Trinkwasser ist ein elementares
Grundrecht jedes Menschen. Die Millenium Development Goals (MDG)
wurden von der UNO verabschiedet, weil alle
Strukturanpassungsprogramme der Weltbank und IWF scheiterten. Das
Millenium Ziel Nr. 7 schreibt fest: „bis 2015 den Anteil der
Menschen ohne nachhaltigen Zugang zu sicherem Trinkwasser und
elementarer Abwasserentsorgung zu halbieren“. Im Gazastreifen,
wo Qualität und Umfang der Versorgung rapide sinken, hören sich
solch wohltönende Versprechen ironisch an.
Der Hydrogeologe Clemens Messerschmid
beschreibt im nachstehenden Artikel den Wassernotstand im
Gazastreifen. Keines der zentralen Probleme Gazas wird sich ohne ein
Ende der Besatzung bewältigen lassen, weil es nicht wirtschaftliche,
sondern im Kern politische Probleme sind. Die Palästinenser brauchen
keine tönenden Versprechungen finanzieller Unterstützung, sondern
echte politische Solidarität gegen die Besatzung.
Wassernotstand im Gazastreifen
Clemens
Messerschmid
Quelle: Inamo
Es wäre falsch zu behaupten, im
Gazastreifen bahne sich eine Wasserkrise an. Das Wort Krise
impliziert einen plötzlich ausgebrochenen Sonderzustand. Im
Gazastreifen ist die Wasserkatastrophe seit Jahrzehnten Alltag. 1.4
Millionen Einwohner leben im Gazastreifen auf 360 km2
Fläche; In der zweiten Intifada hat Israel einen etwa 1 km breiten
Cordon Sanitaire mit verbrannter Erde entlang des Grenzzauns
geschaffen; somit sind nur noch etwa 310 km2 zum Bewohnen
übrig.
Die dreifache Blockade des
Gazastreifens durch Israel, die westliche Gebergemeinschaft und
Präsident Abu Mazen’s Notstandsregierung in Ramallah hat zu einer
akuten humanitären Katastrophe geführt. 70% der Haushalte lebten
schon 2006 in absoluter Armut. Aber nun sind auch die humanitären
Hilfsleistungen der UN-Flüchtlingsorganisation UNRWA ernsthaft in
Gefahr; ihr Koordinator Maxwell Gaylard mahnte am 22. Januar 2008: «Abriegelungen
verletzen nicht nur den ökonomischen Wohlstand von Familien und
Gemeinden in den besetzten Palästinensischen Gebieten, sie erodieren
auch die grundlegende menschliche Würde der Palästinensischen
Bevölkerung.»
UNICEF beklagte bereits im Dezember
2007, dass «seit Juli kein von UNICEF finanziertes Ersatzteil
bzw. kein Ausrüstungsgegenstand, um Wasser- und Abwasseranlagen
instand zu halten oder auszubessern, den Gazastreifen erreicht hat.
Mit Stand vom 10. November 2007, benötigten zehn Brunnen zur
Versorgung von 150.000 Menschen einen Austausch ihrer
Elektromotoren, und die zehn Pumpstationen, die 600.000 Menschen
versorgen, laufen ohne Reparaturen aufgrund Ersatzteilmangels.»
„Mit Stand vom 21. Januar 2008
hatten die Küstenstadtwasserwerke (CMWU) gerade noch genug
Treibstoff um 40 ihrer 130 Brunnen und 21 ihrer 33
Abwasserpumpstationen zu bepumpen“ (OCHA, das United Nations
Office for the Coordination of Humanitarian Affairs, am 24 Januar
2008 in einem Situationsbericht über die Abriegelung des
Gazastreifens).
