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Nächstes Jahr in Damaskus
Noam Ben Zeev, Haaretz 24.8.05

 
Ramallah – Als ob Zauberworte gesprochen worden wären, so öffnete sich  am Sonntagmorgen die Straßensperre bei Qalandiya weit und die Fahrzeugkolonne von gepanzerten PKWs  konnte - von Polizeiwagen eskortiert - ohne Anhalten durchfahren. Keiner der Soldaten musste den Convoy anhalten und eine Routinedurchsuchung vornehmen. Die Soldaten wussten, dass es heute Abend ein Konzert mit vielen israelischen Musikern geben wird. Sie waren alle von der spanischen Regierung mit Diplomatenpässen versehen worden. Jeder nachfolgende Wagen wurde angehalten ...

Eine biblische Landschaft zog am Fenster vorbei. Der Wagen sauste über leere Straßen zwischen  (jüdischen) Siedlungen, durchfuhr arabische Dörfer, fuhr an Ramallah vorbei und fuhr einen Hügel hinauf und zog wie ein König in die Stadt ein, ohne einen weiteren Kontrollpunkt, ohne einen Schatten eines israelischen Soldaten, als ob diese Taxifahrt die ganze Torheit des Straßensperren-und Kontrollsystems mit seiner VIP-Spur, seinem unangenehmen System von Genehmigungen, Pässen und dem ganzen bürokratischen Drumherum in Frage stellen will; denn jeder Autofahrer weiß, wie man sie umfährt, wenn es nötig ist.

 

Das Konzert in Ramallah war das letzte einer Veranstaltungsreihe des West-östlichen Divan-Orchesters, das 1999 von Edward Said und Daniel Barenboim gegründet  worden war. Seine Musiker waren - wie jedes Jahr - aus dem ganzen Nahen Osten gekommen und  hatten während des Sommers unter Daniel Barenboims Leitung Konzerte in Spanien, Brasilien, Argentinien, Schottland, England und Deutschland gegeben. Nun waren sie dabei, den Traum der Gründer ( Edward Said und Daniel Barenboim) zu verwirklichen und ein Konzert in einem der Brennpunkte des israelisch-palästinensischen Konfliktes zu geben.

 

Die Generalprobe von Mozarts Symphonie Conzertante  für vier Holzbläser und Beethovens 5. Symphonie verlief gut. Ein paar Dutzend Reporter und neugierige Zuschauer waren dabei. Am Nachmittag hatten die Musiker Gelegenheit, sich auf dem Rasen in der Nähe des Auditoriums, dem Palast der Künste, auszuruhen. Die arabischen und spanischen Musiker gingen in ein Hotel;  der Rasen war voller Israelis, denen es nicht erlaubt war, den Bereich zu verlassen. Palästinensische Polizisten waren beauftragt worden, auf sie zu achten.

 

Tarnuniformen, Jeans, T-Shirts, Geigen und Kalaschnikovs, hebräisch, arabisch und Gesichter, die sich erstaunlich ähnlich sahen – alles zusammen auf einem leichten Abhang am Rande der Stadt. „Die Tage des Messias sind gekommen,“ sagte ein Israeli, der seine Kollegen anstarrte, die mit einem Backgammonturnier mit den Wachsoldaten von Jibril Rajubs beschäftigt waren. „ Klar, es ist nur eine Schande, dass sie dabei sind, uns vernichtend zu schlagen,“ sagte sein Freund.

 

Geigen und Kalaschnikovs

Die israelischen Musiker hätten sich 12 Stunden früher diese pastorale Szene nicht vorstellen können. Am Vorabend ihrer Reise nach Ramallah drückten sie  in der Lobby ihres Ost-Jerusalemer Hotels vor allem Befürchtungen  über das ihnen bevorstehende Unbekannte aus. „Ja, ich habe Angst, große Angst. Ich war noch nie in einer arabischen Stadt, und ich weiß nicht, was uns dort erwartet. All die Geschichten, die ich über ein großes Durcheinander hörte. Es interessiert mich und ich will gehen, aber beinahe hätte ich mich dagegen entschieden,“ sagte der Geiger Daniel Cohen.

 

Doron Alperin, ein anderer Geiger, sagte, dass er sehr gerne gehen wolle, aber fürchtet, dass Scharfschützen den Convoy beschießen und dass Palästinenser die Fahrer sind. „Hätte man nicht spanische Fahrer engagieren können?“ fragte er. Der junge Trompeter Boris Kretzman, 18, befürchtete  von Rowdys belästigt zu werden.

