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Das Haus, das zur Kriegszone wurde
Chris Mc Greal, Guardian,
4.10.05
Die ersten Soldaten, die vor 5
Jahren an Khalil Bashirs. Tür im Gazastreifen kamen, erklärten ihm die
neue Geographie seines Hauses in Begriffen, die ihm all zu bekannt
waren. Sein 3-stöckiges Haus sollte wie die Westbank eingeteilt werden
mit Gebieten über geteilte Sicherheitskontrolle und verwaltete
Kontrolle.
Die Armee erklärte das Wohnzimmer
zur „Zone A“ nach dem Teil in den besetzten Gebieten, in dem die
Palästinenser die Kontrolle haben/ hatten. Hier sollten sich alle drei
Generationen der Familie B. aufhalten, die Nächte und den größten Teil
des Tages: von der 81 jährigen Großmutter bis zur fünf jährigen
Enkeltochter. Es war der einzige Teil des Hauses, den sie ihr eigen
nennen konnte.
Das Badezimmer/ Toilette, Küche und
die Schlafzimmer waren „Zone B“, wo palästinensische Kontrolle sein
soll, aber Israelis für die Sicherheit zuständig sind. Das heißt: im
Hause der B. hatten die Soldaten die Vormacht, und die
Familienmitglieder mussten um Erlaubnis bitten, wenn sie in der Küche
kochen oder zur Toilette gehen wollten.
Dann kam die Zone C, in der allein
das israelische Militär das Sagen hatte. Die Soldaten warnten die
Familie: alles über dem Erdgeschoss sei Zone C, und wenn jemand wagen
würde, die Treppe hoch zu gehen, dann würde er erschossen.
Die israelische Armee setzte einen
Maschinengewehrposten aufs Dach gegenüber dem Ortsteil von Deir al-Balah,
umgeben von Sandsäcken und Stacheldraht und mit einem Tarnnetz. Von nun
an wurde das Leben der Familie B. und ihrer 8 Kinder vom Militär
bestimmt.
„Besetzung beginnt am Morgen, wenn
man in der Küche Tee machen will und dort einen Soldaten vorfindet, der
Kaffee macht“, sagte B. „Besatzung ist, wenn ich auf die Toilette gehe
und ein Soldat mich begleitet. Ich durfte nicht in mein Schlafzimmer
gehen. Einmal schaute ich auf dem Weg zur Toilette in mein Schlafzimmer
und sah, wie ein Soldat unbekleidet auf meinem Bett lag. Besatzung ist,
wenn der Sohn mit einer Kugel im Rücken herumläuft, nachdem die Soldaten
gegangen waren.
An dem Tag, an dem die Soldaten sein
Haus besetzten, schwörte er sich, dass egal, was sie auf ihn werfen
würden, er wolle nicht hassen. Seine Energie wollte er dazu verwenden,
Verständnis zu wecken, die Israelis zu lieben. Herr B., ein
Schulleiter, begann jeden Morgen mit seinen Schülern mit einem
Friedenslied.
„Ich war ein Zeuge von drei Kriegen
und 2 Intifadas, und nun denke ich an die Zukunft meiner Kinder“, sagte
er, „ ich will nicht, dass sie Krieg erleben. Der einzige Weg, dies zu
verhindern, ist, den Berg von Misstrauen zu überwinden. Wir sind dafür
bestimmt, mit den Israelis zusammen zu leben. Wir müssen unsere
Einstellung ändern Wenn wir unser verwundetes Gedächtnis unsere
zukünftigen Schritte lenken lassen, werden wir nur Leid haben.“
B.s Entscheidung wurde während der
letzten fünf Jahre auf eine schwere Probe gestellt. Das Militär
versuchte, die Familie aus dem Haus zu befördern. Es machte aus dem
Gewächshaus und dem Obstgarten eine Wüste, einschließlich der 170
Palmen, die der Familie zu relativem Wohlstand verholfen hatte.
Soldaten verletzten Herrn B. mit einer Granate und schossen auf zwei
seiner Söhne und verletzten sie. Einer hat noch eine Kugel direkt neben
der Wirbelsäule und schwebt in Gefahr, gelähmt zu werden. Sie töteten
auch den Esel der Familie.
In den letzten fünf Wochen, bevor
die Israelis den Gazastreifen verließen, war die Familie Tag und Nacht
ins Wohnzimmer eingesperrt, während die Armee den Rückzug vorbereitete.
Selbst die Kinder mussten an die Tür klopfen, wenn sie zur Toilette
mussten.
Das alles geschah deshalb, weil das
Haus von B. das Pech hatte, nur 20 Meter von der jüdischen Siedlung Kafr
Darom, einem Außenposten religiöser Israelis, zu stehen. Als die
israelischen Soldaten während der ersten fünf Wochen der Intifada kamen,
wollten sie, dass die Familie das Haus verlässt. Aber die Palästinenser
hatten während des Unabhängigkeitskrieges 1948 gelernt, wenn sie das
Haus verlassen, würden die Israelis es zerstören.