Seit Jahren ist der Gazastreifen
vollständig abgeriegelt. Er verfügt über keinerlei nennenswerte, vor
allem wasserverbrauchsintensive Industrie. Und selbst das
verbliebene Kleingewerbe hat nun auch keinerlei Zugang zu
Rohmaterial und Ersatzteilen mehr. Selbst so elementare Dinge wie
Zement, lässt Israel nicht mehr in den Streifen hinein und erledigt
damit auf einen Schlag den größten nicht-öffentlichen Arbeitgeber
Gazas, die Bauindustrie, die sogar in den härtesten Jahren der
Israelischen Counter-Intifada weitergearbeitet hatte. «Die
gegenwärtigen Restriktionen führten zum Zusammenbruch von 90% der
Industrie in Gaza, die etwa 35.000 Arbeiter beschäftigt.» (AIDA,
2007)
Wasser als ökonomische Ressource
Was an ökonomischer Grundlage noch übrigbleibt, ist die
Landwirtschaft, deren begrenzender Faktor Wasser zur Bewässerung
ist. Aber Israel unterbindet auch den Export von Früchten auf
willkürliche Weise: Im Herbst und Winter verrottete fast eine
gesamte Ernte auf den Feldern. Für den Verkauf auf lokalen Märkten
an andere mittellose Palästinenser in Gaza, rechnet sich oft selbst
das Einfahren der reifen Frucht nicht mehr. So versetzt Israel dem
letztem relevanten Wirtschaftsbereich des Gazastreifens den
Todesstoss. Bekannt sind die Bilder vom Mauerdurchbruch in Rafah
Ende Januar, als hunderttausende Menschen nach Ägypten strömten, um
sich einen Liter Milch und Grundnahrungsmittel zu kaufen.
Das Rotes Kreuz berichtete schon im Herbst 2007: «Die Bauern im
Gazastreifen erinnern sich noch daran, wie grün und fruchtbar ihr
Land in jüngerer Vergangenheit war. Reiche Ernten ihrer Zitrus- und
Olivenbäume wurden in die West Bank und nach Israel exportiert.
Heute wurde ein Großteil ihres Landes eingeebnet und ihre Bäume
während der häufigen Militärinvasionen entwurzelt. Etwa 5000 Bauern,
die vom Export ihrer Tomaten, Erdbeeren und Schnittblumen leben,
steht ein 100%iger Verlust ihrer Einnahmen bevor. Die Erntesaison
dieser wichtigen Früchte begann im Juni, aber das Embargo ließ sie
in den Containern an den Grenzpunkten verrotten.»
Menschenrecht Trinkwasser
Trinkwasser ist ein elementares Grundrecht jedes Menschen. Die
Millenium Entwicklungsleitlinie Nr. 7 über „die Sicherung der
Nachhaltigkeit in Umweltfragen“ schreibt fest, „bis 2015 den
Anteil der Menschen ohne nachhaltigen Zugang zu sicherem Trinkwasser
und elementarer Abwasserentsorgung zu halbieren“. In Gegenden
wie Gaza hören sich solch wohltönende Versprechen ironisch an –
Qualität und Umfang der Versorgung steigen nicht langsam an, sondern
sinken rapide, von 95 l/c/d vor der zweiten Intifada auf 57.8 l/c/d
im Jahre 2007!
Dies sind Durchschnittswerte – viele der Haushalte sind überhaupt
nicht an das Leitungsnetz angeschlossen. Ihnen bleibt nichts anderes
übrig, als entweder selbst nach Wasser zu bohren (in manchen
Regionen liegt der Wasserspiegel nur wenige Meter unter
Erdoberfläche) oder Wasser von privaten «Tanklastern» zu kaufen.
Aber selbst die Glücklichen, die über Wasserleitungen verfügen,
können dieses Wasser oft nicht nutzen: Die Wasserqualität im größten
Teil des Streifens ist so schlecht, dass jede Familie mit einem
minimalen Einkommen, privat «entsalztes» Trinkwasser um teures Geld
zukauft. Eine Gallone (etwa 20 Liter) kostet 1 NIS, in anderen
Worten: 50 NIS pro Kubikmeter, oder das dreißig- bis fünfzigfache
des Leitungswasserpreises (~2 NIS/m3). Wie überall auf
der Welt, von Bogota bis Lagos, zahlen die Ärmsten die höchsten
Wasserpreise – oder müssen ungenießbares Wasser trinken.
