Achtung, keine Satire --
sondern bitterer Ernst!!
Renate Dörfel-Kelletat und Frank Dörfel
Im klassischen 5-aktigen
Drama, so erinnern wir uns aus unserem Deutschunterricht, enthält
der 4. Akt die scheinbare Wendung zum Guten und der 5. Akt bringt
die Katastrophe. Beide Akte erlebten wir am Freitag, 19.6.2009, in
Moabit.
Die Ablehnung aller
Beweisanträge der Verteidigung ohne Begründung war wohl noch Teil
von Akt 3 (Krisis).
Doch dann die scheinbare
Wendung: die Plädoyers der beiden Anwälte, die Stellungnahme des
Angeklagten da schien es vielen der Zuschauer, nun könne nur
noch ein Freispruch erfolgen: zu dünn waren all die Anklagepunkte.
Und die Forderung des Staatsanwaltes, es müsse bestraft
werden, da der Angeklagte sich uneinsichtig gezeigt habe und
folglich die Gefahr einer Tatwiederholung bestehe, empfindet das
Publikum als einen Teil der Absurdität des Ganzen: so etwas kann ein
Gericht doch nicht ernst nehmen!
Und dann das ?schuldig in
allen Punkten der Anklage.
Die Aufführung nahm die
klassische Charakterisierung des 5. Aktes eines Dramas als
?Katastrophe wörtlich. Was da gegeben wurde war eine Katastrophe für
Alle:
Es war eine Katastrophe
für den Staat, vertreten durch den Staats-Anwalt: der Staat
zeigte sich hier nicht als die Institution, die Grundrechte seiner
Bürger wahrt, sondern als Exekutor einer von außen an ihn
herangetragenen Raison.
Es war eine Katastrophe
für die Rechtsprechung: es wurde nicht erwogen, abgewogen und
dann erst ge- und verurteilt. Nein, es wurde aus allem, was hier im
kurzen 5. Akt gesagt und getan wurde, deutlich: hier wurde ein
vorgefasstes Urteil gesprochen, nicht eines aus den Erwägungen eines
fairen, gerechten Für und Wider in einem echten Prozess.
Es war eine Katastrophe
für alle Beteiligten:
Richterin und
Staatsanwalt ließen sich reduzieren auf eine falsch verstandene
Funktionalität im Sinne eines ?höheren Gutes, eben der Staatsraison.
·der
Verteidiger wurde durch die Ablehnung fast aller seiner
Beweisanträge daran gehindert, seiner Aufgabe angemessen
nachzukommen. Ihm blieb nur das ohnmächtige Bewusstsein, sich einer
unheiligen Allianz von Gericht und Staatsanwaltschaft gegenüber zu
sehen, die auch durch juristische Argumente nicht aufzubrechen war.
· die Zuhörer wurden
mit einem ?Urteil konfrontiert, das keinerlei Anzeichen für die
Urteilsfähigkeit, nämlich für die Fähigkeit, Argumente zu hören und
abzuwägen, des Gerichts enthielt: wenn Urteil und seine (mündliche,
wieder akustisch nur schwer verständliche) Begründung keinerlei
Hinweise auf die Beschäftigung mit den Argumenten und Einlassungen
von Verteidiger und Angeklagten enthalten, so bleibt für den Zuhörer
vom Urteil nur das Vor-Urteil. Die Rezensenten hatten eine Gänsehaut
bei der Vorstellung, selbst einmal vor einem solchen Gericht stehen
zu müssen � und sie fragten sich, ob die Gänsehaut im Sinne einer
Generalprävention beabsichtigt war.
· für den
Angeklagten, der weiterhin der Meinung war, seine
staatsbürgerliche Pflicht erfüllt zu haben mit seinem Protest und
dem in keiner Weise klar gemacht werden konnte, dass die von ihm
gewählte spezielle Form des Protestes illegal war; ihm verblieb aus
den Worten des Staatsanwaltes, dass er die Gefahr der Wiederholung
der Tat sehe (offenbar erwartet der Staatsanwalt, dass sich die
Situation eines Massakers durch die israelische Armee jederzeit
wiederholen kann, durch welche Einschätzung er ein unerwartet hohes
Maß an Einsicht in die Verhältnisse in Nahost erkennen ließ) und
nachdem ihm in keiner einsehbaren Weise verdeutlicht worden war,
worin nun das Besondere in seiner Form des Protestes liege (alle
diesbezüglichen Anklagepunkte waren ja vom Verteidiger als
irrelevant zurückgewiesen worden), lediglich die Schlussfolgerung,
dass er sich in Zukunft mit Protesten zurückzuhalten habe. Er lebt,
lernt und arbeitet seit über 30 Jahren in Deutschland, er hat seine
Prägung, sein politisches Bewusstwerden hier in Deutschland
erfahren, und jetzt zeigt dieser Staat, für dessen Zukunft er sich
einsetzt ein ganz anderes Gesicht, eine rachsüchtige Fratze gegen
den Menschen mit Migrationshintergrund, der eine durch die
Mainstream-Medien definierte Grenze politischer Korrektheit
überschritten hatte.
