Der Gazastreifen ist nicht
nur ein Gefängnis – er ist auch ein Laboratorium
Naomi Klein, The Nation, 15.Juni 2007
Gaza ist in
den Händen der Hamas, maskierte Militante sitzen auf dem Stuhl des Präsidenten.
Die Westbank ist am Rande der Verzweifelung. Israelische Armeecamps versammeln
sich hastig auf den Golanhöhen. Ein Satellitenspion schwebt über dem Iran und
über Syrien. Ein Krieg mit der Hisbollah ist nur eine Haaresbreite entfernt.
Eine skandalgeplagte politische Klasse hat das Vertrauen der Öffentlichkeit
verloren.
Kurz
gesagt: um Israel steht es nicht gut. Aber hier stehen wir vor einem Rätsel:
warum boomt in solch einem Chaos und Gemetzel die israelische Wirtschaft wie
1999 mit einem phantastischen Börsenkurs und Wachstumsraten – ähnlich denen in
China.?
In der New
York Times legte Thomas Friedman kürzlich seine Theorie dar. „Israel nährt und
belohnt individuelle Phantasie“, und deshalb bringen seine Leute massenweise
geniale Hochtechnik-Erfindungen hervor – egal, welches Chaos seine Politiker
verursachen . Nachdem Friedmann Studienprojekte der Studenten der Ingenieur-
und Computerwissenschaften an der Ben Gurion Universität durchgesehen hat,
machte er eine seiner berühmten Äußerungen, die eigentlich etwas völlig anderes
meinen: „Israel hat Öl gefunden“ Dieses Öl liegt anscheinend in den Köpfen von
Israels „jungen Erfindern und Abenteuerkapitalisten“, die zu eifrig sind, indem
sie Megadeals mit Google machen, um durch Politik aufgehalten zu werden.
Es gibt
noch eine andere Theorie: Israels Wirtschaft boomt nicht trotz des politischen
Chaos, das die Schlagzeilen ausmacht, sondern genau deswegen. Diese
Entwicklungsphase begann in der Mitte der Neunzigerjahre, als Israel sich in
der Vorhut der Informationsrevolution befand – die von der Technik abhängigste
Wirtschaft der Welt. Nach dem „dot-com bubble burst“ (?) im Jahr 2000 wurde
Israels Wirtschaft vernichtet – es war das schlimmste Jahr seit 1953. Dann kam
der 11.9. und plötzlich taten sich neue Gewinnmöglichkeiten für all jene
Unternehmen auf, die behaupteten, sie könnten Terroristen in Menschenmengen
herausfinden, Grenzen vor Angriffen schützen und Bekenntnisse aus Gefangenen mit
eisern verschlossenem Mund herausholen.
Innerhalb
von drei Jahren wurden große Teile von Israels technischer Wirtschaft radikal
neu ausgerichtet. In Friedmannscher Ausdrucksweise: Israel ging von der
Erfindung des Internets der „flachen Welt“ weiter zum Verkauf von Zäunen an den
Apartheidplaneten. Viele der erfolgreichsten Unternehmer des Landes nützen den
Status Israels als Festungsstaat aus, der von zornigen Feinden umgeben ist, als
lebendiges Beispiel – in der Art einer 24-Stunden-Lifeshow – wie man sich
relativer Sicherheit mitten in einem Krieg erfreuen kann. Der Grund, dass
Israel sich über so ein großes wirtschaftliches Wachstum freuen kann, liegt
bei jenen Firmen, die genau dieses Model in die Welt exportieren. Gewöhnlich
konzentrieren sich Diskussionen über israelischen Rüstungshandel auf Waffen, auf
Caterpillarbulldozer aus den USA, die Häuser in der Westbank zerstören, und auf
Teile für die F-16-Bomber von britischen Firmen. Dabei wird Israels großes und
expandierendes Exportgeschäft übersehen.
Israel
exportiert nun für $1,2 Milliarden „Verteidigungs“-Produkte in die USA, die
sich dramatisch um $270 Millionen im Jahr 1999 erhöht haben. 2006 exportierte
Israel für $3,4 Milliarden Verteidigungsprodukte – gut über eine Milliarde mehr
als es durch US-Hilfe erhalten hat. Das macht Israel zum viertgrößten
Waffenhändler in der Welt und hat so Großbritannien überholt. Einen großen Teil
dieses Wachstums hat es dem sog. „Heimat-Sicherheits“-Sektor zuzuschreiben. Vor
dem 11.9. existierte solch eine Industrie so gut wie gar nicht. Am Ende dieses
Jahres wird der israelische Sektor auf diesem Sektor $1,2 Milliarden erreichen
– ein Wachstum um 20%. Die wichtigsten Produkte sind die
High-tech-Sicherheitszäune, unbemannte Flugkörper, biometrische
Identitätskarten, Video- und Audio-Überwachungsapparate, Systeme um
Flugpassagiere und Gefangenenverhöre zu kontrollieren – genau all die Apparate
und Technologien, die Israel anwendet, um die besetzten Gebiete abzusperren.
