Europas Antwort auf die Belagerung von Gaza ist eine
Schande
Jonathan Steele, 6.Juli 2006
Die
Palästinenser haben keinen Partner für den Frieden. Sie
werden erst dann einen haben, wenn Israel damit
einverstanden ist, dass Palästina das Recht zu
funktionieren hat.
Dank
sei Gott für die Schweiz. Ihre Regierung hat in Europa
allein gewagt, das zu verurteilen, was die Israelis im
Gazastreifen tun. Es ist eine Kollektivstrafe, sagen
sie. Sie verletzt das Prinzip der Verhältnismäßigkeit.
Israel hat die Vorsichtsmaßnahmen nicht berücksichtigt,
die nach internationalem Recht gefordert werden, um
Zivilisten zu schützen.
Unvermeidlich geben die Blogger die üblichen
Belanglosigkeiten über die Rolle der Schweizer Bank
während der Nazi-Periode von sich. Aber als
Aufbewahrungsort der Genfer Konventionen, eine der
wichtigsten rechtlichen Fortschritte, die nach den
verheerenden Auswirkungen des 20.Jahrhunderts, gemacht
wurden, hat die Schweiz eine Pflicht, die Dinge beim
Namen zu nennen.
Ihr
Statement steht im Gegensatz zum schändlichen Schweigen
der EU. Die Palästinenser töten zwei Soldaten und
nehmen einen gefangen - die Antwort darauf ist die
Zerstörung des Elektrizitätswerkes, des Wasser- und
Abwässersystems, die Zerstörung von Brücken,
Überschallgeräusche terrorisieren die Kinder Tag uns
Nacht und all dies gegenüber einem hungrigen Volk
unter Belagerung in einem riesigen Freiluftgefängnis.
Europas Reaktion? Vage Äußerungen der Sorge und Aufrufe
zur Zurückhaltung.
Hat
dies mit dem Wahnsinn der WM zu tun? Oder mit dem Rennen
zu Last-Minute Deals der Sommerferien? Könnten die
europäischen Führer nicht wenigstens ein Zehntel des
Mutes zeigen, den der israelische brillante Kolumnist
Gideon Levy zeigt? „Es ist nicht legitim 750 000
Menschen vom Strom abzuschneiden. Es ist nicht legitim,
20 000 Menschen aufzufordern, ihre Häuser zu verlassen
und ihre Städte in Geisterstädte zu verwandeln. Es ist
nicht legitim, die Hälfte einer Regierung und ein
Viertel der Parlamentsmitglieder zu kidnappen. Ein
Staat, der solche Schritte unternimmt, kann nicht mehr
von einer Terrororganisation unterschieden werden,“
schrieb er in Haaretz.
Bei
einem öffentlichen Auftritt vor Parlamentsmitgliedern am
Dienstag gab Tony Blair nur wolkige Bemerkungen von
sich: „ Ich hab seit Jahren genug über diese Situation
erfahren, dass es nicht sinnvoll ist, beide Seiten zu
verurteilen .“
Die
europäische Impotenz im israelisch-palästinensischen
Konflikt ist natürlich ein altes Problem. Die
Verschlimmerung des krankhaften Zustandes begann im
Januar nach dem Wahlsieg der Hamas. Das war ein
Ereignis, das große Auswirkungen auf Israel hat, auf
alle staatlichen Beziehungen mit der palästinensischen
Behörde, auf die Zukunft des politischen Islam in der
gesamten arabischen Welt, sowie auf das Image des
Westens unter Muslimen. Kurz gesagt, es war ein
Augenblick, in dem das alt-ehrwürdige diplomatische
Verfahren - eine Pause des Nachdenkens – wesentlich
gewesen wäre. Der Rat wird oft angewendet, um eine
unnötige Verzögerung zu decken. Dieses Mal wäre er eine
echte Notwendigkeit zur Analyse und Beratung, bevor
voreilig Schlüsse gezogen werden. Er war keineswegs
eilig, da Israel sich schon seit langem geweigert
hatte, mit Präsident Abbas zu verhandeln.
Doch
die EU stellte sich mit den USA und Israel in eine Linie
und verlangten von der Hamas, ihre Politik zu verändern,
sonst würden sie bestraft werden. Das Quartett - eine
erst vor kurzem entstandene Körperschaft, um die Politik
zwischen den US und Europa, Russland und der UN zu
koordinieren , wurde zur Falle und handelte als
verlängerter Arm der US-Regierung, um andere Staaten in
der richtigen Linie zu halten. Die Forderungen des
Quartetts waren mit denen Israels identisch.
Einige europäische Diplomaten bedauern jetzt ihre Eile.
Die Entscheidung, alle Hilfsgelder und Kontakte mit den
Palästinensern abzubrechen, wird nun als Fehler
angesehen . Die französische Initiative des letzten
Monats, einen Mechanismus zu finden, um Gaza Hilfe
zukommen zu lassen, war das erste Eingeständnis eines
Irrtums von Seiten des Quartetts.