Die Rezensenten fragen
sich, was hier eigentlich gespielt wurde. Und vor allem: wer führte
Regie? Wir weigern uns, der Annahme zu folgen, es gebe einen
unbekannten Regisseur, der im Hintergrund die Fäden gezogen habe,
haben wir doch eine unabhängige Rechtsprechung.
Nein, wir sind keine
Verschwörungstheoretiker. Auch die Vorstellung, hier solle ganz
gezielt ein Exempel statuiert werden, um Kritiker an Israel oder
sogar allgemein Kriegskritiker abzuschrecken, kann einem zwar kommen
(insbesondere angesichts der Äußerung des Staatsanwaltes in seinem
Plädoyer über eine Wiederholungsgefahr), doch wir weisen sie zurück.
Wir wollen unseren Glauben an die Unabhängigkeit der Justiz
behalten, eine der Grundlagen unseres Mutes, für Menschenrechte
einzutreten.
Die Rezensenten sind rat-
aber nicht mutlos.
Wir warten am
Bühnenausgang auf Issa: er ist auch erschöpft, aber auch nicht
mutlos. Er hat ja die Rolle sicher in der nächsten Aufführung!
Als Rezensenten wieder
Renate Dörfel-Kelletat und Frank Dörfel, Berlin
***********************************
Und nun zur Beschreibung
des Stückes selbst (Textbuch, Regie und Improvisation ließen sich
wieder nicht trennen) einige Notizen von der Verhandlung gegen Issa
am 19.6.2009 � bruchstückhaft, da die Rezensenten angesichts der
Fülle der Geschehnisse auf, vor und hinter der Bühne manchmal mit
dem Aufzeichnen nicht folgen konnten und da manche der Akteure es
offenbar darauf angelegt hatte, die Zuhörer vom Verstehen
auszuschließen.
Die Verhandlung und ihre
Unterbrechungen:
Zu Beginn der Verhandlung,
um 10:03, teilt die Richterin mit, alle zusätzlichen Beweisanträge
der Verteidigung aus der Verhandlung vom 16.6. seien für dieses
Verfahren belanglos und deshalb abgelehnt. Sie verweist auf StPO
§420,4, nach dem im Verfahren der Richter über die Zulassung von
Beweisanträgen bestimmt.
Der Verteidiger beantragt
eine etwa 10-minütige Unterbrechung, um seine Gegenvorstellung
vorbereiten zu können. Wir verlassen den Saal.
Um 10:15 erfolgt die
Gegenvorstellung des Verteidigers: Eine pauschale Ablehnung von
Beweisanträgen ohne Begründung ist wegen StPO §244,2 unbegründet. Er
zitiert aus einem Handkommentar (Meyer-Geßler): Die Ablehnung des
Antrags erfordere einen begründeten Gerichtsbeschluss.
?Belanglosigkeit� müsse mit tatsächlichen oder rechtlichen Gründen
bewiesen werden. Die Verteidigung erhebt Gegenvorstellungen, weil
die Begründung des Ablehnungsbeschlusses die rechtlichen und
tatsächlichen Erwägungen, aus denen der Beweisantrag abgelehnt
werde, nicht erkennen lasse. Es sei in der Ablehnung nicht einmal
angegeben, ob diese auf tatsächlichen oder rechtlichen Gründen
beruht.
Die Richterin erklärt, sie
habe diese Gegenvorstellung zur Kenntnis genommen, sie halte eine
Begründung nicht für erforderlich und bleibe bei der Ablehnung.
Der Verteidiger fragt die
Richterin, ob das Gericht auch der Meinung des Staatsanwaltes sei,
dass ?alle Menschen arabischen Glaubens� den Davidstern als
religiöses Symbol sehen? Der Staatsanwalt interveniert und erklärt,
ein solcher ?Ausforschungsantrag� sei unzulässig. Der Verteidiger
weist darauf hin, er halte diese Klärung aus Gründen der
Prozessökonomie für nötig. Der Staatsanwalt wiederholt, lautstark,
unaufgefordert: ?Das Gericht ist nicht verpflichtet�.
