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Bürgerliche Freiheit als Kontrapunkt zur Religionsfreiheit?

Die schweizer Minarettverbotsentscheidung zeigt eine Diskrepanz zwischen öffentlichem und privatem Toleranzempfinden vieler Europäer auf

 Schlacht gegen die Islamisierung des Abendlandes oder irrationale Angstkampagne?

Mohammed Khallouk

 

Entgegen den Empfehlungen von Bundesrat, Bundesversammlung und Ständerrat, sowie den Erwartungen der meisten landeseigenen Demoskopen haben die Schweizer am 29. November 2009 in einer Volksabstimmung mit deutlicher Mehrheit entschieden, den Neubau von Gebetstürmen an muslimischen Sakralbauten verfassungsrechtlich zu untersagen. Die Schweiz, die angesichts ihrer Neutralität während des Kalten Krieges ebenso wie ihrer Vermittlerrolle in internationalen Konflikten in Ländern der Dritten Welt bislang einen ausgezeichneten Ruf genoss, steht nun vor allem in der Islamischen Welt in Erklärungsnot. Allerorts begegnet man der Frage: Wie kann ein Land weltweit für Glaubens- und Gewissenfreiheit eintreten, wenn es diese innerhalb der eigenen Grenzen nicht für jede Glaubensrichtung gleichermaßen als gültig erachtet?

Die Initiatoren des erfolgreichen Volksbegehrens, die sogenannte „Eidgenössische Initiative gegen Minarett-Bau“, bestehend aus einem 16 Personen umfassenden Komitee von Aktivisten aus den Reihen der rechtspopulistischen Schweizerischen Volkspartei (SVP) und der christlich-klerikalen Eidgenössisch-Demokratischen Union (EDU), sehen die Religionsfreiheit durch die Entscheidung nicht tangiert, da das Minarett für eine Moschee im Islam keine Notwendigkeit sei. Vielmehr setze die schweizer Bevölkerung ein Signal, dass sie eine Eingliederung von Scharia-Recht in Schweizerrecht nicht länger zu akzeptieren bereit sei und sich gegen eine „Islamisierungstendenz“ in ihrer Gesellschaft zur Wehr setze.

In der Tat schreibt der Islam das Minarett für ein Gebetshaus nicht zwingend vor. Der Muezzin-Ruf ist ebenfalls nicht obligatorisch, sofern die Muslime ihr Gebet aus eigenem Antrieb zur vorgeschriebenen Zeit verrichten. Ebenso wenig besteht ein Bibelvers oder ein kirchliches Dogma, das ein Glockenturm an einem christlichen Gotteshaus angebracht sein müsse. Schließlich besitzen die meisten neuzeitlichen christlichen Gemeindezentren, vor allem jene der in der Schweiz zahlreich vertretenen protestantischen Freikirchen keinen Turm. Würden deren Vertreter den Neubau von Kirchtürmen jedoch ebenso gesetzgeberisch untersagen wie neuerdings Minarette, hätten sie nicht nur sämtliche Katholiken und Lutheraner – einschließlich der unregelmäßigen Kirchgänger - gegen sich, bekennende Atheisten würden sich gleichermaßen mit dem Verweis auf ein „traditionelles europäisches Kulturgut“ zu Recht darüber entrüsten. Der Erfolg jener Initiative gegen den Minarettbau ist somit vor allem als Signal an die in der Schweiz lebenden Muslime zu werten, ihre Religion und die damit einhergehenden Rituale gehörten nicht zu dieser „christlich-abendländischen Kultur“.

Das Minarett wurde hier folglich als ein geeignetes Symbol erkannt, um den Ausschluss einer seit Jahrzehnten in der Schweiz wie in anderen europäischen Staaten lebenden Minorität aus dem äußerlichen Erscheinungsbild zu erreichen. Da man eine Bevölkerungsgruppe von über 400000 Menschen, die über ihre Arbeitskraft und ihre Steuern zum Allgemeinwohl sowie zur Volkswirtschaft entscheidend beiträgt, zunehmend sogar in den Besitz der schweizerischen Staatsbürgerschaft gelangt ist, nicht ohne weiteres des Landes verweisen kann, galt es, deren religiöse Symbolik, mit der sie sich sichtbar von der alteingesessenen schweizerischen Bevölkerung abheben, aus der Öffentlichkeit zu verbannen. Bezeichnenderweise sehen Vertreter rechtsgerichteter Parteien den Erfolg der Minarett-Initiative sogleich als Motivation, ein erneutes Volksbegehren für ein Burkaverbot für Frauen zu starten.