Yuval Shapira, ein Trompeter fasste zusammen: „Ich glaube, dass die meisten gekommen sind, um dem Maestro einen Gefallen zu tun. Sie hätten mehr Angst davor, dass Barenboim  sie nicht mehr rufen würde, als in Ramallah zu sein. Viele wollen das aber nicht zugeben. Als er mich fragte, hatte ich nur eine Sekunde Zeit zum Überlegen und da ich ihn nicht enttäuschen wollte, sagte ich ja. Ich gehe nicht gern hin – aber ich bin glücklich, mit Barenboim zu musizieren.

 

Der Hornbläser Sharon Polak fügte hinzu: „ Ich komme mit, weil ich es mir nicht leisten kann, die Gruppe zu verletzen. Ich habe gegenüber dem Orchester und der Musik eine Verpflichtung.“

„Siehst du nicht, dass es außer dem musikalischen Teil noch ein anderes Ziel gibt?“ fragte Tal Teodoro. „Dieser Besuch hat für jeden von uns  noch eine politische und menschliche Dimension.“

„Und es wird ein internationales Publikum geben, das ist auch wichtig,“ sagte der Geiger Yishai Lantner.

„Ich bin sicher, dass dieser Besuch uns etwas über uns selbst – nicht nur der Welt sagen wird,“  erwiderte Teodoro. „Ich bin wirklich glücklich und war es vom ersten Augenblick an , als diese Idee aufkam. Meine Furcht besteht eher darin, dass unsere Gastgeber verletzt werden können.“

 

„Scharfschützen oder keine Scharfschützen, das ist mir egal, ich will sehr gerne hingehen, obwohl meine Eltern sehr dagegen sind und ich richtig darum kämpfen musste. Ich sagte zu ihnen, dass ich mich fürchte, mit dem Bus in Tel Aviv zu fahren – doch  deshalb höre ich nicht mit meinem normalen Leben auf. Aber genau das überzeugte sie nicht... Ich gehe also gegen ihren Willen,“ sagte Doron Alperin.

 

Und das Konzert wird ein wenig mithelfen, dass Frieden wird?

 

Alperin: „Barenboim sagte, wir seien Pioniere, und das war es, was mich überzeugte und bewegte. Ja, ich denke, es wird  Wirkung haben. Das Timing ist perfekt – auf der einen Seite der Abzug ( der Siedler) und auf unserer Seite das gemeinsame Musizieren. Es kann eine Veränderung verursachen – und das ist ein historischer Augenblick,“ erwiderte Alperin.

 

Der Geiger Assaf Maoz fügte noch hinzu: „Geschichte ist ein großes Wort. Vielleicht hat es keine Wirkung, weil wir unserer Zeit weit voraus sind. Trotzdem, allein die Tatsache, dass ich Ramallah nicht mit einem Stock betrete, mit dem man schießen kann, sondern mit einem Stock, mit dem man Musik macht – schon das ist wichtig.“

„Können wir die Politik nicht mal etwas beiseite lassen?“ seufzte die Cellistin Yael Rubinstein. „Wir sind doch keine Politiker. Und meiner Meinung nach ist Musik nichts Politisches, und das Projekt hätte  viel weniger politisch, sondern viel mehr musikalisch und menschlich vorbereitet werden können.  Die Menschen müssten als Gleiche angesehen werden – denn die Menschen sind doch überall gleich.“

 

Die Befürchtungen schwanden

 

Als sich um sechs Uhr abends  die Sonne  vom Rasen vor dem Kunstpalast zurückzog, war auch das Backgammonturnier vorbei. Die israelischen Musiker standen auf , falteten ihre Matten zusammen, sammelten ihre Bücher, Kameras, Zigarettenschachteln  ein und bereiteten sich auf das Konzert vor. Die Befürchtungen waren verschwunden. Daniel Cohen und seine Kollegen waren sehr beeindruckt vom Engagement all der Palästinenser, die nach ihnen sahen,  von den Menschen, die sie hier entdeckten.

„Als die Stunde der Wahrheit kam, als wir in die Stadt fuhren, hatte ich keine Angst mehr: meine Neugierde überwand die Angst,“ sagte Cohen.

„ Dies ist die Realisierung eines Traumes. Ich spüre, dass ich immer mehr ein Linker werde,“ sagte Yishai Lantner, „weil ich jetzt verstehe, dass es hier ( ganz normales) Leben gibt. Das wurde niemals im ( israelischen) Fernsehen gezeigt.“ ...

