TRANSLATE
Das jüdische Volk ist nicht mein Volk.
Zu meinem Volk gehören Hashem
und seine Familie in Bilin
Beni Tziper, Haaretz, 2.4.07
Hier gibt es nichts Festliches. Pessach, Schmesach – ich hasse diese
Feiertage; denn während wir feiern, während Juden Slogans über
Freiheit daherbabbeln und darüber fantasieren, was wir für ein
geknechtetes Volk seien , sind wir eifrig darum bemüht, das
palästinensische Volk zu unterdrücken. Es wird banal und
langweilig, dies tausendmal zu wiederholen. In meinen Augen schreit
die Heuchelei gen Himmel. (Das Pesachgebet) „Brot der Armut“ ist
nicht länger mehr für Juden das Brot der Armut – sondern für
zahllose palästinensische Familien in den besetzten Gebieten, die
von 30 oder 40 Schekeln leben müssen, die der Familienvater
irgendwie zusammenkriegen muss, wenn er ab und zu etwas Arbeit
findet.
Ich
habe am letzten Freitag solch eine Familie kennen gelernt. Ich ging
zusammen mit meiner Tochter Talila zu einer Demonstration gegen die
Mauer in Bilin. Dem Plan nach sollten wir uns an Tel Avivs
Nordbahnhof treffen und dann irgend wie in arabischen Minibussen und
privaten Wagen zu jenen palästinensischen Dörfern fahren, deren
Leben und Unterhalt von der Mauer betroffen sind, d.h. also wo die
Mauer das Dorf von seinem Land trennt. Meine Tochter war solche
Demos schon gewöhnt. Für mich war es das erste Mal. Auf diese Weise
traf ich auch Dr. Ilan Shalif, der diese Demonstrationen und Fahrten
dorthin organisiert.
Shalif ist ein Psychologe und ein „Anarchist“, der eigentlich
bessere Dinge zu tun hätte, als seine Zeit mit dem Organisieren der
Taxis zu verbringen. So wie er sieht ein Idealist aus: Dinge aus
altruistischen Gründen zu tun. Er kam mit besonders großen
Brillengläsern, um sich gegen das Tränengas der Polizisten zu
schützen. Was mir Mut machte, war, dass nicht alle Demonstranten
junge Leute waren. Einige waren auch mehr oder weniger in meinem
Alter wie Yisrael und Devorah, die uns in ihrem roten Wagen nach
Bilin mitnahmen.
Wir
vereinbarten eine Geschichte, falls wir am Kontrollpunkt nach der
Straße 443 angehalten werden: wir wollten dann sagen, dass wir zu
einer Beschneidungsfeier in eine der Siedlungen fahren wollen. Aber
wir und die anderen wurden am Kontrollpunkt nicht angehalten. So
führen wir die Hügel hinauf und in die Täler hinunter durch schöne
ruhige Dörfer, zwischen Olivenhainen und Wiesen voller Blumen und
kamen in Bilin an.
Wenn man seine Ruhe und Vernunft bewahren will, dann ist es am
besten, sich nicht die neuen Siedlungen anzusehen, an denen wir auf
dem Weg nach Bilin vorbeikamen. Überall hässliche Haufen von Zement,
die den schönen Anblick des Landes zerstören – alles im Namen einer
falschen Liebe zu Israel. Als ich auf all diese kolossale
Hässlichkeit schaute, die dafür bestimmt ist, alle Arten von
orthodoxen Parasiten von Übersee aufzunehmen, deren einziger Job es
ist „Nichtjuden“ zu hassen, verstand ich, warum das, was „jüdische
Nation“ genannt wird, überhaupt nicht meine Nation ist. Und dass ich
mich viel mehr zu palästinensischen Bewohnern in den besetzten
Gebieten hingezogen fühle wie der Familie in Bilin, die mich und
meine Tochter so freundlich aufgenommen hat und mir geholfen hat,
nachdem ich während der Demo durch eine explodierende Lärmgranate
eine leichte Verletzung davon getragen hatte.
Der
Vater, Hashem, und seine Frau Zahara haben zwei verheiratete
Töchter, die in der Nähe wohnen. Diese haben ganz reizende Kinder.
Ich fühlte mich gleich wie zu Hause. Hashem brachte mir Kräuter aus
dem Garten, die mir helfen sollten, mit den Auswirkungen des Gases,
das von Soldaten auf mich geworfen worden war, fertig zu werden.
Zahara beeilte sich, uns ein Platte voll mit frischem Gemüse,
Pitabrot, Olivenöl und Zatar zu bringen. Ihr Haus war klein aber
fein. Hashem arbeitet gelegentlich als Gärtner in den Häusern der
Reichen in Ramallah. Glücklicherweise gehört seinem Bruder der
einzige Supermarkt im Ort. Bei ihm kann er auf Kredit kaufen. So
können sie überleben.
