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Jagdaktion Dr. Ludwig Watzal

 

Aus: Sophia Deeg/Hennann Dierkes (Hg.), Bedingungslos für Israel?

Positionen und Aktionen jenseits deutscher Befindlichkeiten
Neuer ISP Verlag, Köln/Karlsruhe 2010,224 Seiten.


 

Hörensagen, Andeutungen und Falschzitate - die Kampagne gegen Ludwig Watzal

Sophia Deeg



In Israel, Frankreich, den USA und anderswo sehen sich Kritiker der israelischen Politik heftigen Angriffen ausgesetzt, die man manchmal auch als "Maßnahmen gegen die Wahrheit" bezeichnen kann. In Frankreich beispielsweise wurden Prozesse angestrengt, von denen keiner eine Aussicht auf Erfolg hatte. Doch der Prozess alleine zermürbte den Journalisten oder Kommunalpolitiker und schädigte seinen Ruf, weil er des Antisemitismus bezichtigt wurde und sich in langwierigen Verfahren, über die unredlich berichtet wurde, gegen diesen Vorwurf wehren musste.*  Der Fall von Norman Finkelstein, dessen Festanstellung als Professor auf Grund des Drucks der US-amerikanischen Israel-Lobby verhindert wurde, ist wohl eine der weltweit berüchtigtsten "Maßnahmen gegen die Wahrheit", die sich direkt gegen die Person und ihre berufliche Existenz richteten. In Deutschland ähnelt dem der "Fall Ludwig Watzal" in vieler Hinsicht, doch wurde er durch ein gespenstisches Schweigen quittiert, auch seitens der KollegInnen des Journalisten. Während in Israel, den USA oder Frankreich derartige Angriffe auf die Meinungsfreiheit auch Verteidiger der Angegriffenen auf den Plan rufen, können diese hierzulande bisher kaum mit Solidarität rechnen.

Die öffentliche Kampagne gegen Ludwig Watzal ist so wenig geistreich, witzig oder argumentativ interessant, wie andere Feldzüge dieser Art, denn um das richtige Argument, um Geist oder Witz geht es dabei meist nicht. Das Ganze langweilt eher oder verstimmt in seiner dumpfen Gehässigkeit. Außer, man genießt es, einem solchen Geeifer und Gegeifer beizuwohnen oder daran teilzunehmen. Oder man interessiert sich für die Psychologie oder -pathologie dahinter. Oder für die Interessen, um deretwillen jemand gemobbt oder "fertig gemacht" wird. Etwa für die Frage: Von welchen Versäumnissen oder Unzulänglichkeiten des Aggressors soll das Mobbing ablenken? Oder was gewinnt er, wenn er den anderen klein macht, sich auf seine Kosten profiliert, ihn verdrängt oder wegfegt?

Im Fall der Kampagne gegen Ludwig Watzal komme ich nicht umhin, mich zu interessieren, weil ich ihn als Fachmann in Sachen Nahost seit langem kenne und schätze. Und als solcher ist er durch das Mobbing, das er erfuhr und die mangelnde Solidarität, die er erleben musste, vorläufig verstummt, aus der Öffentlichkeit verschwunden. Ich habe Ludwig Watzal Mitte der 90er Jahre anlässlich eines Vortrags über den Oslo-Prozess kennengelernt, den sogenannten Friedensprozess, wie
er inzwischen nur noch heißt.

Monate zuvor hatte ich zu dem selben Thema Roni Ben-Efrat gehört, eine kritische, unabhängige israelische Journalistin, brillante politische Analytikerin der Verhältnisse und Entwicklungen in Palästina und Israel. Sie ist Chefredakteurin des Challenge Magazine, einer israelischen Internet-Publikation in englischer Sprache von linken palästinensischen und jüdischen Israelis. Auch Ludwig Watzal veröffentlichte gelegentlich in Challenge.

