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„Fünfzig Jahre Besatzung im
Namen westlicher Werte?“
Ekkehart Drost, 5. Oktober 2016
Rezension
des Buches von Arn Strohmeyer, Die einzige Demokratie im
Nahen Osten?
Israel und die westlichen Werte, Gabriele Schäfer Verlag
Herne, 2016, 228 Seiten, 18.90€
Vier
Zitate gewichtiger Autoren stehen am Anfang des neuen Buches
von Arn Strohmeyer, dem in der Palästina-Unterstützerszene
bekannten Bremer Autoren und Publizisten: Heinrich August
Winkler, Omri Boehm, Michael Lüders und Miko Peled
markieren den Tenor des Buches, in dem Arn Strohmeyer
systematisch und fundiert mit Mythen aufräumt, die nicht nur
in Israel sorgsam gepflegt und bei Verstößen mit erheblichen
Sanktionen geahndet werden.
Zum Problem
für den Westen und damit für Deutschland wird die
einseitige Parteinahme für Israel, weil dadurch der
unveräußerliche, universale Anspruch der Menschenrechte
aufgegeben und zentrale Rechte der freiheitlichen Demokratie
wie Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit relativiert und
verwässert werden.
Ausgehend
von Merkels verhängnisvoller Rede in der Knesset vom 18.
März 2008, in der sie sieben Mal versichert, Deutschland und
Israel teilten dieselben Werte, nämlich Freiheit, Demokratie
und Achtung vor der Menschenwürde, stellt Strohmeyer diese
Rede in den folgenden sieben Kapiteln auf den Prüfstand. Die
Realität in den besetzten Gebieten, aber auch in Israel
selbst (Israel proper), ist dabei das Parameter, das er
anlegt. Die „Villa im Dschungel“, als die Ehud Barak Israel
gepriesen hat, gerät bei Strohmeyers Expertise in schweres
Wasser. Zu offensichtlich sind – und zwar nicht nur bei
genauem Betrachten – die Defizite und Verstöße gegen
fundamentale Werte. Deklarationen, Abkommen, Verträge, das
Humanitäre Völkerrecht gelten für Israel nur nach eigenem
Gusto gemäß dem Buchtitel von Evelyn Hecht-Galinski „Das
Elfte Gebot: Israel darf alles“. Kein anderes Land
missachtet, ja verachtet Beschlüsse der Völkergemeinschaft
derart wie Israel, ob sie sich nun auf die Genfer Konvention
in Fragen der Besatzung, die Kinderrechtskonvention oder die
UN-Menschenrechtscharta beziehen. Heinrich August Winkler
kommentiert: „Eine Demokratie westlicher Prägung setzt das
Vorhandensein einer pluralistischen Zivilgesellschaft
voraus, die sich einig ist in der Achtung der
unveräußerlichen Menschenrechte und der rule of law, der
Herrschaft des Rechts“.
Zionistische Mythen, nach denen das Land menschenleer
gewesen sei, die zionistischen Neueinwanderer jedoch „die
Wüste zum Blühen“ gebracht haben und nun „heimkehrten“ in
ihr Land, in dem sie angeblich vor 2000 Jahren gelebt haben,
entlarvt Strohmeyer. Die Zionisten haben so mit ihrem
kolonialistischen Machtanspruch die Auseinandersetzung mit
der arabischen Welt und damit den explosiven Nahost-Konflikt
erst geschaffen (S. 47).
Die
besonders in den USA ausgeprägte Rolle des Christlichen
Fundamentalismus geht dort eine enge Verbindung mit
politisch-militärstrategischen Interessen zwischen Israel
und den USA ein. Deutlich sichtbar wird das am Einfluss der
größten Lobbyorganisation, AIPEC.
