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Einer muss anfangen zu schreien
Adam Keller, Gush Shalom, 27.September 2007

 

Tatsächlich könnten wir fast täglich demonstrieren, weil jeder Tag seine eigene Ration  hässlicher Nachrichten aus dem Gazastreifen bringt. Und seit Ehud Barak der Parteivorsitzende der Labourpartei und Verteidigungsminister geworden ist, sind sie noch schlimmer geworden. Mit beachtlicher Energie erweist er sich als der Schärfste der Falken.

Es vergeht kaum eine Woche, ohne dass Barak eine weitere Drohung  über eine größere militärische Operation im Gazastreifen macht. Unterdessen genehmigt er täglich „kleinere Überfälle“ in den Gazastreifen mit  immer mehr Todesfällen. Unterdessen wird  auch die wirtschaftliche Belagerung und Blockade des Streifens immer härter.

 

Die brillante Idee, die Wasserzufuhr und den Strom für die 1,5 Millionen   von Armut heimgesuchten Bewohner des Gazastreifens zu unterbrechen, brachte einen scharfen Protest vom UN-Generalsekretär Ban und eine gedämpftere vom US-geführten diplomatischen „Quartett“ .

Die Regierung hat also ( bis jetzt) noch nicht die Wasserzufuhr unterbrochen und den Strom abgestellt. Aber sie macht eine rechtlich gebundene juristische Erklärung, dass der „Gazastreifen eine feindliche Zone“ sei. Das bedeutet praktisch, dass die Hapoalim-Bank, Israels größte Bank, alle ihre Kontakte mit den palästinensischen Banken abbricht, was verheerende Auswirkungen haben wird ( u.a. wird der Geldtransfer für jene in Gaza gestoppt, die noch von ihren früheren Chefs unterstützt werden). …

 

Für diejenigen, die wissen wollen, was sich  im Gazastreifen abspielt, ist es nicht schwierig, dies zu erfahren. Viele detaillierte Berichte kann man über das Internet erhalten. Aber wenig kommt davon über die üblichen Medien in der israelischen Öffentlichkeit an. (Es gibt eine rühmliche Ausnahme wie den Kanal 10 TV-Nachrichten, der über  Schwerkranke berichtet, wie sie verzweifelt darauf warten, zur medizinischen Behandlung nach Israel gelassen zu werden und über den Erweiterungsbau des Shifa-Krankenhauses, der nicht weiter gebaut werden kann, weil das Baumaterial nicht über die Grenze gelassen wird.)

 

Auf jeden Fall haben die meisten Israelis wenig Sympathie für die Bewohner im Gazastreifen,  selbst wenn sie zufällig etwas von ihrem Elend hören. Seit „Sharons Trennung“ (Siedlerabzug aus dem Gazastreifen) hat das offizielle Israel den Standpunkt gekränkter Unschuld eingenommen, der von Politikern, Kolumnisten und Leitartiklern  weit verbreitet wird und stillschweigend vom größten Teil der Öffentlichkeit übernommen wurde: Israel hat sich dem Streifen zurückgezogen und die Siedlungen aufgelöst und die perfiden Palästinenser beantworten dies mit Qassamraketen. Also sind sie selbst schuld. Punkt.

 

Komplizierte Faktoren werden kaum erwähnt wie z.B. der direkte Zusammenhang zwischen dem Töten von Palästinensern ( etwa 700 im vergangenen Jahr nach  PM.Olmerts sich stolz rühmender Aussage) und dem Zurückschießen von Raketen als Rache. (Diese verursachen  zwar Zerstörung und Panik - aber selten Todesfälle)

 

Jeder der Israels Radionachrichten lauscht, wird unvermeidlich etwas von der Angst der Bewohner von Sderot erfahren, besonders von der der Kinder – die keinen Moment Ruhe kennen, die ständig bereit sind, in den Luftschutzkeller zu rennen, wenn die Sirenen heulen.

 

Diese nie endende Angst in Sderot ist sehr realistisch, auch wenn es sehr wenig tatsächliche Todesfälle gab. Doch dieselben Medien, die dies in seitenlangen Artikeln verbreiten, erwähnen kaum die palästinensischen Kinder, die in mindest gleichgroßer Furcht leben und die mit einem viel größeren Risiko leben, von Bomben in Stücke gerissen zu werden. Der 16-jährige Junge, der letzte Woche von einem israelischen Bulldozer zerdrückt wurde, während dieser einen Obsthain vernichtete, damit er nicht Qassamraketenwerfern Deckung gibt, erhielt eine lakonische Bemerkung von Seiten der Armee: das wäre ein „bedauerlicher Kollateralschaden gewesen, er hätte nicht dort sein sollen.“

 

Am Vorabend des Neuen Jahres – vor zwei Wochen. – gab es eine Überraschung von Ismail Haniyeh, dem Hamas-Führer im Gazastreifen und Ministerpräsidenten von einem der beiden rivalisierenden palästinensischen Regierungen. Über internationale Mittelsmänner schlug Haniyeh vor, mit der Olmert-Regierung über eine sofortige und bilaterale Waffenpause zu reden und bot an, dies  auch den kleineren Gruppen wie dem islamischen Jihad, (von denen meist das Schießen ausgeht) aufzuerlegen.

