TRANSLATE
Die drei Mythen von Israel Unsicherheit
Und warum sie entlarvt werden müssen
Ira Chernus
Hier sind die drei heiligen Gebote für Amerikaner,
die die öffentliche Konversation über Israel prägen.
-
Für
Politiker, besonders auf Bundesebene: sobald man das Wort „Israel“
ausspricht, muss man auch das Wort „Sicherheit“ aussprechen und versprechen,
dass die USA sich immer, immer, immer für Israels Sicherheit engagieren
wird. Wenn man gelegentlich eine Aktion der israelischen Regierung als
nicht „hilfreich“ bezeichnet, muss man sofort das ewige US-Engagement für
Israels Sicherheit bestärken.
-
Für
verantwortliche TV-Leute und op-ed-Experten: Wenn man irgendeine Politik
oder Aktionen der israelischen Regierung kritisiert, muss man sofort
hinzufügen, dass Israel natürlich sehr reale und ernste Sicherheitsprobleme
hat, mit denen man sich befassen muss.
-
Journalisten größerer amerikanischer Zeitungen, die sich mit dem
Israel-Palästina-Konflikt befassen: Man muss im jüdischen Jerusalem oder in
Tel Aviv leben und nur gelegentlich eine Tagestour in die besetzten Gebiete
unternehmen. Der Bericht muss dann unweigerlich etwa aus der Perspektive
von Juden sein, unter denen man lebt. Und man muss in jedem Bericht deutlich
machen, dass das jüdisch-israelische Leben von der Angst um Sicherheit
beherrscht wird.
Die US-Meinungsmacher haben die drei Gebote
jahrzehntelang skrupellos befolgt. Die Folge davon ist, dass sie ein
unauslöschliches Bild von Israel als einer Nation geschaffen haben, die in
großer Unsicherheit lebt. Dieses Image ist ein größerer, wenn auch oft
übersehener Faktor, der Washingtons Nahostpolitik und besonders die
langjährige amerikanische Zuneigung gegenüber Israel gestaltete.
Es wird oft gesagt, dass der Faktor Nummer eins bei
dieser Neigung die Macht der rechten „Pro-Israel“ (Genauer der
„Pro-Israel-Regierung“-Lobby) ist. Diese Lobby ist gewiss eine geschickte, gut
geölte Maschine. Sie benützt jeden Trick im PR-Buch, um den Mythos von Israel
als einem tapferen kleinen Staat aufrecht zu erhalten, der ständig gezwungen
wird, um sein Leben zu kämpfen gegen alle Feinde rund herum, die ihn zerstören
wollen - ein jüdischer David, der dem arabischen Goliath widersteht. Die Lobby
rechtfertigt alles, was Israel den Palästinensern antut – militärische
Besatzung, wirtschaftliche Strangulierung, Erweiterung der Siedlungen,
Enteignung des Landes, Zerstörung von Häusern, Gefangenschaft von Kindern –
vielleicht unglückliche aber absolute Notwendigkeit für Israels
Selbstverteidigung.
Egal wie gewieft jede Lobby ist, sie kann ohne ein
substantielles Level öffentlicher Unterstützung nicht so viel Erfolg haben.
(Wie mächtig würde die Nationale Waffenvereinigung sein, wenn nicht Millionen
von Amerikanern ihre Waffe so lieben würden?). Zusammen mit den anderen Quellen
der Macht und des Einflusses benötigt die rechte Israellobby eine große
Mehrheit der US-Öffentlichkeit, dass sie an die Mythen von Israels Unsicherheit
als Gottes reine Wahrheit glaubt.
Ironischerweise erhält dieser Mythos in der
israelischen Presse von Schriftstellern ( um nur eine paar Beispiele aus letzter
Zeit zu nennen) Merav Michaeli und Doron Rosenblum in der liberalen Zeitung
Haaretz eine Menge Kritik und Nachfragen. In den USA wird der Mythos der
Unsicherheit durch die Linse der Selbstverständlichkeit gesehen, durch die die
Öffentlichkeit alles über den Israel-Palästina-Konflikt sieht. Wie die Luft, die
wir atmen, ist der Blick so umfassend, dass wir es kaum bemerken.
Wir bemerken auch nicht, wie reflexiv die meisten
Amerikaner die Behauptung der Selbst-verteidigung als Rechtfertigung für alles
akzeptieren, was Israel tut, egal wie ungeheuerlich es ist. ….
