Palmsonntag – Freiheit verweigert
Ein
Bericht von Donna Mulhearn vom 21. März 2005 (Montag der
Karwoche)
(übers.:
Gerhilde Merz)
Liebe Freunde!
Wie
im Karneval wirkte der „Manger Square“ (Krippenplatz) in
Bethlehem am Palmsonntag. Immerhin ist es ein heiliger Tag für
Christen in dieser vorwiegend christlichen Stadt nahe der
heiligen Stadt Jerusalem; folgendes hat sich dort zugetragen.
Eine bunte Menge war dem Anlass entsprechend versammelt; einige
amerikanische Christen fingen an, Gospellieder zu singen; sie
gehörten der Bewegung „Jede Kirche eine Friedenskirche“ an. Sie
mischten sich unter den breiten Querschnitt des Volkes von
Bethlehem: junge und alte Palästinenser, Frauen und Männer,
Christen und Muslime, und eine gute Mischung von anderen
Internationalen aus den verschiedenen Ländern. Aber die größte
Aufmerksamkeit zogen die Schafhirten mit ihren Hemden und
Tüchern und uralt wirkenden Eseln auf sich. Sie trugen keine
Kostüme, aber sie wirkten in ihrer Alltagskleidung, als wären
sie geradewegs von den Seiten des Neuen Testaments herunter
gestiegen. Ich schätze, sie schauten alle ein bisschen wie Jesus
aus, und sie haben’s gar nicht versucht!
Die
Leute hatten geplant, was jeder Christ tun würde, der sich am
Palmsonntag so nahe bei Jerusalem befand: sie würden tun, was
Jesus getan hatte: mit Palmwedeln in die Stadt gehen, um sich
auf die Ereignisse vor rund 2000 Jahren zu besinnen. Wir gingen
zielstrebig los und ließen uns auch durch das Hindernis nicht
entmutigen, das, wie wir wussten, in unserem Weg lauerte. Der
Gesang der Gospellieder mischte sich mit der Musik des Mittleren
Ostens, während die Menge sich über die Straßen von Bethlehem
wälzte. Wir marschierten und trugen Fähnchen und Luftballone,
schwenkten die Palmwedel zum Rhythmus der Musik, während die
Fahnen sich in der leichten Brise bewegten. Auf den Bannern gab
es verschiedene Botschaften: „Amerikanische Christen für
Gerechtigkeit in Palästina“, „Gottes Wahrheit: Gerechtigkeit für
Palästina“, „Haltet die Hoffnung aufrecht – befreit Palästina“,
„Gebt allen Kindern Gottes die Freiheit“.
Die
Esel wurden müde und lahm, als sie den steilen Berg etwa auf dem
halben Weg vom Hauptplatz zum Checkpoint am Stadtrand
hinaufklettern sollten. Sie wurden langsamer und fielen von der
Spitze der Demo zurück. Auch wir wurden müde, als einige von uns
versehentlich in die Esels – hm – Scheiße traten, die sie
großzügig und in mächtigen Haufen mit uns auf der Straße
teilten. Die lahmen Esel waren tatsächlich wirklich schlau (wenn
du nicht direkt hinter ihnen gegangen bist!) und die
Organisatoren waren so besorgt um ihre Gesundheit, dass sie die
Esel vor dem Checkpoint aus dem Zug herauszogen aus Angst, wie
diese auf Tränengas reagieren würden, falls es benutzt werden
sollte. Trotz der Bedrohung mit Tränengas strömte die Menge
voran, wobei sie lauter sangen „Wir fordern Freiheit!“, „Keine
Gerechtigkeit, kein Friede“, „Die Mauer muss fallen“, „Wir
kommen in Frieden“.
Wir
gingen durch ein Loch in der hässlichen Beton-Apartheidmauer
Israels, die jetzt Bethlehem in zwei Teile spaltet (das ist eine
andere Geschichte). Als wir uns auf den Checkpoint zu bewegten,
bildeten wir Reihen und hakten einander unter.