Der Kontext, in dem ich sowohl Roni Ben Efrat wie Ludwig Watzal Mitte der 90er Jahre kennenlernte, waren das Palästina-Komitee München und die dortige Jüdisch-Palästinensische Dialoggruppe, so weit ich weiß, die erste ihrer Art im deutsch-sprachigen Raum. Später kam dann Ludwig Watzals Buch über den Oslo-Prozess heraus, das im wesentlichen die Thesen im einzelnen belegte und entfaltete, die ich in Ronis und in seinem Vortrag erstmals gehört hatte: Die Oslo- Verhandlungen waren ein Desaster für die palästinensische Gesellschaft, aber auch für das internationale Recht und auf absehbare Zeit für jegliche Friedensaussichten im Nahen Osten. Es stellte sich schließlich heraus, dass sie den Boden bereitet haben für den massiven Siedlungsausbau, die fortschreitende Entrechtung der Palästinenser, die Zerrüttung ihrer politischen und zivilgesellschaftlichen Strukturen, die verzweifelte Gegenwehr der zweiten Intifada und ihre brutale Niederschlagung, den Mauerbau in der Westbank und die Wiederbesetzung (2002), die immer dichtere Abschottung des Gazastreifens und schließlich für das, was wir zur Jahreswende 08/09 in Gaza erlebt haben. Inzwischen sind die internationalen, vor allem auch die israelischen Publikationen Legion, die diese Analyse unterstreichen. Auch bei meinen Aufenthalten in Palästina/Israel fand ich - leider - diese Sicht der Dinge immer wieder bestätigt, obwohl vor allem palästinensische GesprächspartnerInnen lange von der - durch Oslo beförderten - Hoffnung oder Illusion nicht lassen wollten, dass Israel sie früher oder später als gleichberechtigte Partner - als Menschen! - anerkennen würde, oder dass die USA und oder Europa dafür einstehen würden.
 

Friedensfeinde - Der Konflikt zwischen Israel und Palästina in Geschichte und Gegenwart (1998) und die aktualisierte Fassung Feinde des Friedens - der endlose Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern (2001) sind Standardwerke zum israelisch-palästinensischen Konflikt - und im deutschsprachigen Raum die einzigen über die entscheidende Phase der "Oslo-Jahre". Sie werden in diesem "Raum", dieser Provinz, kaum (noch) beachtet, nachdem der Autor marginalisiert wurde.
 

Diskussionen, Publikationen, Äußerungen deutscher politischer Funktionsträger, von "Experten" oder Journalisten, haben die Gedanken, Fakten und Hintergrundanalysen, die Ludwig Watzal vor rund 10 Jahren bereits vorgelegt hat, noch längst nicht eingeholt. Sie fangen zaghaft an - so in letzter Zeit Torsten Schmitz in der Süddeutschen Zeitung - , die Mauer in der Westbank oder die Massaker in Gaza - nicht so richtig gut zu finden.
 

Immerhin. Aber es reicht nicht, sich mehr oder weniger heftig zu entrüsten. Wenn es um die Unmenschlichkeit des israelischen Besatzungsregimes, die  Verletzungen internationalen Rechts und der Menschenrechte durch Israel geht, erhebt sich in Deutschland durchaus ein kleiner Chor der moralisch Entrüsteten. Solange es jedoch dabei bleibt, ist die kritische Nachfrage berechtigt, warum israelischen Verbrechen diese besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Warum regt man sich nicht ähnlich über die Verbrechen anderswo auf? Und was will man eigentlich damit sagen, wenn man mit dem Finger auf Israel zeigt? Natürlich ist es legitim, dass angesichts von Schreckensnachrichten, wie sie uns immer wieder aus Palästina/Israel erreichen, die erste Reaktion ein Aufschrei ist. Empathie kommt ohne Argumente aus. Doch wenn - berechtigte Empörung nicht nach Zusammenhängen fragt, nach Entwicklungen, die zu dem geführt haben, worüber man sich empört, bleibt sie ohnmächtig. Schlimmer noch: sie legt eine problematische Antwort auf die Frage nahe, die sich im Zusammenhang mit solchen Verbrechen stellt, die Frage nach der Verantwortung und nach Gründen. Der problematische Sub text einer gedankenlosen Empörung über israelische Verbrechen lautet: "die" Israelis sind Verbre-
cher. Daran schließen sich beinahe automatisch weitere rassistische Gedankengänge an, die Zusammenhänge zwischen dem suggerieren, was "die" Juden im Holocaust erlitten haben und dem, was "sie" jetzt den Palästinenser antun.

 

Ludwig Watzal hat durch seine Publikationen Wesentliches dazu beigetragen, Voraussetzungen, Zusammenhänge und Hintergründe der Entwicklung des Nahost-Konflikts in den letzten Jahren zu beleuchten. Aufgrund solcher Einsichten wendet sich die Wut und Empörung nicht gegen eine Menschengruppe, sondern gegen politische Verhältnisse und politisch Verantwortliche. Es ist eine informierte Wut und Empörung, die auch weiß, wie sehr hiesige Politik, hiesige Interessen mitverantwortlich sind.