Unsere Politiker, Experten und Korrespondenten atmen
dieselbe Luft in der selben gedankenlosen Art. Und deshalb zögern sie, Druck auf
Israel auszuüben, damit es seinen Weg ändert. Wie es geschieht, ist es
unwahrscheinlich, dass die israelische Regierung die notwendigen Kompromisse
macht, die für einen gerechten und anhaltenden Frieden in der Region nötig
wären. Stattdessen wird Israel mit seinen Angriffen auf den Gazastreifen
fortfahren. Außerdem, falls die Palästinenser im kommenden September ihren
unabhängigen Staat erklären, wie es nach vielen Berichten geschehen könnte,
wird sich Israel frei fühlen, diesen Staat mit jedem nur möglichen Mittel zu
zermalmen – aber nur dann, wenn Washington weiter seine Unterstützung gibt und
damit einverstanden ist.
Falls amerikanische Haltungen und ihre Politik sich
jemals ändern sollten, sollte es nötig werden, sich mit dem Mythos von Israels
Unsicherheit näher zu befassen und ihn zu entlarven.
Drei
Mythen in einem
Israel liefert tatsächlich drei getrennte Mythen
über seine Unsicherheit, obwohl seine PR-System sie in eine einzige
zusammenstrickt. Um die Realität dahinter zu begreifen, müssen die drei Strähnen
aus einander genommen und jede für sich untersucht werden.
Mythos Nr. 1:
Israels Existenz wird von der ständig gegenwärtigen Möglichkeit militärischer
Angriffe bedroht. Tatsächlich besteht aber keine Chance, dass irgend einer von
Israels Nachbarn einen Krieg beginnt, um Israel auszulöschen. Sie kennen ihre
Geschichte. Seit dem Unabhängigkeitskrieg 1948 ist das israelische Militär
besser ausgerüstet, besser trainiert, effektiver und praktisch in jedem Fall
eine erfolgreiche Militärmacht -trotz seiner geringen Größe. Es ist deutlich die
stärkste Militärmacht im Nahen Osten.
Nach dem maßgeblichen Buchband/ Volume The
Military Balance 2011 hat sich Israel noch immer eine entscheidende
Überlegenheit über jeden seiner Nachbarn bewahrt. Während die israelische
Regierung ständig wegen eingebildeter iranischer Nuklearwaffen-Bedrohung Alarm
schlägt – obwohl seine Nachrichtendienste jetzt suggerieren, dass der Iran nicht
vor 2015 eine Nuklearwaffe hat - bleibt Israel in dieser Region die einzige
Nuklearmacht in voraussehbarer Zukunft. Es besitzt außer etwa 200 Atombomben
zusätzlich eine bedeutsame Anzahl von 1000kg konventioneller Bomben, die
gezielt eingesetzt werden können.
Was seine mächtigsten Waffen betrifft, so kann sich
Israel auf seine 100 landgestützten Raketenabschussrampen, 200 mit Raketen
bestückten Kampfflugzeuge und ( nach wiederholten Presseberichten) mit Raketen
bestückten Unterboote verlassen. Die U-Boote sind natürlich der Schlüssel dafür,
dass kein zukünftiger Schlag gegen Israel jemals ohne Racherückschlag bleiben
wird.
Israel gibt aus angeblicher Angst für sein Militär
weit mehr als jeder seiner Nachbarn aus.
Vor allem, weil es mehr militärische Hilfe aus den
USA bekommt als jeder andere Nahoststaat – 3 Milliarden im Jahr ist die
offizielle Zahl, obwohl wahrscheinlich keiner die genaue Höhe der Summe kennt.
Die Obama-Regierung hat eine lange Tradition
fortgesetzt, um Israels massive militärische Überlegenheit in der Region zu
garantieren. Israel will z.B. das erste ausländische Land sein, das aus den USA
die höchst entwickelten Kampfflugzeuge, die F-35 Jagdbomber erhält. Der
Verteidigungsminister Ehud Barak beklagte sich kürzlich, dass 20 der
versprochenen Jagdflugzeuge nicht genug seien, obgleich er zugab, dass sein Land
„keiner bevorstehenden Bedrohung entgegensieht“, die eine Erhöhung der Anzahl
rechtfertigen würde. Israel beginnt auch seinen „Iron Dome“ einzusetzen, ein
mobiles Luftverteidigungssystem, wobei die US die Hälfte der Kosten übernommen
hat.
Zusammengefasst: von keiner der Nationen, von denen
Israel behauptet, sie würden seine reine Existenz bedrohen, kann eine
existentielle militärische Gefahr ausgehen. Natürlich bedeutet das nicht, dass
alle jüdischen Israelis sicher sind . Das bringt uns zu,
Mythos Nr 2. die
persönliche Sicherheit eines jeden jüdischen Israeli wird täglich von der
Möglichkeit gewalttätiger Angriffe bedroht .Nach israelischen
Regierungsstatistiken sind aber tatsächlich seit Anfang 2009 nur ein
israelischer Zivilist ( und zwei nicht-Israelis) bei politisch motivierten
Angriffen innerhalb der Grünen Linie (Grenze von vor 1967) getötet worden.
