Jenin und andere
Realitäten in Zeiten von Gaza Ein Gastblog von Stephan
Wolf-Schönburg
Stephan und Ahmed
Stephan mit Ahmed &
Faisal.
Stephan mit einem Teil der Studenten
hotos: Mustafa Steti
Stephan
Wolf-Schönburg, der zu diesem Blog einen Gastbeitrag beisteuert, hat
nach Abschluss seiner Ausbildung am Max-Reinhardt-Seminar in Wien
ebendort u.a. an Taboris Theater „Der Kreis“ sowie am Volkstheater
gearbeitet. Anfang der Neunziger kam er nach Berlin um an der
Schaubühne zu arbeiten. Seine Theaterarbeit führte ihn u.a. auch zu
den Salzburger Festspielen, dem Zürcher Schauspielhaus oder auch dem
Braunschweiger Staatstheater, dem Maxim Gorki Theater und der
Neuköllner Oper und zur Zusammenarbeit mit Tatjana Rese, Luca
Ronconi, Karin Koller und Andrzej Wajda u.a. Bei Film und Fernsehen
arbeitete er mit Regisseuren wie Jean-Marie Straub und Danièle
Huillet, Armin Mueller-Stahl, H-C Blumenberg, Vivian Naefe, Paul
Greengrass und Bille Eltringham
Mitte Dezember 2008 bin ich zu
meinem Besuch in Israel/Palästina als Freund von medico und dessen
Repräsentant Tsafrir Cohen mit Sitz in Ostjerusalem, dem arabischen
Teil der Stadt, angereist. Über die Weihnachtstage waren wir nach
Jordanien gereist, um bei unserer Rückkehr nach sechsstündiger
Reise, aufgrund schikanöser und langwieriger Grenzkontrollen, aus
dem nur 90 Kilometer entfernten Amman von dem Beginn des grausamen
Gazakrieges zu erfahren. Der Schock und die Überraschung waren groß.
Notwendigerweise ging ich dann
in Richtung Altstadt, um einzukaufen: die Ladengeschäftsstrasse
Salah-el-Din war wie leergefegt, Rauch aus brennenden Müllcontainern
und Feuer auf der Strasse, an deren Ende viel Polizei, auch
berittene, bereitstand. Und ihr gegenüber Palästinenser in
schweigenden Gruppen. In den Geschäften, die ich dann aufsuchte, war
das Schweigen groß und die Niedergeschlagenheit und Trauer
schmerzhaft spürbar. Die Menschen sehen einem nicht mehr in die
Augen, kein sonst so übliches Lächeln ist mehr zu sehen. Und diese
Trauer ist so ansteckend und niederdrückend, weil man ja auch bei
jedem vermuten muss, dass er Familie oder Freunde in Gaza hat.
Am
zweiten Kriegstag telephonierte Tsafrir Cohen mit einer
Mitarbeiterin des medico-Büros in Ramallah, die in großer Sorge um
ihren Sohn in Gaza war, da sie ihn telephonisch nicht erreichen
könne. Das gesamte Telephonnetz war zusammengebrochen und sie hatte
ihren Sohn bereits zwei Jahre nicht gesehen, da sie von Ramallah
nicht in Richtung Gaza und über israelisches Gebiet reisen darf und
auch ihr Sohn aus dem seit anderthalb Jahren gesperrten Gazastreifen
nicht heraus kann. Sie meinte, sie schäme sich dafür, dass sie nur
noch für ihren Sohn und dessen Leben beten könne, und nicht mehr für
die anderen Menschen in Gaza. So etwas hören zu müssen, kann einen
nur noch weinen lassen.
Die
Reise nach Jenin
Vor meiner Reise in dieses
noch mehr oder weniger friedliche Land, hatte ich mir vorgenommen
auch das Freedom-Theatre in Jenin aufzusuchen, das ja seit 2008 auch
Partner von medico ist und über das man auch schon im medico
Rundschreiben 4/2008 und in diesem Blog unter dem Titel „Paradoxe
Hoffnung im Flüchtlingslager Jenin“ lesen konnte. Mein Interesse am
Freedom-Theatre liegt schon deshalb nahe, da ich seit über 20 Jahren
als freischaffender Schauspieler tätig bin.