Es
hatte den Anschein, als hätten wir die Soldaten am Checkpoint
überrumpelt, denn wir standen schon ganz nahe bei ihnen, ehe sie
realisierten, was los war. Noch überraschter waren sie, als wir
einfach weitergingen, als wären sie gar nicht da. „Kümmert euch
nicht um uns. Wir gehen nach Jerusalem beten“, rief ihnen ein
Demonstrant zu, als ein Soldat sich der Gruppe näherte.
Schnell versuchten sich die Soldaten vor uns ungefähr zu einer
menschlichen Barriere zu organisieren. Wir gingen weiter
vorwärts und zwangen sie, zurückzuweichen. Ganz langsam gewannen
wir Boden, als der Komandant herüberkam und nach dem Leiter der
Gruppe verlangte. Als dieser vortrat, konnten wir Armee-Jeeps
sehen, die die Straße vor uns blockierten, und von nahen
Wachposten wurde nach mehr Verstärkung gerufen. Die
Demonstrierenden blieben höflich. Die Gruppe blieb stehen und
ein Gemeindeleiter aus Bethlehem, Dr. Ghassan, ein älterer
und stattlicher grauhaariger Mann, sprach ruhig mit dem
Kommandanten. „Wir wandern nur eben nach Jerusalem, um am
Palmsonntag dort zu beten, wie es unser Recht ist ist“, sagte er
zum Kommandanten. „Wir wollen nach Jerusalem zum Beten gehen.
Wir haben ein Recht darauf, nach Jerusalem zum Gebet zu gehen“.
Die
Verstärkung kam schnell an. Sie kopierten unsere Taktik, hakten
sich unter und stießen und drängelten ein wenig. Schreie wie
„Bitte, keine Gewalt“, kamen aus der Menge.
Die
beiden Gruppen standen Auge in Auge. Ein Haufen unbewaffneter
Palästinenser und Fremder, die in Jerusalem beten wollten,
gegenüber ungefähr einem Dutzend israelischer Soldaten mit
blankgeputzten schwarzen M-16 Maschinengewehren und Pistolen,
die sie nicht hinüber ließen. Es war umwerfend. Der einzige
Unterschied war, wir standen stark und in Gottvertrauen vor
ihnen. Die jungen Männer und Frauen der israelischen
Besatzungstruppen vor uns waren zögerlich und nervös trotz ihrer
riesigen Maschinengewehre, die sie herumschleppten.
Verschiedene Leute aus der Gruppe redeten auf die Soldaten ein:
„Wir wollen gehen und beten, dies ist unser heiliger Tag; bitte,
wir wollen gehen.“
Dr.
Ghassan wandte sich an die Soldaten: Ihr gebt israelischen Juden
das Recht, zu Rachels Grab in Bethlehem zu gehen und zu beten.
Ich glaube, wir haben das gleiche Recht, nach Jerusalem zu gehen
und zu beten.“ „Wir sind friedliche Leute, die ihr Menschenrecht
– das Recht, in ihren Moscheen und Kirchen zu beten –
einfordern. Fragt ihr Juden, die in Rachels Grab beten wollen,
ob sie eine Erlaubnis haben? Das ist illegal und die Welt schaut
zu“
Die
Soldaten scharrten verlegen herum und verstärkten ihre Griffe
ineinander. Sie hatten Befehl, sich keinen Meter zu bewegen, und
waren damit für die Demonstranten eine unfreiwillige
Zuhörerschaft.
„Ihr braucht nicht hier zu stehen, ihr könnt nach Hause zu euren
Familien gehen“, sagte jemand zu ihnen. „Ihr solltet nicht hier
sein, und ihr wisst das. Ihr wollt nicht hier sein. Das ist der
falsche Platz für euch“. „Setzt euch für den Frieden ein. Setzt
euch ein für das Recht der Menschen, an ihren heiligen Orten zu
beten. Ihr könnt mit uns kommen“. „Verweigert euch jemand das
Recht zu beten? Wie fühlt es sich an, wenn jemand euch sagt, ihr
könnt nicht beten?“ „Wenn ihr uns nach Jerusalem gehen lasst,
werden wir auch für euch beten“.
