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Norman Finkelstein: Charlie Hebdo ist Sadismus, keine Satire
19 Januar 2015 13:50 (Last updated 19 January 2015 13:53)

Der weltweit bekannte Professor der Politikwissenschaft sagt, er habe „keine Sympathie für Mitarbeiter von Charlie Hebdo
Mustafa Caglayan


 

NEW YORK - In Nazi Deutschland gab es eine wöchentliche antisemitische Zeitung, genannt „Der Stürmer“. Geleitet von Julius Streicher, war sie bekannt als eine der bösartigsten Verfechter der Judenverfolgung in den 1930-ern.

Woran sich jeder bei  „Der Stürmer“ erinnert, waren dessen makabren Karikaturen über die Juden, das Volk, das weitreichender Diskriminierung und Verfolgung während dieser Ära ausgesetzt war. Seine Abbildungen bestätigten alle der geläufigen Stereotypen der Juden: eine Hakennase, sexbesessen, habgierig.

„Lassen Sie uns sagen … inmitten all diesem Tod und Zerstörung platzten zwei junge Juden in die Hauptgeschäftsstelle der Redaktion von „Der Stürmer“, und töteten die Mitarbeiter, weil diese sie gedemütigt, degradiert, erniedrigt und beleidigt haben“, fragte Normal Finkelstein, ein Professor der Politikwissenschaft und Autor zahlreicher Bücher, darunter: „The Holocaust Industry“ und „Method and Madness“ (die Holocaust-Industrie und Methode und Wahnsinn) „Wie würde ich darauf reagieren?“, sagte Finkelstein, der Sohn eines Holocaust-Überlebenden ist.

 

Finkelstein zeichnete eine Analogie zwischen einem hypothetischen Angriff auf die deutsche Zeitung und dem tödlichen Angriff vom 7. Januar auf die Hauptredaktion des satirischen Magazins Charlie Hebdo, bei dem 12 Menschen getötet wurden, darunter der Herausgeber und prominente Karikaturisten. Die Wochenzeitung ist bekannt dafür, kontroverses Material zu drucken, darunter auch abfällige Cartoons über den Propheten Mohammed in 2006 und 2012. 

Der Angriff löste eine globale massive Protestwelle aus, Millionen (Menschen) in Frankreich und der ganzen Welt, die auf die Straße gingen, um die Pressefreiheit unterstützen mit dem Ruf: „Ich bin Charlie“,  in Französisch oder Deutsch.

„Was die Charlie Hebdo-Karikaturen des Propheten Mohammed zustande brachten, war keine 'Satire', und was sie hervorriefen, waren keine 'Ideen' ,“ sagte Finkelstein.

„Satire ist, wenn man sie entweder gegen sich selbst richtet, veranlasst, dass er oder sie zweimal darüber nachdenken, was man tut und sagt, oder gegen Menschen gerichtet, die Macht und Privilegien haben“, sagte er.

„Aber wenn jemand am Boden zerstört, verzweifelt, mittellos ist, wenn Sie sich über ihn lustig machen, wenn Sie sich über einen obdachlosen Menschen lustig machen, das ist keine Satire“, sagte Finkelstein.

„Das ist - ich gebe ihnen das Wort - Sadismus. Es gibt einen sehr großen Unterschied zwischen Satire und Sadismus. Charlie Hebdo ist Sadismus. Es ist keine Satire!“

Das „verzweifelte und verachtete“ Volk von heute seien die Muslime, sagte er, in Anbetracht der Anzahl muslimischer Länder, die von Tod und Zerstörung geplagt sind, wie im Fall von Syrien, Irak, Gaza, Pakistan, Afghanistan und Yemen.

„Zwei junge Männer, verzweifelt und ohne jegliche Hoffnung, agieren aus dieser Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit heraus gegen diese politische Pornographie, die sich nicht von  (der Zeitung) 'Der Stürmer' unterscheidet, die mitten in all diesem Tod und all dieser Verzweiflung meint, es sei irgendwie nobel, zu degradieren, zu erniedrigen, zu demütigen und zu beschimpfen. Es tut mir leid, vielleicht ist es sehr politisch unkorrekt, aber ich habe keinerlei Sympathie für die Mitarbeiter von Charlie Hebdo. Sollten sie getötet werden? Natürlich nicht, aber natürlich hätte Streicher nicht erhängt werden sollen. Ich hör das nicht von vielen Menschen“, sagte Finkelstein.

Streicher war unter denen, die in Nürnberg vor Gericht standen infolge des Zweiten Weltkrieges. Er wurde erhängt wegen dieser Karikaturen.

Finkelstein sagte, einige könnten argumentieren, dass sie das Recht hätten, sich sogar über verzweifelte und mittellose Menschen lustig zu machen, und sie wahrscheinlich dieses Recht hätten,. Er sagte: „Aber Sie haben auch das Recht, zu sagen, ich möchte das nicht in mein Magazin setzen... Wenn Sie hineinsetzen, übernehmen Sie dafür die Verantwortung. „

Finkelstein verglich die kontroversen Charlie Hebdo-Karikaturen mit der „fighting words“-Doktrin (Kampfwörter), eine Sprachkategorie, die gemäß amerikanischer Rechtssprechung unter Strafe gestellt wird.