Auch die israelischen Zerstörungen sind
natürlich älter als die jüngsten Sanktionen: Von der zweiten
Intifada am stärksten betroffen waren Rafah und Beit Hanoun im
äußersten Süden und Norden des Gazastreifens. In Rafah hat das
israelische Militär während seiner Invasionen im Mai 2004, 36 km
Wasserleitungen und 42 km Abwassernetz zerstört. (EWASH, 2005).
Geschätzte 20% existierender Wasser-Infrastruktur trug Schäden von
den israelischen Militärinvasionen davon.
Gazas Erblast – bitteres Wasser
Die Wasserqualität des flachgründigen, sandigen Grundwasserleiters
spottet jeder Beschreibung. Die Chloridwerte von über zwei Drittel
aller 129 kommunalen Trinkwasserbrunnen überschreiten die
WHO-Gernzwerte. Nur 7,5% aller Trinkwasserbrunnen erreichen die
allgemeinen WHO-Standards. Die Salzkonzentration stieg in den
letzten zehn Jahren um 30%. Das Wasser in Gaza macht krank.
Aus Mangel an Chemikalien können die Labore seit Juni 2007 keine
biologischen Wasseranalysen mehr durchführen. Es fehlt an Salzsäure
als Grundstoff für den Betrieb der Entsalzungsanlagen. Auch die
Einfuhr von Chlor und Filtern wurde von Israel unterbunden. Das
Chlor reichte bis Mitte Dezember 2007 und eine eiserne Reserve noch
zwei weitere Monate. Nun, Mitte Februar wird auch diese Reserve zur
Neige gehen. Dabei ist das Wasser in manchen Gegenden schon jetzt so
schlecht, dass es sich nicht einmal mehr zum Duschen eignet.
Gazas Wasser in Zahlen
Der Gazastreifen hat zwei Quellen für Wasser, Grundwasser aus
Brunnen und Wasserzukauf aus Israel. Die natürliche
Grundwasserwiederauffüllung aus Regen beläuft sich auf ca. 35
mcm/Jr (Millionen Kubikmeter pro Jahr); hinzu treten menschlich
verursachte Versickerungen aus der landwirtschaftlichen Bewässerung,
aus unbehandeltem Abwasser und undichten Wasserleitungen, mit rund
50 mcm/Jr. Schließlich tritt Grundwasser lateral aus dem
israelischen Teil des Küstenaquifers im Umfang von 37 mcm/Jr
hinzu, mithin der größte natürliche Faktor der Gesamtwasserbilanz
von rund 124 mcm/Jr. (Vengosh et al., 2004)
Die Übernutzung des Küstenaquifers in Gaza ist seit langem
dramatische Realität. Im Jahre 2000 betrug der Gesamtwasserverbrauch
etwa 154 mcm/Jr (40% Trinkwasser, 60% zur Bewässerung. 129 kommunale
Brunnen (der Vereinigten Küstenstadtwasserwerke CMWU) förderten rund
60 mcm/Jr; 3855 eingetragene und geschätzte 2000 nicht registrierte
private Brunnen pumpten rund 90 mcm/Jr, hauptsächlich zur
landwirtschaftlichen Bewässerung, daneben aber auch zur privaten
Trinkwasserversorgung. Seit dem Libanonkrieg im Sommer 2006 hat sich
diese Lage nochmals dramatisch verschärft: Nach dem Schock, den die
israelische Bombardierung der Umspannwerke auslöste und der beinahe
zum Totalausfall der Wasserversorgung führte, hat sich jede Familie,
die noch über ausreichende Finanzmittel verfügt, einen kleinen
unregistrierten Privatbrunnen gebohrt oder gegraben. Es gibt nur
äußerst grobe Schätzungen über die Anzahl dieser flachgründigen
Brunnen, aber es wird gemutmaßt, dass sie die Zahl 5000 weit
überschreitet. All diese Brunnen zusammengenommen sind
verantwortlich für die gewaltigen Probleme, denen Gazas
Wasserversorgung gegenübersteht, sowohl im Hinblick auf die
Überpumpung des Grundwasserleiters, als auch in Bezug auf die
Gesundheitsrisiken durch den Konsum verseuchten Trinkwassers.
