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Erinnerungen von Felicia Langer
Gas im Gefängnis
Die
Verschärfung der Politik der israelischen Besatzungsmacht in den
besetzten Gebieten auf allen Ebenen während der 80er Jahre machte
sich auch in den Gefängnissen bemerkbar. Gefängniskommandant Rafi
Suisa, der sich durch sein humanes Verhalten gegenüber jüdischen
Häftlingen auszeichnete und der auch bereit war, mit den anderen
über eine Verbesserung der Haftbedingungen zu verhandeln, wurde
durch David Maimon abgelöst, der zuvor Befehlshaber von Gaza gewesen
war.
Laut Aussagen der Gefangenen in Jeneyd veränderte
sich die Atmosphäre damit grund-legend. Das gleiche wurde auch aus
den anderen Gefängnissen vermeldet. Aus dem Gefängnis in
Hebron kamen im März 1987 Berichte über Schläge, harte Strafen wegen
Kleinigkeiten, Beschlagnahmungen, demütigende und provozierende
Durchsuchungen, wobei Matratzen aufgeschlitzt, Tee und Kaffee
zusammengeschüttet wurden und ähnliches mehr. Es gab auch
Beschwerden über gravierenden Wassermangel, über die grauenhafte
Ernährung und vor allem über die unerträgliche Enge.
In Jeneyd wandten sich die Gefangenen erneut an die
Gefängnisleitung und baten um ein Treffen mit dem Kommandanten,
jedoch vergeblich. Sie fühlten sich betrogen, daß man alle ihre
Errungenschaften zunichte machen wollte, einschließlich der
Anerkennung einer Häftlingsvertretung.
Am 25. März 1987, als alle Erwartungen zunichte
gemacht worden waren, begannen die Gefangenen von Jeneyd wieder
einen Hungerstreik. Der Streik löste eine Kettenreaktion unter den
palästinensischen Gefangenen der anderen Gefängnisse aus. Auf dem
Höhepunkt des Protestes befanden sich etwa dreitausend Gefangene im
Hungerstreik.
Die Presse veröffentlichte Berichte über den neuen
Kommandanten, in denen seine ruhmreiche Vergangenheit und seine
Dienstzeit in Gaza hervorgehoben wurden. Er wurde vorgestellt als
jemand, der sich vorgenommen hatte, „in den Gefängnissen Ordnung zu
schaffen und sich den Gefangenen nicht zu beugen“.
Der Minister, dem wir die Beschwerden unterbreiteten,
und der Kommandant blieben stur. Sie wollten nichts dazulernen. Eine
dieser Gelegenheiten, etwas zu begreifen, hätte der anhaltende Kampf
der weiblichen palästinensischen Gefangenen im Neve-Tirza-Gefängnis
in den Jahren 1983/84 sein können.
Die Gefangenen weigerten sich damals, weiterhin für
die Gefängniswärterinnen zu kochen.
Daraufhin erkannte man ihnen alle Rechte ab,
besprühte sie mit Tränengas, konnte ihren Widerstand aber nicht
brechen, und am Ende war ihr Kampf von Erfolg gekrönt. Im März 1987
kämpften sie darum, von den kriminellen Gefangenen separiert zu
werden – ebenfalls mit Erfolg -, sowie für eine Verbesserung des
Essens, den regelmäßigen Erhalt von Zeitungen gen und Büchern und
für die Einstellung der Provokationen während der Besuchszeiten.
Im Gefolge der grauenhaften Tränengaseinsätze fanden
damals Protestaktionen von der Gruppe „Frauen gegen die Besatzung“,
von der Liga für Menschen- und Bürgerrechte und der Demokratischen
Front für Frieden und Gleichberechtigung statt. Es gab jedoch keine
Massenaktionen.