„Dieser Ort ist die Wiege meiner
Kindheit,“ sagte B. „ich will nicht wieder den Fehler machen, den mein
Volk 1948 machte. Ich will kein Flüchtling sein.“
Zuerst dachte er, mit den Soldaten
eingesperrt zu sein, gäbe die Möglichkeit, das Misstrauen zu überwinden
und sie davon zu überzeugen, dass es Palästinenser gibt, die an Frieden
und Koexistenz glauben. Aber er fand sie nicht dazu bereit zuzuhören –
oder sie standen unter dem Befehl, nicht zuzuhören. Sie benahmen sich
professionell, ließen aber keine Möglichkeit für menschliche Kontakte zu
. Ihre Befehle waren, mit uns unfreundlich umzugehen. B. wurde
regelmäßig gezwungen, vor seinen Kindern, sich an der eigenen Tür bis
auf die Unterwäsche vor den Soldaten auszuziehen.
Im November starb Bs Mutter. Die
Familie wollte die gewohnten religiösen Riten pflegen, Waschen der Toten
und drei Tage Totenwache halten. Die Soldaten befahlen, die Tote sofort
aus dem Haus zu bringen. Er sagte, er würde lieber sterben, als dies zu
tun . Das Militär gab nach.
Die ganze Zeit predigte B.
Verständigung....Im letzten Jahr schoss dann ein Soldat von Bs. Dach
auf seinen 15 jährigen Sohn Yusuf, als er einem Team der UNRWA, das sich
um die Familie kümmerte, zum Abschied nachwinkte.
Ein anderer Sohn Yazen wurde im
Jahr 2000 ins Bein geschossen, als er versuchte, im Garten ein Feuer zu
löschen, das die Soldaten verursacht hatten. Diese Verletzung war nicht
lebensbedrohend. Die Kugel, die in Yusufs Rücken steckt, ist viel
gefährlicher. Sie liegt so nahe an der Wirbelsäule, dass er ein Jahr
nicht gehen konnte. Die Ärzte sagten ihm, dass er sich kaum bewegen
solle, er durfte also keinen Sport treiben und nicht schwimmen.
„Das ist es, was die Besatzung uns
zurückgelassen hat: eine Kugel im Rücken meines Sohnes“, wenn wir
versuchen würden, sie wegzunehmen, so würde ihn das wahrscheinlich
lähmen. Wenn sie dort gelassen würde, könnte sie noch mehr Schaden
anrichten, sagen die Ärzte. Sie ist wie eine Zeitbombe, die die
Besatzung zurückgelassen hat.“
Die israelische Armee hat die
Verantwortung für diese Schuss übernommen. Sie hat aber noch nicht
erklärt, warum der Offizier geschossen hat. Yusuf sagte, nachdem er aus
dem isr. Krankenhaus entlassen war, dass er ohne Bitterkeit sei. „Ich
muss die Israelis unterscheiden: die einen sind Soldaten, die anderen
Bürger. Die Bürger haben mich in Israel medizinisch versorgt.“
„Die Soldaten gehorchen nur
Befehlen. Es war nur eine Person die mir Leid zufügte – viele, viele
andere desselben Volkes, des israelischen Volkes, gaben mir das Leben
zurück.“
„Ich verbrachte viel Zeit meines
Lebens mit den Soldaten. Bevor sie auf mich schossen, habe ich sie
nicht beachtet, sie waren nicht wichtig für mich. Ich war der Meinung,
dass sie mich nicht verletzen würden. Aber nachdem ich angeschossen
worden war, begann ich darüber nachzudenken, was ich machen könnte,
damit ich der letzte bin, der beschossen wird.“
Jussuf reiste in die USA mit Seeds
of Peace, einer Organisation, die junge Israelis und Palästinenser
zusammenbringt, damit sie sich gegenseitig als Menschen kennen lernen.
Im letzten Monat, nachdem die
Soldaten ihre Maschinengewehre zusammengepackt hatten und endlich
weggefahren waren, wagte B. nach fünf Jahren das erste mal wieder, die
Treppe in seinem Haus hinaufzugehen. Was er oben fand, ist
vergleichsweise zu den Schussverletzungen seiner Söhne und der
Zerstörung seiner Obstbaumgärten eine relativ kleine Sache, aber es
brachte ihn das erste Mal, seitdem die Soldaten angekommen waren, aus
der Fassung. Rund herum standen die Küchentöpfe und Pfannen voll mit
Exkrementen.
„Die „tugendhafte“ (moralistic)
Armee benützte unsere Kochtöpfe als Klo,“ sagte B, „sie beherrschten die
ganze Zeit mein Badezimmer und benützten die Toilette. Warum haben sie
sich so benommen? Sie missbrauchen unsere Küchengeräte und hinterließen
sie absichtlich in dieser Weise. Sie sammelten alles, sogar leere
Flaschen, Sandsäcke und nahmen alles mit. Aber dies hier ließen sie zur
Erinnerung.“ B. versuchte zu begreifen, und nur zögerlich folgerte er,
dass dies eine beabsichtigte und provokative Verspottung all dessen war,
wofür er sich einsetzte
„Ich bin nicht ärgerlich, sondern
enttäuscht,“ sagte er , „Ich bin enttäuscht, weil ich nicht dachte, dass
sich die israelische Armee so benimmt. Ich sagte sonst zu meinen
Freunden, dass trotz allem, die israelische Armee zivilisiert sei. Ich
muss jetzt wirklich neu darüber nachdenken.“
(dt. Ellen Rohlfs) |