Der Wasserbedarf einer Gesellschaft hängt natürlich von ihrer
sozio-ökonomischen Verfassung ab, also z.B. davon, wie abhängig eine
Wirtschaft von Landwirtschaft und ihrer Bewässerung ist, und über
wie viel Ausweichmöglichkeiten in andere Erwerbszweige sie verfügt.
Genau dies steht aber im Streifen nicht in Aussicht, anders als im
industrialisierten Israel, dessen Landwirtschaft weniger als 2% zum
Bruttoinlandsprodukt beiträgt.
Darüber hinaus ist der Trinkwasserbedarf direkt proportional zur
Bevölkerung, die in den letzten zehn Jahren um 39% angewachsen ist.
Eine Studie mit einer Kombination verschiedener und optimistischer
Szenarien zu Beginn der Intifada, prognostizierte für das Jahr 2010
einen Bedarf von 200 mcm/Jr, davon 55% Trinkwasser und nurmehr 45%
Brauchwasser. Das Defizit für den Verbrauch betrug demnach schon im
Jahr 2000 rund 30 mcm oder 20% und das Bedarfsdefizit wird bis 2010
auf 76 mcm oder 38% ansteigen. In anderen Worten, von 100 Litern
verbrauchten Wassers werden 38 Liter nicht durch das natürliche
Dargebot gedeckt sein.
«Gradual Disengagement»
Die drei
Hauptprobleme, der Wassermangel, das Überpumpen und die
Grundwasserkontamination reichen im Gazastreifen Jahrzehnte zurück.
Nach den palästinensischen Parlamentswahlen im Januar 2006 hat sich
die Lage jedoch dramatisch verschärft: Sofort, nachdem Hamas einen
erdrutschartigen Sieg in den freien, geheimen und fairen Wahlen
errungen hatte, annullierten die westlichen Geberstaaten de facto
das Abstimmungsergebnis – denn die Palästinenser hatten die falsche
Wahl getroffen. Abu Mazens Fatah wurde trotz ihres Wahldebakels von
der Bundesregierung zur «einzig legitimen Vertretung» des
palästinensischen Volkes gekürt. Zusammen mit Israel verhängten die
westlichen Schirmherren Oslos einen politischen wie ökonomischen
Boykott: Alle staatliche Zusammenarbeit in den besetzten Gebieten
und vor allem im Gazastreifen wurde eingestellt. Nur noch humanitäre
Nothilfeprojekte mit kleinen nicht-islamischen NGOs durften
weitergeführt werden. In seinem Temporären Internationalen
Mechanismus (TIM) ließ Europa es sich Abermillionen kosten, auf
umständliche Art alle Gelder an der frisch gewählten nationalen
palästinensischen Regierung vorbeizuleiten, um typisch staatliche
Hoheitsaufgaben, wie z.B. eine Art Arbeitslosengeld und das
allgemeine Gesundheitswesen aufrechtzuerhalten. Sämtliche
vordringlichen und längerfristigen Infrastrukturprojekte im
Wassersektor wurden kurzerhand eingestellt. Der Fernleitungsbau
wurde auf halbem Wege abgebrochen, Brunnen nicht weitergebohrt, im
Bau befindliche Kläranlagen mutierten zu leise verrottenden
Baustellen. Überproportional gefördert wurde hingegen von Europa der
anachronistische Bau von Regensammelzisternen, deren technische
Ineffizienz und problematische, weil unkontrollierbare
Wasserqualität wohl bekannt sind.
Seit der Machtspaltung zwischen Hamas und Fatah (im Gazastreifen und
der West Bank) im Juni 2007, hat sich die Situation abermals
gewandelt. Die Regierung Fayyad, die fast ausschließlich aus
Fatah-Mitgliedern besteht, sind nun die ‚Guten’, die Regierung
Haniyeh (Hamas) die ‚Bösen’. In der Westbank, wo Fatah herrscht,
dürfen deutsche und andere europäische Projekte plötzlich wieder
ganz offiziell Kläranlagen bauen, Mülldeponien errichten, Brunnen
rehabilitieren und Fernleitungen verlegen, während Gaza konsequenter
denn je ausgehungert wird. Selbst die kleinen NGO-Projekte müssen
eines nach dem anderen sang- und klanglos ihre Sachen packen,
einfach weil kein Leitungsrohr zum Verlegen, kein Zement zum Bauen
und kein Treibstoff zum Transport mehr aufzutreiben ist. Ohne viel
Aufhebens werden die Gelder für Gaza dann flugs in die West Bank
umgeleitet, wo noch gearbeitet werden kann. Überflüssig zu betonen,
dass sich dies zu 100% mit dem israelischen Interesse und seiner
Taktik gegenüber den Palästinensern deckt.