Leute aus der Demo-Gruppe versuchten, den Soldaten eine
geschriebene Botschaft einzuhändigen, aber diese weigerten sich,
das Papier anzunehmen und antworteten auch nicht auf die Fragen.
„Ihr bekommt den Befehl, nicht mit uns zu sprechen?“ fragte Dr.
Ghassan. „Menschen befolgen nicht nur Befehle; manchmal folgen
sie auch ihren Herzen, und ihr habt gute Herzen. Wenn ihr in
einer Demokratie lebt, habt ihr das Recht zu sprechen“ Am
anderen Ende der Menschenkette hielt eine elegante
Palästinenserin mit einem Silberkreuz um den Hals geduldig einen
großen Bund Palmzweige in der Hand. Sie stand gegenüber von
einigen jungen Soldatinnen und versuchte auch, mit ihnen zu
reden.
Hinter der Soldatenreihe kam die Verstärkung an und begann in
Gruppen Taktiken zu diskutieren. Die Maschinengewehre für
schweren Einsatz hingen ihnen wie Handtaschen von den Schultern.
Nachdem Dr. Ghassan länger mit dem Kommandanten gesprochen
hatte, berichtete er der Menge: „Sie haben uns gebeten, nach
Bethlehem zurückzugehen. Sie drohen, Gewalt gegen uns zu
gebrauchen. Sie weigern sich, uns mit den israelischen Juden zu
vergleichen, die in unsere Stadt kommen, um ohne Erlaubnis im
Grab Rachels zu beten.“
Sie
sind stolz auf diese diskriminierende Politik. Als ich sagte:
„Das ist rassistisch“, sagten sie darauf, „Es ist, wie es ist,
und laßt es so sein. Das ist die Art, wie es ist, und ihr müsst
das aushalten“. „Sie wollen uns umzingeln und uns nach Bethlehem
zurückstoßen. Sie haben gefordert, dass wir uns zerstreuen oder
sie würden Gewalt anwenden.
„Aber wir sind an einer Konfrontation nicht interessiert; wir
wollen hier keine Gewalt haben. Diese Leute sind gewaltbereit
und wir sind das nicht.
Für
den Augenblick entschied die Gruppe, den Soldaten durch eine
friedliche Sitzblokade auf der Straße zu trotzen. Alle begannen
zu singen. Mit der Melodie von „We shall overcome“ wurde das
Thema der Demonstration in ein kräftiges Lied umgeformt. „Wir
werden in Frieden gehen. Eines Tages werden wir in Jerusalem
beten, eines Tages Gerechtigkeit, Frieden und Liebe, eines
Tages.“ Dann kamen einige palästinensische Lieder zum Auftakt
und Klatschen und Schreien. Nach etwa 5 Minuten Gesang und
Drohungen durch die Soldaten, die Gruppe mit Gewalt zu
entfernen, stand ein Palästinenser auf und verlas das Pamphlet
für die Soldaten. „Ich komme zu euch mit einer Botschaft von
unserem Volk“, sagte er und begann zu lesen:
„Asalaam’alaykum
(Friede sei mit euch) Wir in der Gemeinde von Bethlehem sind
heute zu euch gekommen mit einer Botschaft in Sachen unseres
Volkes. Wir vertreten die Familienmitglieder und Freunde, die
durch diese Betonwälle und Drahtzäune eingeschlossen sind, die
jetzt unser Bethlehem-Freiluft-Gefängnis darstellen. Ihr, als
die Gefängniswärter, kontrollieren unsere Freiheit und
Möglichkeit, als menschliche Wesen mit Würde in diesem heiligen
Land zu leben. Unsere starke Delegation von Zivilisten kommt
ohne Waffen, jedoch mit großer Stärke und Überzeugung zu euch,
um eine Friedensbotschaft zu überbringen. Im Namen der
Sicherheit erlaubt ihr uns nicht, zur Arbeit, zur Schule und zum
Gebet an den heiligen Orten der Stadt Jerusalem zu kommen. Eure
Regierung entzieht uns täglich die menschlichen Grundrechte der
Selbstbestimmung. Jeden Tag seid ihr bei unseren Familien bei
Hochzeiten, Beerdigungen, Graduationsfeiern, Geburtstagen und
religiösen Feiertagen. Obwohl Al Quds (Jerusalem) nur 20 Minuten
von Bethlehem entfernt ist, wird uns nicht erlaubt, an unseren
heiligen Stätten zu beten oder Gottesdienst zu feiern.