Die Richterin wirkt heute
entschlossener, die leichte Rötung im Gesicht deutet auf Erregung,
ja auf Druck hin, unter dem sie sich fühlt. Sogar ihre Stimme wird
gelegentlich laut. Einmal ermahnt sie die still zuhörenden Besucher
zur Ruhe, obwohl wir keinerlei Unruhe haben erkennen können.
Die Richterin weist die
Frage zurück.
Der Verteidiger bittet um
eine Unterbrechung, um nun notwendig gewordene weitere Beweisanträge
vorbereiten zu können. Auf die Frage der Richterin erklärt er, dass
er eine halbe Stunde brauchen werde, sie gesteht lediglich eine
20-minütige Unterbrechung zu.
11:26 wird die Verhandlung
fortgesetzt mit zwei Beweisanträgen der Verteidigung:
Das Gericht möge als
Zeugen Prof. Ruf (Uni Kassel) � zum Thema ?arabischer Glauben� � und
Prof. Rolf Verleger (Uni Lübeck) zum Thema ?Davidstern als jüdisches
Glaubenssymbol� laden.
Wieder Unterbrechung,
diesmal weil die Richterin über diese Beweisanträge entscheiden
muss. Das Publikum darf diesmal im Saal bleiben. Als Gespräche im
Publikum aufkommen, fordert der Staatsanwalt lautstark zur Ruhe auf.
Der Verteidiger weist ebenfalls lautstark darauf hin, dass die
Verhandlung unterbrochen sei und deshalb keine ?Ruhepflicht� gegeben
sei, der Staatsanwalt kontert lautstark, das Publikum schweigt
verschreckt.
Um 11:35 verkündet die
Richterin, dass die Beweisanträge abgelehnt seien. Der Verteidiger
erklärt, dass auch dieser Ablehnungsbeschluss den gesetzlichen
Anforderungen nicht entspreche. Die Richterin: das Gericht bleibt
bei seinem Beschluss.
Es folgt die ?Verlesung�
des Bundeszentralregisterauszuges � er enthält keine Eintragungen zu
Issa.
Plädoyer des
Staatsanwaltes:
In unglaublicher
Schnelligkeit, ohne auch nur den Versuch, das von ihm Gesagte den
Hörern zu vermitteln, wiederholt er die Anschuldigungen, als hätte
die Verhandlung nicht stattgefunden.
Aus dem weitgehend
unverständlich bleibenden Sprachbrei (ein Mitschreiben ist
unmöglich, Notizen sind auch kaum machbar) hier einige Brocken, die
sich notieren ließen:
Der Davidstern
symbolisiere alle Juden, so dass der Angeklagte mit der Verbindung
von Davidstern und Hakenkreuz Judentum und Faschismus gleichgesetzt
habe, wo doch gerade in Deutschland angesichts seiner Geschichte die
Juden sehr, sehr schützenswert seien.
Wie hätte wohl eine
(fiktive) Gruppe, Berlin besuchender Rabbiner aus Israel auf so ein
Plakat reagiert: sie hätten daraus schließen müssen, ?es geht wieder
los?� (Anmerkung der Rezensenten: wir liefen genau bei dieser
Demo neben einem Rabbiner aus Jerusalem, der sich eben wegen der
faschistoiden Entwicklung in Israel den demonstrierenden
Palästinensern angeschlossen hatte und uns dies auch genau so
erläuterte � wie schade, dass die Regie Zwischenrufe oder gar
Wortmeldung aus dem Publikum nicht vorsieht � dies hätten wir sehr
einfach zurückweisen können, wenn auch nur mit einem Rabbi
und nicht mit einer ganzen Gruppe.)
Die Hamas bringe in Israel
schwangere Frauen und Kinder um, doch dagegen demonstriere der
Angeklagte nicht.
