Interview
mit P. Allan Boesak, Veteran im
Südafrikanischen Anti-Apartheidkampf
Er ist der
frühere Präsident des Weltbundes der Reformierten Kirchen und ein
Unterzeichner der Südafrikanischen christlichen Antwort auf das
Kairos-Palästina-Dokument. In diesem Jahr gab er beim Russel-Tribunal über
Palästina in Kapstadt einen Bericht als Experte.
Er sprach
mit Hanan Chahata,( MEMO)
H.C.: Sie
sind einer der Unterzeichner der Antwort der südafrikanischen Christen auf
das Kairos-Palästina-Dokument. In diesem sagen Sie, dass die
palästinensische Erfahrung der Apartheid „in seiner praktischen
Manifestation sogar noch schlimmer sei, als die südafrikanische Apartheid“.
Können Sie erklären, was Sie damit meinen?
AB: Sie ist
schlimmer – nicht in dem Sinne, dass Apartheid für Südafrika nicht ein
absolut schreckliches System war, sondern in der Weise, in der die Israelis
das Apartheidsystem perfektioniert, ja, verschärft haben. Zum Beispiel
hatten wir Bantustans und hatten den Group Area Act, und wir hatten
getrennte Schulen und all dieses; aber ich denke, es kam keinem
Apartheidplaner in den Sinn, eine Stadt in der Weise zu planen, dass es eine
physische Mauer gibt, die die Menschen trennt und diese Mauer die
Bewegungsfreiheit einschränkt, und die Freiheit für Wirtschaft und
Beschäftigung. Und dass sie gleichzeitig ein Werkzeug der Einschüchterung
und Entmenschlichung ist. Wir hatten Pässe, wie die Palästinenser ihre
Identitätsdokumente haben. Das bedeutete aber nicht, dass wir nicht von
einem Ort in der Stadt zu einem andern Ort der Stadt gehen konnten. Das
Rechtssystem war natürlich verzerrt, alle Richter versuchten bei ihren
Verurteilungen, das Privileg und die Macht der Weißen zu schützen usw.
….aber sie gingen nicht so weit, offen ein getrenntes Rechtssystem zu haben,
wie sie es für die Palästinenser haben ( die in israelischen
Militärgerichten verurteilt werden) und für die Israelis, die in zivilen
Gerichten angeklagt werden. Auf viele Weisen ist das israelische System
schlimmer.
Etwas
anderes macht es noch schlimmer: … wir konnten schließlich die
internationale Solidarität zusammenrufen und bis zu einem gewissen Grad
mobilisieren, dass wir in unserm Kampf mehr Erfolg hatten. Die
Palästinenser können dies nicht tun. Die ganze internationale Gemeinschaft
hat sich gegen sie verschworen. Die UN, die eine ziemlich positive Rolle in
unserm Kampf gegen die Apartheid in SA spielte, nehmen die verheerende
Position ein, ihre starken Mitglieder wie die USA, die Israel schützen,
nicht zu beleidigen. …
Die
Palästinenser werden in einer Weise verspottet, wie es bei Südafrikanern
nie geschah. Die UN versuchte in unserm Fall, sich an ihre Resolutionen zu
halten und das Apartheid-Regime zu isolieren. Hier nun macht die UN eine
Resolution nach der anderen gegen Israel.
Aber ich
nehme kein bisschen Schamgefühl wahr, denn sie wissen doch , dass nichts
geschieht. Unter Reagan waren die USA ziemlich unverhohlen in ihrem sog.
konstruktiven Engagementprogramm und seiner Unterstützung für das weiße
Regime in SA; aber was die USA jetzt in der Woche taten, als sich die UNESCO
entschied, den palästinensischen Antrag auf einen Sitz in der UN zu
unterstützen, da zogen sie alle finanzielle Unterstützung zurück und wenden
s o wirtschaftliche Erpressung an - das ist skandalös.
………
HC: Die
Christen im Heiligen Land sind sehr bedroht. Die Menschen vergessen leicht,
dass dies kein Problem zwischen Juden und Muslimen ist. Es gibt auch
christliche Palästinenser dort. Es gibt seit Jahren einen beunruhigenden
Trend: christliche Palästinenser verlassen das Heilige Land wegen der
ungewöhnlichen Schwierigkeiten, die Israel ihnen bereitet. In welcher Weise
hat sich die Besatzung auf die Christen ausgewirkt?
AB: Die
christliche Gemeinschaft ist auf viele Weisen dezimiert worden. Die Israelis
tun zwei Dinge. Sie vereinfachen die Darstellung des Kampfes, als ob er nur
zwischen Juden und Arabern stattfinden würde. Die Folge davon ist, dass die
Christen außerhalb denken, da ist nichts und niemand, mit dem wir uns
solidarisieren könnten. Also können die christlichen Zionisten, diese
ultra-konservativen Fundamentalisten, die so lange die Außenpolitik der US
unter der Bush und Reagen-Regierung diktierten, sagen, das geht uns nichts
an. Es geht nicht um Christen und christliches Zeugnis – es geht um jene
Muslime. Das ist die Absicht. Ich hoffe, dass diejenigen Christen von uns
außerhalb des Nahen Ostens diese Tatsache lebendig halten und Wege und
Mittel finden, dieses Argument in jede politische Situation bringen und so
die Realität der Christen im Nahen Osten nicht beiseite gestoßen wird.