Als
ich mit den Demonstranten – Leuten aus dem Dorf, einigen aus
Ramallah, einigen Israelis und internationalen Aktivisten auf das
Tor in der Mauer zuging, das von bewaffneter Grenzpolizei bewacht
wurde, erzählte mir meine Tochter, dass eine Einheit der
Grenzpolizei Hashems Dach besetzte und von dort zum Nachbarhaus
schossen, weil angeblich von dort mit Steinen geworfen worden sei.
Meine Tochter schrie zu den Soldaten, dass in diesem Haus alte und
behinderte Leute wohnen würden. Man hat aber nicht auf sie gehört.
Mittlerweile stand ich gegenüber den Soldaten, die das Tor in der
Mauer bewachten und beobachtete sie. Sie machten strenge Gesichter,
mir erschienen sie aber wie eine Gruppe Kinder. Ich dachte, jeder
hätte mein Sohn sein können. Diejenigen, die aufgehetzt aussahen,
waren die, die hinter ihnen standen mit dem Abzeichen des Büros des
Armeesprechers auf ihrer Schulter. Sie filmten das Geschehen.
Die
Hauptattraktion der Demo war ein älterer Palästinenser, der
Parkinson hat. Er kam in einem schwarzen Anzug und einer Keffije und
warf sich selbst gegen das Schutzschild eines Soldaten. Man stieß
ihn zurück – nicht grob, sondern vorsichtig, nicht weil sie von
Natur aus vorsichtig sind, sondern weil sie wussten, dass eine
ausländische TV-Gruppe von einem Hügel aus alles filmte.
Nach einiger Zeit gab der Kommandeur der Einheit Befehle an die, die
die Wasserwerferkanone bedienten. Dieser Kommandeur erschien mir
widerlich und verschlagen. Dann begannen die Wassersalven zu
fliegen. Wie kann ich nur sagen, dass ich zu der selben Nation
gehöre wie dieser Kommandeur, der mit hässlichem Lächeln befiehlt,
dass diese Salven auf mich abgeschossen werden … er sieht doch, dass
ich keine Gewalt anwende und ich keinen Finger gegen einen Soldaten
richte, genau so wenig wie die anderen älteren Leute, die mit mir
sind oder die gewaltlosen Dörfler … Das einzige, was sie zeigen
wollten, war eine symbolische Präsenz an der Mauer. Eines Tages
werde ich diesem Kommandeur begegnen, wenn er wieder im zivilen
Leben ist – ich werde ihm ins Gesicht spucken ( natürlich nur
symbolisch, weil ich nicht wie er gewalttätig bin).
So
funktioniert die Besatzung. In der vordersten Linie stehen
unschuldige Jugendliche, die meine Kinder sein könnten – sie können
doch keine unterdrückerischen Besatzer sein. Hinter ihnen steht ein
Kommandeur, der aussieht, als könnte er keiner Fliege etwas zuleide
tun. Hinter ihm stehen flotte Jugendliche, die wie zukünftige
Filmdirektoren oder Autoren aussehen. Hinter ihnen steht eine
Wasserkanone, um die Demonstranten aus einander zu treiben. Und
warum so viel Getue um eine Wasserkanone? Wasser tötet doch
nicht. Auch Lärmgranaten töten nicht. Das Ganze sieht wie ein
Kinderspiel aus – und trotzdem ist all dies Besatzung. Trotz all
diesem lebt Hashem wie in einem Käfig, schlimmer als die schwarzen
Sklaven damals in den USA. Alles, was die Menschen in Bilin tun
können, ist bis Ramallah fahren. Dann hört die Welt für sie auf.
All dies Elend wird von Leuten geschaffen, die wie
Marketingmanagers aussehen.
Am
Seder-Abend werde ich, während der langweilige Text aus der Hagadah
gelesen wird, an Hashem und seine Familie in Bilin denken, der mit
mir ein bescheidenes Mahl teilte. Doch ich, selbst wenn ich das
Gebot erfüllen wollte, meine Nahrungsmittel und meine Wohnung mit
Bedürftigen zu teilen, kann es nicht tun, wegen der Zäune und Mauern
der Besatzung, die uns trennt – einer getarnten Besatzung, die sich
selbst als Teil einer aufgeklärten Besatzung empfindet. Ich werde
an die denken, die wirklich mein Volk sind – und nicht an die
ekelhaften Offiziere … die mein wunderschönes Land mit Zementburgen
verschandeln.
Über sie werde ich meinen Spott und meine Verachtung schütten, wie
es uns nach der Hagada gegenüber Nicht-Juden befohlen wird.
(Hebr.-engl.:
Rann Bar-On; engl..-dt und etwas gekürzt.: Ellen Rohlfs) |