Richard Falk: Die sich verhärtende
Struktur der Diskrimination in Israel kommt Apartheid gleich
Sare Selvi Özturk - 10.04.2017
Professor Richard Falk ist einer von
hunderten von Akademikern, die wegen des übermächtigen Drucks der
jüdischen Lobby angegriffen und an der freien Rede gehindert werden.
Der internationale Juraprofessor und
frühere UN-Sonderberichterstatter über die Menschenrechte in den
palästinensischen Gebieten, Richard Falk, war am 13. März in
Großbritannien, um sein neues Buch, "Palästinas Horizont: zu einem
gerechten Frieden", zu präsentieren. Seine Vorträge waren jedoch
überschattet von der Veröffentlichung eines UN-Reports am 15. März,
den er mit der stellvertretenden Generalsekretärin Rima Khalaf von
der Wirtschafts- und Sozialkommission für Westasien (ESCWA) verfasst
hatte, und das Israel beschuldigt, ein "Apartheid-Regime" von
rassischer Diskriminierung über das palästinensische Volk verhängt
zu haben. Nach diesem Ereignis
entwickelte sich eine Reihe von
Skandalen, die zu aufeinander folgenden Absagen seiner Vorträge
durch Universitäten in ganz Großbritannien und zum Rücktritt von
Khalaf von ihrem Posten bei der UNO führte. Auch wenn der UN-Report
von dem neu gewählten UN-Generalsekretär Antonio Guterres sofort mit
den Worten kritisiert wurde, dass dieser "Report nicht die Ansichten
des Generalsekretärs repräsentiert und ohne Konsultationen mit dem
UN-Sekretariat veröffentlicht wurde", ist er der erste, in dem die
UNO Israel derart beschuldigt hat, ein Apartheid-Regime zu sein. In
einer Atmosphäre, in der Universitäten seine geplanten Vorträge in
London abgesagt haben, hatten wir die Chance Falk zu interviewen; er
sprach darüber, dass er daran gehindert wird an britischen
Universitäten zu sprechen, über das Thema Israel-Palästina, die
politische Landschaft in Trumps Amerika und die wachsenden
Rechtstendenzen in Europa.
Daily Sabah: In den letzten zwei
Wochen sind Sie in Großbritannien wegen des jüngsten UN-Reports
unter Beschuss geraten. Es gab pro-israelische Gruppen, die sich
dafür eingesetzt haben, dass ihre Vorträge abgesagt wurden. Weshalb
meinen Sie, sind Sie zum Schweigen gebracht worden, und warum wird
die Situation aggressiver?
Richard Falk:
Ich glaube, der Hauptgrund besteht darin, dass die israelische
Herrschaft über das palästinensische Volk schon so lange andauert,
und wegen dem Konflikt mit dem grundlegenden internationalen Recht
und der internationalen Moral, über den sie in seiner Substanz nicht
diskutieren wollen. Man bemüht sich eher den Überbringer der
Botschaft zu diskreditieren als sich mit der Botschaft
auseinanderzusetzen. Natürlich hat die Reaktion auf unseren Report
diese Tendenz offen gelegt. Es ist zu bedrohlich für das israelische
Narrativ, wenn sie ihre Praktiken einer systematischen
Diskriminierung rechtfertigen müssen. Sie haben immer behauptet, es
geschehe alles wegen der Sicherheit. Aber ein Volk 70 Jahre in
Flüchtlingslagern zu halten und die ganze Politik, den
Palästinensern nicht zu erlauben, an die Orte, wo ihre Familien über
Generationen gelebt haben, zurückzukehren, ist eine Politik, die
wirklich nicht zu rechtfertigen ist. Die Behandlung der Menschen in
Gaza hat sich in jetzt mehr als zehn Jahren verschlechtert; sie sind
in diesem stark überbevölkerten und armen Gebiet eingesperrt, ohne
sauberes Wasser und mit sehr eingeschränkter Stromversorgung. Das
sind Situationen, über die die Israelis lieber nicht deskutieren
wollen. Also schaffen sie, anstatt über diese Themen zu diskutieren,
lieber eine Atmosphäre, die eine vernünftige Kommunikation unmöglich
macht.
