Innerhalb Israels Gefängnissen – ein Schrei nach Gerechtigkeit
Jesse
Rosenfeld
Mitten
im wachsenden Medienfieber über einen möglichen Gefangenenaustausch, bei
dem es um die Entlassung von Gilad Shalit, den israelischen Soldaten
geht, der von der Hamas festgehalten wird, hat ein anderer junger
Gefangener ein weniger öffentliches Profil – personifiziert aber
Israels Unterdrückung palästinensischer Selbstdarstellung.
Mohammad Othman, 33 aus dem Westbankort Yayous und ein Aktivist der
palästinensischen Grassroot-Organisation Stop the Wall wurde am
22. September an der Allenbybrücke, von Jordanien kommend, verhaftet. Er
war auf dem Weg nach Hause, nachdem er bei einer Konferenz in Norwegen
war, wo er sich mit Unterstützern der globalen Bewegung Boykott,
Divestment und Sanktionen (BDS) traf. Adameer, die palästinensische
Menschenrechts-organisation für die Gefangenen, ist der Überzeugung,
dass seine Verhaftung eine Folge seiner erfolgreichen
Menschenrechtsarbeit und seiner Aktivitäten in der Gemeinde ist.
Mohammad wurde zwei Monate im Kishon-Verhaftungszentrum in Nordisrael
verhört. Sein Anwalt sagte mir, er sei wiederholt über seine Treffen,
Kontakte und politischen Aktivitäten in Europa befragt worden. Er
behauptet, dass Mohammad in Isolierungshaft gehalten wird, mit
Schlafentzug bestraft, rund um die Uhr verhört und mit dem Tod bedroht
wird.
Am
Montag wurde Mohammad offiziell für drei Monate in israelische
Administrativhaft genommen. Er ist der letzte von 335 Palästinensern,
die in dieser Weise festgehalten werden, eine Praxis, die noch von den
1945er-Notstandgesetzen der Briten stammen und auf die im letzten Monat
in einem Bericht der israelischen Menschenrechtsgruppe B’tselem und
HaMoked ein Schlaglicht geworfen wurde.
Ich
hatte Mohammad Othman vor einem Jahr in Yayous bei einem Protest gegen
den Mauerbau getroffen, durch den das landwirtschaftlich genützte Land
des Ortes annektiert wird. Den Bewohnern waren gerade die Passierscheine
zu ihrem Land genommen worden und die Widerstandkampagne war neu
aufgeflammt. Er führte mich eine Gasse hinunter, als Soldaten die
Hauptstraße wieder mit Tränengas und Gummigeschossen einzunehmen
begannen, und so junge Burschen zwangen, sich von den Barrikaden
zurückzuziehen, die gegen die Militärjeeps errichtet worden waren. „Wir
haben ständig Ärger mit Armeeüberfällen und -verhaftungen, alle lokalen
Aktivisten sind davon betroffen“ sagte er mir, nachdem wir aus der
Schusslinie waren.
Fast
genau ein Jahr danach an einem Sonntag beobachtete ich jetzt Mahmmad,
wie er vor einem Militärgericht steht, das in Baracken –wie in großen
Hühnerställen - im Ofer-Gefängnis in der Westbank untergebracht ist.
Seine Anwälte erheben Einspruch gegen seine verlängerte Haft ohne
Anklage.
Außerhalb des Gerichtes hingen Familienmitglieder verhafteter
Palästinenser am Zaun, wo sie auf Nachrichten ihrer Lieben warteten.
Britische und deutsche Konsularbeamte und Vertreter von israelischen und
internationalen NGOs füllten den kleinen Gerichtshof. Die Füße in
Fußfesseln und nur mit einem kleinen übersetzten Teil dessen, was
gegen ihn vorgebracht wird, hob Mohammad seine Faust zwei mal als eine
Geste der Stärke und des Widerstands.
In der
ganzen Westbank versucht Israel, genau wie in diesem Gericht, den
Ausdruck palästinensischer Selbstbestimmung zu unterdrücken. Der
Grenzort von Bilin ist international mit seiner gut dokumentierten
Widerstandkampagne gegen die Enteignung durch die Mauer bekannt. Es ist
genau dieser internationale Ruf der palästinensischen Gesellschaft, die
Israel mit systematischer Gewalt- und einer Verhaftungs-Kampagne
erreichen will.
In
diesem Sommer besuchte ein Komitee aus Bilin Kanada, um gegen zwei
israelische Siedlungsbaugesellschaften, die in Montreal registriert
sind, einen Prozess zu erreichen. Als sie zurückkehrten, wurde ihr
Führer Mohamed Khatib von der israelischen Armee verhaftet. Und während
die beiden Gesellschaften weiter illegal auf dem Land von Bilin bauten,
führte das Militär drei Monate lang systematisch nächtliche Überfälle
im Dorf durch.
Als
ich das letzte Mal mit Mohammad Khatib im September sprach, war er sehr
erschöpft, es war Ramadanfasten und jede Nacht gab es Armee-Überfälle.
Er sagte mir, dass junge Leute in Bilin verhaftet und von der Armee auf
dem Weg zum Verhör ernsthaft geschlagen wurden, ja dass man ihnen die
Aussagen geradezu herausgeschlagen hat.
Am
letzten Donnerstag eskalierte der Druck auf den Ort noch einmal, als
israelische Undercoversoldaten den 19Jährigen Aktivisten Mohamed Yasin
geschlagen und verhaftet haben. Gaby Lasky, die Anwältin für die
Bilin-Verhafteten, sagt, es sei ihr von der Militäranklagevertretung
gesagt worden, dass die Armee beabsichtige, den Anti-Mauer-Demos in den
Dörfern ein Ende zu setzen und dabei mit voller Kraft und Gewalt gegen
die Demonstranten vorgehen wolle.
Das
ist die Strategie Benyamin Netanyahus: all diese allergischen Stellen
zu treffen. Auf der diplomatischen Ebene verlange er von den
palästinensischen offiziellen Vertretern Beruhigung, aber diese Politik
soll nicht auf PR-Tanz mit einer palästinensischen Behörde beschränkt
bleiben, da eine immer größer werdende Anzahl von Leuten nach einer
Lösung schreit. Das Ziel ist, dass der palästinensische internationale
Schrei nach Solidarität sich in einen Schrei nach israelischer Gnade
verwandelt. Er drückt sich in militärischen Überfällen auf
palästinensische Häuser aus und darin, dass politische Gefangene ohne
Verurteilung in israelischen Gefängnissen an Stühle gefesselt in
Verhörräumen sitzen.
Jesse Rosenfeld ist eine kanadische, freiberufliche Journalistin, die
seit 2007 in Israel und in den besetzten Gebieten arbeitet und z.Zt. in
Jaffa lebt.
http://www.thenational.ae/apps/pbcs.dll/article?AID=/20091125/OPINION/711249901/1080
(dt.
Ellen Rohlfs)
The National, 24.
11.09
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