Israels
Gesicht verändert sich
John Mearsheimer
Das rapide Anwachsen der
ultra-orthodoxen Gemeinschaft hat bedeutsame Konsequenzen für
Israel, weil nur 30% der haredischen Männer arbeiten und nur wenige
von ihnen zum Militär gehen.
Man kann ziemlich sicher annehmen,
dass wenigstens 750 000 Israelis außerhalb der Grenzen leben.. Dies
bedeutet, dass es jetzt weniger Juden als Palästinenser gibt, die
in Groß-Israel leben, selbst wenn man die 300 000
„anderen“(Nichtjuden) als Juden mitzählt.
Es lohnt sich auch zu bemerken, dass
es seit den frühen 90er-Jahren eine begrenzte Einwanderung nach
Israel gegeben hat und es in einigen Jahren mehr Auswanderer als
Einwanderer gegeben hat.
Dieser Trend wird es unwahrscheinlich
machen, dass Israel die Westbank verlassen und es den
Palästinensern erlauben wird, einen eigenen lebensfähigen Staat zu
haben. Großisrael ist dabei, eine harte Tatsache zu werden, wenn es
dies nicht schon ist.
Groß-Israel wird ein Apartheidstaat
sein.
Wahrscheinlich wird es zunehmend für
die Pro-Israel-Kräfte in den USA schwierig, Argumente zu liefern,
dass Washington seine „Sonderbeziehungen“ mit Israel aufrecht
erhält, weil die beiden Länder „gemeinsame Werte“ haben. Es gibt
nicht viel Gemeinsamkeiten, was die Kernwerte zwischen dem werdenden
Israel und dem zeitgenössischen Amerika betreffen.
Avraham Burg (ehemaliger Sprecher der
Knesset) glaubt offensichtlich, dass die Besatzung eine schwer
korrumpierende Wirkung auf Israel hat. Aber da ist noch etwas
anderes, das sich in Israel abspielt, das ihm große Sorgen bereitet:
Die israelische Gesellschaft verändert sich. Er sagt z.B. dass die
israelische Gesellschaft bis tief in ihren Kern gespalten ist’ .
Auch wenn er diese Spaltung nicht näher beschreibt, ist es
offensichtlich, dass dies politische und religiöse Dimensionen hat.
Er glaubt, dass der politische Schwerpunkt Israels wesentlich nach
rechts gerückt ist. Tatsächlich glaubt er, dass die Linke sehr
zurückgegangen ist, ja marginal geworden ist.’ Er sieht auch , dass
die Balance zwischen säkularen und religiösen Israelis sich
zugunsten der letzteren verschiebt. Deshalb schreibt er dass‚ die
Errichtung eines Staates, der von Rabbinern und Generälen geführt
wird, ein Alptraum ist.
Ich würde gern versuchen, Burgs Analyse
zu stützen, indem ich auf einige Trends in der israelischen
Gesellschaft hinweise, die eine große Wirkung auf den jüdischen
Staat haben und weiter haben werden, aber über die in den
Mainstream-Medien hier in Amerika kaum gesprochen wird. Ich
konzentriere mich auf das Anwachsen der ultra-orthodoxen Gemeinde
oder Haredi in Israel und die Auswanderung aus Israel oder was man
eine umgekehrte „Aliya“ nennt.
Es gab nur eine winzige Anzahl von
ultra-orthodoxen Juden in Israel, als der Staat 1948 gegründet
wurde. Und die Haredi waren gründlich gegen den Zionismus, den sie
als ein Affront gegen die jüdische Tradition ansahen. Doch ihre
Anzahl ist in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen, genau wie
auch ihr Anteil an der jüdischen Bevölkerung. Der Grund ist einfach:
im Durchschnitt hat jede Haredifrau 7,6 Kinder, was etwa das
dreifache im Vergleich zur übrigen israelischen Bevölkerung ist.
Der Forward berichtete im August 2007: in den 15 Jahren von
1992 bis 2007 fiel das Verhältnis jüdischer Kinder in den
staatlichen Elementarschulen von 67% aus 55% und würde bis 2012
wahrscheinlich auf 51% fallen. Während der Prozentsatz der Kinder in
den Haredischulen von 12,4 1992 auf 26,7% im Jahr 2007 stieg und
2012 etwa 31% sein wird.