Genau das
ist es, warum das Chaos des Gazastreifens und in der übrigen Region nicht den
Boden Tel Avivs erreicht, ja, tatsächlich dieses Chaos noch fördert. Israel hat
gelernt, einen unendlichen Krieg in einen Aktivposten mit Markenzeichen zu
verwandeln, in dem es das Entwurzeln, die Besatzung und das In-Schach-halten
des palästinensischren Volkes vorantreibt wie einen guten Start in den
„globalen Krieg gegen den Terror“.
Es ist kein
Zufall, dass die Projekte am Ben Gurion-Flughafen, die Friedman so
beeindruckten, Namen haben wie „Innovative Covariance Matrix für punktgenaue
Aufdeckung in hyperspektrale Bilder“ und „Algorithmen für Hindernisaufdeckung
und Vermeidung“. Dreißig Sicherheitsfirmen sind allein in den letzten sechs
Monaten in Israel entstanden – dank großzügiger Regierungsunterstützung, die die
israelische Armee und die Universitäten des Landes in Inkubatoren für
Sicherheits- und Rüstungsunternehmen verwandelt hat. (Das sollte man bei den
Debatten um den akademischen Boykott im Gedächtnis behalten).
In der
nächsten Woche wird eine dieser größten Firmen nach Europa reisen, um an der
Pariser Flugmesse teil zu nehmen – es ist eine der Modeschau entsprechende Messe
der Rüstungsindustrie. Eine der israelischen Firmen stellt sein Suspect
Detection System (SDS) vor, einen Science-Fiction- Sicherheitskiosk, der
Fluggäste auffordert, eine Reihe vom Computer erzeugte Fragen zu beantworten,
die ihrem Ursprungsland angepasst wurden. Währenddessen muss der antwortende
Fluggast seine Hand auf einen Sensor legen. Der Apparat nimmt die Reaktionen
des Körpers auf die Fragen auf. Bestimmte Antworten werden den Fluggast als
„Verdächtigen“ einordnen.
Wie
Hunderte andere israelische neugegründete Sicherheitsunternehmen rühmt sich
SDS, dass es von Veteranen der israelischen Geheimpolizei gegründet wurde und
dass seine Produkte an Palästinensern getestet wurden. Das Unternehmen hat
nicht nur die Biofeedback-Terminals an den Westbankkontrollpunkten getestet, es
behauptet auch, dass das Konzept auch durch die Erfahrung von Analysen
Tausender von Fallstudien bestätigt wurde, die im Zusammenhang mit
Selbstmordattentätern in Israel stehen.
Ein anderer
Star der Pariser Flugmesse wird der israelische Verteidigungsriese Elbit sein,
der seine unbemannten Hermes 450 und 900-Flugmaschienen zu zeigen, plant.
Nach Presseberichten im vergangenen Mai verwendete Israel die Drohnen, um im
Gazastreifen Bombenanschläge mit gezieltem Töten auszuführen. Wenn sie erst
einmal im Gazastreifen getestet wurden, können sie exportiert werden: Die Hermes
wurde schon an der Arizona-Mexiko-Grenze verwendet: Cogito 1002-Terminals
werden bei einem ungenannten US-Flughafen vorgeführt und Elbit, eines der
Unternehmen, das hinter Israels „Sicherheitsbarriere“ steckt, hat sich mit
Boeing zusammengetan , um den „virtuellen“ Grenzzaun für $ 2,5 Milliarden rund
um die USA zu bauen.
Seitdem
Israel mit seiner Politik der Absperrung der besetzten Gebiete mit
Kontrollpunkten und Mauern begann , haben Menschenrechtsaktivisten den
Gazastreifen und die Westbank mit Freilicht-Gefängnissen verglichen. Bei den
Nachforschungen über den explosionsartigen israelischen Sicherheitssektor, einem
Thema, das ich ausführlich in meinem nächstens erscheinenden Buch * behandle,
entdeckte ich, dass diese Gebiete noch etwas anderes sind: Laboratorien, in
denen die schrecklichen Geräte unseres Sicherheitsstaates getestet werden. Die
Palästinenser – ob sie nun auf der Westbank leben oder in Hamastan ( wie es
israelische Politiker jetzt nennen) sind nicht mehr nur Ziele. Sie sind die
Versuchskaninchen.
Friedman
hat also recht: Israel hat Öl gefunden. Aber das Öl stammt nicht aus der
Phantasie seiner technischen Unternehmer. Das Öl kommt vom Krieg gegen den
Terror, einem Zustand ständiger Furcht, die unerschöpfliche globale Apparate
fordert, die „Verdächtige“ beobachten, belauschen, kontrollieren und zum Ziel
haben. Und Furcht – so stellt sich heraus – ist die beste, erneuerbare
Ressource.
Naomi Klein
ist Autorin vieler Bücher. Ihr nächstes Buch kommt im September 2007 heraus:
*„ The Shock Doktrin: The Rise of Disaster Capitalism“.
Ihre
Website: nologo.org
(dt. Ellen
Rohlfs)
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