Dass auch im Fernsehen
eine Verbindung von Hakenkreuz und Davidstern gezeigt worden sei,
gebe keinerlei Recht, dies nachzumachen. Und hier folgt eine
Begründung, die sowohl für den Mangel an Denkvermögen beim
Staatsanwalt ein beredtes Zeugnis ablegt als auch für sein
Verhältnis zu Menschen mit ?Migrationshintergrund�: im Fernsehen sei
ja auch gezeigt worden, wie zwei junge Männer mit
Migrationshintergrund in der Münchener U-Bahn einen alten Mann
angegriffen hätten, und daraus könne man ja auch nicht das Recht
ableiten, dies nachzumachen. (Dies ist nun im gegebenen
Zusammenhang völliger Unsinn, aber es entlarvt: das Argument würde
nur Sinn machen, wenn es gälte, dem Angeklagten nachzuweisen, er
habe aus dem Zeigen einer Straftat das Recht auf das Begehen einer
solchen abgeleitet � es geht aber darum, dass das Zeigen selbst als
Straftat gewertet werden soll�doch so viel Differenzierung war dem
Staatsanwalt wohl nicht zuzumuten. Aber warum er nun gerade aus der
Fülle der in den Medien gezeigten Straftaten eine von ?zwei Männern
mit Migrationshintergrund� wählt, macht nur dann Sinn, wenn
es darum geht, gerade diese Bevölkerungsgruppe besonders zu
adressieren � s. auch die Bemerkung des Staatsanwaltes vom
?Gastland� am ersten Verhandlungstag: das riecht sehr nach
Fremdenfeindlichkeit?).
Der Angeklagte habe gleich
drei Straftatbestände erfüllt. Deshalb fordere er eine Bestrafung
mit 5 Monaten Haft, die angesichts des Fehlens von Vorstrafen
allerdings zur Bewährung auszusetzen sei, zuzüglich einer Geldbuße
von EUR2000, die vorzugsweise an eine das Gedenken an den Holocaust
pflegende Vereinigung zu gehen habe.
Er sagte, der Angeklagte
habe sich uneinsichtig gezeigt und es sei zu befürchten, dass er bei
entsprechender Gelegenheit wieder so handeln würde. Er begründete
diese Vermutung der Uneinsichtigkeit in keiner Weise.
Geradezu zynisch mutete
die Bitte des Staatsanwaltes an die Richterin an, das skandalöse
Verhalten des Verteidigers� nicht strafverschärfend wirken zu lassen
wie klein und hilflos muss ein Richter sein, um sich so etwas
vorsetzen zu lassen!
Bei und nach dem Plädoyer
des Staatsanwaltes fragen wir uns, für wen dieser Vortrag bestimmt
sei: die Zuhörerschaft, die er ja währende der Verhandlung
offenbar als störende, feindliche Gruppe behandelte (s. seine
Aufforderung zum Schweigen während einer Verhandlungspause), strafte
er mit Verachtung, indem er uns durch seine Sprechweise (leise,
überschnell, ohne alle rhetorischen Schwerpunkte, offensichtlich
ohne den Versuch, überzeugend zu wirken) mitteilte: das Publikum ist
mir gleichgültig. Die Richterin wird durch den Staatsanwalt
mit dieser Rhetorik so behandelt, als wolle er sagen, dass er dies
ja alles schon vorab gesagt habe und dass nun nichts Neues mehr
komme. Sie wisse schon?
Eine erneute Unterbrechung
der Verhandlung: der Verteidiger bittet um 30 Minuten Pause, um sein
Plädoyer den neuen Entwicklungen im Prozess anpassen zu können. Die
Richterin gewährt nur 20 Minuten.
Plädoyer des Verteidigers:
Das Plädoyer des
Verteidigers fasst in wohltuend sachlicher Weise nochmals die
Position der Verteidigung zusammen:
Er beginnt mit der
persönlichen Vorbemerkung, er habe die Hoffnung gehegt, dass der
Staatsanwalt sein Verhalten ändere. Dies sei zu seinem Bedauern
nicht geschehen.
Das Gericht möge bedenken,
dass so ein Verfahren öffentlich als der Versuch wahrgenommen werden
könne, Kriegsgegnern einen Maulkorb zu verpassen.
Die Anklage ist im Prozess
wesentlich erweitert worden, nämlich um Anklage gem StGB §130
(Volksverhetzung) und §166 (Beschimpfung religiösen Bekenntnisses).
Und so sei aus dem Strafbefehl über 60 Tagessätze ein Strafantrag
auf eine Freiheitsstrafe zuzüglich einer wesentlich höheren Geldbuße
geworden. Es sei zu fragen, warum die Staatsanwaltschaft dies nicht
schon früher in der Anklage gesagt habe. Die Frage der
Meinungsfreiheit sei im Plädoyer des Staatsanwaltes überhaupt nicht
angesprochen worden.
