Tsafrir
Cohen - Representative in Palestine & Israel -
medico international e.V. -
www.medico.de
Das Wunder vom Wannsee
Wiedersehen mit dem Freedom Theatre – ein (dritter)
Gastbeitrag des Schauspielers Stephan Wolf-Schönburg
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Szenenphoto aus "Fragments of Palestine"
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Szenenphoto aus "Fragments of Palestine"
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Publikumsgespräche nach der Vorstellung mit Juliano
Mer Khamis und den Schauspielschülern
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Publikumsgespräche nach der Vorstellung mit Juliano
Mer Khamis und den Schauspielschülern
Über
seine Zeit in Jenin hat der Schauspieler Stephan
Wolf-Schönburg bereits zwei Mal
Gastbeiträge auf dem
Blog Paradoxe Hoffnung (www.medico.de)
geschrieben. Jetzt schreibt er über ein
Wiedersehen in Deutschland.
Als ich
vor gut zehn Monaten in den ersten Tagen des Gazakrieges
mit medicos Repräsentanten Tsafrir Cohen zum ersten Mal
nach Jenin reiste, um das Freedom Theatre, seine
Mitarbeiter und Studenten kennenzulernen, hätte keiner
von uns allen, ob Jeniner, Ramallehser oder Berliner,
geahnt, dass wir uns in Berlin wieder sehen könnten.
Somit empfand ich es als kleines Wunder, als ich an
einem frühen Septembermorgen mit der U-Bahn nach Tegel
fuhr, um meine Studenten und ihre Begleiter begrüßen zu
können.
Alle
waren gekommen, um die von der KinderKulturKarawane
geführte und von medico international unterstützte
siebenwöchige Theatertournee durch Deutschland und
Österreich anzutreten.
Das
eigens produzierte Stück „Fragments of Palestine“ wurde
in den vorangegangenen Wochen in Jenin erarbeitet.
Hierin erzählen die StudentInnen von ihrem Leben im
besetzten Westjordanland. Über Improvisationen wurde
dieser Abend entwickelt, der sehr viel von militärischer
Gewalt erzählt, aber auch von beengenden, unterdrückende
Situationen im Leben einer palästinensischen Frau. Und
dennoch geht es auch in fröhliche Tanzszenen über und
verspielte Begegnungen zwischen Männern und Frauen, in
denen sich alle frei bewegen können.
In zwei
Kleinbussen fuhren wir zum Jugendgästehaus am Wannsee
durch die Stadt. So etwas hatten sie noch nie gesehen.
In Ramallah waren die Meisten wohl schon gewesen, aber
eine Grosstadt kannten sie höchstens aus dem Fernsehen,
da es in der Westbank kaum Kinos gibt. Und dennoch
reagieren sie ganz entspannt auf den Verkehr, die ihnen
unvertraute Architektur, die Werbung und Geschäfte. Sie
sind jung und haben viel Hartes erlebt und müssen auch
cool sein.
Wir
kommen in einem wenig einladenden 70er-Jahre-Betonbau
an, Mehrbettzimmer werden vergeben und alle stehen ein
wenig verloren im Raum, als Quais Assadi plötzlich
fragt, was sich wohl hinter den Glastüren verbergen
würde, die ins Freie führen.
Ein Teil
der Gruppe folgt ihm und sie sehen zum ersten Mal in
ihrem Leben eine Wasserfläche. Den Wannsee.
Sie, die
aus einem Land kommen, dass immer wieder an Wasser
grenzt. Im Westen das Mittelmeer. Im Süden das Tote
Meer. Und noch weiter südlich das Rote Meer. Meere, die
sie nie zu Gesicht bekamen.
Hier
entgleitet ihnen ihre Gelassenheit. Das Staunen und die
Freude über dieses Wunder können und wollen sie nicht
verbergen.
Die
Reise beginnt
In
Döbeln machen Juliano Mer Khamis und Qais Assadi dann
auch erste Erfahrungen mit anderen Formen der
Gastfreundschaft, als sie in einem Supermarkt als
„türkisch Schweine“ beschimpft werden.