Medienberichte über Ehrenmorde, Zwangsehen, Mädchenbeschneidungen unter Muslimen, sowie mangelnde Gleichberechtigung christlicher Minoritäten in majoritär muslimischen Staaten dienen als legitimatorische Grundlage, den Islam als Religion als mit den Werten des freiheitlichen Rechtsstaats Europas unvereinbar und als „Bedrohung für die eigene bürgerliche Freiheit“ zu stigmatisieren. Hiermit gelingt es, sich als „Verteidiger“ eben jener Menschenrechte zu präsentieren, welche man den Muslimen Schritt für Schritt zu entziehen trachtet.

 

Ablenkungsdiskussion von der notwendigen Integrationsdebatte gegenüber muslimischen Immigranten

Das Minarett erschien in einem Land wie der Schweiz, die in hohem Maße vom Tourismus lebt und in sämtlichen Reiseführern Wert auf ihr idyllisches Landschaftsbild legt, geeignet, um die Kollektivangst vor dem „fremden“, durch die Immigranten hineingetragenen Kulturelement zu schüren und den Muslimen die Botschaft zu übermitteln, sie sollten sich den traditionellen „schweizerisch-christlichen“ Gepflogenheiten unterordnen. Im laizistisch geprägten Nachbarland Frankreich erfüllt diese Funktion den dortigen Islamophoben das weibliche Kopftuch, während den ökologisch orientierten, dem Tierschutz verpflichteten Niederländern das Schächten als der eigenen Ästethikvorstellung widerstrebende muslimische Schlachtvorschrift hierfür als Kampagnenthema herhalten muss.

Jene Symbole erweisen sich jedoch lediglich als Rechtfertigungsobjekte für die ressentimentgeladene gesellschaftspolitische Sichtweise, die Muslime seien prinzipiell nicht in der Lage, sich in das europäische Wertesystem einzufügen. In der Diskussion wird daher auch gelegentlich auf die sogenannten Parallelgesellschaften verwiesen, die muslimische Immigranten in europäischen Großstädten bildeten und anhand derer ihre grundsätzlich feindliche Einstellung der Mehrheitsbevölkerung gegenüber offensichtlich werde.

Unbestreitbar ist die muslimische Bevölkerungsminorität in Europa vor allem auf bestimmte, zumeist ärmere Großstadtviertel konzentriert. Die Bildungsabschlüsse liegen fast in allen europäischen Einwanderungsländern unter jenen der alteingesessenen Bevölkerung. In einigen europäischen Staaten liegen ihre PISA-Werte sogar noch unter denen nichtmuslimischer Immigranten, so dass die sprachliche Hürde nicht als dafür alleine verantwortlich angesehen werden kann. Den Islam jedoch als die entscheide Ursache heranzuziehen, entbehrt ebenso jeglicher Rationalität, wie die Schlussfolgerung, eine obrigkeitsstaatliche Beschränkung eindeutig islamischer Kulturelemente sei in der Lage, die Integration in angestrebtem Maße voranzutreiben. Vielmehr erfordert es, eine politisch-argumentative Auseinandersetzung darüber zu führen, welche Form der Integration die europäische Civil Society für die unter ihnen lebenden Muslime überhaupt als angebracht erachtet. Diese Debatte scheuen Rechtspopulisten wie die SVP, die niederländische Freiheitspartei oder die Front National, weil sie eine ernsthafte Wertediskussion einschließt und möglicherweise zum Ausdruck brächte, dass die eigenen gesellschaftlichen Ansichten denen fundamentalistischer, gemeinhin als „nicht integriert“ bewerteter Muslime ähnlicher sind als der Majorität der muslimischen Einwohner Europas.

Differenzen zwischen dem Geschlechterrollenverständnis des Islam und jenem westlicher Frauenrechtlerinnen lassen sich nicht leugnen. Bezüglich gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, dem Besitz und Konsum sogenannter weicher Drogen, sowie nicht zuletzt in ethischen Fragen wie Schwangerschaftsabbruch, künstlicher Befruchtung, Patientenverfügung, passiver und aktiver Sterbehilfe vertreten Muslime in der Islamischen Welt wie in der europäischen Diaspora ebenfalls zweifellos Positionen, die dem liberalen europäischen Mainstream eindeutig entgegenstehen. Abgesehen von der berechtigten Frage, ob eine Integration erst als erreicht anzusehen ist, wenn in diesen Themengebieten die westlichen Mainstreamauffassungen von den Muslimen geteilt werden, implizierte diese Debatte eine Reflektion, in wie weit das eigene Menschenbild modernen Ansprüchen tatsächlich entspricht.