Israelische und palästinensische Menschenrechtsorganisationen zogen
im Oktober 2007 gegen die Einschnitte in Strom- und
Treibstofflieferungen vor Israels Obersten Gerichtshof. Diese
Maßnahme sei, so schrieben sie, «ein Akt kollektiver Bestrafung
von eineinhalb Millionen Palästinensern» und füge den
«Bewohnern Gazas nicht wieder gut zu machenden Schaden an Gesundheit
und Wohlstand» zu.
Verteidigungsminister Barak hingegen bezeichnete die Sanktionen als
begrenzten Schaden für die Einwohner. In unüberbietbarem Zynismus
erklärten israelische Sicherheitskreise, dass «die Entscheidung
zu den Einschnitten nicht Teil von Strafmaßnahmen seien, sondern
statt dessen die Implementierung einer ‚gradueller Loslösung’
Israels aus dem Gazastreifen, im Gefolge der Machtübernahme durch
Hamas».
Wenn die Stromabschaltung im Freiluftgefängnis Gaza eine
graduelle Loslösung ist, dann trifft dies auf den schleichenden
Rückzug der Weltgemeinschaft ebenfalls zu. Die Hungerblockade
Israels machte im Januar Schlagzeilen. Sie ist ein unglaublicher
Skandal, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Verschwiegen wird
hingegen in unseren Medien oft die europäische Komplizenschaft. Und
leider auch die der Regierung unter Abu Mazen.
Eigene Versäumnisse
Seit der Intifada stecken die privaten
und öffentlichen Haushalte der besetzten Gebiete in einer tiefen
Finanzkrise. Bis 2007 haben private Haushalte und Gemeinderäte in
der Westbank und im Gazastreifen 512 Mio$ Schulden für Strom und
Wasser aufgehäuft. Dies schafft enorme Probleme auf allen Ebenen,
u.a. auch bei den einzelnen Kommunen. Mitte 2007 konnten die
Kommunen im mittleren und südlichen Gazastreifen nur eingeschränkt
operieren; insbesondere die teuren Dieselpumpen mussten oft
abgestellt werden. Die kleine Entsalzungsanlage in Az-Zuweidah
konnte nur auf einem Drittel ihrer Kapazität (rechnerisch 1000 m3
pro Tag) fahren, was wiederum den Kubikmeterpreis in die Höhe
schnellen ließ.
Abu Mazen’s Regierung in Ramallah gießt in dieser Situation Öl ins
Feuer: Sie fordert Ende Juni die Bewohner Gazas auf, keine Steuern
und keine kommunalen Gebühren mehr zu zahlen, natürlich mit dem
erklärten Ziel, die Hamasregierung zu Fall zu bringen, in
Wirklichkeit jedoch mit dem direkten Effekt, die kommunalen
Wasserwerke weiter lahmzulegen und die Bevölkerung noch größerem
Wasserstress auszusetzen.