Israelis, die innerhalb dieser Grenzlinie leben, gehen ihrem täglichen Leben
tatsächlich ohne diese Beunruhigung nach.
Der Unsicherheitsmythos konzentriert sich deshalb
auf die Raketen – die wirklichen, die von Gaza aus abgefeuert werden und die
eingebildeten , die vermutlich von einem zukünftigen palästinensischen Staat in
der Westbank abgeschossen werden könnten. Lieferanten der Unsicherheitsmythen,
einschließlich der amerikanischen Medien, stellen solche Raketenangriffe so dar,
als kämen sie aus dem blauen Himmel mit keinem anderen Motiv als einem
irrationalen Wunsch unschuldige Juden zu töten und zu verstümmeln. Die meisten
Raketen aus dem Gazastreifen sind als Re-Aktionen auf israelische Angriffe
abgefeuert worden, die oft von Palästinensern erklärte Feuerpausen gebrochen
haben.
Diese Raketen sind Teil eines andauernden Krieges,
in der jede Seite ihre besten Waffen benützt, die sie hat. Die Palästinenser
haben natürlich keinen Zugang zum hoch entwickelten israelischen
Steuerungssystem. Ihre Waffen sind primitiv und sind handgemacht. Sie schießen
ihre Raketen ziellos ab, die dann irgendwo hinfallen ( was bedeutet, dass die
meisten keinen Schaden anrichten.
Israels Waffen richten weit mehr Schaden an. Die
Operation Cast Lead, der israelische Angriff auf Gaza Ende 2008, tötete mehr
Zivilisten als alle Raketen, die von Palästinensern je nach Israel abgeschossen
wurden. Trotz ( oder vielleicht wegen) der schweren Verluste hat die
Hamasregierung in Gaza versucht, das Abschießen von Raketen zu verringern. Wenn
Hamas alle Fraktionen in Gaza aufruft, die Feuerpause einzuhalten,
beschleunigen die Israelis ihre Angriffe.
Jüdische Zivilisten nehmen das Risiko in Kauf,
wenn sie in den West Bank Siedlungen leben . Bei dem kürzlich schrecklichsten
Vorfall wurde eine jüdische Familie in der Itamar-Siedlung ermordet. Als
Antwort zeigte der israelische Vize-Ministerpräsident Moshe Yaalon klar, wie
der Tod einzelner Siedler in den Mythos von Israels „existentieller
Unsicherheit“ verwoben ist. „Dieser Mord erinnert jeden daran, dass der Kampf
und Konflikt nicht um Israels Grenzen oder um Unabhängigkeit einer
unterdrückten Nation geht, sondern ein Kampf um unsere Existenz ist,“ erklärte
er.
Die Logik des Mythos geht bis in die Anfänge der
frühen Zionisten zurück: alle Einheimischen sind unerbittliche und ewige
Antisemiten. Mit dieser Logik wird jeder Angriff auf einen Juden, egal wie
willkürlich, zu einem Beweis, dass alle Juden ständig von der Auslöschung
bedroht seien.
Die meisten Zionisten sind unfähig geworden zu
erkennen, dass, nachdem sie erst einmal einen Staat gründeten, der sich auf
regionale militärische Überlegenheit festlegte, sie sich mit Kriegsakten
auseinander setzen müssen. Es ist weit mehr die Abwesenheit von Frieden als
vorhandener Antisemitismus, der Israelis, die in der Nähe des Gazastreifens und
in der Westbank leben, unsicher macht.
Entsprechend dem Mythos ist es jedoch nicht nur
physische Gewalt, die Israels Existenz bedroht. In den letzten zwei Jahren haben
Israelis von rechten Flügel und ihre Unterstützer in den USA nachts, wach
liegend, erfahren, über eine andere Bedrohung besorgt zu sein.
Mythos Nr.3:
Israels Existenz ist von weltweiten Bemühungen bedroht, den jüdischen Staat zu
delegitimieren. Anfangs 2010 sagte der militärische Nachrichtenchef Amos Yadlin
der Knesset, Israels Parlament, dass das Land „nicht unter Terror leidet oder
einer unmittelbaren militärischen Bedrohung“ – nur um vor einer neuen Gefahr zu
warnen: „Die palästinensische Behörde ermutigt die internationale Arena, Israels
Legitimität herauszufordern.
Der Delegitimierungs“alarm wurde zuerst von einem
einflussreichen Think-tank verkündet und dann wie ein Lauffeuer durch die
politischen und Medienränge der Nation verbreitet.