Wenn der einst linksgerichtete deutsch-jüdische Publizist Ralph Giordano, anderen Linksintellektuellen vorhält, vor den „antiemanzipatorischen und frauenfeindlichen Tendenzen“ des Islam, welche die gewöhnliche Bevölkerung der Schweiz wahrgenommen habe, in ideologischer Verblendung die Augen zu verschließen, sollte er ebenso die Courage besitzen, die Initiatoren und Hauptunterstützer des Volksbegehrens auf ihr Geschlechterrollenverständnis zu hinterfragen. Dabei hätte ihm nicht nur auffallen müssen, dass die SVP den geringsten Frauenanteil an allen Parlamentsfraktionen in der Berner Bundesversammlung aufweist, sondern darüber hinaus, dass die Vorstellungen zu Drogenkonsum oder Homosexualität der EDU – christlich argumentierend – sich derjenigen islamistischer Bewegungen fast im Wortlaut gleichen.

Offenbar sind Aufklärung der Mehrheitsgesellschaft über den Islam und Emanzipation der Frau nicht die eigentlichen Ziele jener Propagandisten als mehr die Aufrechterhaltung eines gesellschaftlichen status quo, der einem selbst einen gewissen Machtstatus sichert und den man durch die muslimischen Immigranten ebenso bedroht sieht wie durch allgemeine gesellschaftliche Veränderungen im Zuge der Globalisierung.

Sollte dies der Fall sein, erfordert es eines Konzeptes, wie traditionelle Wertvorstellungen mit der modernen Gesellschaft in Einklang gebracht werden können. Christlich konservative Europäer könnten sich ebenso mit einem solchen Gesellschaftsbild identifizieren wie bekennende Muslime und die Basis für einen Wertekonsens wäre gelegt. Mit dem Verbot traditioneller religiöser Symbolik lässt sich jene wertgebundene Fortschrittlichkeit jedenfalls nicht erreichen, zumal die gesellschaftspolitischen Sichtweisen sich dadurch in keiner Weise ändern. Vielmehr werden Ausschließungsdiskurse eröffnet, die eine oppositionelle Einstellung gegenüber der Modernisierungselite verstärken und sich gleichermaßen im islamischen Fundamentalismus wie im europäisch-christlichen Rechtspopulismus niederschlagen.

 

Die bewusste Konfrontation mit dem Fremden wurde politisch vernachlässigt

Im Zusammenhang mit dem schweizer Minarettverbotsreferendum wird immer wieder auf eine Diskrepanz der Einstellungen zwischen den Eliten und der einfachen Bevölkerung verwiesen, sowie über angebliche Divergenzen zwischen „öffentlicher und veröffentlichter Meinung“ diskutiert. Vergleichbare Phänomene sind bereits bei anderen Referenden in europäischen Staaten, wie bei der ersten Ablehnung des Lissabonvertrags in Irland oder beim schwedischen Nein zur Einführung des Euro gemutmaßt worden.

Unterstellt wird dabei, die Eliten hätten eine Entscheidung in der von ihnen erstrebten Weise der „politischen Korrektheit“ halber für einzig vertretbar dargestellt. Dies habe zum einen bestehende Skepsis in der Bevölkerung zu ernsthafter Opposition anwachsen lassen und zum anderen viele Anhänger der „inkorrekten“ Position zum öffentlichen Verschweigen ihrer Absichten motiviert. Hieraus erklärt man sich zudem die Differenzen zwischen zuvor präsentierten Umfrageergebnissen in den Medien und der tatsächlichen Abstimmung.

Die Initiatoren werten das Ergebnis daher auch als Votum gegen ein aufoktroyiertes „Gutmenschentum“ der multikulturell empfindenden Funktionsträger. Bestrebungen, ein als diffamierend geltendendes Plakat, das Minarette in Raketenform vor einer schweizer Fahne neben einer schwarz verschleierten Frau zeigt, in einigen Kantonen zu verbieten, sah man vor diesem Hintergrund sogar als Beleg für eine diktatorische Tendenz und den beabsichtigten „Anschlag gegen das Bürgerrecht auf Meinungsfreiheit“.