Den
Kontakt mit Hamas zu verweigern, war genau so ein
Fehler, besonders nachdem Hamas über ein Jahr lang einen
einseitigen Waffenstillstand aufrecht erhielt. ( eine
Sache, die Israel zu unterdrücken versuchte). Die
Tatsache, dass die Hamas als terroristische
Organisation definiert wird, hätte nicht zu einer Sperre
führen müssen, da Regierungen mit ähnlichen
nationalistischen Bewegungen im Gespräch waren, sei es
mit der IRA, den Tamil-Tigers oder der ETA. Aber noch
einmal sei Gott Dank für die Schweiz. Als
Nicht-EU-Mitglied hielt sie den Kontakt zu Hamas und
agierte als Vermittlerin für andere europäische
Regierungen, die nicht in die Falle gefallen waren und
nicht dasselbe taten.
Wie
die augenblickliche Krise ausgehen wird, ist noch
unklar. Egal wie sie endet, dann wäre aber sicherlich
für Europa der Zeitpunkt gekommen, mit seiner sinnlosen
Politik, die US und Israel zu unterstützen, zu brechen.
Die Olmert-Regierung versucht nicht nur Hamas zu
zerstören sondern Mahmoud Abbas auch. Wie Sharon wünscht
sie, jeden moderaten Palästinenser zu Grunde zu richten,
indem sie ihm zeigt, wie machtlos er ist. Sie sucht nur
die Herrschaft, nicht Verhandlungen. Ob die letzte
Agenda lautet, alle Palästinenser auszuhungern, damit
sie nach Ägypten, Jordanien oder noch weiter fliehen
oder ob sie Gaza als ein Gefängnis für Arbeitslose
halten und die Westbank als einen Haufen von Bantustans,
Israel setzt sich über jede UN-Resolution spöttisch
hinweg.
Die
Eu sollte zugeben, dass die Palästinenser keinen Partner
für den Frieden haben. Sie werden nur dann einen haben,
wenn Israel das Recht Palästinas zu funktionieren
anerkennt. Statements, in denen Israel das Existenzrecht
eines palästinensischen Staates anerkennt, sind so lange
nichtssagend, so lange Olmert die Siedlungen erweitert
und die „Trennungsmauer“ weiterbaut und sich weigert,
Stellung zu beziehen, wie dieser Staat als lebensfähige
Entität operieren soll. Ohne das Recht zu funktionieren,
ist das Recht zu existieren null und nichtig.
Olmert und seine Verbündeten der Laborpartei müssen
sich auch über die letzten ernsthaften israelischen
Friedensformeln, Baraks Vorschläge, klar äußern, die
vor fünf Jahren in Taba vorgelegt worden waren. Die
Palästinenser akzeptierten sie nicht, aber da waren
politische Umstände ungünstig – die ohnmächtig werdende
Barak-Regierung und ein kranker Arafat. Dieselben
Vorschläge mögen heute akzeptabel sein und sollten neu
belebt werden. Wenn Kadima daran denkt, etwas anzudrehen
oder anzubieten, was weniger als das von Taba war, dann
kann Israel nicht behaupten, dass es ein Ende des
Konfliktes wünscht.
Schließlich muss Israel auf Gewalt verzichten, besonders
auf die Morde palästinensischer Führer. Die Zahl der bei
diesen gezielten Angriffen getöteten Zivilisten
übersteigt die Zahl der israelischen Opfer, seitdem
Hamas im letzten Jahr den Waffenstillstand erklärt hat.
Die Tatsachen entsprechen nicht der Meinung, dass
Israel nach Provokationen „Vergeltung“ übt. Dem
Angriff der Palästinenser in der vergangenen Woche auf
einen militärischen Außenposten folgte eine viel größere
Ladung israelischer Granaten.
Einige werden behaupten, wenn die EU die israelischen
Aktionen verurteilen soll, wird sie ihren Einfluss auf
die israelische Regierung verlieren. Aber was hat dieser
angebliche Einfluss erreicht, seitdem Sharon und Olmert
an der Macht sind? Das Ergebnis ist armselig.
Regierungen haben eine größere Wirkung, wenn sie
moralisch klar und politisch standhaft bleiben.
Verurteilung und psychologische Isolierung schaffen
Tatsachen, die mindesten die Wählerschaft hellhörig
macht, wenn auch nicht gleich die Regierung. Aber es
gibt nicht nur in Israel eine Zuhörerschaft. Es gibt
eine globale Zuhörerschaft, die von Europa erwartet,
dass es den richtigen Standpunkt einnimmt. Ob Israel
sich entschließt, zuzuhören, sollte nicht entscheidend
sein .
(dt.
Ellen Rohlfs) |