Vielleicht noch wichtiger als die
leeren Kassen ist der Mangel an Koordination, Kontrolle und
einheitlichem Aquifermanagement. Zersplitterung und Fragmentierung
sind eine Erblast der Besatzung: Selbst in einem so winzigen Gebiet
wie Gaza, müssen bislang die einzelnen Kommunen weitgehend mit dem
jeweiligen Wasser ihrer Gemeinde auskommen, dessen Dargebot und
Genießbarkeit enorm schwankt. Vor allem aber müsste unverzüglich
eine strikte Kontrolle aller Brunnenentnahmen eingeführt und der
Betrieb vieler Brunnen eingestellt werden, allein um den Aquifer auf
dem gegenwärtigen Stand zu halten. Die tausenden unregistrierten
Privatbrunnen machen jedoch eine solche zentrale Steuerung
unmöglich. Mit der Zusammenfassung der kommunalen Wasserwerke in der
CMWU, Mitte letzten Jahres, wurde ein erster Schritt auf dem
allerdings langen Weg gemacht. Die privaten Landwirtschafts- und
Trinkwasserbrunnen anzutasten ist aber ein Wagnis, das sich keine
Gemeinde oder Behörde aufgrund ihrer politischen Schwäche auch nur
im Traum zutraut! Faktisch ließe sich dies weder rein administrativ
noch mit Polizeigewalt, sondern nur mit den tausenden
Privateigentümern durchsetzen. Und so ist das auffällige Fehlen
eines öffentlichen Diskurses vielleicht die größte Schwäche im
Wassersektor. Vom Beginn ihrer Einsetzung durch Oslo an, fürchtet
die PA die Öffentlichkeit und sucht nicht, sondern meidet den Dialog
mit der Bevölkerung. Sie tagt lieber als proto-staatliche
Institution mit den Gebern hinter verschlossenen Türen. Bei den
Geberstaaten steht jedoch (faktisch und entgegen aller
wohlklingenden Beteuerungen) eine solch partizipative und
öffentlichkeitsorientierte Arbeit nicht sehr weit oben auf der
Tagesordnung.
Gaza bräuchte, um Bewässerungsbrunnen
stilllegen zu können, eine tragbare ökonomische Alternative für die
Bauern. Auch hieran ist zur Zeit überhaupt nicht zu denken, solange
alle Grenzen hermetisch abgeriegelt sind und nicht einmal eine
Verbindung zur West Bank besteht. Wohlgemerkt, dies ist in erster
Linie ein politisches und nicht wirtschaftliches Problem. Die
Palästinenser brauchen keine tönenden Versprechungen finanzieller
Unterstützung, sondern echte politische Solidarität gegen die
Besatzung. Die rein humanitäre Hilfe auszubauen, aber zugleich
Israel die Strangulierung Gazas zu erlauben, erhöht nur die
Abhängigkeit und verlängert das Leiden der Palästinenser – «spoon
feeding» wird dies von den internationalen NGOs hier genannt.
Clemens Messerschmid, Hydrogeologe,
arbeitet seit 11 Jahren in internationalen und lokalen
Wasserprojekten in den besetzten Gebieten.
Literatur:
-
ACF-E
(2007): Vulnerability Survey in the Northern Westbank and the
Southern Gaza Strip; Assessment for the Identification and Selection
of Villages and Beneficiaries for Projects in the Water Sector;
Action against Hunger – Spain; 9th draft, Jerusalem.
-
AIDA
(2007): Isolation of Gaza must end, say International NGOs, 27.
November 2007; Position paper & Press release; Association of
International Development Agencies (AIDA); Jerusalem.
-
COHRE
(2008): Hostage to Politics: The Impact of Sanctions and the
Blockade on the Human Right to Water and Sanitation in Gaza; Centre
on Housing Rights and Evictions Position Paper; 23. Januar, 2008,
COHRE International Secretariat, Genf.
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Hass A.
(2008): Palestinian Water Authority:
40% of Gazans lack running Water; by Amira Hass; Haaretz, 22.
Januar, 2008.
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ICRC
(2007): Dignity Denied – in the occupied Palestinian Territories;
November 2007, Genf, Tel Aviv, Jerusalem.
-
OCHA
(2007): The Humanitarian Monitor, Number 20 - December 2007;
United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs;
Jerusalem
-
OCHA
(2008): Gaza Closure: Situation Report: 18-24 January
2008; United Nations Office for the Coordination of
Humanitarian Affairs; 24. Januar, 2008, Jerusalem.
-
UNICEF
(2007): UNICEF Humanitarian Update – Occupied Palestinian Territory;
17. Dezember, 2007, Jerusalem.
-
Vengosh, A. et
al. (2004):
Sources of salinity and boron in the Gaza strip: Natural contaminant
flow in the southern Mediterranean coastal aquifer; Water Resources
Research; Vol. 41, p 1-19
Wenn Wasser krank macht
Wasser- und Abwasserprobleme
Besonders betroffen sind:
1,428,500 Landbewohner armer Haushalte,
die nicht ans Leitungsnetz angeschlossen sind.
