Demonstration gegen den
Überfall auf Gaza in Berlin am
18.11.2012
Rede von Dr.
Muhaisen Ahmad
Zu jedem geplanten Massaker
der israelischen Armee gehört die
entsprechende Propagandalüge, sie wird
zeitgleich mit den militärischen
Vorbereitungen geplant. So war es bei dem
Massaker gegen die Bevölkerung von Gaza vom
27. Dezember 2008 bis zum 18. Januar 2009,
es trug den Namen „Cast Lead“, gegossenes
Blei, nach den Bleigießen-Spielen zum
Jahresende. Die Lügen über Schuld und
Bedrohung und die israelischen
Kriegsverbrechen wurden noch nie vorher so
genau und herzzerreißend dokumentiert wie
in dem UNO-Menschenrechts-Dokument, benannt
nach dem Juristen Richard Goldstone. Man
kann in diesem Bericht genauestens
nachlesen, was den Menschen In Gaza zur
Stunde noch einmal, in schrecklicher
Wiederholung, geschieht:
Eine durch Belagerung seit
über fünf Jahren eingeschlossene und
traumatisierte Bevölkerung ist einem
pausenlosen Bombardement ausgeliefert. Es
gibt weder Sirenen noch ein Alarmsystem, es
gibt keine Schutzräume, die Häuser haben
nicht einmal einen Keller.
Kinder kauern sich angstvoll
unter Treppen in den Häusern. Im Januar 2009
ließen israelische Soldaten sogar verletzte
Kinder tagelang allein, Sanitäter durften
nicht zu ihnen, halb verdurstet, total
verängstigt wurden sie schließlich gerettet,
nachdem die Soldaten der „humansten Armee
der Welt“, wie sie sich selber nennt,
abgezogen waren. Diese Kinder schreien heute
die ganze Nacht und ihre Eltern können sie
nicht trösten, weil die Erinnerung sie
wieder einholt, sie sind besonders
traumatisiert.
Die tragische Geschichte
unseres Volkes muss also nur um ein Kapitel
weitergeschrieben werden. Wie damals waren
solidarische Menschen in vielen Ländern der
Welt auf den Straßen, wie damals wurden die
Rufe laut, Israel solle die Aggression gegen
eine schutzlose Zivilbevölkerung sofort
beenden. Wie damals gab es von Politikern
halbherzige Äußerungen zum angeblichen
„Notwehrrecht“ Israels – nicht zu dem
Notwehrrecht der Palästinenser. Warum müssen
wir diese Ungerechtigkeit zum wiederholten
Male erleben?
Einmalig ist die
jahrzehntelange Besatzung unserer Heimat und
einmalig sind die Lügen, die über uns
Palästinenser verbreitet werden. Einmalig
ist aber auch die Solidarität so vieler
Menschen auf der Welt mit uns und unserem
Schicksal. Saeed Amierah aus Ni“lin hat hier
in Berlin vor zwei Tagen darüber berichtet.
Die internationalen Friedensmenschen aus
aller Welt, die in die Westbank reisen oder
in Gaza blieben während des Massakers vor
vier Jahren. Die Menschen, die auf Schiffen
die Blockade von Gaza durchbrechen und
Hilfsgüter bringen wollten. Ende Mai 2010
überfiel die israelische Marine mit 1000
Soldaten die sechs Schiffe in
internationalen Gewässern und tötete auf der
Mavi Marmara zehn Menschen und verletzte
über 50 von ihnen. Einige Schwerverletzte
kettete man später in den israelischen
Krankenhäusern an das Bett so wie man sonst
Palästinenser behandelt.
Zur Zeit findet in der Türkei
eine juristische Aufarbeitung dieses
Verbrechens statt, angeklagt sind die
verantwortlichen israelischen Militärs, in
Abwesenheit wird man sie schuldig sprechen.
Ob sie jemals zur Rechenschaft gezogen
werden können vor einem internationalen
Gericht Ist noch nicht sicher. Ebenso wie
die Verantwortlichen des Massakers in Gaza
vor vier Jahren und der Verbrechen, die zur
Stunde geschehen. Keinem Land der Erde
wurden so viele Verbrechen gegen
internationales Recht zugebilligt wie
Israel.
So heißt wie schon so oft
unsere erste Forderung:
Schluss mit der
Straflosigkeit, Menschen-rechte sind
unteilbar. Gerechtigkeit für die
Palästinenser und Bestrafung der Täter.
Immer wieder fragen wir uns
verzweifelt: Wie kann die Welt zum
wiederholten Male zulassen, dass uns eine so
große Ungerechtigkeit, ein so großes Leid
zugefügt wird? Wie ist es möglich, dass
Israel völlig egal ist, was die Welt meint:
Nach dem Motto: „Sollen sie doch denken, wir
seien verrückt geworden, dann haben sie
wenigstens Angst vor uns!“ So sprachen schon
mehrere israelische Politiker: Scharon,
Barak und sogar Zipi Livni.
