Der Holocaust - ein Alibi
Dror Etkes, Haaretz, 22.12.06
Im Theater des Absurden ist der
Vorhang gefallen. Es war letzte Woche von der iranischen Regierung
inszeniert worden. Es war ein Ereignis, zu dem Personen eingeladen
worden waren, die zur Szene der Holocaust-Leugner gehören und
„alternative“ Forscher. In Israel wurde über die Konferenz mit der
Betonung auf die Statements seiner Teilnehmer und die Reaktionen
israelischer Politiker berichtet. Es war eine internationale
Konferenz eines Landes, das erklärte, sein Wunsch sei es, das
„zionistische Regime“ zu stürzen. Dahinter verbirgt sich aber ein
tieferes Element, das die Verbindung zwischen der israelischen
Identität heute mit dem Holocaust verknüpft.
„Wenn das Geschehen (des
Holocaust) in Frage gestellt wird, dann wird auch die Identität des
zionistischen Regimes in Frage gestellt“. Mit diesen bei der
Eröffnungssitzung ausgesprochenen Worten des iranischen
Außenministers Mottaki wird deutlich, dass das iranische Regime sehr
genau die Verbindungen identifizierte, die es in Israel zwischen dem
Holocaust und lokaler Politik gibt. Eines der prägenden historischen
Ereignisse des Westens, deren Bedeutung für die ganze Menschheit
sehr wichtig ist, ist der Holocaust, der weiter wirkt und noch
60 Jahre danach Israel das Alibi für ein
abweichendes Verhalten seiner politischen Möglichkeiten liefert
Ein Israel ohne klare
Unterscheidung zwischen der politischen Linken und Rechten und all
ihren Ablegern benützt den Holocaust weiter in einer Art, die
Zynismus und ungehobeltes Benehmen verbindet. Selbst wenn es
tatsächlich eine beträchtliche und komplexe Verbindung zwischen dem
Holocaust und der israelischen politischen Kultur gibt, sollte es
nie eine Rechtfertigung für die Instrumentalisierung seines
Gedenkens für die Aufrechterhaltung des Besatzungsprojektes geben,
das Israel nun seit 40
Jahren in den „Gebieten“ praktiziert.
Israels Haltung gegenüber dem
Holocaust leitet sich nicht wirklich von der Art und Weise ab, mit
der die Führung auf die aufhetzenden Erklärungen des iranischen
Präsidenten Ahmadinejad und seine Propagandisten reagierte, die vor
allem ein Zeugnis für die Redner selbst sind. Man kann u.a. diese
Haltung dadurch erfahren, wie sie sich gegenüber den zehn Tausenden
Überlebenden verhält, in deren Physis und Psyche die Naziverbrechen
noch immer eingeätzt sind und die hier
unter beschämenden Bedingungen unterhalb der Armutsgrenze leben.
Die tatsächliche Behandlung der
Überlebenden ist anscheinend weniger glänzend, als der Gedenkkult,
mit dem man die Ermordeten umgibt und der jedem Politiker eine Bühne
verschafft, der seinen Weg ins Zentrum des Konsenses sucht. Wie
kürzlich wieder in Ha’aretz veröffentlich wurde, nationalisiert der
Staat auch weiterhin die Wiedergutmachungsgelder, die eigentlich
zugunsten der hundert tausenden Überlebenden überwiesen werden – von
denen aber gleichzeitig viele in krimineller Weise vernachlässigt
werden.
Die primitive
Instrumentalisierung, die die iranische Politik vom Holocaust macht,
ist nichts anderes als ein Spiegelbild dessen, wie das Gedenken des
Holocaust im politischen Leben in Israel ausgenützt wird. Eines der
Ziele der iranischen Kampagne, „die Wahrheit über den Holocaust zu
erforschen“ ist es, das System der Rechtfertigungen zu entwirren,
das Israels Politiker gewöhnlich bei ihren all zu häufigen
Definitionen von Kritik der Politiker anwenden, denen im In- und
Ausland Antisemitismus vorgeworfen wird. So ist die Rolle des
Holocaust als einzige Rechtfertigung für Israels Existenz verstärkt
worden, statt die Tatsache in den Vordergrund zu stellen, dass heute
mehr als 7 Millionen Menschen verschiedener Herkunft und
Nationalitäten in diesem Lande leben – ein Ort, der für die meisten
die einzige Heimat ist.
Wenn der iranische
Außenminister tatsächlich Recht hat und der Holocaust die einzige
Grundlage für die Legitimität des zionistischen Projektes heute ist,
dann scheint die Zeit für eine radikale Neubesinnung für das Konzept
des Zionismus gekommen zu sein. Und es wäre gut, wenn dies
geschieht, bevor Ahmadinejad und seine ultra-Orthodoxen Partner aus
Brooklyn mit einer neuen Produktion kommen.
Der Autor dokumentiert im Namen
von Peace Now das Siedlungsprojekt.
(dt. Ellen Rohlfs) |