868,400 Städter, die nur schlecht ans
Leitungsnetz angeschlossen sind. 1,400,000 Menschen oder 37% der
Gesamtbevölkerung, die nur über Zugang zu niederer Wasserqualität
verfügen (West Bank und Gazastreifen). 900,000 Menschen oder 64% der
Bevölkerung allein im Gazastreifen ohne adäquates Abwassersystem.
COHRE, das «Centre on
Housing Rights and Evictions» schreibt im Januar 2008:
«Wasserbedingte Krankheiten umfassen
Durchfall, Hepatitis A, typhusartiges Fieber, Paratyphus und
Gastro-Enteritis. Wasserbedingte Infektionen führen zu
Bindehautentzündung, Ruhr, Gastro-Enteritis und Hakenwürmern. Am
anfälligsten sind Kinder. Im letzten Jahr hat die Zahl der
Dreijährigen mit Durchfall um 20% zugenommen. Mehr als die Hälfte
aller Kinder in Beit Lahia im Norden Gazas leiden unter Parasiten
und Würmer, die durch Moskitos in und um die Abwasserlagunen
übertragen werden. Diese Parasiten können Langzeitfolgen wie Anämie
(Blutarmut), Wachstums- und geistige Störungen, ebenso wie
Hautentzündungen, Allergien und Atmungsstörungen (durch die Gase aus
den Abwasserteichen) hervorrufen. Das schlechte Wasser ist auch eine
wesentliche Ursache für Nierenprobleme.»
Nitrat (aus Abwasser und
Landwirtschaft)
Regelmäßig stellt die WHO zu hohe
Nitratgehalte fest, zuletzt im Oktober 2007 v.a. in den Brunnen von
Gaza-Stadt, Jabalia and Khan Younis. Statt des zugelassenen
Höchstwertes von 50 ppm (parts per million) wurden in Jabalia 124
ppm und in Khan Younis sogar 195ppm gemessen; dies als direkte Folge
von ungeklärtem Abwasser, das fast ungehindert in die Küstensande
infiltriert. Der Nitratgehalt führt unter Säuglingen zu hohen Raten
von «Methemoglobinemia», auch bekannt als «Blue-baby Syndrome». Die
Krankheit äußert sich in Atemnot, Niedergeschlagenheit, Müdigkeit,
Kopfschmerzen und sogar Ohnmachtsanfällen. Auch Geburtsfehler
und ein erhöhtes Krebsrisiko sind Folge der Nitratverseuchung.»
COHRE erinnert daran, dass «nach internationalem Recht eine
Besatzungsmacht verpflichtet ist, die allgemeine Volksgesundheit und
Hygiene zu garantieren. Der Anspruch auf Abwasserentsorgung und
Trinkwasserversorgung ist ein grundlegendes Recht, damit Menschen
vor potentiell lebensgefährlichen Krankheiten wie Diarrhoe
und Cholera bewahrt bleiben.»
Gängige Missverständnisse zur
Wasserknappheit im Gazastreifen
1.
... schuld ist das Klima
- Natürlich zählt der Gazastreifen mit rund 200 bis 400 mm
Jahresregen zu den semi-ariden Klimazonen. Es sollte aber nicht
übersehen werden, dass früher Gaza als Oase betrachtet und für sein
hochwertiges Wasserdargebot geschätzt wurde. Das Klima hat sich in
den letzten tausend Jahren nicht geändert, aber die Einwohnerzahl
begann 1948 – mit der Vertreibung aus Israel – zu explodieren (siehe
unten: ‚Überbevölkerung’).
2.
