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Überfällige Sanktionen gegen Israel

Kurt O. Wyss

 

Angesichts des Chaos im Vorderen Orient und der Gräuel der Terrormiliz „Islamischer Staat“, deren Attentatsserie mittlerweile auch auf Europa übergegriffen hat, wird der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nicht müde, sein Land als letzte Bastion westlicher Werte in einer Weltgegend zu bezeichnen, die in Barbarei und Despotismus versinkt.

Diese Feststellung ist nicht unzutreffend, beschlägt indessen nur eine Seite. Israel lebt nämlich seine eigene Barbarei in Form von Massakern, Krieg, Vertreibungen, Landraub, Willkür, gezielten Tötungen und Zerstörungswut an der alteingesessenen palästinensischen Bevölkerung aus. Der jüdische Staat hat es mit grosszügiger politischer, wirtschaftlicher und militärischer Unterstützung der amerikanischen Weltmacht verstanden, die Entstehung eines eigenständigen, lebensfähigen Staates Palästina systematisch zu hintertreiben, wovon die internationale Staatengemeinschaft grossmehrheitlich ausgeht. Die europäischen Regierungen verhalten sich ähnlich und begnügen sich mit Rufen nach einer nachhaltigen politischen Regelung des Konflikts, die jedoch stets ungehört verhallen.

Der Westen legt Israel gegenüber grundsätzlich andere Massstäbe an als gegenüber dem Rest der Welt. Die deutsch-jüdische Friedensaktivistin Evelyn Hecht-Galinski gibt einer Veröffentlichung den Titel „Das Elfte Gebot: Israel darf alles“.

 

Dennoch löste der erfolgreiche Selbstbehauptungswille des jungen Kleinstaates  – beeinflusst vom zionistischen Propaganda-Narrativ einer Neuauflage des biblischen Kampfes des tapferen David gegen den übermächtigen Goliath – anfänglich wahre Begeisterungsstürme in der europäischen Zivilbevölkerung aus. Auf das Leid der Palästinenser wurde in unseren Breitengraden überhaupt nicht eingegangen. Erst als im Verlaufe der Zeit immer mehr Einzelheiten über das gewalttätige Vorgehen gegen die palästinensische Bevölkerung auftauchten, kam nach und nach eine israelkritische Grundstimmung auf.

Weil der Fehler immer bei den „andern“ liegt, werden diese Kritiken und die auf Privatinitiative hin entstandene internationale Bewegung des gewaltlosen Widerstands (u.a. Aufrufe zur Boykottierung von Produktion aus den illegalen jüdischen Siedlungen) kurzerhand als „neuer Antisemitismus“ abgetan, was zur „Delegitimierung“ Israels führe, ganz nach dem oft gehörten Mantra „die ganze Welt ist sowieso gegen uns“.

 

Der Zeitpunkt ist überfällig, dass die Europäische Union und die Schweiz den Druck auf das renitente Israel, das immer mehr in rechtsextremistisch-rassistisches Fahrwasser abdriftet, mit einer staatlich verordneten Sanktionspolitik erhöhen, wie das seinerzeit beim südafrikanischen Apartheid-Regime der Fall war. Denn Sühne und moralische Wiedergutmachung für die am europäischen Judentum begangenen Verbrechen während der Nazi-Zeit können nicht ewig als Ausrede für verlegenes Wegschauen herhalten, ebenso wenig die willfährige Übernahme von Israels Rechtfertigungen unter dem allgegenwärtigen Aspekt der Sicherheit. Auf diese widersprüchlichen  Aspekte macht derzeit die Plakataktion der Palästina-Solidarität im Hauptbahnhof Zürich aufmerksam: eine weiss gekleidete Frauengestalt, die EU-Staaten symbolisierend, wirft sich untertänig dem hämisch grinsenden israelischen Ministerpräsidenten vor die Füsse.

Solange man wie bisher von Gerechtigkeit spricht und die Bevorzugung Israels meint, solange muss sich das blutige Szenario immer wieder von neuem abspielen: die hoch überlegene Militärmaschinerie des jüdischen Staates schlägt von Zeit zu Zeit das als bedrohlich empfundene palästinensische Gegenüber mitsamt seiner Bevölkerungsbasis in die Unterwerfung und schafft eine trügerische Ruhe, womit die Israelis durchaus leben können. Die westliche Tolerierung dieser Abläufe ist das, was schon 2009 der angesehene damalige NZZ-Nahostkorrespondent Victor Kocher als „den grossen Schwindel“ auf Kosten der Palästinenser bezeichnet hatte.

 

Kurt O. Wyss

Dr.phil., alt Botschafter

Bern

 

 

 

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