Die deutsche Vertretung in
Ramallah riet uns zwar davon ab am dritten Kriegstag nach Jenin zu
reisen, da die Gefahrenlage nicht überschaubar sei und die Stimmung
jederzeit umschlagen könnte, aber die Mitarbeiter des Theaters
versicherten uns, dass in Jenin Ruhe herrschte und keinerlei
Aggression zu spüren sei. Die Frage, ob ich Angst habe zu reisen,
konnte ich verneinen und ich empfand es auch als ein Akt der
Solidarität, den bereits verabredeten Besuch anzutreten.
Die Fahrt durch das
Westjordanland verlief reibungslos an erstaunlicherweise unbesetzten
Checkpoints vorbei, sodass wir die 90 Kilometer, allerdings mit
Buswechsel in Ramallah, drei Stunden später hinter uns gebracht
hatten und von Jonatan Stanczak, dem schwedischen Verwaltungschef,
erst einmal durch das Theater und seine Räumlichkeiten geführt
wurden. Das Theater selbst ist mit einer kleinen Hinterbühne und
einer neu erbauten Tribüne für ca. 300 Zuschauer in einer ehemaligen
Lagerhalle untergebracht und zeichnet sich unter diesen Umständen
durch eine sehr gute Akustik aus.
Am Abend waren wir dann in der
Wohngemeinschaft des charismatischen Theaterleiters Juliano Mer
Khamis, der Sohn einer israelischen Jüdin und eines israelischen
Palästinensers, zum Essen eingeladen, wo wir unter anderem die
portugiesische Schauspielerin Micaela Miranda und den
palästinensischen Schauspieler und Regisseur Nabeel Raee
kennenlernten, die Beide mit den Studenten der im vergangenen Sommer
gegründeten, einzigen palästinensischen Schauspielschule arbeiten,
sowie auch Mustafa Steti, einem jungen Jeniner, der vor allen Dingen
den Kindern und Jugendlichen der Stadt und des Flüchtingslagers
Photograhie- und Filmunterricht erteilt und der schon als Kind die
Mutter von Juliano Mer Khamis kennen gelernt hatte, die nach der
ersten Intifada bereits nach Jenin ging und mit den Kindern der
zerstörten und gebeutelten Stadt anfing Theater zu machen und über
die Juliano den Film „Arnas Kinder“ machte.
Im Laufe des Abends beschloss
ich dann noch den nächsten Tag alleine in Jenin zu bleiben und am
morgendlichen Aufwärmtraining von Micaela teilzunehmen und auch die
folgenden Unterrichtseinheiten zu begleiten, um auch die Studenten
kennenzulernen. Nach einer Stunde mit Tierimprovisationen führte
Juliano die jungen Erwachsenen in die Grundtechniken der DVD-Kameras
ein, die ihnen ausgehändigt wurden, um damit kleine Dokumentarfilme
über ihr Leben im Lager oder der Stadt Jenin zu machen.
Die
Entscheidung einen Workshop zu leiten
Im Laufe des Tages saß ich
dann mit Juliano in seinem Büro und fragte ihn, ob sie weitere
Unterstützung bräuchten und ob er es sinnvoll fände, wenn ich mit
den Studenten arbeiten würde. Er meinte, dass es sehr wichtig für
die Studenten wäre, dass sie das Gefühl bekämen, die Außenwelt
interessiere sich für sie und sie durch Unterricht von
Schauspielern, Regisseuren aus anderen Städten und Ländern
bereichert würden.Wir waren uns schnell einig, dass es wenig
sinnvoll wäre, wenn ich ihnen Schauspielunterricht erteilen würde,
da ich, außer ein paar Worten, kein Arabisch spreche und die
gesprochene Sprache auf dem Theater zu wichtig ist.
Daraufhin bot ich an den
Studenten mein eigenes Atem-Stimm-Entspannungs- und
Konzentrationsprogramm zu unterrichten, das ich seit vielen Jahren
vor Proben und Vorstellungen mache oder wenn ich mich auf neue
Rollen vorbereite. Juliano fand das wunderbar, angemessen und auch
nötig für die Studenten, da gerade die Konzentrationsfähigkeit ein
großer Mangel sei und bat mich schon vier Tage später anzufangen, da
sie dann ihre erste Produktion „Animal Farm“ begännen und mein
Training als Aufwärmprogramm und Start in den Tag erlernen könnten.