... schuld ist Israel,
indem es im gemeinsamen Küstenaquifer um Gaza herum den
Grundwasserzufluss abzapft - Fakt ist jedoch: Eines der wenigen
Dinge, die man Israel nicht vorwerfen kann, ist, dass es besonders
am Oberlauf, um Gaza herum, vermehrt Brunnen gebohrt hätte und
bepumpen würde. Die überwiegende Mehrheit der Brunnenentnahmen im
gemeinsamen Küstenaquifer findet viel weiter nördlich, im
dichtbesiedelten Zentrum der Küstenebene um Tel Aviv (etwa zwischen
Rehovot und Nord-Sharon) statt. Allerdings wäre Israel nach
internationalem Recht als Oberanlieger im gemeinsamen
Grundwasserflusssystem durchaus verantwortlich für eine «angemessene
und gleichberechtigte» Auf- und Zuteilung der Ressource. Es müsste
den Gazastreifen demnach mit deutlich mehr Wasser versorgen.
3.
... schuld ist das
Überpumpen, das zur Meerwasserintrusion führt
- Aber das meiste Salz wird als natürlicher Grundwasserzufluss aus
Israel eingetragen. 37 mcm/yr beträgt dieser laterale
Grundwasserzustrom aus Israel, der großenteils unter einem sehr
hohen natürlichen Salzgehalt leidet. Dagegen verblasst die Menge an
– trotz allem natürlich höchst beunruhigendem – Salzeintrag aus
Meerwasserintrusionen, in den Gebieten, deren Wasserspiegel durch
ständiges Überpumpen nunmehr unter dem Meeresspiegel liegt. Dieser
Fakt wird meist übersehen. Auch in Israel wird der Küstenaquifer
enorm überpumpt und die Salzfront reicht schon einen Kilometer tief
ins Landesinnere. Nur wirkt sich dieses Missmanagement deutlich
weniger dramatisch aus, da Israel noch bislang über genügend
Hinterland verfügt um mit seinen Brunnen in frischere Gebiete
auszuweichen.
4.
... schuld ist die
Überbevölkerung – der
Gazastreifen kann eben nicht autark sein – Das ist
selbstverständlich richtig und kann nicht genug betont werden.
Allerdings: Wer würde beispielsweise von einem ebenso
«überbevölkerten» Gebiet wie Manhattan – New York, verlangen, dass
es sich «autark» nur aus seinem eigenen Stadtgebiet versorgt! Selbst
Beer Sheva, mit seinem Gaza vergleichbaren Klima aber ungleich mehr
Hinterland und Einzugsgebiet wird selbstverständlich aus Israels
regenreichem Norden versorgt. Inzwischen hat Israel seit vielen
Jahren sogar Überkapazitäten im Süden, die es aus technischen
Gründen nicht nach Norden leiten kann. Deshalb kann und muss Gaza
über kurz oder lang aus Israel mitversorgt werden.
5 ... Gaza kann nur durch Meerwasserentsalzung geholfen werden,
– aber diese Lösung führt in die Irre, nicht nur weil sie vollkommen
unökologisch und für Gazas verarmte Bevölkerung unbezahlbar ist. Ein
Kubikmeter normalen Trinkwassers in Israel kostet 2.294 NIS (als
Rohwasser an den Eingang Gazas gepumpt). Das billigste entsalzte
Meerwasser ist nur für etwa 4 NIS zu haben. Und in Gaza selbst
kostet die reine Rohwasserproduktion innerhalb der Anlage
gegenwärtig über 6 NIS pro Kubikmeter, wenn es denn Strom,
Ersatzteile und Rohmaterial gäbe. Die Netto-Laufendkosten zum
Bepumpen der flachen Brunnen (den Transport auch hier nicht mit
eingeschlossen) betragen hingegen in Gaza lediglich 0.5 NIS/m3.
Israel verkauft seit wenigen Jahren Entsalzung als die neue
Wunderpille im Wasserkonflikt – natürlich aus dem Interesse heraus,
nichts von seiner bestehenden Frischwassernutzung teilen zu müssen.
Leider schließen sich – aus pragmatisch-politischen Gründen – immer
mehr Geberstaaten dieser ungerechten und ressourcenverschwendenden
Option an, weil sie es für politisch nicht «durchsetzbar» oder
«unrealistisch» halten, Israel zu der naheliegendsten Lösung zu
bewegen, nämlich seine Überschüsse im Süden wenigstens teilweise an
Gaza zu verkaufen. |