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Eiskalte
Gerechtigkeit
John Lyons, 26.Nov. 2011-11-28
Man hört sie, bevor
man sie sieht. Der erste Hinweis, dass eine neue Gruppe Kinder sich
nähert, ist ein Schlurfen von Schuhen und ein Klimpern von Handschellen
und Fußketten. Die Tür zum Gerichtssaal geht auf – vier Jungen, alle mit
Fußketten aneinander gefesselt, starren in den Raum. Vier Jungen
schauen verwirrt drein.
Sie tragen braune
Gefängniskleidung und sie schlürfen in den Raum, wo über ihr Schicksal
von einer weiblichen Armeeoffizierin/Richterin entschieden wird, die
hinter dem Richtertisch sitzt und wartet. Der Blick eines Jungen
verändert sich in Strahlen, als er seine Mutter hinten im Saal entdeckt.
Er wirft ihr einen Handkuss zu. Aber seine Mutter beginnt zu weinen, was
den Jungen erschüttert. Er beginnt auch zu weinen.
Wir sitzen in einem
israelischen Militärgericht, das dem Ofer-Gefängnis in der Westbank
angeschlossen ist, 25 Minuten von Jerusalem entfernt. Montag und
Dienstag sind die „Kindertage“ . Hunderte von palästinensischen Kindern
ab dem Alter von 12 Jahren werden jedes Jahr hierher gebracht, um hier
nach israelischem Militärrecht wegen einer Reihe von Straftaten
verurteilt zu werden. Die Mehrheit wird wegen Steinewerfens angeklagt,
und da das Gericht eine fast 100%ige Verurteilungsrate hat, bekommen
fast alle Gefängnisstrafe von zwei Wochen bis zu 10 Monaten. Einige
enden im Gefängnis für Erwachsene.
Heute schlürfen
Gruppen von drei oder vier Kindern herein; einige Fälle dauern nur 60
Sekunden, gerade lang genug, um das Kind schuldig zu sprechen und das
Urteil auszusprechen. In einem Raum etwa 50m entfernt warten weitere
Kinder. Trotz ihres Eingeständnisses, bestehen viele darauf, dass sie
weder Steine noch Molotowcocktails geworfen hätten. Die
Menschenrechtsgruppe „Save the Children International“ schätzt, dass
über ein Drittel, das durch dieses System läuft, weder eine
Dokumentation – auf hebräisch – gesehen noch unterzeichnet hat – und
hebräisch ist eine Sprache, die sie nicht verstehen können.
Innerhalb des
Gerichtssaales wünscht die PR der Armee, dass ein IDF-Führer neben mir
sitzt, um mir jeden Fall zu erklären. Ich könnte ihn als „meinen Führer“
bezeichnen, aber nicht mit Namen nennen. Es ist uns erlaubt, einige der
älteren Kinder zu fotografieren, aber nicht die jüngeren. Es ist uns
auch nicht erlaubt, die mit Handschellen gefesselten Kinder zu
fotografieren und wie sie mit Fußfesseln zu gehen versuchen – „absolut
nicht“, sagt meine Führer. Der Armee ist es offensichtlich klar, dass
solch ein Foto enormen Schaden anrichten würde. Nach dem 11. September
habe ich wohl angebliche Terroristen gesehen, die so zu laufen
versuchten, aber niemals Kinder, die so behandelt wurden. Es überrascht
nicht, dass Israel dieses Bild nicht bekannt machen will – es würde
unerfreulich aussehen wie ein Guantanamo für Kinder.
Mehrere Länder,
angeführt von England, machen Israel wegen der Behandlung von Kindern
schon die Hölle heiß – nicht nur wegen der Art ihrer Verhaftung und
Verhörs, sondern auch wegen der Bedingungen unter denen sie in Haft
gehalten werden. MP Sandra Osborne gehörte zu einer britischen
Delegation, die kürzlich ein Militärgericht besuchte. Sie sagte von dem
Besuch: „Für die Kinder, die wir an jenem Morgen sahen, war das einzige,
was die Kinder interessierte, dass sie ihre Familien sahen, vielleicht
das erste Mal seit Monaten – durch diesen Prozess wird eine ganze
Generation kriminalisiert.
Mit dieser Welt
befasste sich der australische Anwalt Gerard Horton. Er war in Sydney
acht Jahre lang Barrister vor Gericht und seine Praxis schloss
Vertragsstreitfälle, Gebäudeversicherungsfälle und
Arbeitsangelegenheiten ein. Als er 2006 für einen Master im Völkerrecht
arbeitete, war er als Volontär drei Monate lang bei einer Organisation
tätig, die sich mit palästinensischen Gefangenen in der Westbank
befasste. Seitdem arbeitet er dort.
Während der fünf
Jahre bei „Defense for Children International“ hat das Büro seine
Beweissammelnde Kapazität vergrößert und will nur noch glaubwürdige
Behauptungen, die sich auf eidesstattliche Erklärungen gründen,
verfolgen, sagte Horton. Er führte mich durch den Verhaftungsprozess: „
Wenn das Kind erst mal gefesselt ist und die Augen verbunden sind, wird
es zu einem wartenden Militärfahrzeug geführt und in etwa ¾ Fällen wird
es auf den Metallboden des Fahrzeugs geworfen, um zum Verhörzentrum
gefahren zu werden.