Der Verteidiger sagt
nochmals, dass Issa auf die Kriegsverbrechen der israelischen Armee
aufmerksam machen wollte. Mit seiner Aussage ?Wer wegsieht ist
schuldig� und dem Hakenkreuz habe er die Verbindung zum Schweigen
und Ignorieren durch die deutsche Bevölkerung im Dritten Reich zum
Ausdruck gebracht. Issa, zu dessen Freunden auch Juden zählen, habe
keine Aussage gegen Juden machen wollen und gemacht.
Die Verurteilung gemäß
§86a ist gem. eines Urteils des BGH vom 15.3.2007 nicht möglich,
weil dieses Urteil klarstellt, dass die Tatsache (Zeigen des
Hakenkreuzes) im Zusammenhang mit dem Zweck dieses Zeigens gesehen
werden muss und erst aus dem Zweck heraus den Tatbestand gemäß §86a
erfüllt. Der Mandant habe aber durch das Zeigen gerade auf die
Verbrechen der Nazis hingewiesen.
Die Anwendung von §130
(Volksverhetzung) ist aus zwei Gründen nicht möglich:
a) die verkürzte symbolische Darstellung dient eindeutig der
Aufklärung der Betrachter
b) es ist keine ?Zielgruppe� einer ?Volksverhetzung� zu erkennen.
Zu §166 verweist der
Verteidiger darauf, dass eine Anwendung schon deshalb nicht in Frage
komme, weil das Plakat im Sinne des heutigen Kunstbegriffes als
Kunst einzustufen sei.
Er verweist darauf, er
habe als Beweismittel das Polizeivideo von der Demonstration
einbringen lassen wollen, um daraus nachzuweisen, dass Issa eine
Stunde lang sein Plakat gezeigt habe ohne irgendwelche erkennbare
Ablehnung auszulösen, bis dann die Polizei einschritt. Die Tat gemäß
§166 muss geeignet sein, ?den öffentlichen Frieden zu stören.� Dies
sei hier nicht gegeben.
Für alle diese Delikte ist
Vorsatz erforderlich. Der Verteidiger stellt die Frage, ob Issa
wusste, ob seine Handlung strafbar war. Die Frage, ob es sich um
einen Verbotsirrtum oder einen Tatbestandsirrtum gehandelt habe, sei
erheblich.
Hier versuchte der
Staatanwalt das Plädoyer zu unterbrechen. Der Verteidiger reagierte
durch die Aufforderung an die Richterin, sicherzustellen, dass er
sein Plädoyer ungestört halten könne. Ihre Antwort, ?Ich höre zu�
reicht ihm nicht, er möchte, dass sie den Staatsanwalt auffordert,
das Plädoyer nicht zu stören. Als der Staatsanwalt dennoch
weiterredet, sagt der Verteidiger: ?Ich plädoyiere hier und bitte
nicht unterbrochen zu werden. So etwas war im Faschismus üblich!�
Der Staatsanwalt droht ihm daraufhin mit einer Anklage.
Der Verteidiger fordert
aus all den vorgebrachten Gründen einen Freispruch für Issa.
Replik des Staatsanwaltes:
Der Staatsanwalt verweist
in einer kurzen Replik, dass die Einlassungen zu §166 beide
unerheblich seien.
Schlusswort des
Angeklagten:
Issa wird von der
Richterin zu einer Stellungnahme aufgefordert. Er trägt in
bewegender Weise vor, wie seine Familie aus ihrer Heimat im Norden
des heutigen Israel vertrieben worden sei und in einem
Flüchtlingslager im Libanon gelebt habe, als er 1964 geboren wurde.
Seine Mutter, die aus ihrer Heimat ein friedliches Zusammenleben
auch mit den Juden ihres Dorfes kannte, habe ihn in Respekt vor
allen Menschen, auch vor Menschen jüdischen Glaubens erzogen. Er
schilderte nochmals seine Kindheitserlebnisse bei den Angriffen der
israelischen Luftwaffe auf das Lager 1974. Er war 15, als seine
Mutter ihn zu seinem Bruder nach Berlin schickte, wo er seither
lebt.
Er hat sich sehr mit
deutscher Geschichte beschäftigt. Als die deutsche Öffentlichkeit
angesichts des Gaza-Krieges ?wegsah�, wurde er an das Wegsehen der
Deutschen in der Zeit der Judenverfolgung durch die Nazis erinnert.
Er stellt eine sehr
persönliche Frage an den Staatsanwalt: Haben Sie Krieg erlebt? Haben
Sie die Wut der Ohnmacht erlebt? (Der Staatsanwalt blickt
gleichgütig vor sich hin.)
