Die Palästinenser sollten aus Sharons Hütchenspiel aussteigen
Von Ashraf Fahim
Samstag, den 21. Mai 2005
In den letzten Monaten scheint die
Verzweiflung, die normalerweise für den palästinensisch-israelischen
Konflikt endemisch ist, irgendwie abgenommen zu haben. Der Gewaltpegel
ist relativ niedrig (trotz gelegentlicher Ausbrüche wie zu Beginn dieser
Woche), und beide Seiten haben sich eine versöhnliche Rhetorik zu Eigen
gemacht. Tragischerweise verbirgt diese Optimismuspatina einen von
Fehlfunktionen gesteuerten Prozess. Während die Palästinensische
Autonomiebehörde (PA) mit Macht eine Reform ihrer politischen und
Sicherheitseinrichtungen anstrebt sowie eine Waffenruhe durchsetzen
will, erweitert Israels Premierminister Ariel Sharon seine illegalen
Siedlungen in der Westbank dermaßen, bis es unmöglich sein wird, einen
wirklich unabhängigen, palästinensischen Staat zu begründen. Die
Bush-Administration hat Sharon ermutigt, indem sie Israels Anspruch auf
seine großen Siedlungen bekräftigt hat.
Unter diesen Umständen gibt es nur wenig Verhandlungsspielraum für die
PA. Vielmehr müssen die Palästinenser ihre Strategie drastisch ändern,
falls sie die Hoffnung hegen, ihre gegenwärtige Situation zu ihren
Gunsten zu verändern. Wenn Präsident Mahmoud Abbas sich am 26. Mai mit
US-Präsident George W. Bush im Weißen Haus treffen wird, wird er
Berichten zufolge Bush bitten, den Druck auf Israel zu verstärken. Jetzt
schon sollte es klar auf der Hand liegen, dass Bush nicht die Absicht
hat, diesem Anliegen zu entsprechen. So sollte Abbas stattdessen Bush
davon in Kenntnis setzen, dass die PA den Kontakt mit Israel
unterbrechen und nicht weiter verhandeln werde, bis ihre
Minimalforderungen an den sog. „endgültigen Status“ garantiert seien.
Nichts macht Sharons Absichten transparenter als seine Entscheidung,
trotz internationalem Widerspruch der Maaleh-Adumim-Siedlung weitere
3.500 Wohneinheiten hinzuzufügen. Diese Neubauten werden das arabische
Jerusalem von der Westbank trennen und damit eine eventuelle
Wiedereingliederung unmöglich machen. In der Tat ist das Ausmaß von
Israels allumfassenden Zwangsenteignungen so, dass ein am 11. Mai von
dem in Genf ansässigen Zentrum für Bebauungsrecht und Ausweisung (in
Zusammenarbeit mit der palästinensischen Menschenrechtsgruppe Badil)
veröffentlichter Bericht zu dem Schluss kam, dass die Chance einer
Zweistaatenlösung nun vorbei sei.
Während Sharon für seinen einseitigen Rückzugsplan aus dem Gazastreifen
als Friedensstifter öffentliches Lob bekam, ist er aktuell mit einem
Hütchenspiel beschäftigt, das in einer kürzlich erschienen Karikatur in
der Washington Post seinen Niederschlag fand. Eine Vogelperspektive auf
Israel und die besetzten Gebiete lässt gigantische Kräne erkennen, die
Siedlungen aus Gaza anheben, sie herumwirbeln und in der Westbank wieder
absetzen. Jene Siedlungen sind natürlich durch die israelische
„Trennmauer“ ergänzt, die sich tief in die Westbank hinein schlängelt
und damit zahlreiche palästinensische Gemeinden isoliert.
Die PA wäre voll im Recht gewesen, hätte sie die „Friedensprozess“-Farce
am 11. April beendet, als Sharon bei seinem Besuch im Weißen Haus
öffentlich nochmals seinen Wunsch nach „einer unmittelbaren
Nachbarschaft von Maaleh Adumim und Jerusalem“ bekräftigt hatte. Bush
wiederholte daraufhin seine Haltung, dass Israel die großen
Siedlungsblöcke behalten könne. Dafür wird Abbas nächste Woche Bush
einen wertvollen Fototermin gewähren und hatte außerdem laut um ein
Gipfeltreffen mit Sharon nachgesucht. Insofern ist die palästinensische
Strategie dazu übergegangen, in den sauren Apfel der skandalösen
amerikanischen Befangenheit als auch der israelischen Verletzungen der
„Road map“ sowie der Sharm-al-Sheikh-Vereinbarungen zu beißen.
Nachdem sie jahrelang während der Intifada durch Israel geknüppelt
wurde, ist die Palästinensische Autonomiebehörde jetzt anscheinend zu
dem Schluss gekommen, dass bewaffneter Kampf nichts bewirke, und die
einzige Option darin läge, die amerikanischen und israelischen
Forderungen nach umfassenden Reformen zu erfüllen, bevor substantielle
Gespräche aufgenommen werden können. Aber die PA erhält weder
maßgebliche politische Gegenleistungen noch finanzielle Entschädigungen
für die erbrachte Geduld. Der Amerikanische Kongress erließ am 3. Mai
einen Entwurf über eine lang versprochene 200-Millionen-Dollar-Hilfe,
die dermaßen an Auflagen geknüpft ist, was sie letztendlich
gegenstandslos macht. Nur ein geringer Teil davon wird die
palästinensische Autonomiebehörde direkt erreichen, und man höre und
staune: 50 Millionen Dollar gehen an Israel, um die Checkpoints instand
zu halten!