Mag dieser Vorwurf angesichts des tatsächlich diffamierenden Charakters des Volksbegehrens und der diesbezüglichen Propaganda jeglicher Grundlage entbehren, im konkreten Fall haben jene sich öffentlich liberal und tolerant präsentierenden Eliten aus Politik und Medien jedoch auch ihrerseits die gegen Muslime und islamische Symbolik gerichtete Stimmung mit hervorgerufen. Dies erreichten sie weniger durch ihre nach außen bekundete Positionierung im Sinne des Minaretts im Referendum, sondern, indem sie jenes öffentlich verschmähte diffamierende Plakat bei fast jeder Berichterstattung darüber mit präsentierten, womit es höheren Bekanntheitsgrad erlangte als die Initiatoren dies aus eigenen Mitteln erreicht hätten. Der Eindruck eines durch die Muslime und ihre Sakralbauten bestehenden Gesellschaftsproblems wurde auf diese Weise erst erzeugt.

Ebenso förderten die Massenmedien islamfeindliche Einstellungen mittels überproportional häufigen Reportagen über Konflikte in der Islamischen Welt und als „Terrorismus“ gewertete, islamisch gerechtfertigte Gewalt, die nicht selten Berichten zur bevorstehenden schweizer Volksabstimmung unmittelbar vorausgingen. Wie lässt sich erwarten, dass die sachunkundigen Bürger eine nüchterne und zugleich aufgeschlossene Einstellung gegenüber Muslimen an den Tag legen werden, wenn bei ihnen permanent Negativassoziationen mit dem Islam medial hervorgerufen werden, die mit der Lebenswirklichkeit der Majorität in Europa ansässiger Muslime wenig gemein haben?

Bezeichnenderweise war die Zustimmung zu dem Minarettverbot in abgelegenen ländlichen Regionen, in denen so gut wie keine Muslime ansässig sind, Moscheen nur vereinzelt in Hinterhöfen existieren und von Minaretten nur aus dem Urlaub oder dem Fernsehen zu erfahren ist, am größten. In der Metropole Zürich, in der bereits seit 1963 eine Moschee mit zugehörigem Minarett steht – ohne dass es seither jemals dagegen Proteste oder Einsprüche gegeben hat – wurde die Initiative zum Minarettverbot hingegen mit über 63% der Stimmen zurückgewiesen. Die höchsten Ablehnungsraten erfolgten zudem ausgerechnet in jenen Vierteln, in denen der Anteil muslimischer Immigranten überdurchschnittliche Werte erreicht. Offenbar steckt hinter Initiativen dieser Art auch eine Instrumentalisierung eines grundsätzlich beim Menschen vorhandenen Unbehagens vor dem Unbekannten, das durch jene medial erzeugten Negativassoziationen allerdings extrem verstärkt wurde.

Umfragen aus Deutschland belegen, dass islamophobe Tendenzen bei akademisch gebildeten Bevölkerungsschichten der unter 30jährigen am Geringsten zu verzeichnen sind. Diese fanden bereits die Möglichkeit vor, sich sowohl in ausreichendem Maße mit der „fremden Religion“ auseinander zu setzen als auch aus der unmittelbaren Begegnung mit Muslimen der sogenannten „dritten Einwanderergeneration“ im schulischen und universitären Alltag ein realistisches Bild von ihrer religiösen Praxis und Weltanschauung zu erhalten.

Sofern jene Bildungselite ein ernsthaftes Interesse daran besitzt, ihren Kulturpluralismus und ihre Aufgeschlossenheit gegenüber der Andersartigkeit an die übrige Bevölkerung weiterzuvermitteln, besitzt sie eine Verantwortung, diese ebenso bewusst mit den in Europa lebenden Muslimen, sowie deren Kultur und Werteordnung zu konfrontieren. Anstatt permanent über bedrohlich anmutende Randphänomene wie Zwangsehen und Ehrenmorde, die zudem vom Islam in keiner Weise eingefordert sind, zu berichten, gilt es außerdem, über die tatsächlichen Hintergründe der islamischen Lehre zu informieren und über die Funktionalität der vielen Europäern suspekt erscheinenden muslimischen Rituale aufzuklären.