Issa schildert, dass er in
seinem Wohnviertel in Berlin (im Bayerischen Viertel) täglich an
Gedenktafeln vorbeikommt, die er als Zeugnisse der Gleichgültigkeit
der deutschen Bevölkerung damals wahrnimmt.
Deshalb seine Mahnung:
?Nicht wegschauen!�
13:55 zieht sich das
Gericht zurück.
Das Urteil
14:10 verliest die
Richterin ?Im Namen des Volkes� das Urteil: Issa wird in allen
Punkten der Anklage schuldig gesprochen. Die Urteilsbegründung
klingt, als habe der ganze Prozess nicht stattgefunden. Die Strafe:
120 Tagessätze (Verdoppelung des im von Issa zurückgewiesenen
Strafbefehl geforderten) zu zahlen an eine Organisation, die sich
der Pflege der Erinnerung an den Holocaust widmet.
Vorsicht Satire
Der Fall Issa / Rezension einer Aufführung am 16.6.09 im Justiz-Theater Moabit
Was war das, was wir da gestern in Moabit erlebten? Es erinnerte in manchen Phasen an eine Aufführung eines absurden Theaterstücks.
Darum unser Bericht als Theaterkritik?
Stück:
Der Fall Issa
Aufführungsort:
Justiz-Theater in den Räumen des Amtsgerichtes Moabit, Kirchstr.
6
Die Besetzung:
Vorsitzende Richterin:
eine totale Fehlbesetzung! Nicht nur, dass die sehr sympathische Dame nicht sprechen kann und deshalb ihre Texte fast unhörbar dem Raum anvertraut � jede Schauspielschülerin lernt doch in den ersten Wochen, dass es darauf ankommt, einen vorgegebenen, aber auch einen improvisierten Text selbst dem letzten im Raum verständlich zu machen. Doch hier wurden Texte so leise und ohne rhetorische Schwerpunkte und dazu noch so unverständlich schnell heruntergesäuselt, dass beim Zuschauer Ärger aufkam. Und das bei so guten Textautoren wie Uri Avnery oder auch den Verfassern des StGB.
Nein, bei der nächsten Aufführung sollte diese Fehlbesetzung korrigiert werden.
Der finstere Staatsanwalt: eine schwere Rolle, hatte er von der Regie doch offenbar die Aufgabe zugedacht bekommen, einen offensichtlich zum Scheitern verurteilten Fall doch noch zu drehen und
dem Guten, der Staatsraison (wir wissen ja aus Angela Merkels vielen Äußerungen, dass die Unantastbarkeit Israels deutsche Staatsraison ist), zum Siege zu verhelfen. Doch auch hier eine Fehlbesetzung: der Akteur überschlug sich geradezu in seinem Eifer und schlug immer wieder auf den Verteidiger ein wie im Kasperletheater. Seine Stimme versuchte, an Geschwindigkeit und Unverständlichkeit mit der seiner Kollegin am Richtertisch zu konkurrieren. Der Spieler fiel
nicht nur der einzigen weiblichen Sprechrolle unangenehm oft ins Wort und gab ihr dazu noch auf offener Bühne Regieanweisungen weiter. Auch sein Sprechen war oft geprägt von übergroßem Eifer, seiner Rolle gerecht zu werden, so dass er immer wieder in unbeherrschte Tempi vorpreschte. Uns Hörern blieb so vielleicht manches erspart. Bei den offenbar vom Textbuch abweichenden improvisierten Textteilen offenbarte der Darsteller, dass er sich nur sehr lückenhaft mit den Hintergründen des Dramas beschäftigt hatte. Ausrutscher wie ?arabische Religion� oder (in Bezug auf den Aufenthalt des Angeklagten in den letzten 30 Jahren) ?Gastland� zeigten, dass er sich nicht genug mit den historischen Hintergründen des Stückes und mit den Prozessbeteiligten beschäftigt hatte. Fehlbesetzung? Eigentlich nicht, eine Umbesetzung dieser Rolle, wie sie von seinem Gegenspieler, dem Verteidiger intensiv gefordert wurde, würde dem Stück einen großen Teil seines Reizes nehmen. Doch dass hätte ja vieleicht einen Vorteil: man könnte sich dann wieder auf das konzentrieren, für das die Spielstätte, das Amtsgericht Moabit, eigentlich eingerichtet wurde: auf die Recht-Sprechung.
Der ernsthafte, stille jugendliche Held: Die stille Hauptrolle, die des Angeklagten, war optimal besetzt.