Also zog ich nach Jenin, nach einem kurzen Aufenthalt in Jerusalem,
wo im medico-Büro kriegsbedingt ohne Pause von morgens früh um 8 bis
abends 21 Uhr gearbeitet wurde, Interview auf Interview, und nahezu
täglich eine neue Presseerklärung zu den Schrecknissen dieses
grausamen und ungerechten Krieges.
Untergebracht bin ich im
Gebäude des freedom-theatres in einer kärglich ärmlichen WG. Hier
leben bereits Jonatan Stanczak und seine schwedische Frau Johanna,
die im Sponsoring-Bereich des Theaters arbeitet, und der Waliser
Jacob, der ein Jahr in Jenin leben wird und die technische
Einrichtung des Theaters leitet und sein Wissen an vier Lehrlinge
aus Jenin-Camp weitergibt, sodass sie die technische Leitung nach
seinem Weggang übernehmen können. Da es keine Heizung gibt, könnte
ich in meinem Schlafzimmer mindestens zwei Wochen lang frischen
Fisch aufbewahren ohne besondere Geruchsentwicklung fürchten zu
müssen und in der Dusche, mit ihrem schnarrenden, kleinen
elektrischen Durchlauferhitzer, kann man im morgendlichkalten Bad
die warmen Tropfen zählen.
Um neun Uhr morgens beginnt
mein erstes Training. Meine StudentenInnen sind zwischen 17 und 24,
zwei Frauen und acht Männer. Sie kommen aus Ramallah, umliegenden
Dörfern, sowie aus Jenin-Stadt und aus Jenin-Camp, dem
Flüchtlingslager, wobei auf den Unterschied der Herkunft großer Wert
gelegt wird. Den Unterschied erkennt man, wenn man die Stadt
erkundet, leichtestens an der Art wie die Häuser gebaut sind, am
Zustand der Straßen und am Aussehen der Bewohner: den Städtern geht
es entschieden besser als den Bewohnern des Flüchtlingslagers.
Diese jungen Erwachsenen sind
nach einem bis jetzt wirklich schweren Leben traumatisiert,
aufgewachsen in bürgerkriegsähnlichen Zuständen, unter
Militärbeobachtung, in Armut und Bewegungsunfreiheit, was sich in
einer niedrigen Aggressionsschwelle und spürbar mangelnder
Konzentrationsfähigkeit bemerkbar macht. Konzentrationsfähigkeit ist
für diese Übungen nötig, die zu Teilen auf Yoga basieren, sie wird
aber auch dadurch trainiert. Somit ein positiver Teufelskreis.
Der Übungsablauf zeichnet sich
durch eine Zusammensetzung sehr einfacher Elemente aus, die es aber
in ihrer Einfachheit auch in sich haben und eine Beschränkung auf
Grundsätzliches und damit Klarheit mit sich bringen. Bei so einem
Unterricht am Ball zu bleiben ist für junge Menschen, deren Alltag
von Formlosigkeit bestimmt war und ist, nicht selbstverständlich.
Sie mussten z.B. immer wieder erleben, dass ihre Schulen über nicht
absehbare Zeiträume geschlossen wurden, in denen sie ihren Eltern
dabei zuschauen konnten, wie sie den Überlebenskampf tagtäglich neu
beginnen müssen. Hier Disziplin zu erwarten ist absurd, wenn man sie
sich auch immer wieder wünschen möchte, da sie das Unterrichten doch
erleichtern würde.
Als ich als Schauspielschüler
vor 23 Jahren diese Übungen von Mirka Yemen Dzakis, die in Peter
Steins „Orestie“-Inszenierung die Chöre miterarbeitet hat, erlernte,
haben wir den Unterricht aufgesogen. Von schulischer Unruhe war bei
uns damals nichts zu spüren, aber wir sind auch nicht im
Flüchtlingslager aufgewachsen und von unverständlicher Gewalt
umgeben gewesen. Umso schöner und freudebringender ist es dann auch,
wenn sich schon am dritten Tag der gemeinsamen Arbeit kleine, aber
deutliche Fortschritte bemerkbar machen.