Es darf nicht zugelassen werden, dass fremdenfeindliche Populisten ein bestehendes Unbehagen gegenüber Muslimen für die Verbreitung ihrer kulturalistischen, sowohl dem europäischen als auch islamischen Gleichheitsgrundsatz widersprechenden Ideologie missbrauchen können. Abgesehen davon, dass im konkreten Fall auch die demokratische Berechtigung einer landesweiten Volksabstimmung zu hinterfragen ist – bei der in Basel mit darüber entschieden werden kann, ob in Lugano ein Minarett gebaut werden darf – sollte in Einwanderungsländern wie Deutschland, Frankreich oder der Schweiz der Islam zum obligatorischen schulischen Unterrichtsthema gehören, bei dem im Vorfeld bestehender Kontroversen um religiöse oder mit der Religion assoziierte Symbolthemen argumentativ diskutiert und die Schüler über deren Bedeutung aufgeklärt werden.

 

Religiöser Pluralismus als elitärer Luxus oder europäisches Markenzeichen?

Mit Verweis auf bestehende Defizite in Religionsfreiheit und Menschenrechten islamischer Staaten wird nicht selten eine in Europa bestehende Reserviertheit gegenüber den Ansprüchen der dortigen muslimischen Minorität gerechtfertigt. Demnach dürfe man nur derjenigen Religion die vollständige staatliche Anerkennung zugestehen, die in von ihr dominierten Gesellschaften diese anderen, insbesondere jüdischen und christlichen Minoritäten ebenso gewährleiste. So berechtigt die Forderung der Europäer zur Einhaltung der universellen Menschenrechte auch und gerade im islamischen Kulturraum ist, zumal der Islam Juden und Christen gegenüber selbst zu Toleranz und besonderem Respekt auffordert, so wenig darf unzureichende Einhaltung demokratischer Gepflogenheiten und Menschenrechte andernorts als Rechtfertigung für eigene Selektivität in Bezug auf religiöse Ansprüche herhalten.

Schließlich könnten in diesem Fall islamische Regime auch umgekehrt ihren Entzug von Freiheitsrechten für bestimmte Gesellschaftsgruppen mit dem Verweis auf das negative Vorbild in europäischen, christlich geprägten Staaten zu legitimieren versuchen. Man würde religiösen Pluralismus als elitären Luxus darstellen, welchen die zumeist nicht sehr wohlhabenden Staaten des Nahen und Mittleren Ostens sich nicht zu leisten in der Lage seien, zumal gemeinhin als „reich“ angesehene Länder wie die Schweiz religiöse Praktizierung ebenso wenig für jede Konfession vollständig zu implementieren sich bereit zeigten.

Das politische Europa stellt die politische, religiöse und kulturelle Pluralität als sein spezifisches Identitätsmerkmal dar und legt die Menschenrechte als ideelle Voraussetzung seiner gegenwärtigen zivilisatorischen Progressivität aus. Hieraus zieht es in den Augen einer Bildungselite in Ländern der Dritten Welt in der Tat seine Vorbildhaftigkeit. Insbesondere Staaten wie die Schweiz, die keine koloniale Vergangenheit besitzen, haben bisher entscheidend dazu beigetragen, dass in islamischen Staaten die reale Aufgeschlossenheit gegenüber europäischen Werten erheblich größer ist als radikale Islamisten und korrupte Herrschaftseliten dies gelegentlich nach außen darstellen.

Die wachsenden Demokratisierungsbewegungen in der Türkei, im Iran, in Indonesien, aber auch in zahlreichen arabischen Staaten könnten als hierfür Beleg angeführt werden. Nicht zuletzt ist die anhaltende Attraktivität Mittel- und Westeuropas für muslimische Immigranten auch in Zeiten der ökonomischen Krise ein Indiz dafür, dass man sich dort nicht nur beruflich zu entfalten erhofft, sondern Bedingungen vorzufinden glaubt, die eigenen religiösen und kulturellen Ansprüche ungehindert zur Geltung bringen zu können.

Sollte dieses fast enthusiastische Europabild Risse bekommen, hätten die Rechtspopulisten ihr vorrangiges Ziel eines Rückgangs der muslimischen Einwanderung zwar möglicherweise erreicht, das europäische Markenzeichen nach außen wäre jedoch unwiederbringlich beschädigt und der ideelle Reichtum Europas, manifestiert in seiner Pluralität, fände keine Bewunderung und Nachahmung mehr. Angesichts anhaltend niedriger Geburtenraten bei der alteingesessenen europäischen Erwerbsbevölkerung wären zudem die einheimischen Sozialsysteme langfristig stärker bedroht als kurzfristig durch Immigranten, die zeitweilig hieraus Leistungen beziehen.