D.S.: Wir sehen ein sehr mächtiges und
dominantes israelisches Narrativ, das in allen politischen Arenen
federführend ist und den Eindruck zu vermitteln scheint, dass
"Israel nicht kritisiert werden kann". Ist dieses israelische
Narrativ infrage gestellt worden? Wie kann dieses Narrativ verändert
werden?
R.F.:
Jedes Narrativ muss in seinem
historischen Kontext gesehen werden. In der frühen Periode wurde es
von verschiedenen Personen aller jüdischen, palästinensischen und
arabische Seiten infrage gestellt. Aber der Kontext war von der
Erinnerung an den Holocaust und die Erfahrung der Judenverfolgung in
der Hitlerzeit geprägt. Da hielt man sich mit der Kritik an Israel
zurück. Aber das ist schon ziemlich lange her. Mehr als 70 Jahre.
Jetzt ist die historische Erinnerung viel schwächer und die Realität
der Unterdrückung der Palästinenser sehr real und ein tägliches
Martyrium, das ist keine historische Vergangenheit, das ist
Gegenwart. Es ist keine Lösung am Horizont zu sehen. Alles weist
darauf hin, dass Israel diesen langen Zeitraum benützt hat, um den
Konflikt nicht zu lösen, um ihn zu verlängern und Siedlungen im
verbleibenden palästinensischen Territorium zu errichten, und alles
Mögliche zu tun, das eine Lösung des Konflikts auf der Basis einer
Versöhnung zwischen den Völkern immer weniger wahrscheinlich macht.
Die sich verhärtende Struktur der Beherrschung, die wir in unserem
Report studiert haben, um die Realität aus der Perspektive der
Apartheid zu untersuchen, die die Struktur einer systematischen
Diskriminierung ist, bei der die dominante Seite die Diskriminierung
dazu benutzt, die unterlegene Seite unter ihrer Kontrolle zu halten.
D.S.: Welcher Sache verdankt Israel
seine Existenz und sein herausforderndes Verhalten?
R.F.: Man kann das schwer
auf eine einzige Sache zurückführen. Ich denke, es ist eine
Kombination von (verschiedenen) Sachen. Sicher ist die Unterstützung
durch die USA wesentlich. Israel hat seine eigene Rüstungsindustrie
sehr effektiv dazu benützt diplomatische Beziehungen zu Regierungen
der arabischen Welt wie Saudi-Arabien und Ägypten herzustellen, die
scheinbar gegen es sind. Dann gibt es diese Situation in den USA, wo
man eine religiöse Rechte hat, die sich mit den Israelis aus Gründen
einer christlichen Doktrin identifiziert, die im letzten Buch des
Neuen Testaments steht, das eine Errichtung Israels als Vorbedingung
für die Wiederkunft von Jesus erwartet, für das zweite Kommen Jesu.
Man hat diese spezielle Kombination von evangelikalem Christentum
und fanatischer pro-israelischer Politik noch nicht richtig
verstanden, aber es ist einer der Faktoren, die Israel von außen
Stärke und Festigung gibt. Israel ist dabei eine eigeneständige
militärische Macht in der Region zu werden, und es ist für den
Westen, für Europa und die USA, strategisch günstig als
Unterstützung bei der Verfolgung ihrer größeren regionalen
Interessen.
D.S.: Es gibt heute nicht viele
Menschen wie Sie, die jüdisch sind, aber die israelischen Siedlungen
und die (israelische) Politik lautstark kritisieren, mit Ausnahme
gewisser jüdischer orthodoxer Gruppen. Was ist der wichtigste
Unterschied zwischen Ihnen und den orthodoxen Juden?