Um sieben Uhr wuchs der Strom der Zuhörer, der Rasen bevölkerte sich. Und die Spannung konnte man direkt spüren. Journalisten und Kameraleute aus aller Welt  überschwemmten den Platz und jagten wegen eines Interviews hinter den Leuten her. Interessant ( und bezeichnend) ist, dass die meisten israelischen Medien keine Vertreter gesandt hatten, um die Annäherung von Israelis und Bewohnern aus arabischen Staaten, die mit dem  Star-Dirigenten Barenboim spielten, nicht aufzunehmen und zu dokumentieren.

 

Innerhalb der Halle begannen die Leute nach einem Platz zu suchen und eine halbe Stunde  vor  Beginn des Konzertes gab es keinen Platz mehr, auch auf den Stufen nicht. Über 1000 Leute füllten das Auditorium, auch Kinder, Frauen mit Kopftuch, Politiker ( unter ihnen Nabil Shaat und Mustafa Bargouti) Gäste aus Übersee ( einschließlich Maryam Said, die Witwe des in Palästina geborenen Kulturwissenschaftler Edward Said) und sogar zwei Israelis. Diese beobachteten alles auf einer großen Leinwand draußen in der Lobby. Das Konzert wurde über den ARTE-Kanal live übertragen ( und  brachte dem Kanal die höchste Einschaltquote).

 

Die Begeisterung brandete hoch und brach in Applaus aus, als die vier Solisten und der Dirigent das Podium betraten. Barenboim verneigte sich vor dem Publikum, das aufgestanden war und  mit nicht endendem Applaus ihn begrüßte. Die Augen der Musiker leuchteten und Barenboim wandte sich ihnen zu und hob den Taktstock.

Mozarts  Symphonie  Concertante für Bläser– obwohl nicht vollendet und nicht eines seiner großen Werke -  weckte dank der einzigartigen Aufführung Interesse, die nichts mit der Nationalität der vier brillanten Solisten zu tun hatte. Das Spielen und Dirigieren von Beethovens Fünfter  wischte alle Gedanken der ungewöhnlichen und einzigartigen Umstände der Veranstaltung beiseite. Barenboim schnitt den Applaus des Publikums mit einer scharfen Handbewegung ab und wiederholte das Eröffnungsmotiv – der leichte Schlag auf vier Tönen – und unternahm eine musikalische Reise mit halsbrecherischer Geschwindigkeit.

Nach dem zweiten lyrischen Satz mit seinem üppigen Klang und dem dritten Tanzsatz, schwand der Ton zu einem Pianissimo Pizzicato. Das Orchester verringerte langsam das Klangvolumen bis fast zu  statischer Stille – das Publikum hielt den Atem an . Von da an eilte Barenboim in einem fast beängstigenden Tempo, wie man es bis jetzt noch nicht in der 5. Symphonie gehört hatte, zu einem genialen Ende in Dur. „Wir konnten nicht verstehen, woher die Geschwindigkeit kam,“ sagte Doron Alperin in Tel Aviv einen Tag nach dem Konzert.

„Er hat Beethoven noch nie so dirigiert. Das ganze Orchester war elektrisiert.  Was für ein Ende unserer Konzerttournee!“

 

Am Ende waren eure Befürchtungen vollkommen unbegründet?

 

Alperin: Ja, und ich hätte mir nicht verziehen, wenn ich nicht gekommen wäre. Während der Pausen sprach ich mit einem palästinensischen Aufpasser und fragte ihn, ob er sich gefreut habe, dass wir gekommen waren. „Sie können sich nicht vorstellen, wie glücklich ich bin,“ antwortete er. Ich bekam eine Gänsehaut. „Und Sie?“ fragte er. Ich sagte ihm, dass ich mich wie in einem Rausch befände.

„Wir wussten, dass die Straßensperre um 22 Uhr schließt,“ und zu dem Zeitpunkt stand Barenboim noch auf dem Podium und sprach. Wir hofften also, dass man uns sagen würde: es tut uns leid, der Kontrollpunkt ist schon geschlossen, und wir hätten die Nacht über  in Ramallah bleiben müssen. Aber man warf uns einfach hinaus, nachdem wir den letzten Ton gespielt hatten. Wir wechselten nicht einmal die Garderobe. Man hatte die Straßensperre nur für uns offen gehalten.

