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Gazas in Blei
gegossene Hoffnungen
Prof. Richard
Falk – 05.01.2011
Israel rüstet sich für
eine weitere Groß-Offensive auf Gaza, und trotzdem
bleibt die Weltgemeinschaft unergründlich still.
Es ist bestürzend, dass es
wieder Anzeichen für einen neuen massiven Angriff auf
die belagerten Menschen von Gaza geben soll, in dieser
dunklen Zeit, in der sich die tödlichen Angriffe auf
Gaza – unter der von Israel ausgerufenen „Operation
Gegossenes Blei“ zum zweiten Mal jähren.
Der einflussreiche
israelische Journalist Ron Ren-Yishai, schreibt am 29.
Dezember 2010 über die Wahrscheinlichkeit einer neuen
Offensive der IDF (Israeli Defense Forces), und zitiert
ranghohe Offiziere des israelischen Militärs wie folgt
„Es ist weniger eine Frage des „ob“, sondern vielmehr
des „wann“ .“ Eine Sichtweise, die Ren-Yishai zufolge,
von „Regierungsministern, Mitgliedern der Knesset und
den kommunalen Spitzen in der Region Gaza, geteilt
wird“.
Der blutrünstige
israelische Stabschef, Generalleutnant Gabi Ashkenazi
bestärkt diese Erwartung mit seiner kürzlichen Aussage,
dass „solange sich Gilad Shalit noch in Gefangenschaft
befindet, ist unsere Mission nicht beendet“ und fügt mit
unbewusster Ironie hinzu „wir haben unser Recht auf
Selbstverteidigung nicht verloren“.
Präziser wäre die wohl die
Aussage „wir haben unser Recht darauf nicht aufgegeben,
einen aggressiven Krieg zu führen oder Verbrechen gegen
die Menschlichkeit zu begehen“.
Und was ist mit den mehr
als 10.000 Palästinensern, einschließlich Kindern unter
10 Jahren, die überall im besetzten Palästina in
israelischen Gefängnissen eingesperrt sind?
Ablenkungsmanöver.
Vor diesem Hintergrund
sollte die Eskalation der Gewalt entlang der Grenze
Gaza/Israel überall in der Welt und bei den Vereinten
Nationen die Alarmglocken schrillen lassen.
In den letzten Tagen hat
Israel schwere Luftanschläge gegen Ziele im
Gaza-Streifen gerichtet, einschließlich in der Nähe des
mit Zivilisten übervölkerten Flüchtlingslagers Khan
Younis, und hat dort mehrere Palästinenser getötet und
weitere verletzt.
Angeblich sind diese
Angriffe Vergeltungsschläge für 9 Granaten, die in
offenem Gelände einschlugen und weder Schäden noch
Verletzungen verursachten. Israel hat seine tödliche
Gewalt auch gegen Kinder gerichtet, die in der
Sicherheitszone nach Kies suchten, um damit ihre
zerstörten Häuser wieder aufzubauen.
Wie immer fehlt es den
israelischen Ausreden an Glaubwürdigkeit. Falls es
jemals einen Grund für Warnschüsse in die Luft gegeben
haben sollte, wäre es hier, insbesondere da es im
Grenzgebiet in den letzten Jahren relativ ruhig war. Und
auch wenn vereinzelte harmlose Raketen oder Granaten
abgefeuert wurden, geschah dies unter Missachtung der
Bemühungen von seiten Hamas, alles zu unterbinden, was
Israel zu weiterer Gewaltanwendung provozieren könnte.
Bezeichnenderweise und mit
der üblichen Verzerrung, beschreibt Ashkenazi die
Situation in Gaza als ein Vorkriegs-Szenario: „Wir
werden keine Situation dulden, in der sie vom „sicheren
Hafen“, also vom Schutz ihrer Zivilbevölkerung aus,
unsere Bürger und Städte mit Raketen beschießen“.
Mit Orwell’scher Präzision
ist die Realität so ziemlich das Gegenteil davon:
Israel, von seinem sicheren Hafen aus, attackiert
weiterhin mit dem Vorhaben, die wehrlose und
eingeschlossene Zivilbevölkerung von Gaza zu töten.
Schweigen ist
Komplizenschaft.
Vielleicht noch schlimmer
als die israelische Kriegstreiberei ist das
überwältigende Schweigen der Regierungen in aller Welt
und der Vereinten Nationen.
Die öffentliche Meinung in
der Welt war kurzzeitig schockiert über das Spektakel
dieses einseitigen Krieges, der als „Gegossenes Blei“
zum unbeschreiblichen Verbrechen gegen die
Menschlichkeit wird.
Die öffentliche Meinung
hat aber in letzter Zeit nicht die unaussprechliche
Eskalation der Drohungen und Provokationen bemerkt, die
anscheinend nur darauf abzielen, den Weg für einen neuen
israelischen Angriff auf die unglückselige Bevölkerung
von Gaza zu bereiten.
Das Schweigen, im
Angesicht der wachsenden Hinweise, dass Israel plant
„Operation Gegossenes Blei 2“ auszulösen, ist eine
niederschmetternde Form von Komplizenschaft auf höchsten
Regierungsebenen, speziell seitens der Länder, die mit
Israel eng verbunden sind. Ausserdem spiegelt es den
moralischen Bankrott der Vereinten Nationen wider.