Der
zweite Tourneetermin findet in Frankfurt statt, wo
medico international der Gastgeber in einem mehr als
ausverkauften Theater Willy-Praml ist. In der
anschließenden Diskussion ergreift auch immer wieder
Batoul Taleb das Wort. Sie ist die einzige der
StudentInnen, die bereits in Deutschland war und dank
ihres guten Englischs auch immer wieder in der
Vergangenheit als verständige Interviewpartnerin gefragt
war.
Aber in
Folge werden alle Studenten immer geübter mit den
Podiumsdiskussionen umgehen können. Die Entwicklung
eigene Standpunkte in klarer Form vor gut gefüllten
Theatersälen zu äußern, ist eine von vielen positiven
Erfahrungen, die sie auf ihrer teils sehr anstrengenden
Tournee machen werden.
In
Frankfurt sind alle auch noch ziemlich erschöpft von der
strapaziösen Reise, die von Jenin nach Berlin anderthalb
Tage dauerte. Allein der Weg von Jenin nach Amman, von
Tel Aviv aus können sie ja nicht fliegen, da sie gar
nicht nach Israel hinein dürfen, hat mehr als einen
halben Tag in Anspruch genommen. Bei der Grenzkontrolle
wäre Mo´men Sweitat beinahe von der Reise abgehalten
worden, da einer seiner Onkel, aus Verzweiflung über die
Besatzung und militärische Gewalt in Jenin, zum
Selbstmordattentäter wurde. Diese Verwandtschaft ist
beinahe zum Ende von Mo´mens Reise geworden.
Erste
Krisen
Da ich
nicht in der Lage bin, die Tournee in ihrer ganzen Länge
zu begleiten, nehme ich trotzdem jede Gelegenheit wahr,
die Jeniner zu treffen. Das nächste Mal begegnen wir uns
in Bonn, wo ich dank Freunden vor dem Rotary Club über
das Freedom Theatre und seine Schauspielschule sprechen
kann. Die StudentInnen haben die erste große Krise
hinter sich. Tags zuvor schwammen sie in einem
Tränenmeer. Ausgelöst durch ihr Heimweh.
Die
Krise wurde auch von Streitereien in der Gruppe
bestimmt, die dazu führt, dass Haroon Abu Arrah die
Tournee beendet und heute in Norwegen, als Immigrant um
Aufenthaltsgenehmigung ansucht.
Solche
Veränderungen bedeuten, dass sie immer wieder aufs Neue
am Stück proben, auch weil sie in all den Wochen immer
wieder in verschiedenen Räumlichkeiten und auf ihnen
unbekannten Bühnen auftreten. Auch dieser Umstand ist
als Lernvorgang bedeutend, da sie so lernen flexibel mit
neuen akustischen oder auch räumlichen Umständen
umzugehen.
Wir
treffen uns am Rhein um eine Schifffahrt nach
Königswinter und zurück zu machen. Es ist immer wieder
schön die Freude der Jeniner an der so andersartigen
Natur und Landschaft miterleben zu können. Am Abend
feiern wir im Haus einer gastgebenden Familie ein
rauschendes Fest mit Buffet und Tanz, zu dem ich von den
großzügigen Gastgebern miteingeladen wurde. Mo´men
erzählt begeistert, dass er zum ersten Mal in seinem
Leben von ihm fremden Menschen einen Haustürschlüssel
ausgehändigt bekommt mit dem Angebot gehen und kommen zu
können, wann immer er wolle. Alle sind von diesem
Vertrauensbeweis bewegt.
Das
weite, weite Meer
In Kiel
sind „Fragments of Palestine“ von der Heinrich Böll
Stiftung eingeladen, nachdem sie am Heidelberger Theater
wieder vor ausverkauftem Haus gespielt hatten. Ich hatte
im Vorfeld der Tournee, als Mittelsmann zwischen medico
international, der KinderKulturKarawane, dem Freedom
Theatre und etwaigen Gastgebern versucht, professionelle
Theater als Gastgeber zu gewinnen. Dies schien mir sehr
wichtig als Lernerfahrung, zusätzlich zu den geplanten
Vorstellungen an Schulen und Begegnungen mit Land und
Leuten. Das Theater Heidelberg war mit seinem
Intendanten Peter Spuhler und Oberspielleiter Jan
Linders, das erste Theater in Deutschland, das sofort
und interessiert, sowie über die
israelisch-palästinensische Situation bestens
informiert, eine Einladung an das Freedom Theatre
ausgesprochen hatte. Jan Linders hatte sogar auf einer
Israel-Palästina-Reise mit Teilen seines Ensembles einen
Jenin-Besuch eingeplant und somit konnte auch ein
Wiedersehen gefeiert werden, wodurch auch wieder
Vertrautheit in der Fremde geschaffen wurde.