Ein Europa, das auch in Zukunft mit Weltoffenheit und ideeller wie materieller Progressivität assoziiert zu werden bestrebt ist, sollte die bereichernden Elemente „fremder“ hineinimmigrierter Kulturen in höherem Maße zur Kenntnis nehmen. Hierzu gehört eventuell auch die eine oder andere Moschee mit Minarett. Die Gefahr der „Überstülpung“ traditioneller alpiner Kulturlandschaft mit orientalisch anmutenden Sakralbauten besteht bereits deshalb nicht, weil eine Moschee – mit und ohne Minarett – ebenso wie eine christliche Kirche und jeder Profanbau nach baurechtlichen Bestimmungen nur in hierfür ausgewiesenen Zonen errichtet werden kann. Schließlich sind in den Jahrzehnten seit Errichtung des ersten Minaretts in Zürich auf schweizer Boden erst drei weitere Minarette erbaut worden und für drei zusätzliche Minarette, die bereits seit 2006 in Planung sind, konnte nach mittlerweile drei Jahren noch immer keine Baugenehmigung gegeben werden, weil die nach geltendem Recht zulässigen Einsprüche von Bürgern aus der Nachbarschaft noch immer nicht vollständig ausgewertet, bzw. baurechtliche Unterlagen des Projektträgers nach behördlicher Auffassung noch nicht ausreichend vorliegen.

Allein angesichts dieses bürokratisch institutionellen Weges ist es in absehbarer Zeit überhaupt nicht möglich, das Minarett als „Machtsymbol“ über das ganze Land auszubreiten.

Der Hinzugesellung islamischer Symbolik als weiterem Element zum bestehenden kulturellen Mosaik sollte man sich jedoch nicht entgegenstellen. Schließlich ist der Islam als solcher bereits durch die Millionen Muslime, die in Europa leben, als Grundbaustein vorhanden. Gegen die öffentliche Praktizierung fernöstlicher Religionen, deren Anhänger in weit geringerer Zahl hier ansässig sind, hat die gleiche Bevölkerung offenbar weit weniger einzuwenden, da in Langenthal im Kanton Bern, einer der schweizer Gemeinden, in denen Muslime bislang seit drei Jahren vergeblich sich um den Bau eines Minaretts bemühen, vor kurzem ein Sikh-Tempel in einer Größe eröffnet wurde, die außerhalb Indiens sonst nirgends anzutreffen ist.

Wenn die Europäer den Muslimen die gleiche Aufgeschlossenheit und Toleranz entgegenbringen würden wie anderen nichtwestlichen Kulturen, hätte gegen westliche Normen gerichteter Fundamentalismus in der islamischen Welt mutmaßlich nicht länger zahlreichere Anhängerschaft als dort. Vom ethischen Fundament her sind Islam auf der einen Seite und Judentum, Christentum, aber auch Hellenismus als geistige Wurzeln Europas auf der anderen Seite sich ohnehin weit näher als beide Traditionen gegenüber den Lehren aus Fernost. Zu diesen gemeinsamen Wurzeln von Morgenland und Abendland gehört ein Humanitätsverständnis, das sich nicht auf die eigenen Bürger oder Religionsanhänger beschränkt, sondern die Ansprüche und Anliegen des Nächsten gleichermaßen zur Geltung kommen lässt.

In dem Maße wie sich diese tolerante Grundeinstellung nicht nur auf Bekundungen nach außen oder Sonntagreden von staatlichen Funktionären bezieht, sondern im privaten Alltag spürbar wird, kann ein individuelles demokratisches Bürgerrecht wie die zivile Partizipationsmöglichkeit über nationale Referenden nicht mehr für eine Einschränkung der Freiheit der muslimischen Minorität missbraucht werden. Andernfalls stellt die direkte Demokratie, auf welche gerade die Schweiz im Hinblick auf die Vorbildhaftigkeit für die Civil Societies islamischer Staaten nicht zu Unrecht stolz sein kann, für den Außenstehenden ein Beleg für die Distanzierung der Europäer von ihrer eigenen Tradition dar.

 

 

 
 

 

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