Rabiye
heißt Frühling
Nach meinen Unterrichtsstunden
bin ich Beobachter bei den Proben zu „Animal Farm“. Dieses Stück
eignet sich natürlich sehr für die erste Theaterproduktion der
Schauspielstudenten, da es sich leichtestens auf die Situation in
den besetzten Gebieten übertragen lässt. Im Stück wird die
Geschichte der russischen Revolution und ihrer Folgen bis zum
stalinistischen Regime, anhand des Aufstands der Tiere auf einem
Bauernhof dargestellt. In Folge übernehmen die Schweine die Macht
und verbünden sich am Ende, nachdem sie die anderen Tiere geknechtet
haben, wieder mit den Menschen.
Der politische Bezug zu ihrem
Leben ist den Studenten mehr als klar. Am Spätvormittag wird das
Stück textanalytisch gelesen, selbstverständlich auf Arabisch und es
macht Freude die zumeist schönen Stimmen der SchauspielschülerInnen
zu hören und ihre Begeisterung an ihrer eigenen Ausdrucksfähigkeit
zu spüren. Nachmittags werden die Rollen über Tierimprovisationen
entwickelt. Sie treten einzeln hinter dem Vorhang des Proberaums
hervor, sind bereits in der Figur des von ihnen gewählten Tieres und
stellen dieses für einige wenige Minuten in unterschiedlichen
Befindlichkeiten dar.
Rabiye ist 24 Jahre alt und
der älteste der Studenten. Rabiye heißt Frühling und stammt aus
einer Beduinenfamilie, die in der Nähe von Jenin lebt. Er spielt ein
Pferd. Im Laufe der Szene legt sich das Pferd an der Wand hinten in
einer Ecke des Probenraums nieder. Es bewegt sich kaum noch und
stöhnt nur ein wenig. Jetzt sind die Kommilitonen und Micaela, die
die Probe leitet, alarmiert. Rabiyes Schicksal ist ihnen bekannt und
daher sind sie in großer Sorge. In der zweiten Intifada hatte sich
Rabiye dem bewaffneten Widerstand angeschlossen und war Mitglied der
Al-Aqsa-Brigaden. Infolgedessen wurde er von der israelischen Armee
gesucht und eines Tages bei seiner Familie aufgespürt. Als er von
den Soldaten angeschossen wurde, schrie er vor Schmerzen auf, konnte
aber flüchten. Eine seiner Schwestern hörte sein Schreien und rannte
in Sorge vors Haus, wo sie im Kugelhagel ihr Leben lassen musste.
Rabiye hat durch seine
Verwundungen eine Niere eingebüsst. Seine verbliebene Niere ist
durch eine Proteinstörung so gefährdet, dass er fürchten muss auch
diese zu verlieren. Eine Transplantation ist in Jenin unmöglich,
aber die Stadt verlassen darf er nicht. Aufgrund einer Amnestie ist
er von der Fahndungsliste der israelischen Armee genommen worden,
befindet sich aber unter Hausarrest, der so gestaltet ist, dass er
in der städtischen Kaserne untergebracht ist, die er morgens um 8
Uhr verlassen darf und in der er sich abends um 20 Uhr wieder
einzufinden hat.
Vor der Amnestie hatte er sich
von den Al-Aqsa-Brigaden losgesagt und sich jetzt dem friedlichen
Freiheitskampf angeschlossen, der sich hier durch künstlerische
Tätigkeit und eben auch Theaterarbeit ausdrückt. Seine Schmerzen
sind so schlimm, dass ein Krankenwagen gerufen werden muss. Alle
kauern sich um ihn, halten seine Hand oder streicheln ihn. Kurz
bevor der Krankenwagen eintrifft, kommt auch Mustafa Steti mit
seiner Kamera und filmt den sich unter Schmerzen windenden Rabiye.
Mir ist die aufdringliche Kamera unangenehm, die in paparazzihafter
Nähe geführt wird, bis mir klar gemacht wird, dass seit einiger Zeit
ein Dokumentarfilm über Rabiyes Leben und Wandel gemacht wird, bei
dem Mustafa Steti eben der Kameramann ist.