R.F.: In der weiteren
jüdischen Tradition gibt es zwei Hauptströmungen. Die erste ist die
tribalistische Sicht von Juden als auserwähltes Volk, das es
verdient als eine Ausnahme behandelt zu werden, die manchmal auch
jüdischer Exzeptionalismus (Einzigartigkeit) genannt wird, und der
politische Ausdruck dieses Exzeptionalismus ist der Staat Israel.
Deshalb unterstützen Sie, wenn Sie Jude bist, diese Idee, die die
jüdische Identität und die Reaktion auf die Verfolgung der Juden und
andere Dinge optimiert. Und dann gibt es eine mehr kosmopolitische
Sicht der jüdischen Identität, die mit Gerechtigkeit und der
Identifizierung mit den Leidenden zu tun hat und sich weniger mit
der jüdischen Identität befasst als mit dieser größeren Aufgabe, zu
versuchen die Welt zu einem besseren und sichereren Ort zu machen.
Ich denke, ich würde mich zur zweiten Kategorie rechnen. Ich mag
diesen Tribalismus inbezug auf das Judentum nicht. Ich mag keinen
Ultra-Naionalismus, das ist eine destruktive Macht. Wir sind alle
Teil der menschlichen Spezies. Wenn wir nicht anfangen als Teil
dieser menschlichen Spezies zu handeln, werden wir wahrscheinlich
uns selbst als planetarische Realität vernichten. Ich sehe diese
Frage so: geht es dir um die Identität als Mensch oder geht es dir
um die besondere jüdische Identität oder amerikanische Identität.
Wie denkst du grundsätzlich über Identität in der Welt, in der wir
leben?
D.S.: Was muss getan werden, um Frieden zu erreichen?
R.F.: Was wirklich fehlt, ist die Mobilisierung der
internationalen öffentlichen Meinung in Richtung auf eine
konkreteres Verhalten. Zum Beispiel hat der UN-Sicherheitsrat im
vergangenen September den Siedlungsausbau einstimmig verurteilt.
Aber es war nur eine Statement, getan wurde nichts. Man braucht eine
zusätzliche Aktivierung der internationalen öffentlichen Meinung,
damit die Regierungen anfangen über Sanktionen nachzudenken und ihre
Worte mit einer Aktion und einer Politik abzustützen. Die Hoffnung
ist, dass das die israelische Öffentlichkeit dazu bringen wird, über
ihre Alternativen nachzudenken, so wie es in Südafrika war. (Dort)
sah es auch wie eine hoffnungslose Situation aus, (als sei eine
Veränderung) ohne eine langen Bürgerkrieg oder eine gewaltsame
Transformation (nicht möglich). Aber der Druck von der
internationalen Gemeinschaft erreichte einen bestimmten Grad, und
die Führungsschicht in Südafrika kalkulierte ihre eigene Zukunft neu
und entschied, dass es besser sein würde die Apartheid aufzugeben
als die Struktur beizubehalten, die unter wachsendem Druck stand.
Gut, ob das in Israel passieren wird, kann niemand sagen. Die
Gegenwart scheint ziemlich festgefroren, aber die Gegenwart ist
nicht notwendigerwiese die Zukunft.
D.S.: Die Rede des früheren
US-Präsidenten Barack Obama auf seiner ersten Nahost-Reise nach
seiner Amtseinführung 2009 ließ auf einen Neubeginn im Nahen Osten
schließen. Aber offensichtlich hat es der Region nur noch mehr
Konflikt gebracht, und vor allem hat diese Zeit die Geburt von Daesh
gebracht.
Jetzt scheint die Trump-Administration
Israel zu unterstützen, indem sie vorschlägt ihre Botschaft nach
Jerusalem zu verlegen. Meinen Sie, dass die Trump-Administration
eine klare Politik hinsichtlich des Nahen Ostens und der weiteren
Region hat?