Kann es denn möglich sein,
dass es wirklich eine Bodenoffensive gegen
Gaza gibt wie vor vier Jahren? Mobilmachung
findet schon statt, das Bedrohungsszenario
ist perfekt. Aber kann es wirklich sein,
dass die jungen Menschen, Frauen und Männer
wie in Israel üblich, diesen Krieg, der kein
Krieg ist, weil die Palästinenser keine
Armee, keine Panzer, keine Flugzeuge, keine
Schiffe, keinen Hafen, keinen Flughafen,
keine Drohnen und keine Überwachungskameras
haben, mitmachen, dass sie sich derartig
belügen lassen? Oder ist die israelische
Überlegung eher so: Wir rufen alle Soldaten
zu den Waffen und erklären uns anschließend
bereit zu einem sogenannten
„Waffenstillstand“, dann danken uns unsere
Soldaten, dass sie keinen Krieg führen
müssen, denn wir haben für Frieden gesorgt??
Die letzten Nachrichten
besagen: Zwei Medienhäuser sind getroffen
worden. Das eine in der letzten Nacht mit
den Al Quds-Büroräumen, dabei wurden mehrere
Journalisten verletzt. Das zweite ist ein
Bürohochhaus, in einem der oberen Stockwerke
hat der Al Aqsa-Sender Büroräume aber auch
die ARD, Al Arabia, Dubai-TV und es gibt ein
Medienbüro von Sky-News für Fernsehen und
Radio.
Ein Armee-Sprecher der Israelis sagte: Die
Antennenanlagen des Hochhauses, das in der
Nacht bombardiert wurde, habe der bewaffnete
Arm der Hamas für die Kommunikation mit
ihren Einheiten benutzt. Das ist die
Kriegssprache. Überschrift im Tagesspiegel
von heute: "Israel zerbombt Zentrale der
Hamas". Es handelt sich um das
Regierungsgebäude. Die Unterzeile beschreibt
zwar das Grauen: "Luftwaffe fliegt 180
Angriffe auf Gazastreifen / Mehr als 40 Tote
seit Beginn der Kämpfe / Obama telefoniert
mit Netanjahu." Es fehlen die Hunderte
verletzte Menschen in Gaza.
In dem Artikel heißt es, "Terrorziele" seien
getroffen worden. Darunter Werkstätten zum
Raketenbau. Ganz Gaza ist angeblich eine
einzige Raketenwerkstatt und in Gaza lebt
die islamistische Hamas, mit der man nicht
spricht. Die Internet-Ausgabe von Haaretz
zitiert den israelischen Innenminister
Jishai: "Das Ziel der Operation ist es, Gaza
ins Mittelalter zurückzuschicken." Sie
borgen sich die Sätze der amerikanischen
Kriegsführer. Dieser Satz gehört zum
Vietnam-Krieg.
Außenminister Westerwelle konzentriert sich
in einer Erklärung ausschließlich auf die
Raketen, die aus Gaza in den Süden Israels
fliegen. Vergessen hat er die Belagerung
Gazas, die Zerstörung vor vier Jahren. Den
Nicht-Wiederaufbau der Häuser, weil es kaum
Baumaterial gibt. Vergessen hat er die
palästinensische Bevölkerung von Gaza.
Vergessen hat er ein kritisches Wort zu
Israel - genau so wie Frau Bundeskanzlerin
Merkel, die sogar an das Existenzrecht
Israels in der jetzigen Situation erinnert.
Wer spricht von unserem Existenzrecht!
Vergessen haben beide den Hinderungsgrund
für Friedensgespräche: Israels ständigen
Siedlungsbau, Israels neun Meter hohe
Apartheid-Mauer, Israels Besatzungsmacht in
der Westbank, Tausende palästinensische
Gefangene in israelischen Gefängnissen,
darunter Kinder und Jugendliche. Deshalb
fehlt heute hier unser Appell an diese
Politiker.
Und doch ist diesmal etwas
anders als vor vier Jahren: Die arabische
Welt hat sich verändert, , so sehr er auch
bedroht ist von außen und von
undurchsichtigen Kräften in verschiedenen
Ländern oder von rivalisierenden Gruppen,
hat dazu geführt, dass die Menschen lauter
und offener ihre Meinung äußern über das
Schicksal der Palästinenser.
Wenn sich auch der
UNO-Sicherheitsrat wie so oft zurückhaltend
oder abwartend verhält, so hat doch Ägypten
mit Präsident Mursi und dem
Parlamentspräsidenten bei seinem Besuch in
Gaza eindeutige Worte gefunden, der
tunesische Außenminister war gestern in
Gaza, Ban Ki-Moon wird kommen und in den
nächsten Tagen wird es eine Abordnung der
Arabischen Liga in Gaza geben. Israel ist
zum wiederholten Mal öffentlich isoliert.
Unsere bange Frage ist:
Wann wird Israel das endlich
begreifen und den aggressiven Weg des
Krieges verlassen?
Es
nützt Israel nichts, die Journalisten in
Gaza anzugreifen und ihre Büroräume zu
zerstören. Genau so tat es die amerikanische
Armee im Irak zu Beginn des Lügen-Krieges
2003. Die Wahrheit kommt an den Tag. Aber
sie berichtet von schrecklichen menschlichen
Opfern. Sinnlosen Opfern wie in allen
Kriegen.
Wir Palästinenser danken
allen Menschen für ihre Solidarität. Wir
danken den Politikern. In Deutschland, die
an unserer Seite stehen, wir möchten
besonders die drei Menschenrechtler der
Partei die LINKE erwähnen, die auch auf der
Mavi Marmara waren: Annette Groth, Inge
Höger und Norman Paech. Aber auch viele
andere. Wir danken Euch.