Hier zeigte das Justiz-Theater endlich seine wahre Größe: der an das Gute glaubende Held wurde sehr wirkungsvoll von Issa gegeben. Hut ab vor dieser Leistung: der einzige wirkliche Mensch zwischen all den Funktionsträgern. Und so darf ihm auch eine gelegentlich zu verspürende Nervosität nicht angekreidet werden � das gehörte wohl zu der Rolle, alles andere wäre unglaubwürdig gewesen. Wie gut, dass die Regie diese Rolle mit einem gebürtigen Palästinenser besetzt hatte � jedem deutschen Spieler wäre sein offensichtlicher Glaube an Recht und Gerechtigkeit, an Verantwortung und Verpflichtung gegenüber der Allgemeinheit kaum abgenommen worden.
Der Streiter für das Recht: Eine schwierige Rolle, gerade in dieser Inszenierung. Der Darsteller konnte sich im Zusammenspiel mit den übrigen Spielern (außer Issa) nicht so recht ausspielen, zu groß war der Abstand zwischen einem echten Profi-Darsteller und den eher wie Laienschauspielern wirkenden anderen.
Soweit zur Besetzung: Weit unter dem Niveau, dass man von diesem hochsubventionierten Haus erwarten kann.
Die Inszenierung und das Stück:
Ansonsten hatte die Inszenierung alles, was man von einer ?Klamotte� erwartet: überraschende Unterbrechungen, auch lange Strecken ohne verständliche Handlung, dann aber wieder Dramatik, wie z.B. die in einem lauten Türenknallen kulminierende Flurszene zwischen Verteidiger und Staatsanwalt � schade nur, dass nur wenige der Zuschauer dies miterleben konnten, da die meisten glaubten, es sei wirklich eine Spielpause und nicht wussten, dass dieses Theater so etwas nicht kennt.
Nun noch zum Stück selbst � wobei zu bedenken ist, dass dem Zuschauer in solchem modernen Regietheater die Trennung von Stück, Regie und Schauspielerimprovisation kaum möglich ist, ja er oft gar nicht merkt, dass er selbst Teil der Inszenierung wird.
Dramatisch die Handlung: gleich zu Anfang fürchteten die Zuhörer um ihre Eintrittskarten, als der Verteidiger ausführlich darlegte, warum der Staatsanwalt von ihm abgelehnt werde
(StPo §160,2). ?Für den Angeklagten unzumutbar?� der einen Anspruch auf ein faires Verfahren habe (Art. 6, 1 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte). Noch dramatischer wurde es, als sich zeigte, dass die Richterin offenbar den schriftlichen Einspruch des Verteidigers nicht mit der von diesem erwarteten Wichtigkeit behandelt hatte und nicht wusste, wie die Staatsanwaltschaft darauf eingehen werde.
Prozesspause � und damit eine Möglichkeit für die Besucher, ihre Beobachtungen auszutauschen: eine großartige Idee der Regie!
Und dann: keine Klärung, also keine kurzfristige Umbesetzung (was ja sicher mit einer längerfristigen Unterbrechung der Aufführung und einer Wiederaufnahme in den Spielplan zu einem spätern Zeitpunkt verbunden gewesen wäre). Nein, es ging weiter.
Und da holte der inzwischen offenbar warmgelaufene Staatsanwalt eine neue Keule aus der Kulisse: den §166 StGB, d.h. er konfrontierte Issa und die anderen Beteiligten mit der Neuversion des Dramentextes: jetzt wurde die Szene von der Verunglimpfung eines religiösen Symbols gespielt. So sah die Staatsanwaltliche Fürsorge für den Angeklagten aus! Plötzlich stand eine mehrjährige Gefängnisstrafe drohend im Raum. Und alle, die die Vorführung des ersten Aktes vor 3 Wochen erlebt hatten, wussten auch, dass damit die Drohung einer Abschiebung von Issa wieder handgreiflich wurde.