Ein demonstrativer palästinensischer Ausstieg aus dem Friedensprozess
wäre vielversprechend, weil Amerika und Israel von einem willigen
palästinensischen Verhandlungspartner abhängiger sind, als wir gemeinhin
annehmen würden. Sharon braucht zumindest den Anschein von
Verhandlungen, um seine Koalition mit der Arbeiterpartei aufrecht zu
halten. Die amerikanische Administration mit ihren ehrgeizigen
regionalen Zielen braucht einen funktionierenden Prozess, um der
Zusammenarbeit mit den arabischen Partnern und des Europäischen
Wohlwollens sicher zu sein. Falls die Palästinenser sich abwendeten,
könnten sie in Israel und in Amerika eine ernsthafte Bestürzung auslösen
und vielleicht eine Neubewertung derer verlogenen Taktiken bewirken.
Was präzise formuliert eine Minimalforderung der Palästinenser für einen
Wiedereinstieg in die Verhandlungen sein könnte, sollte in
Übereinstimmung zwischen der PA und den palästinensischen
Widerstandsgruppen geklärt werden.
Am 03. Mai wiederholte Abbas, dass die Palästinenser „nichts akzeptieren
würden, was unterhalb der Grenzen von 1967 läge“. Das wäre eine
vernünftige Gegenleistung für den wieder aufzunehmenden Kontakt, und sie
könnte mit den von Amerika und Israel gestellten Bedingungen des
Saudiarabien-Planes 2002, dem die Arabische Liga in Beirut zugestimmt
hatte, subsumiert werden. Dies würde die arabische Unterstützung
wachrütteln und Europa die Entscheidung abverlangen, ob sie die Araber
vor den Kopf stoßen und damit eine ganz klar unausgewogene amerikanische
und israelische Position unterstützen wollen.
Eine Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes durch Widerstandsgruppen
würde jede neue Vorgehensweise verkomplizieren, da sie Israel die
Entschuldigung für eine weitere Beschleunigung der Annexion
palästinensischen Landes liefern würde. Falls Abbas jedoch die
zunehmende Annäherung, die mit Oslo ihren Anfang nahm, aufgäbe, könnten
die Widerstandsgruppen Zurückhaltung zeigen und davon überzeugt werden,
sich einem neu begründeten, auf Gleichberechtigung basierenden
Verhandlungsrahmen anzuschließen.
Die PA müsste ihre Anstrengungen darauf konzentrieren, Hamas zu
umwerben, die einen neuen Pragmatismus bei ihrer Teilnahme an
palästinensischen Wahlen gezeigt und ihre Popularität bei der
Kommunalwahl am 5. Mai bewiesen hat.
Als Abbas seine lobenswerte Äußerung über die Grenzen von 1967 machte,
verknüpfte er sie mit der merkwürdigen Einschätzung, dass die
Palästinenser „sich nicht entmutigen lassen sollten, wenn wir riesige
Siedlungen wie beispielsweise Maaleh Adumim und Ariel sehen. Wir sollten
nicht denken, dass diese Siedlungen nicht geräumt werden könnten.“ Er
führte die Räumung der Sinai-Siedlung Yamit nach dem Camp-David-Abkommen
als Präzedenzfall an.
Es wäre klüger, die Palästinenser gründlich zu desillusionieren. Wie
auch immer … Ariel und Maaleh Adumim sind viel größer als Yamit, und
weder Sharon noch Bush scheinen einem plötzlichen Sinneswandel über
deren Schicksal zu erliegen, falls diese Frage auf einem künftigen
Gipfeltreffen zur Lösung des Konflikts zur Sprache käme.
Das wahrscheinlichere Ergebnis eines solchen Treffens wird sein, dass
Sharon mehr anbieten wird, als man von ihm auf die Fragen über den
endgültigen Status erwarten würde, aber weniger, als die Palästinenser
es werden akzeptieren können. Wieder werden die Palästinenser die Rolle
des Bremsers spielen, genau so wie damals im Jahre 2000, als sie
angeblich Israels Premierminister Ehud Baraks anrüchiges „großzügiges
Angebot“ in Camp David zurückgewiesen hatten.
Wenn der palästinensische Schachzug, die Dynamik zu ändern, misslingt,
könnte ein logischer nächster Schritt sein, die Anerkennung Israels
rückgängig zu machen. Israel hat letzten Endes sein Versprechen
gebrochen, die Rechte der Palästinenser anzuerkennen, indem es
fortwährend palästinensisches Land enteignet. Solch ein Schritt würde
ein diplomatisches Erdbeben auslösen und die internationale Gemeinschaft
zu einem ernsthaften Krisenmanagement anregen.
Die palästinensische Strategie ist momentan zwar gut gemeint aber
ineffektiv. Mahmoud Abbas spielt mit einer schwachen Hand, um
bescheidene Ziele zu erreichen. Die bedauerliche Wahrheit liegt jedoch
darin, dass Amerika und Israel die Palästinenser zum Narren halten, und
es ist an der Zeit, die Dinge drastisch zu verändern.
Nach dem Motto: Falls der Spieler in der Klemme sitzt aber irgendwie
noch ein Gramm Verstand hat, kassiert er seine Würde, steht auf und
verlässt die Kneipe.
Ashraf Fahim ist Freelancer für Nahostangelegenheiten in New York und
London. Er schrieb diesen Kommentar für die libanesische Zeitung The
Daily Star.
21.05.2005, Übers. v. Gabriele Al Dahouk