Wir haben im Iraq die
Gemetzel eines ‚Präventiv‘- und ‚Preämptiv‘-Krieges
erlebt, und dennoch müssen wir erst noch die moralischen
und politischen Notwendigkeiten von ‚Präventiv-Frieden‘
oder ‚Preämptiv-Frieden‘ erforschen. Wie lange müssen
die Völker dieser Welt noch warten?
Wir sollten uns an die
Worte eines anonymen Gazaners erinnern, der als Reaktion
auf die Angriffe von vor zwei Jahren sagte: „Während die
israelische Armee meine Nachbarschaft bombardiert hat,
haben UNO, EU, die Arabische Liga und die internationale
Gemeinschaft zu diesen Greueltaten geschwiegen. Hunderte
von Kinder- und Frauenleichen konnten sie nicht
überzeugen, einzuschreiten.“
Die liberale öffentliche
Meinung schwärmt von der globalen Norm einer
‚Schutzverantwortung‘, aber sollte irgendetwas
Glaubhaftes in dieser Idee stecken, so deutet jedoch
nichts darauf hin, dass sie mit Dringlichkeit auf Gaza
angewendet werden sollte, wo die Bevölkerung seit mehr
als 3 Jahren unter einer grausamen Blockade lebt und nun
neuen Gefahren ausgesetzt ist.
Und sogar nachdem die in
2008-2009 begangenen Greueltaten immer wieder als wahr
bestätigt wurden, sei es durch den Goldstone Bericht,
durch einen ausführlichen Bericht der Arabischen Liga,
durch Amnesty International und Human Rights Watch, wird
Israel nicht zur Verantwortung gezogen und die USA
setzen ihren diplomatischen Muskel sehr effektiv ein, um
die Angelegenheit unter den Tisch zu kehren und sie in
Zusammenarbeit mit den Medien in Vergessenheit geraten
lassen.
Wahrheiten.
Einzig und allein die
Zivilgesellschaft hat angemessen auf die moralische,
rechtliche und politische Situation reagiert. Ob diese
Reaktionen zum Ziel führen, wird nur die Zukunft zeigen.
Das Free Gaza Movement und
die Freedom Flotilla haben die Blockade viel effektiver
in Frage gestellt als die Vereinten Nationen oder
irgendeine Regierung , indem sie Israel (zumindest rein
rhetorisch) zum Nachgeben gebracht hat und indem die
Zusage auf einen Blockade-Stop zumindest für humanitäre
Güter und Baumaterialien erreicht wurde.
Natürlich widerspricht die
tatsächliche Wahrheit den israelischen Aussagen: es ist
immer noch nicht erlaubt, ausreichende Versorgung der
grundlegenden Bedürfnisse in den Gazastreifen zu
bringen, die Wasser- und Abwasser-Systeme sind in
desolatem Zustand; es gibt nicht genug Kraftstoff, um
eine ausreichende Stromversorgung zu gewährleisten; und
die Schäden von „Gegossenem Blei“ sind geblieben und
verursachen eine verzweifelte Wohnungsnot (mehr als
100.000 Wohnungseinheiten werden allein benötigt, um die
Menschen aus den Zelten holen zu können).
Ausserdem ist es den
Studenten immer noch nicht erlaubt, Gaza zu verlassen,
um im Ausland Studienmöglichkeiten wahrzunehmen und die
Bevölkerung lebt in einem abgeriegeltem Gebiet, das Tag
und Nacht von Gewalt bedroht ist.
Gazas Aussichten für das
Jahr 2011 sind nicht gerade vielversprechend. Trotzdem
sollte der Mut der in Gaza lebenden Menschen nicht
unterschätzt werden.
Ich habe Gazaner
getroffen, speziell junge Leute, die eigentlich unter
dem Leid zerbrechen müssten, das das Leben ihnen und
ihren Familien seit ihrer Geburt gebracht hat. Und
trotzdem verfügen sie über eine positive Auffassung des
Lebens und was es ihnen bringen kann, und sie nutzen
jede Gelegenheit die sich ihnen bietet. Sie halten ihre
Problem gering, und zeigen Wärme gegenüber denen , die
etwas glücklicher dran sind und Enthusiasmus über ihre
Hoffnungen für ihre Zukunft.
Diese Begegnungen geben
mir Inspiration und sie bestärken mich in meiner
Entschlossenheit und meinem Verantwortungsbewusstsein;
diese stolzen Menschen müssen befreit werden von der
Unterdrückung, die sie ständig einsperrt, bedroht,
verarmen lässt, krank macht, traumatisiert, verwundet
und tötet.
Bis es soweit ist, sollte
keiner von uns allzu komfortabel schlafen!
Richard Falk ist Albert G.
Milbank Prof. Emer. des Internationalen Rechts an der
Princeton University und angesehener Gastprofessor für
Globale und Internationale Studien an der University of
California in Santa Barbara. Er hat einige Publikationen
verfasst und herausgegeben, die einen Zeitraum von fünf
Jahrzehnten umfassen, sein jüngstes Werk war die
Überarbeitung des „International Law and the Third
World: Reshaping Justice“ (Routledge, 2008). Zur Zeit
ist er im dritten Jahr seiner 6-jährigen Amtszeit als
Sonder-Berichterstatter für palästinensische
Menschenrechte bei den Vereinten Nationen.
Original-Artikel:
http://www.odsg.org/co/index.php?option=com_content&view=article&id=2244:hopes-of-gaza-cast-in-lead&catid=31:general&Itemid=41
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