Manchmal werden die
Kinder mit dem Gesicht unten gehalten, während die Soldaten ihre
Stiefel auf den Rücken oder Hals des Kindes stellen. Die Kinder werden
mit Handschellen gefesselt, manchmal aus Plastik, die in die Handgelenke
schneiden. Viele Kinder kommen im Verhörzentrum mit blauen Flecken und
geschlagen, ohne Schlaf und verängstigt.“ Es geht darum, dass sie so
schnell wie möglich gestehen.
DCI hat drei Fälle
dokumentiert, bei denen die Kinder Elektroschocks mit einem Handgerät
erhalten und Horton behauptet, es gebe dort einen Verhörenden aus der
Siedlung Gush Etzion , „der sich darauf spezialisiert, die Kinder mit
Vergewaltigung zu bedrohen.“ Manche Fälle berichten von entsetzlichen
Behauptungen wie z.B. von Ahmaad,15, das von DCI dokumentiert wurde: er
wurde nachts um 2 Uhr aus der Wohnung geholt, die Augen verbunden und
wegen Steine-werfens angeklagt. ‚Ich brachte es irgendwie fertig unter
der Augenbinde einen Hund zu sehen’, sagt er, ‚sie brachten dem Hund
Futter und legten dies auf meinen Kopf. Ich denke, es war ein Stück
Brot. Der Hunde musste es über meinem Kopf fressen. Sein Speichel lief
über meinen Kopf. Da bin ich ausgeflippt. Ich war so verängstigt, mein
Körper begann zu zittern .. die Soldaten begannen zu lachen. Dann legten
sie ein anderes Stück Brot auf meine Hosen nahe meinen Genitalien. Also
versuchte ich mich zu bewegen. Er begann zu bellen. Ich hatte solche
Angst.
„Wir wollen Verhöre
von Kindern filmen,“ sagt Horton, das würde nicht nur einigen Schutz für
die Kinder bedeuten, sondern würde auch die israelischen Verhörenden vor
falschen Behauptungen schützen.
Die australischen
Diplomaten haben offensichtlich kein Interesse an militärischen
Gerichtshöfen gezeigt, obwohl unserer Botschafterin in Israel Andrea
Faulkner vor einem Jahr von der Behandlung der Kinder erzählt wurde.
Sie weigerte sich, die Situation dieser Geschichte zu kommentieren.“ Es
ist enttäuschend, das von allen diplomatischen Missionen der Region
Australien auffällig zu diesem Problem der militärischen Gerichtshöfe
schwieg,“
Horton sagte, die
militärischen Gerichte funktionieren als Kontrollsystem: „Die Armee
muss sicher gehen, dass die 500 000 jüdischen Siedler, die in den
besetzten Gebieten leben, ihrem täglichen Job nachgehen können, ohne von
den 2,5 Millionen Palästinensern gestört zu werden … es ist kein
Zufall, dass die meisten verhafteten Kinder in der Nähe von Siedlungen
oder Straßen leben, die von den Siedlern oder von der Armee benützt
werden.
Es ist ein
effektives System – sehr oft tauchen die Kinder verängstigt und
gebrochen wieder auf. Es gibt wenig Rückgriffsklagen. Von 2001 bis 2010
wurden 645 Klagen gegen israelische Verhörende erhoben; nicht eine
einzige endete mit einer strafrechtlichen Untersuchung. „Manchmal
werfen Kinder aus einer Gruppe Steine gegen Siedler oder Soldaten,
aber es ist ihnen nicht klar, wer die Steine geworfen hat. Dann geht
die Armee nachts um zwei oder drei und holt sich fünf oder 10 Kinder,
schlägt sie zusammen und jagt dem ganzen Dorf Angst und Schrecken ein,“
sagt Horton. Und wenn die Armee Kinder verhaftet, sagt sie keine Gründe
auch nicht, wohin man sie bringt.
Frühere israelische
Soldaten haben sich in der Gruppe „Das Schweigen brechen“ zusammen
geschlossen. Sie haben mehr als 700 Zeugenaussagen über Misshandlungen
gesammelt, die sie begangen haben oder bei denen sie Zeugen waren. Der
frühere israelischen Armeekommandeur Yehuda Shaul sagt, die Armee ordnet
an, dass „die Palästinenser so behandelt werden, dass sie das Gefühl
bekommen, gejagt zu werden.“ Der Palästinenser wird verhaftet und
entlassen,“ sagt Shaul, „ er hat keine Ahnung, warum er verhaftet wurde
und warum er so schnell wieder entlassen wird. Das übrige Dorf fragt
sich, ob der entlassene vielleicht ein Kollaborateur ist.
Fadia Saleh, die für 11 Rehabilitationszentren
in der Westbank verantwortlich ist, befasst sich mit den Auswirkungen
der Haft: „Gewöhnlich isolieren sich die Kinder selbst; sie werden aus
den einfachsten Gründen sehr zornig; sie leiden unter Alpträumen; sie
haben das Vertrauen in andere verloren; sie haben keine Freunde mehr,
weil sie denken, dass ihre Freunde sie betrügen. Es gibt auch ein
Stigma um sie – andere Kinder und Eltern sagen: seid vorsichtig, zeigt
euch nicht mit ihm oder die israelischen Soldaten schnappen euch auch.“
(dt. Ellen Rohlfs)
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