Die Rezensenten erlebten zwei Ebenen der Handlung: die durch die Spielstätte vorgegebene Standardhandlung ?Rechtsfindung�, die für den Zuschauer völlig in den Hintergrund trat, und die Parallelhandlung ?Bedrohung�, denn anders konnten die Rezensenten und die übrigen Zuschauer das Spektakel nicht erleben, bei dem bei der gestrigen Vorführung offenbar alles hinauslief auf einen frühen Höhepunkt, nämlich dem Schwingen der oben genannten Keule §166 StGB
durch den Staatsanwalt und dem Einbringen weiterer Beweisanträge durch den Verteidiger. Dieser forderte als ?Eventualbeweisantrag�
eine Reihe von Texten und sonstigen Dokumentationen zuzulassen sowie
o
Einen Text von Human Rights Watch vom 14.1. 2009 über das menschliche Leid in Gaza
o
Einen Text von Human Rights Watch vom 25.3..2009 über die Kriegsverbrechen Israels
o
Die Videodokumentation der Berliner Polizei über die fragliche Gaza-Demonstration
Außerdem sollte zur Einschätzung der Frage des Vorliegens eines Straftatbestandes gem
§166 (2) mehrere Zeugen gehört werden, darunter ein Fachmann vom Otto-Suhr-Institut der FU Berlin, der über die Frage, ob der Davidstern ein religiöses Symbol sei oder politisches Symbol für Israel, sowie zur selben Frage auch Frau Ruth Fruchtmann, Schriftstellerin, Vorsitzende von ?Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost
� EJJP Deutschland� (s.
http://www.juedische-stimme.de/). Der Staatsanwalt verlangte daraufhin sofort, dass Ruth Fruchtmann aus dem Saal gewiesen werden müsse, damit
?sie nicht hören würde, was sie zu sagen hätte� � eine Aussage, die die Rezensenten zumindest als beleidigend für Ruth Fruchtmann empfanden (dass sie nicht im Saal anwesend sein sollte, ist zu verstehen, dass diese Begründung gegeben wurde, war entlarvend!).
Über diese Beweisanträge erhob sich wieder ein heftiger Streit zwischen dem Staatsanwalt und dem Verteidiger. Der Staatsanwalt hielt offenbar die Beweisanträge für völlig unsinnig, insbesondere der Beweisantrag, die Polizei-Video-Dokumentation einzubringen, um nachzuweisen, dass auf der Demo großformatige Fotos verletzter, verstümmelter Menschen in Gaza, insbesondere von Kindern, gezeigt wurden, veranlasste ihn zu der Frage an den Angeklagten, ob dieser wohl auch Fotos von verletzten israelischen Kindern gezeigt hätte, eine in diesem Kontext absurde Frage, die jedoch die Voreingenommenheit des Staatsanwaltes noch einmal deutlich machte. Und dann fiel auch das Wort des Staatsanwaltes an den Angeklagten, er hätte wohl in den 30 Jahren in seinem ?Gastland� wenig gelernt über die Empfindungen seiner deutschen Mitbürger ?
(Issa sagte den Rezensenten nach der Vorstellung, er habe wirklich nicht gelernt, wegzusehen und zu Unrecht zu schweigen!). Und dass der Staatsanwalt mit seiner Wortwahl ?Gastland� noch einmal die Unsicherheit des Aufenthaltsstatus
von Issa in Deutschland herauskehrte, wurde von den Zuschauern (und auch von Issa selbst) als erschreckende Drohgebärde erlebt. Seine Unkenntnis der historischen Zusammenhänge und der gegenwärtigen Situation wurde auch in einem Zwischenruf des Staatsanwaltes deutlich, ?die arabischen Staaten� sollten doch erst mal ?Israel anerkennen� � offenbar weiß er weder, dass es zwei arabische Staaten gibt (Jordanien und Ägypten), die volle diplomatische Beziehungen mit Israel unterhalten noch etwa von der Arabischen Initiative zur Anerkennung von Israel weiß. Wie schon gesagt: eine Fehlbesetzung!!
Die Vorstellung wurde wieder unterbrochen, weil die Richterin nun die neuen Beweisanträge ?würdigen� wollte � und als die Zuschauer den Theater- nein. Gerichtsraum wieder betreten durften, wurde lediglich verkündet, die Verhandlung werde am kommenden Freitag, 19.Juni 2009, 10 Uhr im selben Saal im 2. Stock des Amtsgerichtes Moabit, Kirchstr. 6,
fortgesetzt.
Ein Trost für alle diejenigen, die diese neuerliche Aufführung aus dem Stück verpassen müssen: sie haben vermutlich eine weitere Chance eine solche Inszenierung zu erleben, dann allerdings wohl mit veränderter Besetzung, wenn es zu einer Verhandlung gegen eine junge Palästinenserin kommt, die des gleichen Vergehens angeklagt wurde und deren Verfahren noch aussteht.
Als Rezensenten: Renate Dörfel-Kelletat und Frank Dörfel, Berlin, 17.6.2009