Nach diesem bedrückenden
Vorfall wird die Probe abgebrochen und wir alle gehen zu Fuß zum
wenige Minuten entfernten Krankenhaus, um Rabiye, der in der
ärmlichen Notaufnahme am Tropf hängt, durch unsere Anwesenheit
Beistand zu leisten. Seine Schmerzen lassen nach und sein Zustand
bessert sich. Am Abend wird er von meinen Mitbewohnern auch schon
auf der Strasse angetroffen, als er sich auf dem Heimweg in die
Kaserne befindet.
In der WG läuft nahezu
ununterbrochen British Al Jazeera. 24 Stunden wird ausschließlich
über die Schrecken des Krieges berichtet und die Bilderflut der
Zerstörung, der Verwundeten und Verletzten ist kaum zu ertragen und
wird auch durch Presseerklärungen der israelischen Sprecher oder
durch Interviews kaum erleichtert. Hier bekommt man Bilder zu sehen,
wie sie z.B. im deutschen Fernsehen nicht gezeigt werden und die
jeder in Jenin mit sich herumträgt und die auch mir immer wieder
hochkommen, besonders wenn ich unter anderem auf dem Markt von einem
der Verkäufer gefragt werde, was ich zu Gaza denke, nachdem er mir
zu meinem Einkauf noch einige Stücke Obst als Geschenk in meine Tüte
getan hat. Diese Frage und die Gedanken an die eingekesselten,
bombardierten Menschen schnürt einem jedes Mal die Kehle zu.
Überhaupt sind die
Palästinenser immer und auch jetzt ein überaus großzügiges Volk.
Wenn ich an der in Familienbesitz befindlichen Baklawa-Bäckerei
vorbeigehe und mich der Vater oder einer seiner Söhne sieht, werde
ich immer hereingewunken und komme nicht heraus, ohne dass ich
mindestens zwei Süßigkeiten probiert habe.
Faisals Entscheidung, Ashkelon und das Wohlleben von Tel Aviv
In der zweiten Woche meines
workshops sind die Fortschritte bei der Durchführung der Übungen
deutlich sichtbar, wenn auch immer wieder kleinste Störungen den
Unterricht unterbrechen: wenn etwa Iyad einen Niesanfall hat,
fliegen die Köpfe, egal was ansonsten gerade geschieht, bei jedem
Niesen in seine Richtung. Wenn das Handy von Rabiye klingelt, möchte
man schon wissen, was da gerade besprochen wird. Und wenn ich die
Studenten bitte, sich eine Hand auf die Brust und die andere auf die
Schädeldecke zu legen, um die Resonanz der von ihnen produzierten
Töne zu spüren, ist dies für Iyad nicht möglich, da er sich doch die
Haare gegelt hat und Gefahr läuft die schöne Frisur zu zerstören.
Meine Bemerkung zumindest, dass wir uns nicht in einer Modenschau,
sondern auf einer Schauspielschule befinden, löst Freude aus.
Nachmittags kommt Faisal auf
mich zu und stellt sehr kluge und explizite Fragen bezüglich
einzelner Übungen, worauf wir in den Probenraum gehen und er eine
Einzelstunde erhält, in der ich ihn frage, ob er sich vorstellen
könne, in der Folgewoche dreimal die Stunde zu leiten. Ich hatte mir
vorgestellt, die Studenten die Übungen einige Tage lang allein und
ohne Aufsicht machen zu lassen, was von den anderen Lehrkräften bei
einer Besprechung als ein Ding der Unmöglichkeit angesehen wurde.
Als Entwicklungsprozess für die Eigenständigkeit, den Selbstrespekt
und das Verantwortungsbewusstsein hielt ich einen solchen Vorgang
aber für entscheidend, nach dessen etwaigen Scheitern man zumindest
eben das Scheitern besprechen könnte. Faisal erklärte sich
mutigerweise dazu bereit. Als ich am nächsten Morgen die Klasse über
die weitere Vorgehensweise aufkläre, schlägt Iyad nach anfänglichem
Gekicher der Gruppe vor, Faisal solle doch gleich und in meiner
Anwesenheit die Stunde leiten, was er, sehr tapfer und kaum
vorbereitet, auch tat.