Das rapide Wachstum der
ultra-orthodoxen Gemeinschaft hat bedeutende Konsequenzen für
Israel, weil nur 30% der haredischen Männer arbeiten und nur sehr
wenige im Militär dienen . Allgemeiner gesagt, bedeutet dies, dass
sie wahrscheinlich in den nächsten Jahrzehnten eine größere Rolle in
Israel spielen werden. Bei den letzten Bürgermeisterwahlen in
Jerusalem sagte der Kandidat Meir Porush, dass es in 15 Jahren kaum
mehr einen säkularen Bürgermeister in einer Stadt Israels geben
wird, außer vielleicht in ein paar weit entfernten Orten.’ Sicher
übertreibt er, aber sein Kommentar zeigt auf, wohin Israel steuert
und warum A. Burg sich Sorgen macht, dass der Staat von Rabbinern
geführt wird
Der 2. Trend ist die große Zahl der
Israelis, die nach Nordamerika und Europa ausgewandert sind und
wahrscheinlich nicht mehr zurückkehren werden. Nach den meisten
Schätzungen gibt es ungefähr 5,3 Millionen Israelis und 5,2
Millionen Palästinenser, die in Groß-Israel leben ( im
ursprünglichen Palästina). Es gibt noch etwa 300 000 Personen die
auch in Israel leben, die aber in der Statistik des Zentralbüros
unter ‚andere’ laufen. Meistens sind es Familienmitglieder der
jüdischen Immigranten, die jüdische Vorfahren haben, aber keine
jüdische Mutter und deshalb von der israelischen Regierung nicht als
Juden gezählt werden. Wenn man diese ‚anderen’ als Juden zählt,
dann wären es 5,6 Millionen israelische Juden und nicht 5,3
Millionen. Das würde bedeuten dass 5,6 Millionen israelische Juden
gegenüber 5,2 Millionen Palästinensern stehen. Doch nicht alle
diese Juden leben noch in Israel. Es ist schwierig, die richtigen
Zahlen zu bekommen, wie viele Juden im Ausland leben, weil die
Regierung seit den frühen 70er-Jahren diese Zahlen nicht mehr
veröffentlicht hat. Gestützt auf mehrere Artikel und auf Gespräche,
die ich letzten Juni in Israel hatte, scheint es ziemlich sicher,
dass es jetzt weniger Juden als Palästinenser in Groß-Israel gibt,
selbst wenn man die 300 000 ‚anderen’ als Juden mitzählt.
Außerdem gibt es beachtliche Beweise,
dass eine wesentliche Anzahl israelischer Juden Israel gerne
verlassen würden, wenn sie könnten. In einem Artikel der gerade im
National Interest erschien, berichten John Müller und Jan
Lustick, dass eine kürzliche Untersuchung ergab, dass nur 69%
jüdischer Israelis sagen, sie wollen im Lande bleiben und eine
Umfrage 2007 ergab, dass ein Viertel der Israelis sich mit dem
Gedanken tragen, das Land zu verlassen, einschließlich fast der
Hälfte aller jungen Leute. Sie berichten weiter, dass ‚bei einer
anderen Untersuchung 44% der Israelis sagen , sie würden bereit
sein, das Land zu verlassen, wenn sie irgendwo einen besseren
Lebensstandard finden könnten. Mehr als 100 000 Israelis haben
europäische Pässe beantragt’ und ich wette, dass die meisten dieser
Israelis, die sich entschieden haben, in der Diaspora zu leben,
säkular und politisch moderat wenigstens im israelischen Kontext
sind. Man sollte auch darauf hinweisen, dass die Immigration nach
Israel in den 90ern begrenzt gewesen ist,und in einigen Jahren die
Zahl der Emigranten die der Immigranten übertraf.
Diese Daten scheinen Burgs Standpunkt
über Israels Gesellschaft zu bestätigen, dass sie religiöser wird
und weniger säkular und dass der politische Schwerpunkt viel weiter
rechts steht als er bis jetzt stand. Ich kann mir fünf mögliche
Auswirkungen dieser sich entwickelnden Situation vorstellen.
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Dieser Trend macht es weniger
wahrscheinlich, dass Israel die Westbank aufgibt und den
Palästinensern erlaubt, einen lebensfähigen Staat für sich
aufzubauen. Groß-Israel wird eine harte Tatsache, wenn es dies
nicht schon ist.
-
wird es deutlich, dass die Juden
zahlenmäßig den Palästinensern im Großisrael sehr unterlegen
sein werden. Einen wichtigen demographischen Punkt erwähnte ich
oben noch nicht: eine palästinensische Frau hat im Durchschnitt
4,6 Kinder, während die israelische Zahl etwa 2,6 Kinder
beträgt.
-
Junge Israelis, die ähnlich wie
Burg denken , fühlen sich in Israel zunehmend unwohl, und der
Gedanke nach Europa oder Nordamerika auszuwandern, nimmt zu. Und
Europa, das immer mehr demographische Probleme hat , heißt sie
herzlich willkommen.
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wahrscheinlich wird es für
pro-israelische Kräfte in den USA immer schwieriger, die
besonderen Beziehungen zu Israel aufrecht zu erhalten, weil die
beiden Länder (angeblich) ‚gemeinsame Werte’ haben . Es gibt
nicht viel Ähnlichkeiten hinsichtlich der Kernwerte zwischen
dem werdenden Israel und dem zeitgenössischen Amerika.
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es scheint auch für amerikanische
Juden – besonders für die Jüngeren - immer schwieriger zu
werden, sich mit Israel zu identifizieren und ein echtes
Zusammengehörigkeitsgefühl zu haben, was sehr wichtig wäre, um
die besonderen Beziehungen aufrecht zu erhalten.
Zusammengefasst: Israel befindet sich
in Schwierigkeiten, weshalb Amerikaner aller Glaubensrichtungen –
besonders diejenigen, die behaupten, Israels Freunde zu sein – Burgs
bedeutsames Buch lesen und anfangen sollten, darüber zu reden.
(TPMCafe Book Club
http://tpmcafe.talkingpointsmemo.com/tpmcafe-book-club
12.Dezember 2008
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