R.F.: Eines ist klar,
nämlich dass sich die Trump Administration über keine Sache im
Klaren ist. Das ist das einzige, was wir zur Zeit sicher sagen
können, solange es nicht mehr Druck auf Israel und eine Änderung der
Sichtweise in Israel und den Vereinigten Staaten gibt. Es gibt keine
wirkliche Aussicht darauf, dass aus der gegenwärtigen Situation ein
Frieden erwachsen kann. Die Präsidentschaft von Trump scheint über
diese Dimension zu wenig zu wissen, sie unterstützen die Verlegung
der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem – sie können das tun
oder auch nicht. Obamas Versuch eine neue Beziehung mit der
islamischen Welt und dem Nahen Osten herzustellen, war eine Art
naiver Ausdruck eines Wunsches. Diese Vision des Nahen Ostens war
naiv, ohne Kenntnis der Schwierigkeiten für die Verwirklichung einer
solchen Vision, schon wenn man den Widerstand bedenkt, der von
Israel, der israelischen Lobby in Amerika und dem US-Kongress kommt.
Es scheint, dass er unterschätzte, wie schwierig es ist, die Ziele
zu erreichen, die er sich gesetzt hatte, und genauso ging es ihm mit
den Atomwaffen. Er ging nach Prag und sagte dort, die US-Regierung
würde versuchen, die Welt frei von Nuklearwaffen zu machen und malte
eine Welt ohne Nuklearwaffen aus. Er unterschätzte, wie mächtig das
Nuklearwaffen-Establishments innerhalb der US-Regierung war und
diese Initiative blockierte. So ist dann nichts geschehen. Es war
darüber enttäuscht, wie er auch von der Nahost-Politik enttäuscht
war. Es war nicht so, dass er unaufrichtig gewesen wäre, er war sich
der politischen Dynamik, die diese Politik blockiert, nur ungenügend
bewußt.
D.S.: Aber die USA haben haben mit dem
Iran ein Abkommen über Nuklearwaffen zustande gebracht. Das wurde
als eine Errungenschaft von Obamas Amtszeit gefeiert.
R.F.:
Das war so ein vernünftiger Weg einen
schrecklichen Krieg in der Region zu vermeiden. Der wäre in jeder
Hinsicht völlig unnötig (gewesen). Das Abkommen war zwar das
Verdienst der USA und von Obama, es wurde aber auch von den fünf
ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates unterstützt. Etwas
Seltenes und Ungewöhnliches. Internationale Politik und alle
mächtigen Staaten waren sich einig, dass das ein bedeutender Schritt
in ihren eigenen nationalen Interessen war. In
gewisser Hinsicht war es keine einfache Sache. Es gab keinen Grund
das zu tun. Aber Israel und Saudi-Arabien wollten scheinbar diesen
Konflikt. Während Saudi Arabien den Konflikt mit einer
polarisierenden Einstellung suchte, brauchte Israel dieses Gefühl
einen Feind in der Region zu haben, um seine eigene Aggressivität
als einen Teil der Disziplinierung seiner Gesellschaft zu behalten.
Außer von seiten Israels und Saudi Arabiens gab es keinen wirklichen
Widerstand gegen das Zustandekommen des Abkommens, das dem
iranischen Nuklearprogramm eine Menge Beschränkungen auferlegte.
Wenn Sie darüber nachdenken, so hatte Iran viel mehr Gründe
Nuklearwaffen zu entwickeln als alle anderen Staaten, weil es
umgeben war von feindlichen Mächten. Sie können die Anschaffung von
Nuklearwaffen gut als einen Schritt zur Verteidigung und
Abschreckung gegen die anderen sehen, die aggressiv werden könnten.
Viele haben gesagt, wenn der Irak Nuklearwaffen gehabt hätte, hätten
die USA es niemals gewagt den Iran, oder 2011 Lybien, anzugreifen.
Hätten diese beiden Länder Nuklearwaffen gehabt, wären sie niemals
Opfer einer Militärintervention geworden. Das ganze Auffassung der
iranischen Angelegenheit ist durch die westliche Darstellung übel
verdreht worden.
Quelle
Übersetzung: K. Nebauer
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