Da stecken Spuren von Wahrheit drin. Da hat es immer
Leute gegeben, die den auf die einheimischen Palästinenser gesetzten jüdischen
Staat, als illegitim ansahen. Bis vor kurzem jedoch schien es, dass Israelis
diesem wenig Beachtung schenken. Jetzt werden sie für eine „existentielle
Bedrohung“ gehalten, wie Yadlin erklärte, nur weil die alten Behauptungen über
Gewalt unglaublich gewachsen sind, sogar gegenüber dem israelischen Militär
(wenn auch nicht gegenüber den amerikanischen Unterstützern der Regierung) .
Es stimmt auch, dass Infragestellungen von Israels
Legitimität rasch rund um die Welt wachsen und dass das Gespenst ein
„Pariastaat“ zu werden, eine Gefahr darstellt. Der Chef dieses Think tanks hatte
halb Recht, wenn er davor warnte, dass Israels „Überleben und Wohlstand“ von
seinen Beziehungen mit der Welt zusammenhängen. …. Ein Pariastaat zu sein, ist
nicht existenzbedrohend, wie Nordkorea und Burma bewiesen haben.
Aber Wohlstand? Wenigstens das ist möglich. Wenn die
Israelis sich über „Delegitimierung“ beklagen, konzentrieren sie sich vor allem
auf die Boykott/Divestment/ Sanktionen-Bewegung, die nicht die Auslöschung des
Staates Israel zum Ziel hat, aber wirtschaftlichen Druck, um Israels Besatzung
und deren wirtschaftliche Strangulierung palästinensischen Landes zu beenden.
(Es gibt auch keinen wirklichen Beweis, der die Anklage bestätigt, dass dies
eine große Verschwörung sei, die mit der palästinensischen Behörde abgesprochen
sei.).
Würde Israel damit beginnen, sich nach
internationalen Normen zu richten, würde die BDS-Bewegung schnell von der Bühne
verschwinden und die Krise der „Delegitimierung“ beenden - und der
Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen würde aufhören. Aber die Realität dieses
Momentes ist: die einzig echte Bedrohung für Israels Sicherheit ist die Folge
seiner unterdrückerischen Politik, die der BDS-Bewegung den Kraftstoff gibt.
Doch sind die „Auswirkungen auf die israelische
Wirtschaft marginal“, - nach einer populären israelischen Zeitung. Sie
berichtet, dass die BDS-Kampagne viel mehr Schaden anrichtet, indem es das
negative Image Israels verbreitet“. Eine wachsende Anzahl von ausländischen
Regierungen kritisieren Israel und einige erkennen tatsächlich schon den
Palästinensischen Staat an. In diplomatischer Sprache: Israels Legitimität
beruht auf dem guten Willen seiner einzigen zuverlässigem Verbündeten, den USA.
Mehr als jeden militärischen Bedarf bietet der
mächtige Einfluss der USA an, in dem sie in Richtung einer Entscheidung in der
israelisch-palästinensischen Krise hinsteuert. Der dreifache Mythos von Israels
Unsicherheit jedoch macht solchen Einfluss Washingtons praktisch unmöglich.
Israels Präsident nannte im März 2010 den Bedarf seines Landes ehrlich: „Israel
muss gute Beziehungen mit anderen Ländern aufbauen, ganz besonders mit den
USA, um die politische Unterstützung in Zeiten der Not zu garantieren.“ Die USA
haben weiterhin ihre starke Unterstützung angeboten, obwohl Präsident Obama weiß
– wie er kürzlich amerikanischen jüdischen Führern sagte, dass „Israel hier die
stärkere Partei sei, militärisch, kulturell und politisch. Und Israel muss den
Kontext für Frieden schaffen.“
Aber was, wenn die amerikanische Öffentlichkeit die Fakten
kannte, die Obama zugegeben hat? Was wenn jede feierliche Referenz gegenüber
Israels „Sicherheitsbedarf“ nicht mit Kopfnicken begrüßt wurde, sondern mit der
verdienten Skepsis rollender Augen ? Was wenn Israels endlose Exzesse und
Entschuldigungen - seine Behauptungen, dass die Besatzung der Westbank und die
Strangulierung von Gaza für seine Sicherheit nötig seien - regelmäßig von den
meisten Amerikanern verspottet wurden?
Man kann sich kaum Obamas oder irgend eine
amerikanische Regierung vorstellen , die eine pro-Israel- Haltung angesichts
solch öffentlicher Verachtung auf Dauer behält.
Ira Chernus ist Professor für religiöse Studien
an der Universität von Colerado at Boulder
http://original.antiwar.com/engelhardt/2011/04/17/the-great.israeli-security-scam/print
(dt. Ellen Rohlfs und geringfügig gekürzt)
|