Alperin sagte auch, dass die Musiker nach dem Konzert noch bis drei Uhr morgens im Hotel gesessen und begeistert mit einander geredet hätten. Ist der Kampf mit deinen Eltern vorüber? „Sie sahen die Übertragung live im Fernsehen, und mein Vater, der in der Philharmonie spielt, war sehr stolz und begeistert über die Professionalität, meine Mutter genau so.“ Und deine Furcht vor dem palästinensischen Fahrer? „Ich hatte Unrecht, und ich bin glücklich, dass es mir möglich war, aus meinen Fehlern zu lernen. Nun bin ich nur darüber ärgerlich, dass nicht jeder die Situation mit meinen Augen sehen kann.“ Wirst du wieder hingehen?“ „Sicher. Wenn ich hierher komme, gibt es keinen Grund, nicht wieder nach Ramallah oder sonst wohin zu gehen. Ich warte schon ungeduldig auf das nächste Jahr auf das Konzert in Damaskus, Tel Aviv und Gaza....“

 

Beethovens Fünfte ist nicht daran interessiert, woher man kommt

 

Nach sechs Wochen langer harter Arbeit mit dem West-östlichen-Divan-Orchester, mit dem  Barenboim  nicht nur zu einer Konzerttournee auf drei Kontinente flog, sondern auch noch strapaziöse Verhandlungen mit unzähligen Leuten führte – mit regionalen Führern und verängstigten Eltern – war dieses Konzert der Höhepunkt des Projektes.

Einen Tag nach dem Konzert lobte Barenboim bei einem Interview mit Haaretz  das Orchester über alle Maßen. „Wir spielten auch schon die Ouvertüre von Wagners Tristan und Isolde – und oh-Mann-oh-Mann, wie spielten sie diese!“ sagte er begeistert. „Ich habe das Werk viele Male  und 12 Jahre hinter einander bei den Bayreuther Festspielen und - ich weiß nicht wie oft - in Berlin dirigiert, und niemals hatte ich dieses Ergebnis mit anderen Orchestern....

Das Orchester besteht  aus 70 jungen Leuten aus den Konfliktstaaten des Nahen Ostens, einschließlich Israel und Syrien. „ Die Partitur hilft schon zu etwas, das es in unserer Region nicht gibt: Gleichheit,“ sagt Barenboim. „Beethovens Fünfte ist nicht daran interessiert, was du bist und woher du kommst; und im gewissen Sinne ist es mit dem Diwan-Projekt  genau so – es steht außerhalb des Konfliktes. In einem Orchester gibt es kein musikalisches Problem zwischen den Musikern oder irgend einer Konkurrenz. Es herrscht nicht der Geist eines Sportwettkampfes, sondern eher  ein Geist der gegenseitigen Unterstützung, des gemeinsamen Tuns. Aber solange wir diese Situation der Gleichheit in der realen Welt nicht erreicht haben, kommen wir  in dieser  nicht voran.

„Es wird keine militärische Lösung für diesen Konflikt geben, und es tut mir weh, dass obwohl wir jetzt schon wissen, wie dies enden wird – ein Abkommen im Geiste des Clinton-Abkommens, und dem von Taba oder der Saudi-Initiative – wir es nicht schaffen. Um so ein Abkommen zu erreichen, müssen wir es in unsere Gedanken aufnehmen, verinnerlichen. Das ist das Ziel des Projektes: eine Wahrnehmungsveränderung.

„Wir reden nicht nur über die Errichtung  eines palästinensischen Staates, sondern auch über die Zukunft des Staates Israel und ich warte auf den wirklich  patriotischen israelischen Führer, der aufsteht und sagt: Sie verdienen, was wir seit 1948 haben, etwas, was sie nie würden aufgeben können, die Unabhängigkeit.“

Während einer Pause sagte Barenboim der großen Menge im Ramallah –Auditorium: „Es ist von uns gesagt worden, dass wir ein Orchester des Friedens seien; das mag ein Kompliment sein. Aber dieses Konzert wird nicht den Frieden bringen, und wir wissen das alle. Verstehen, Toleranz, Mut und die Neugierde, dem Narrativ des anderen zuzuhören – das ist unser Ziel.

 

Das Leben der beiden Völker ist so mit einander verwoben, dass das Schicksal des einen notwendigerweise das Schicksal des anderen wird. Zwei Völker leben hier, nicht nur eines – und beide haben ihre Tradition, Kultur und Geschichte. Beide leben auf diesem Land und entweder schlagen wir uns deswegen gegenseitig tot oder  wir teilen es  miteinander.“

 

(dt. und etwas gekürzt: Ellen Rohlfs)

 

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