Alle, die Lehrer, die
Studenten und ich sind gespannt, wie das nächste Woche gehen wird.
In der Zwischenzeit fahre ich mit Tsafrir Cohen und einer
Journalistendelegation aus Deutschland, die über die Arbeit von
medico in Israel/Palästina berichten will und deren Anreise lange
vor dem Krieg geplant war, von Ostjerusalem über Ashkelon in
Richtung Gazastreifen um an einer Demonstration am Grenzübergang
Kerem Shalom teilzunehmen. Das Wort Shalom, „Frieden“, angesichts
der unmittelbaren Realität, die uns dort erwarten wird, drängt sich
einem in seiner Absurdität immer wieder ins Bewusstsein.
In Sichtweite von Ashkelon
aber fahren wir auf den Parkplatz einer Tankstelle, wo wir Ruchama
Marton, die Vorsitzende des medico-Partners Ärzte für
Menschenrechte-Israel treffen, die uns erzählt, dass sämtlichen
Busfahrern, die die Demonstranten nach Kerem Shalom bringen wollten,
von der Polizei die Führerscheine abgenommen wurden, mit der Zusage,
diese erst in 40 Kilometer Entfernung des Gazastreifens
wiederzubekommen. Damit war die Demonstration gescheitert.
Am Abend ist in Tel Aviv auf
den Strassen, in den Cafés und Restaurants vom Krieg nichts zu
spüren und zu hören. Während man in der Westbank und in Ostjerusalem
in jedem noch so kurzen Gespräch auf Gaza kommt, scheint man hier in
einer anderen, schönen und heiteren Welt angekommen zu sein, die
lächelnd über duftenden Speisen plaudert und mit gepflegten Weinen
anstößt.
Es ist aber auch so, dass im
israelischen Fernsehen nicht ein einziges Bild von den Taten und
Geschehnissen im Gazastreifen zu sehen ist, sondern immer nur
Reporter, die vor dem immergleichen Gebäude stehen, aus dem die
immergleiche Rauchwolke steigt und nicht der Vater, der seinen toten
Säugling in den Armen hält, um fassungslos auf die Leichen seiner
anderen beiden Kinder zu blicken.
Diese Bilder aber drängen sich
mir auf, als auf dem Weg nach Jenin eine Gruppe Kindergartenkinder
in den überfüllten Kleinbus steigen und ich einen nach Seife
duftenden, palästinensischen Jungen auf den Schoß nehme, der sich
vertrauensvoll ohne viel Worte an mich schmiegt. Die Vorstellung,
welch ein Leben ihn in Zukunft erwartet, schnürt mir die Kehle zu.
Teilweises Gelingen und mögliche Aussichten
Im Freedom-Theatre ist die
Wiedersehensfreude nach der kurzen Pause groß und nach Umarmungen
mit den Studenten und Handschlag mit den Studentinnen wird Resumée
gezogen.
Die erste, vom tapferen Faisal
geleitete Stunde hat gut funktioniert, aber in der zweiten ist dann
das Chaos ausgebrochen, sodass Nabeel Raee herbeigerufen werden
musste, um den entfesselten StudentInnen ins Gewissen zu reden,
sodass die dritte Stunde nicht ganz reibungslos und störungsfrei,
aber als Ablauf erkennbar stattfinden konnte. Ich finde diese
Entwicklung sehr annehmbar und äußere diese Ansicht auch im
gemeinsamen Gespräch, in dem ich die teilweise Selbständigkeit,
entgegen der Erwartungen, nur loben kann. Ein guter Schritt ist hier
in jedem Fall gemacht.
Bis Mitte März wird ohne mich
auf die Premiere von „Animal Farm“ hingearbeitet, die mit 1000 Euro
finanziert werden soll, wobei diese Finanzierung noch nicht steht.
Mit so geringen Mitteln kann man nur arbeiten, wenn beispielsweise
die schwedischen Bühnenbildner ohne Bezahlung arbeiten.
Und mittlerweile haben Juliano
Mer Khamis und ich beschlossen, dass ich mit den StudentInnen
bereits ab April wiederum für zwei Monate arbeiten werde.