 

Haniyehs Angebot wurde nicht nur abgelehnt, sondern einfach vom Tisch gefegt. Tatsächlich gab es unmittelbare bemerkenswerte Aktionen: eine militärische Offensive vor Ort und eine wirtschaftliche Offensive über die Banksitzungssäle (während gleichzeitig die Gespräche mit Abu Mazen stattfanden).

 

Dann traten wenigstens die Mainstream –Schriftsteller, von Amos Oz  und A.B. Yehoshua angeführt, in Aktion: sie veröffentlichten einen deutlichen Aufruf  zu einer sofortigen  Waffenpause mit der Hamas.

 

So weit kamen wir heute, am Donnerstag den 27. September: mittags während der faulen Sukkot-Feiertage, an denen einige von uns versucht sind, das Radio auszuschalten und uns von der Welt ein bisschen zurückzuziehen, brachen dringende Anrufe über uns herein: “Habt Ihr gehört? 11 Tote im Gazastreifen. 11 Tote! Wir müssen etwas tun.“

 

Und die unerträglich gewöhnliche Routine begann noch einmal: eilige Erkundigungen zwischen Friedensgruppen über Ort und Zeitpunkt und dann Stunden von Telefongesprächen, dem Schreiben und Absenden von Emails, Pressemitteilungen…das Malen und Schreiben von Postern und Plakaten und dann schnell nach Tel Aviv –Zentrum ( inzwischen waren es 12 Tote). Dann waren wir von Gush Shalom, die diese Aktion initiierten, zusammen mit Anarchisten gegen die Mauer, die Frauenkoalition für den Frieden, die Hadash-Jungkommunisten und der Veteran Lativ Dori von Meretz und noch ein paar Leute, die zu keiner besonderen Gruppe gehören. Zusammen waren wir etwa 120 Leute.

 

Auf der einen Seite die neuen Verteidigungsministeriumstürme mit dem Hubschrauberlandeplatz auf dem Dach …auf der andern Seite die Azrielle Zwillingstürme mit ihrer riesigen Einkaufsmail, der Stolz Tel Avivs, das Symbol der Reichen… Dazwischen die Beginstraße, eine Hauptverkehrsader, durch die zu jeder Zeit  Tausende von Autos fahren  - und wir, die wir unsere Poster und Flaggen (israelische + palästinensische) schwenkten und einstimmig mit lauten Stimmen sangen und riefen …:

 

„Blockade- nein! Waffenstillstand – ja!“ – „Keine Panzer und keine Qassams – Waffenstillstand jetzt!“ „Beendet das Blutvergießen – Waffenstillstand jetzt!“ „Die Blockade des Gazastreifens ist ein Kriegsverbrechen!“ „Beendet die wirtschaftliche Strangulierung von Gaza!“ – „Es gibt keine militärische Lösung in Gaza!“  „Waffenstillstand in Sderot und Gaza!“ – „Hamas ist ein Partner für einen Waffenstillstand!“ – „In Gaza und Sderot wollen die Kinder leben!“  „Barak, Barak hey, hey ,hey wie viele Kinder hast du heute getötet?” „Israel und Palästina – zwei Staaten für zwei Völker!“ – „Alle Minister sind Kriegsverbrecher!“ – Ehud, Ehud – man wartet auf euch in Den Haag!“ – „Die Besatzung ist eine Katastrophe – Frieden ist die Lösung!“

 

Zwei Motorradfahrer fuhren sehr schnell vorbei und versuchten, eine Gush-Shalom-Flagge an sich zu reißen. Etwas später lehnte sich eine Frau gefährlich weit aus einem Wagen und rief: „Viel Glück – ich denke wie ihr!“

 

Bald erschien die Polizei mit drei Patrouillenwagen, verhandelte kurz und war  mit dem Versprechen zufrieden, dass wir nach einer Stunde wieder gehen…sie führte sogar den Mann weg, der mit verzerrtem Gesicht schrie: „Warum erlaubt ihr diesen Verrätern ….“

 

Am Ende gab es noch einen Dialog mit einem vorbeigehenden älteren Paar:

Der Mann:  „Weshalb demonstriert ihr hier?“

Aktivist: „Haben sie nicht gehört: heute gab es 11 Tote im Gazastreifen?“

Die Frau: „Elf? Von uns?“

Aktivist: „Nein wir sind die Schuldigen“. (kurze Stille)

Der Mann: „Ja, die Regierung – aber dies wird nichts helfen“.

Aktivist: „Wahrscheinlich nicht – aber einer muss anfangen zu schreien!“

 

(dt. und etwas gekürzt: Ellen Rohlfs) 

 

 

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