Die Doktrin bezieht sich auf bestimmte Wörter, die die Person, an die sie gerichtet sind, dazu bringen, eine Gewalttat zu begehen. Sie sind eine Sprachkategorie, die nicht vom Ersten Zusatzartikel der Verfassung geschützt sind.

„Ihnen ist nicht erlaubt, Kampfwörter von sich zu geben, weil sie einem Schlag ins Gesicht gleichen und das fordert Ärger heraus“, sagte Finkelstein.

„Also, sind nun die Charlie Hebdo-Karikaturen das Equivalent von Kampfwörtern? Sie nennen es Satire. Das ist keine Satire. Es sind nur Epitheta, da ist nichts Lustiges dabei. Wenn Sie das lustig finden, ist es auch lustig, Juden mit dicken Lippen und mit einer Hakennase darzustellen.“

Finkelstein deutete auf die Widersprüche bei der Sichtweise der westlichen Welt in Bezug auf die Pressefreiheit hin, indem er das Beispiel des pornografischen Magazins Hustler, dessen Verleger, Larry Flynt, von einem weißen rassistischen Serienkiller 1978 erschossen wurde und gelähmt blieb, weil er einen Cartoon druckte, der interrassischen Sex darstellte. 

„Ich erinnere mich nicht daran, dass irgendjemand zelebrierte: „Wir sind Larry Flynt“ oder: „Wir sind Hustler“, sagte er. Hätte man ihn angreifen sollen? Natürlich nicht, aber niemand machte dies zu einem politischen Prinzip der einen oder anderen Seite.

Der Westen öffnete seine Arme für die Charlie Hebdo Karikaturen, weil die Zeichnungen gegen Muslime gerichtet waren und diese verspotteten“, sagte er.

Die Charakterisierung der Muslime als barbarisch durch die Franzosen ist hypokritisch in Anbetracht der Ermordung Tausender von Menschen während Frankreichs kolonialer Besatzung von Algerien und der Reaktion der französischen Öffentlichkeit auf den algerischen Krieg in den Jahren 1954 bis 1962, laut Finkelstein.

Die erste Massendemonstration in Paris gegen den Krieg „erfolgte nicht bis 1960, zwei Jahre, bevor der Krieg vorüber war“, sagte er. „Jeder unterstützte den französischen Vernichtungskrieg in Algerien.“

Er sagte, das Apartment des französischen Philosophen Jean Paul Sartre sei zweimal, in 1961 und 1962, bombardiert worden, sowie das Büro seines Magazins „ Die Modernen Zeiten“, nachdem er sich mit voller Kraft gegen den Krieg ausgesprochen hatte.

Finkelstein, der als „radikaler Amerikaner“ beschrieben wurde, sagte, die Anmaßungen des Westens im Hinblick auf die Kleidung der Muslime entblößten einen dramatischen Widerspruch, wenn man an das Verhalten des Westens gegenüber den Ureinwohnern in Ländern dächte, die sie während des Kolonialismus besetzt hatten.

„Als die Europäer nach Nordamerika kamen, sagten sie, die Ureinwohner Amerikas seien so barbarisch, weil sie nackig herumliefen. Die europäischen Frauen trugen drei Kleidungsstücke. Dann kamen sie nach Nordamerika und entschieden, dass die Ureinwohner Amerikas rückständig waren, weil sie alle nackig herumliefen. Und heutzutage laufen wir alle nackig herum und sagen, die Muslime seien rückständig, weil sie so viele Kleidungsstücke tragen“, sagte er.

„Können Sie sich etwas Barbarischeres vorstellen? Frauen zu verbieten, Kopftücher zu tragen?“, fragte er mich, indem er sich auf das Kopftuchverbot im französischen  öffentlichen Dienstleistungsbereich aus 2004 bezog.

Finkelsteins Werk, das die Juden anklagt, das Gedenken an den Holocaust für politische Zwecke zu missbrauchen, und das Israel wegen seiner Unterdrückung der Palästinenser kritisiert, hat ihn zu einer kontroversen Persönlichkeit gemacht, sogar in der jüdischen Gemeinde.

Seine Anstellung als Professor in der DePaul-Universität im Jahre 2007 wurde abgelehnt, nach einem groß veröffentlichten Kleinkrieg mit dem Akademikerkollegen, Alan Dershowitz, einem glühenden Unterstützer Israels. Dershowitz soll angeblich auf die Verwaltung von DePaul, einer römisch-katholischen Universität in Chicago, Einfluss ausgeübt haben, damit sie seine Einstellung ablehnt.

Finkelstein, der zur Zeit in der Sakarya Universität in der Türkei lehrt, sagte die Entscheidung habe auf „offensichtlich politischen Gründen“ basiert.

 

Aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt von Inga Gelsdorf


 

 

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