Dem Vorwurf
einer Doppelmoral müssen sich auch die Vertreter der
deutschen Kirchen stellen. Strohmeyer zitiert aus dem Buch
des amerikanischen Theologen Mark Braverman „Verhängnisvolle
Scham und das Schweigen der Christen“: „Diese revidierte
Theologie (...) hat das Christentum, das die Menschheit aus
dem Partikularismus herausführte, dazu gebracht, eine
gefährliche, anachronistische Ideologie von Landbesitz und
Eroberung zu billigen.“ (S. 69).
Anhand des
unkontrollierten Einflusses der großen jüdischen
Organisationen wie JNF und JWC auf Regierung und
Gesetzgebung in Israel gießt Strohmeyer Wasser in den
israelischen „Demokratie-Wein“. Dieser wird zusätzlich
erheblich dadurch getrübt, dass er reichlich Spurenelemente
von Apartheid, und zwar nicht nur in den besetzten Gebieten,
aufweist. Strohmeyer zitiert den Völkerrechtler Norman Paech
mit den Worten: „Der Zionismus als Staatsräson Israels hat
jedoch ein schwer wiegendes Demokratie-Problem. Denn der
Verzicht auf gleichberechtigte demokratische Teilhabe der
arabischen Bevölkerung in einem rein jüdischen Staat lässt
sich nicht dadurch leugnen, dass die Regierung Israel
einfach einen jüdisch-demokratischen Staat nennt. Ein
Staat, dessen immer wieder plakativ vertretener
demokratischer Anspruch sich schon lange auf die formalen
Elemente von Gewaltenteilung und Wahlprozessen reduziert
hat, wird als jüdischer Staat unweigerlich zum
Apartheidsstaat. Das ist das Dilemma des modernen Zionismus
zwischen jüdischem und demokratischem Staat.“ (S. 79).
Herzstück,
man könnte auch von einem Filetstück sprechen, ist das 4.
Kapitel, in dem Strohmeyer unter der Überschrift „Israel,
das Völkerrecht und die Menschenrechte“ sich detailliert,
das heißt: mit Fakten belegt, mit den Aspekten „Ethnische
Säuberungen“, „Genozid“, „Rückkehr der Flüchtlinge“,
„Besatzung“, „Landraub, Siedlungen und die Mauer“,
„Menschenrechte“, „Justiz“, „Justiz und Kinder“, „Gaza“,
„Dehnung des Völkerrechts“, „staatliche Propaganda und
Sprache“,„Einschränkung der Meinungsfreiheit“ und „Freiheit
der Wissenschaft“ auseinandersetzt. An dieser Stelle sei
lediglich auf das unrühmliche Beispiel Ilan Pappe verwiesen,
gegen den die Universität Haifa ein Disziplinarverfahren
wegen Diffamierung der Universität und ihrer Institutionen
einleitete.
Das Fazit
des Autors am Schluss: „Es steht nicht gut um das
Völkerrecht und die Menschenrechte – also die westlichen
Werte im weitesten Sinne – in Israel/Palästina. Nur sollte
man es nicht verschweigen, sondern offen darüber reden.“ (S.
206)
Arn
Strohmeyer wird mit seinem neuen Buch bei seinen
Widersachern von Benjamin Weinthal (Jerusalem Post) über die
„Antideutschen“ bis hin zu Vertretern von Politik und Presse
im kleinsten Bundesland keine neuen Freunde gewonnen haben.
Das wird ihn kaum irritieren. Aber für viele Menschen in
Deutschland ist „Die einzige Demokratie im Nahen Osten?“
ein fundiertes, bestens recherchiertes Handbuch in der sich
verschärfenden Auseinandersetzung zwischen Menschen, die
sich auch (und besonders) in der Palästina-Frage der
Universalität der Menschenrechte verpflichtet fühlen und
denjenigen, die diesen Anspruch mit (fast) allen Mitteln
bekämpfen. Im 50. Jahr der völkerrechtswidrigen Besatzung
der Westbank durch Israel hat dieses Buch eine weite
Verbreitung verdient. |