Das zweite
ist, dass die Israelis die Christen verdrängen, nicht nur verleugnen,
sondern die Ursprünge/ die Wurzeln des christlichen Glaubens aus den Nahen
Osten verdrängen, von dort, wo alles begonnen hat. Das würde die
christliche Kirche von ihren ältesten Wurzeln der Christenheit loslösen.
Auch für Israel ist das nicht gut. Deshalb bin ich froh, dass der
Weltkirchenrat sich noch einmal rührt – leider nicht so radikal, wie es bei
diesem Problem sein sollte, aber wenigstens nimmt er das palästinensische
Problem auf und reagiert auf die Situation in Ägypten, im Irak, Syrien und
anderswo, wo Christen unter Druck stehen. Man denke daran, dass dies nicht
nur eine christliche Angelegenheit ist; es ist nicht wichtig, weil Christen
darin verwickelt sind, sondern weil es die Zukunft der Menschen auf dem
Spiel steht.
HC: Man
schätzt, dass es weltweit 50 Millionen christliche Zionisten gibt. Was
würden Sie ihnen raten hinsichtlich ihrer Unterstützung für den Staat
Israel, der - wie Sie sagen - auf biblischer Argumentation basiert ?
AB: es ist
wie mit so vielen anderen Dingen, es ist die Weise, wie die Leute die Bibel
lesen und interpretieren. Wir müssen also nur darauf achten, dass wir genau
so klar wie begeistert und offen bei unserm Verständnis der Bibel sind und
auch so engagiert beim Verständnis der Bibel, wie sie es scheinbar sind. Da
muss es Wege geben. Wir haben nur nicht genügend Phantasie. Ein Grund dafür
mag sein, dass uns bis vor kurzem nicht klar war, wie gefährlich die
Ansichten dieser Leute sind, nicht nur für die Palästinenser und für Muslime
im allgemeinen, sondern auch für die christliche Kirche selbst. Jetzt, wo
wir beginnen zu sehen, wie tödlich diese Logik ist, wie absolut
antichristlich und antimenschlich diese Logik ist, haben wir keine
Entschuldigungen mehr.
HC: Israel
verlangt, dass die Palästinenser es als einen exklusiven „jüdischen Staat“
anerkennen. Wie würden Sie auf diese Forderung antworten?
AB: Das
können sie nicht. So etwas wie einen spezifisch jüdischen Staat gibt es
nicht. Man ruft einen jüdischen Staat über den Köpfen, Körpern und
Erinnerungen des Volkes aus, das seit alten Zeiten hier lebt. Dies ist
palästinensisches Land, über das wir sprechen. Die meisten Juden, die heute
dort sind, kommen aus Europa und sonst woher und haben keinen Anspruch auf
dieses Land, und wir müssen es nicht zulassen, dass den Palästinensern
dasselbe geschieht wie meinen Vorfahren, die die Ureinwohner dieses Landes
(SA) waren. Jetzt sind kaum genug, dass sie bei einer Volkszählung gezählt
werden. Dies ist palästinensisches Land. …
HC: In der
Vergangenheit drängte man die westlichen Länder wirtschaftliche Sanktionen
über das Südafrikanische Apartheidregime verhängen. Würden Sie einen
ähnlichen Aufruf für Sanktionen gegen den Staat Israel unterstützen?
AB:
Absolut! Druck, Druck, Druck von allen Seiten: finanzielle Sanktionen,
Banksanktionen, Sportsanktionen, kulturelle Sanktionen; ich spreche aus
eigener Erfahrung. Am Anfang hatten wir umfassende Sanktionen und erst spät
in den 80er-Jahren lernten wir, mit gezielten Sanktionen umzugehen. Man muss
also sehen, wo die Israelis besonders verletzlich sind; wo ist die stärkste
Verbindung zur Außenwelt? Und man muss starke internationale Solidarität
haben; das ist der einzige Weg, dass dies funktioniert. Man muss sich auch
daran erinnern, dass wir jahrelang die Sanktionskampagnen aufgebaut haben –
und nicht mit Regierungen im Westen. Diese kamen sehr, sehr spät an Bord.
Es war die
indische Regierung und in Europa nur Schweden und Dänemark, mit denen wir
angefangen haben. Und das war es dann auch. Später – etwa 1985-86 -
erhielten wir amerikanische Unterstützung. Wir konnten Margret Thatcher nie
an Bord bekommen, nie Großbritannien, nie Deutschland. Aber in Deutschland
waren es die Frauen, die einen Unterschied machten, die südafrikanische
Waren in den Supermärkten boykottierten. So bauten wir auf. Man darf nicht
den Tag der kleinen Anfänge verachten. Es war Sache der zivilen
Gesellschaft. Aber die zivile Gesellschaft innerhalb der internationalen
Gesellschaft konnte nur aufgebaut werden, weil es eine starke Stimme von
innen gab, und das ist jetzt die Verantwortung der Palästinenser, diese
Stimme aufrecht zu erhalten und so stark und eindeutig wie möglich zu sein.
Denkt euch Argumente aus, durchdenkt die Logik von allem, doch vergesst
nicht die Leidenschaft, weil es für euer Land ist.
(dt. und
stark gekürzt: Ellen Rohlfs)