehen und in die Bresche
springen.
Ich fahre auch deshalb, weil sich das Blatt gewendet
hat, und wir als Amerikaner wieder eine kostbare Gelegenheit haben , uns
rund um die Welt denen anzuschließen, die gegen Unterdrückung sind. Ich
bin von dem Geist von Tahrir , dem von Majdal As-Shams und dem
Volksaufstand gegen autoritäre Regime in Tunesien, Jemen, Bahrain,
Syrien und anderswo inspiriert worden, als gewöhnliche Leute den Mut
hatten, über die Grenzen hinweg ihr Schicksal in die eigenen Hände zu
nehmen. Ich habe diesen Geist auch hier in Athen gespürt.
Ich bin nie im Gazastreifen gewesen, aber ich habe
länger als ein Jahr in der besetzten Westbank verbracht, um
palästinensischen Gemeinden beim Organisieren von unbewaffnetem
allgemeinem Widerstand gegen die Besatzung zu unterstützen. Während die
Palästinenser in der Westbank und in Gaza geographisch getrennt sein
mögen, heißen sie ein volles Spektrum politischer Überzeugungen für gut
wie jedes andere Volk auf der Welt; sie betrachten sich als ein Teil
desselben Kampfes für nationale Freiheit. Ich fahre auch deshalb, weil
ich weiß, dass ich als Amerikaner einen besseren Zugang zu
grundsätzlichen Rechten und Ressourcen habe, die den unter Besatzung
lebenden Palästinenser verweigert werden. Ich hoffe wir können unsere
Stimmen benützen, um den Medien die Erfahrungen der normalen
Palästinenser in Gaza und anderswo zu übermitteln, da wir wissen, dass
ihr Narrativ routinemäßig ignoriert und marginalisiert worden ist.
Ich fahre für Ahmed Nasser Samouni, der etwa 11 Jahre
alt war, im selben Alter wie meine jüngere Schwester, als er schwer
verletzt wurde und der größte Teil seiner Familie durch israelisches
Militär während des brutalen Angriffs auf Gaza getötet wurde.( Operation
Cast Lead Ende 2008/Anfang 2009). Reema Abu Lafi, eine der
Krankenschwestern, die ihn im Al-Quds-Krankenhaus in Gaza pflegte,
erzählte sein Martyrium:
„Eins der Kinder der Samouni-Familie Ahmed Nasser, 10
oder 11 Jahre alt, kam in einem sehr schlechten Zustand am 6. Januar zu
uns ins Al-Quds-Krankenhaus. Er war in die Brust geschossen worden und
benötigte test tubs (?). Er erzählte uns, dass die ganze große
Familie von Soldaten in einen Raum gesperrt wurde. Als Raketen dann das
Haus trafen, wurde der größte Teil der Familie getötet. Ahmeds Vater
lebte noch, aber seine Mutter, Schwestern und der Bruder waren alle tot.
Ahmed blieb mit den Toten seiner Familie vier Tage zusammen, bis er
gefunden und hierher gebracht wurde. Das erste, worum er bat, war Brot
und Wasser. Viele Familienmitglieder werden noch vermisst ….“
Während dieser drei Wochen des Angriffes wurden 1400
Palästinenser getötet, Tausende von Häusern zerstört, die
wirtschaftliche und zivile Infrastruktur absichtlich in diesem
Zermürbungskrieg zerstört. Ich fahre, weil ich als Amerikaner weiß, dass
meine Steuergelder die Waffen bezahlt haben, die für soviel Zerstörung
und Tod verantwortlich sind.
Ich fahre auch für Yousef Ikhlayl, einem Jugendlichen
aus dem Dorf Beit Ommar in der südlichen Westbank. Yousef war gerade 17,
als er von israelischen Siedlern ermordet wurde, als er am 28.Januar
2011 auf dem Land seiner Familie arbeitete. Ich hatte Yousef bei
mehreren Gelegenheiten getroffen, da er am Programm des „Zentrums für
Freiheit und Gerechtigkeit“ teilnahm, einem Dorfzentrum, das die
Gemeinde ermächtigt, gewaltfreien Kampf gegen die Besatzung zu
organisieren. Yousef war auch ein begeisterter Teilnehmer am Fotokurs,
bei dem ich bei mehreren Gelegenheiten zu übersetzen half. Die Siedler,
die ihn töteten, nahmen keine Rücksicht auf seine Menschlichkeit und bis
heute ist keiner seiner Mörder von israelischen Behörden strafrechtlich
verfolgt worden. Ich hoffe, wenn ich fahre, dass ich mehr Möglichkeiten
habe, in den USA auch mehr Leute zu erreichen und mit ihnen die
Geschichte von Yousef zu teilen …
Ich fahre, weil die Risiken, denen ich ausgesetzt
bin, nichts sind, verglichen mit dem, was ein durchschnittlicher
Palästinenser in Gaza , der Westbank und anderswo täglich durchmachen
muss. Palästinenser mit ihrer Geduld und Durchhaltevermögen sind die
wahren Helden. Und ich bin sicher, genau wie andere ihre Unterdrückung
vorher überwunden haben, dass auch sie eines Tages Erfolg haben, die
Besatzung zu besiegen. Global wächst die Zeit für mehr Gerechtigkeit –
und für uns wird es Zeit an Bord zu gehen.
Max Suchan ist seit langer Zeit ein
freiwilliger beim Palästina Solidaritäts Projekt.
(Das amerikanische Schiff wurde in einem
griechischen Hafen auf israelischen Druck hin festgehalten. Die
Teilnehmer sind nach drei Wochen in die USA zurückgeflogen, die
Besitzerin, eine kanadische Jüdin, und der Kapitän wurden verhaftet ER)
(dt. Ellen Rohlfs)
|