Bei meinem Besuch im Gefängnis, etwa eine Woche nach
dem Gaseinsatz, war der Geruch des Gases in dem kleinen Raum, in dem
ich mich mit den Gefangenen traf, immer noch nicht verflogen, und
das Papiertaschentuch einer von ihnen war durchtränkt davon. Sie
erzählten, daß sie sich auf dem Boden gewälzt und um Hilfe geschrien
hatten, überzeugt, daß ihr Ende gekommen sei. Sie hatten nur
gehofft, daß eine Zeugin überleben würde, die erzählen könnte, was
geschehen war. Diejenigen, die das Gas sprühten, schrien in Richtung
der abgedichteten Türen: „Stirb, verrecke!“
Ich kam mir vor, als ob ich von einem anderen
Planeten, wohlbehütet, an einen Ort gelangt wäre, wo das Leben von
Frauen wie mir der völligen Gesetzlosigkeit preisgegeben war. In
einer spontanen Entscheidung sog ich tief das restliche Gas in mich
ein. Ich war überzeugt, daß dies der einzige Weg war, die Wirkung
durch einen Arzt außerhalb des Gefängnisses feststellen zu lassen,
vielleicht auch eine Probe des Gases selbst untersuchen zu lassen,
das noch in dem Taschentuch war.
Schon im Auto auf dem Rückweg nach Jerusalem
ging es mir schlecht, ich hustete und mir tränten die Augen. Ich
hatte Schwierigkeiten, einen Arzt zu finden, nachdem ich sagte, daß
ich die Untersuchungsergebnisse an die Öffentlichkeit bringen
wollte. Inzwischen gibt es eine Vereinigung
israelisch-palästinensischer Ärzte für Menschenrechte, und ich hätte
von ihr sicherlich ein mutigeres ärztliches Attest als das erhalten,
das ich am Abend dieses Tages dann bekam. Wie dem auch sei, mein
Gesicht brannte, ich verspürte außer dem Husten, der immer stärker
wurde, eine ungewöhnliche Nervosität und Angespanntheit. Der Arzt
unter-suchte mich, hörte sich meine Geschichte an und schrieb in das
Attest etwas von Kurzatmig-keit, Husten und Augenreizung.
An jenem Abend kehrte ich völlig kaputt nach Tel Aviv
zurück. Ich wußte, daß mein Mann von dem, was ich getan hatte, nicht
begeistert sein würde. Ich hatte jedoch nicht geahnt, daß er so
wütend werden würde. Ich erzählte ihm, daß der Auslöser von allem
ein Kuß gewesen war, den ich der Gefangenen Siham gegeben hatte. Ihr
Gesicht war rötlich aufge-dunsen gewesen und ihre Hände hatten
gezittert. Unmittelbar nach dem Kuß hatte ich ein ätzendes Brennen
im Gesicht gespürt. Vorher hatte sie noch zu mir gesagt: „Es gibt
bei euch auch anständige Menschen, die ein Gewissen haben, wende
dich an sie, in unserem Namen.“
Mein Mann schrie: „Was willst du eigentlich noch
alles tun, kannst du mir das sagen, warum denkst du nicht auch mal
an mich! Kein Mensch wird danach fragen, wenn dir was passiert.
Schau, was du mit dir gemacht hast!“
Vierundzwanzig Stunden später ging es mir besser. In
einer offiziellen Erklärung veröffent-lichte ich die Befunde des
Arztes und berichtete, wie ich mich gefühlt hatte. Ich betonte, daß
man sich leicht ausmalen könne, wie es den Opfern des Gaseinsatzes
in ihren abge-schlossenen Zellen ergangen sein mußte, wenn dieses
Gas bei mir noch eine Woche später solche Wirkungen zeitigte. Immer
noch ließ mich der Gedanke nicht los, welche Zusätze wohl noch in
dem Gas gewesen sein mochten, denn es konnte nicht nur Tränengas
gewe- sen sein. Zu meinem Leidwesen fand sich in ganz Israel kein
Labor, das bereit war, seine Bestandteile in den Proben, die ich
mitgenommen hatte, zu untersuchen.
Die weiblichen Gefangenen hielten den Kampf um ihre
Rechte während der ganzen Jahre aufrecht. Seit Ausbruch der Intifada
werden sie von dem Komitee „Frauen für
weibliche
Gefangene“ unterstützt.
(„Zorn und Hoffnung“, F. L.)
Die Gegenwart zeigt weiter israelische Grausamkeit:
Israel hat weißen Phosphor gegen Menschen eingesetzt, in Libanon und
in Gaza, obwohl das verboten ist. Weißer Phosphor verursacht
schreckliche Verbrennungen, tiefe Wunden. Alles, so wie immer,
straffrei.