Die
Führung durch das pittoreske Heidelberg mit seinen
lieblichen Hügeln am Neckar, dem Schloss und der
intakten, historischen Architektur gehört für die
Jeniner zu den Höhepunkten der Tournee.
In Kiel
angekommen, wird auch ein Ausflug an den Ostseestrand
unternommen. Das Meer. Wieder einmal werden die
Einschränkungen, die die Besatzung mit sich bringt,
empfunden.
Es ist
kalt. Aber Qais Assadi reißt sich die Kleider vom Leib
und stürzt sich in die Brandung. Die Bedenken der
Anderen erwidert er damit, dass er nicht weiß, wann und
ob er jemals wieder in ein Meer eintauchen könne.
Jetzt
holen alle ihre Handys hervor, rufen zu Hause an und
halten die Telefone in das Rauschen der Brandung: „Hört
Ihr! Wir sind am Meer. Am Meer!!!“
Im
Staatstheater Braunschweig kann ich alle zusammen mit
der Oberspielleiterin Stephanie Junge begrüßen.
Mittlerweile sind die StudentInnen des deutschen Essens
überdrüssig geworden und Stephanie Junge hat ein Buffet
mit mediterranen Vorspeisen vorbereitet und das pompöse
Hotel Deutsches Haus am Burgplatz als Unterbringung
organisiert. So verwöhnt zu werden, hebt die Stimmung,
trotz Müdigkeit im letzten Drittel einer sehr
reiseintensiven Tour.
Dass
Stephanie und ich den nahezu gleichen Vornamen tragen,
begeistert Mo´men ganz besonders, der in den Monaten
seit wir uns kennengelernt haben immer besser Englisch
spricht, wodurch unsere Kommunikation um vieles
einfacher wird. Am Abend vor der Vorstellung bin ich
auch im Theater und sehe gerührt zu wie Faisal Abu Al
Haija ein Aufwärmprogramm anleitet. Ein solch
selbstständiger Vorgang wäre vor Monaten in so
konzentrierter Form noch nicht möglich gewesen. Solche
körperlichen Aufwärmprogramme können sehr zu einer
konzentrierten und kraftvollen Aufführung beitragen und
eben dieser Effekt war auch vorm zahlreich erschienen
Publikum zu spüren, die frenetisch applaudierten und an
der anschließenden Diskussion ausgesprochen lebendig
teilnahmen. In Braunschweig war Juliano nicht anwesend,
da er Fundraising-Aufgaben in den USA nachkommen musste,
und so waren die StudentInnen einzige Repräsentanten des
Freedom Theatre und waren im Gespräch souverän und in
ihren Äußerungen klar und informativ. Das ist keine
Selbstverständlichkeit vor einem so gut besuchten Haus
und ist somit als Lerneffekt durch die Tournee klar
erkennbar.
Triumphales Finale
Den
Abschluss dieser Reise durch eine neue Welt konnten wir
in Berlin vor der seit Wochen ausverkauften Schaubühne
am Lehniner Platz feiern. Es ist natürlich eine Krönung
des ganzen Unternehmens die letzten Vorstellungen in
diesem bedeutenden Theater spielen zu können. Hier war
Uta Plate, die Theaterpädagogin der Schaubühne,
ausschlaggebend tätig, um die Einladung zu zwei
Vorstellungen zu ermöglichen. Sie war dann auch die
Moderatorin des Gesprächs zu dem auch Martin Glasenapp
als Vertreter von medico eingeladen war.
Vorgestellt wurde das Ensemble und Juliano Mer Khamis
vom Gastgeber und Intendanten Thomas Ostermeier, der die
StudentInnen schon am vorherigen Abend zu einer
Vorstellung von „Ein Sommernachtstraum“ eingeladen hatte
und in die Geschichte des Hauses eingeführt hatte.