Wie es möglich ist, dass die Armee einer "westlichen Demokratie" und eines "Rechtsstaats" wie Israel Zivilisten abschlachtet und andere schwere Verbrechen begeht - das ist eine nicht leicht zu beantwortende Frage. Wie es dazu kommt, dass Soldaten, BürgerInnen, FunktionsträgerInnen, Intellekruelle eines (wie gesagt: demokratischen, befreundeten etc.) Staates sich "barbarisch", "menschenverachtend" (oder, wie auch immer man es empört benennen mag) aufführen - darüber wird in Israel selber, in Frankreich, in Großbritannien, in den USA und anderswo intensiv geforscht und publiziert - in Deutschland kaum.
 

Diese Gedankenlosigkeit, scheint mir eine der Grundlagen eines neuen oder wieder auflebenden alten Antisemitismus zu sein, der sich in manchen Reaktionen auf israelische Verbrechen zeigt. Wer sich zum israelisch-palastinensischen Konflikt äußert, hat vor diesem Hintergrund eine besondere Verantwortung: selbstverständlich nicht die, Kritik an der israelischen Politik zu unterlassen, sondern die, sachlich und ernsthaft nach den Hintergründen zu fragen.
 

Genau das zeichnete die Arbeit von Ludwig Watzal aus - bis sie weitgehend aus der Offentlichkeit verschwand, nachdem Schritt für Schritt seine berufliche Existenz vernichtet wurde. Ludwig Watzal war viele Jahre Redakteur der Zeitschrift Aus Politik und Zeitgeschichte, die von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegeben wird. Watzals Arbeitgeberin, die Bundeszentrale, versäumte es, ihn gegen die leicht zu entkräftenden Angriffe zu verteidigen, die aus dem Milieu selbsternannter Vorkämpfer gegen den Antisemitismus (zugleich bedingungslose Anhänger Israels), gegen ihn erhoben wurden. Auch Mainstream-Medien wie Die Welt waren sich nicht zu schade, die Anwürfe ungeprüft aufzugreifen. Ich schrieb damals (2004) über einen solchen Artikel in einem Leserbrief "Der gesamte Text ist eine Collage von Aussagen über Aussagen. Weder ist der Antisemitismus eine Lappalie, noch ist es der Vorwurf, antisemitisch zu sein, gegen wen auch immer er erhoben wird. Wer leichtfertig und auf Grund von Hörensagen, Andeutungen oder kolportierten Aussagen mit dem Vorwurf des Antisemitismus hantiert, bagatellisiert das Phänomen und riskiert es, einen Menschen öffentlich zu diskreditieren, auf den dieser Vorwurf nicht zutrifft." Obgleich es in der taz und der jungen Welt auch Artikel gab, die sich mit der Kampagne gegen Ludwig Watzal kritisch auseinandersetzten, fällt auf, dass der offensichtlich unsachlich geführte Angriff gegen einen auch international renommierten Nahostexperten annähernd "geräuschlos" über die Bühne gegangen ist und sich JournalistInnen, Intellektuelle und AkademikerIn- nen wenig solidarisch zeigten. Und das, obwohl es sich um einen massiven Angriff auf die Meinungsfreiheit handelte. Auch wenn man die Einschätzungen von Ludwig Watzal nicht in jedem Punkt teilt, sollte man erwarten, dass sich KollegInnen der schreibenden Zunft mit angegriffen und zur Solidarität verpflichtet fühlen.

Es ist nicht zu übersehen, dass die Kampagne gegen Ludwig Watzal von VertreterInnen der Interessen Israels, genauer gesagt, der Interessen der herrschenden Eliten in Israel, ausging. Ihre Wirkung beruht weniger auf irgend einer "Macht". Sie beruht auch nicht auf ihren guten Argumenten oder der Integrität ihres Anliegens. Sie beruht vermutlich vor allem darauf, dass sie in Deutschland zum einen mühelos willige Kollaborateure finden, die eigene Interessen verfolgen, zum anderen mit dem Schweigen einer verunsicherten Mehrheit rechnen können.

*Siehe dazu beispielsweise: Etienne Balibar et al, L' Antisemitisme: L'intolerable chantage - Israel-Palestine, une affaire francaise?


 

 

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