Jeden Tag, wenn ihr in unsere Stadt kommt, dient ihr dem System
der Gewalt, das unsere Leute im Gefängnis hält und ohne die
Fähigkeit, das Leben eines normalen menschlichen Wesens zu
leben. Ihr lehrt mit euren Gewehren, Panzern und Beschimpfungen
unsere Kinder den Hass. Dennoch glauben wir, dass jede/r von
euch die Macht und die Wahl hat, ein anderes Ende dieser
Geschichte zu wählen. Wir wenden uns an euer Gewissen und eure
Menschlichkeit als Individuen und als Soldaten, die auch fühlen,
dass es keinen Weg aus diesem System gibt. Werft eure Gewehre
weg und kommt mit uns im Kampf um Frieden und Freiheit.
Das Volk von Bethlehem
„Dies ist unsere Botschaft an euch“, endete der Mann. Die Menge
applaudierte, zugleich bewegt und frustiert. „Wir ziehen uns
jetzt zurück, aber wir werden wiederkommen. Das ist nicht das
Ende dieser Geschichte.“
Die
elegante Dame aus Palästina bot ihre Palmwedel wieder den
Soldaten an. Sie nahmen sie nicht, daher ließ sie sie sanft auf
ihre gestiefelten Füße fallen. „Das ist für euch, für den
Palmsonntag“, sagte sie fast in Tränen. „Das ist heilig, heilig,
das soll das Land heilig lassen“, fuhr sie fort und ihre Stimme
zitterte in Rührung. „Wir haben wenigstens ein paar Palmwedel
hier, um dieses Land heilig zu erhalten, um Bethlehem und
Jerusalem heilig zu halten“.
Als
die Menge sich zerstreute, schauten die Soldaten ein bisschen
verblüfft, ein bisschen geschüttelt drein. Ein Haufen
unbewaffneter, betender, singender Leute, die gebeten hatten,
beten zu dürfen, ließ sie bestürzt stehen, und sie fingerten
unsicher an ihren Maschinengewehren herum.
„Ihr habt die Gewalt gewählt, aber wir wählten den Frieden“,
sagte Dr. Ghassan. „Aber wir werden wiederkommen.
Als
wir wieder auf die Stadt zugingen, teilte ich die Tränen der
Dame aus Palästina, die nach dem Heiligen gesucht hatte, ich
fühlte das zerbrochene Herz der kleinen Stadt Bethlehem, und ich
fragte den heiligen Mann, der auf dem Esel ritt, den, der hier
geboren wurde, uns allen zu helfen.
Eure Pilgerin Donna
PS:
Ihr könnt euch die Bilder von der Palmsonntagdemo in
www.donnainpalestine.photosite.com
anschauen.
PPPS: Wenn jemand Mitglied der griechisch-orthodoxen Kirche ist,
schreib bitte Deiner Obrigkeit und sag ihnen, sie mögen kein
palästinensisches Land mehr verkaufen, das von den Menschen für
die Kirche gegeben wurde – zugunsten der Juden, die sich das
palästinensische Ostjerusalem aneignen wollen. Sie haben kein
Recht dazu und die palästinensischen Gemeinden hier haben nichts
davon.
PPPPS: Matthäus 21, 6-11