Der
Abend selber wurde von Mitarbeitern des
ZDF-Theaterkanals aufgezeichnet, die wohl eine
Dokumentation über die Tour vorhaben und mit der ganzen
Truppe am nächsten Tag auch zu mir nach Hause kamen, wo
ich meinen Freunden selbstgebackenen Apfelstrudel
anbieten konnte und mich darüber freuen, dass sie nun
auch wissen, wie und wo ich wohne, wenn ich das nächste
Mal nach Jenin komme.
Auch an
der Schaubühne waren die Diskussionen ausgesprochen
lebendig und wurden leidenschaftlich geführt von den
Mitgliedern des Freedom Theatre und vom Publikum, dass
sich wie schon an anderen Spielorten aus geübten
Theatergängern, politisch Interessierten, Mitgliedern
der palästinensischen Gemeinde und Israelis
zusammensetzte.
Nachdem
wir alle von Thomas Ostermeier zum Essen eingeladen
wurden, gab es am nächsten Tag noch eine Stadtführung,
die auch am Mahnmal für die ermordeten Juden Europas
vorbeiführte.
Vor der
Fahrt durch Deutschland und Österreich hat Juliano die
Reisenden auf die Rolle der Deutschen im Holocaust und
das Dritte Reich vorbereitet. Sie bekamen Bilder zu
sehen und Geschichten zu hören, die sie in dieser
expliziten und schrecklichen Form noch nicht erfahren
hatten. Diese grauenhaften Bilder und unfassbaren Taten
ließen sie erschüttert schweigen. Bis einer der
Studenten noch immer fassungslos über das Erfahrene und
mitfühlend und mitdenkend mit den Opfern sich fragen
musste, wieso Nachfahren der Opfer der Shoah in einer so
menschenverachtenden Weise mit Mitgliedern des
palästinensischen Volkes umgehen konnten und können.
Wir alle
sahen uns dann auch noch am letzten Abend, der spielfrei
war und den manche mit Einkäufen oder Spaziergängen
verbrachten, wobei die Lust sich im Freien aufzuhalten
deutlich nachgelassen hat, durch die bereits recht
niedrigen Temperaturen der letzten Wochen.
So saßen
wir noch einmal beieinander. Die Gruppe hatte auch noch
Geschenke für die fürsorglichen und verantwortungsfrohen
Tourbegleiter von der KinderKulturKarawane vorbereitet,
die nach einer Rede von Eyad Hoorani überreicht wurden,
nach einer sehr intensiven Zeit miteinander.
Im April
nächsten Jahres bin ich wieder in Jenin und unterrichte
am Freedom Theatre. Und es wird eine Heimkehr sein zu
Freunden, die seit bald einem Jahr einen festen Platz in
meinem Herzen habe.
Stephan Wolf-Schönburg
hat nach Abschluss seiner Ausbildung am
Max-Reinhardt-Seminar in Wien ebendort u.a. an Taboris
Theater „Der Kreis“ sowie am Volkstheater gearbeitet.
Anfang der Neunziger kam er nach Berlin um an der
Schaubühne zu arbeiten. Seine Theaterarbeit führte ihn
u.a. auch zu den Salzburger Festspielen, dem Zürcher
Schauspielhaus oder auch dem Braunschweiger
Staatstheater, dem Maxim Gorki Theater und der
Neuköllner Oper und zur Zusammenarbeit mit Tatjana Rese,
Luca Ronconi, Karin Koller und Andrzej Wajda u.a. Bei
Film und Fernsehen arbeitete er mit Regisseuren wie
Jean-Marie Straub und Danièle Huillet, Armin
Mueller-Stahl, H-C Blumenberg, Vivian Naefe, Paul
Greengrass und Bille Eltringham.
Erster
Beitrag Wolf-Schönburgs:
Jenin & andere Realitäten in Zeiten von Gaza:
http://www.medico.de/themen/vernetztes-handeln/blogs/paradoxe-hoffnung/2009/03/11/28/
Zweiter.
Beitrag zu Jenin:
Widersehen in Jenin:
http://www.medico.de/themen/vernetztes-handeln/blogs/paradoxe-hoffnung/2009/06/06/35/
medico unterstützt das Freedom Theatre - hier lesen Sie
mehr über das Theater. Spenden Online sind möglich:
http://www.medico.de/material/rundschreiben/2008/04/das-theater-am-rande-der-welt/