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Arne Hoffmann - Leserbrief zum Artikel von Klaus Bittermann - Tanz den Adolf Hitler

 

Sehr geehrtes Redaktionsteam der "jungen welt",

ich habe gerade Klaus Bittermanns Beitrag "Tanz den Adolf Hitler" gelesen.

Was bitte ist hier passiert? Ist die "junge welt" von der "Welt" übernommen worden? Liegt Ihr verantwortlicher Redakteur mit einer schweren Grippe darnieder? Ich kann nicht ganz glauben, was ich da lese! Bisher war es doch vor allem Ihre Zeitung, die auf das Leiden der Palästinenser und an ihnen begangene Untaten hinwies und die es zu Recht ablehnte, dass Kritik an solchen Greueln mit dem schlichten Etikett "antisemitisch" abgewatscht wurde. Werner Pirker ist hier ein echter Hoffnungsschimmer im deutschen Journalismus!

Wenn der Auschwitzüberlebende Hajo Meyer die mit eigenen Augen gesehenen Schrecken der israelischen Besatzung mit den ebenfalls eigenen Erfahrungen im Deutschland der dreißiger Jahre vergleichen kann, dann ist es selbstverständlich nicht nur sein Recht, dies auch zu äußern, statt brav die Klappe zu halten, sondern sogar seine moralische Pflicht! Menschen wie Henryk Broder versuchen, solche Warnungen unmöglich zu machen, indem sie die Kritiker schmähen und mit dem Antisemitismusvorwurf zu Unpersonen machen wollen. Jetzt hat dem ein Gericht einen Riegel vorgeschoben und in einer klugen Urteilsbegründung sämtliche rabulistischen Formulierungszaubereien Broders kühl und sachlich in ihre Einzelteile zerlegt. Und da lässt sich ausgerechnet die "junge welt" vor den PR-Karren eines solchen Mannes spannen? Man fasst es nicht!

Warum beteiligt sich die "junge welt" an solchen unsachlichen Diffamierungen, etwa wenn sie Abraham Melzer eine "schlecht übersetzte Poe-Gesamtausgabe" zuschreibt (was hat das mit dem Thema zu tun – das dient doch wohl nur dazu, Melzer noch mal eins reinzuhauen), ihn als "Gift und Galle spruckendes Rumpelstilzchen" herabsetzt (schon mal die Texte Broders gelesen?), über Möllemanns Tod geschmacklose Witze reißt ("zu hart auf dem Boden der Tatsachen aufgeschlagen") und den Cap-Anamur-Gründer Rupert Neudeck als "durchgeknallt" beleidigt (was tut eigentlich Herr Bittermann, um Flüchtlingen zu helfen?). Bitte, was IST das alles? Merken Sie nicht, wie verloren jemand auf der Sachebene sein muss, wenn er auf dieses Niveau herabsinkt?

Die "Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost" brachte in einer aktuellen Verlautbarung auf den Punkt, was hier gerade politisch geschieht: "Sowohl die USA als auch Israel gerieten und geraten wegen ihrer Politik in der Öffentlichkeit überall auf der Welt, nicht zuletzt in Europa, in ein schlechtes Licht. Deswegen betreibt Israel nun auch verstärkt in Europa eine Propagandaoffensive. Ein Hauptpropagandainstrument dabei ist der Vorwurf des Antisemitismus mit dem Zweck, alle Menschen als Antisemiten zu diffamieren, die Israels Politik gegenüber den Palästinensern kritisieren. Eine andere Propagandastrategie (…) ist die Dämonisierung der Muslime, die Hetze gegen die Muslime, als neuen Feind, deren angebliche Bedrohung für die ganze Welt George W. Bushs `Feldzug gegen das Böse´ rechtfertigen soll. (…) Der Missbrauch von angeblichem Antisemitismus ist moralisch verwerflich. Es brauchte Hunderte von Jahren und Millionen von Opfern, bis der Antisemitismus – ein besonderer Fall von Rassismus, der geschichtlich zum Genozid führte – tabusiert war. Menschen, die dieses Tabu missbrauchen, um Israels rassistische und genozidale Politik gegen die Palästinenser zu unterstützen, schänden, ja: schänden das Andenken jener jüdischen Opfer, deren Tod aus humanistischer Sicht Sinn nur insofern hat, als er der Menschheit als ewige Warnung vor allen Arten der Diskriminierung, des Rassismus und des Genozids dient."

Vom Ethischen her macht es mich fassungslos, dass sich ausgerechnet die "junge welt" durch Klaus Bittermanns Artikel an dieser Schändung beteiligt. Dass Broder und seine Co-Autoren der "Achse des Guten" täglich Loblieder auf George Bush und seine militärischen Angriffe singen, dass Broder den Überfall auf den Irak ausdrücklich befürwortet, dass dieser Verein die Friedensbewegung regelmäßig als Halbidioten hinstellt und Muslime nur im Zusammenhang mit Terrorismus erwähnt - ist Ihnen das nicht bekannt?

Ausgerechnet Ihrer Zeitung? Solche Leute möchten Sie gerne publizistisch unterstützen? Auf dem Webblog der "Achse" lacht sich Broder gerade ins Fäustchen, wie er Sie an der Nase herumgeführt und für seine Zwecke instrumentalisiert hat.

Vom Journalistischen hingegen halte ich es für ein Unding, wenn Bittermann einen Artikel verfasst, in dem er offenbar komplett naiv die Behauptungen Broders übernimmt, ohne sie gegenzuchecken, so etwa wenn er schreibt, Suhrkamp habe Ted Honderichs Werk "Nach dem Terror" _aussortiert_, als ob es Ramschware wäre. Stattdessen wurde es nach der lautstarken Empörung Micha Brumliks eilfertig vom Markt genommen, was selbstverständlich eine Form von Zensur darstellt. Peinlich für Brumlik, dass er sich danach vorhalten lassen musste, das Buch offenbar nicht richtig gelesen zu haben. Judith Butler erklärte sehr gut, warum die Entscheidung des Verlages hochproblematisch war: "Suhrkamp hat die Kritik, die von einigen Intellektuellen, darunter einige Juden, vorgebracht wurde, akzeptiert, was bedeutet, daß diese Position als die `richtige´ bevorzugt worden ist und damit die gewaltige intellektuelle Verpflichtung, Zensur und Antiintellektualismus zu bekämpfen, übergangen wird, die so viele jüdische Denker mit den Grundsätzen des politischen Liberalismus verbindet." Schließlich könnte die Entscheidung des Suhrkamp-Verlages sogar den Verschwörungstheorien von Judenhassern dienlich sein: "Wenn Leser des weiteren denken, daß `Juden´ die Macht haben, ein Buch zu unterdrücken, stärkt diese Tatsache die antisemitische und paranoide Überzeugung, daß Juden die letzte Kontrolle über Verlage und Medien ausüben – was eindeutig falsch ist."

(Ganz nebenbei bemerkt hatten Sie Ted Honderich in Ihrer Ausgabe vom 14. November 2003 im Interview, sollten also selbst gut wissen, wie der Hase läuft.)

Ich hoffe doch sehr, dass die heutige Entgleisung von der pflichtbewussten Aufklärung zur verantwortungslosen Demagogie in Ihrer Zeitung ein einmaliger Ausrutscher war. Unerklärlich bleibt sie mir noch immer.

Mit freundlichen Grüßen

Arne Hoffmann, Autor ("Warum Hohmann geht und Friedman bleibt")

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