Was
verstehen die Israelis eigentlich unter „Frieden“?
Avigail Abarbanel
Australien (
www.PeacePalestine, 2005)
Vor
zwei Monaten kehrte ich von einem Familienbesuch in Israel zurück.
Obwohl ich eine Aktivistin für die Rechte der Palästinenser bin,
entschied ich mich, diesmal ganz privat hier zu sein.. .Ich habe nicht
viel gesprochen, ich habe zugehört ....
(Sie
beobachtete das Leben in Israel unter ihren Verwandten, unterwegs,
im Fernsehen ...und kam zu folgender Erkenntnis):
„Wenn das Leben so schwierig ist, ist es menschlich, sich die
Schwierigkeiten weg zu wünschen. Aber genau hier liegt das Problem. Wenn
eine Person, eine Gruppe oder eine ganze Gesellschaft mit einem dunklen
Geheimnis lebt oder etwas Wichtiges aus ihrer Vergangenheit leugnet,
kann man nicht in Frieden leben. Es ist einfach unmöglich, ein normales
oder friedliches Leben mit Lügen und Geheimnissen zu führen. Indem man
die ethnische Säuberung der Palästinenser 1948 leugnet, indem man nicht
über die Konsequenzen der langjährigen brutalen Besatzung nachdenkt und
dies sich nur wegwünschst – so bleibt dies reine Phantasie.
Bei
einer Familientherapie gibt es ein akzeptiertes Prinzip, dass, solange
ernsthafte Ungerechtigkeiten nicht ausgesprochen werden, es keinen
Frieden geben kann. Familien, die dunkle Geheimnisse verbergen, zahlen
einen hohen Preis. Ich beobachtete israelische Intellektuelle bei
ernsthaften Diskussionen im Fernsehen, die versuchten die Dinge, die in
Israel so schlecht sind, zu analysieren und zu verstehen. Sie brachten
alle möglichen Gründe für die Situation vor – nur nicht die
offensichtlichste: Israels Geschichte. Es war unerträglich, dies zu
beobachten, aber auch allgemein bekannt. Ich habe niemals eine
Gesellschaft gesehen, die so durch und durch von der Leugnung
durchdrungen war, wie die israelische.
Das
ganze Spektrum der israelischen Politik leugnet Israels Geschichte, und
deshalb habe ich nicht viel Vertrauen in die israelische Linke. Die
wenigen, die nicht an der Leugnung beteiligt sind wie Dr. Ilan Pappe,
der letztes Jahr in Australien war, oder Dr. Uri Davis, existieren
außerhalb dieses Spektrums. Ihre Nachforschungen über die Ereignisse von
1948 und die Umstände, unter denen der Staat Israel entstand, wird nicht
in der Öffentlichkeit, nicht im Fernsehen diskutiert und steht nicht in
den israelischen Geschichtsbüchern. Der durchschnittliche Israeli kennt
sie – Pappe und Davis – nicht einmal. Obwohl in bekannten Verlagen der
Cambridge Uni-Press verlegt, hat man sich bisher geweigert, Pappes
Bücher auf Hebräisch zu drucken. Der Grund dafür, sie werden hier
akademisch nicht anerkannt...Die Art und Weise, mit der Israelis ihre
eigene Geschichte wahrnehmen, ist die, dass allein sie immer die
schwachen Opfer sind. Die Frage, ob es moralisch recht oder unrecht war
oder auch weise, einen Staat auf Kosten eines anderen Volkes zu
schaffen, wird niemals gestellt. Keiner in der allgemeinen Strömung
hinterfragt den Wert einer Demokratie in einem Land, in dem sich die
Staatsbürgerschaft auf der Rasse gründet (Man kann nur ein
israelischer Bürger werden, wenn man nachweisen kann, dass die Mutter
jüdisch war.)
Wenn
sich Israelis mit „Friedensgesprächen“ befassen, ist es wichtig, ihre
Grundposition zu verstehen. Sie haben kein wirkliches Interesse an einer
Lösung, die an den Kern des Problems geht. Sie sind wie eine Person, die
möchte, dass ihre Krankheitssymptome verschwinden, die sich aber
weigert, etwas gegen die wirklichen Krankheitsursachen zu unternehmen.
Ein Wunsch, „alleine gelassen zu werden“, ist keine Basis für einen
dauerhaften Frieden. Zum mindesten nicht ohne eine weitere ethnische
Säuberung. Sechs Millionen Palästinenser sind da, um Israel an
seine Vergangenheit zu erinnern – und sie gehen nicht irgendwo hin.
Wenn der Tag kommt – und ich hoffe er kommt – dass
Israelis sich entscheiden, ohne die Leugnung zu leben, dann müssen sie
sich darüber im klaren sein, dass wirklicher Friede nur durch
Gerechtigkeit kommt. Und Gerechtigkeit heißt in diesem Kontext, dass das
Ideal eines ausschließlichen jüdischen Staates auf Kosten eines ganzen
anderen Volkes aufgegeben werden muss. Nur ein bi-nationaler Staat und
das Recht auf Rückkehr für die palästinensischen Flüchtlinge kommt dem
nah genug, um einige Ungerechtigkeiten, die 1948 und danach
begangen wurden, zu rechtfertigen . Nach der ethnischen Säuberung
haben die Palästinenser nach dem Völkerrecht und nach allgemeinem
menschlichen Anstand ein Recht darauf .
Dies könnte
Israels Sühne sein. Es wird auch Israels Möglichkeit sein, sich selbst
von der Schuldenlast zu befreien, die - meiner Meinung nach – das
Leben der Israelis und das der Palästinenser zu einem Alptraum macht.
Ja, es wird eine Herausforderung sein. Aber es wird die Möglichkeit für
einen wirklichen und dauerhaften Frieden schaffen – für beide, für die
Israelis und die Palästinenser, womöglich für die ganze Region.
Mit der Mentalität
und Politik der Leugnung fortzufahren, wird nirgendwo hinführen und
weiter unnötig Leben und das Wohlergehen vieler Menschen und
Gemeinschaften kosten.
(dt. und gekürzt:
Ellen Rohlfs) |