Sumaya Farhat
Naser
September, 2003
Die Mauer
Liebe Freunde,
Es
gäbe so viel zu berichten, täglich könnte ich schreiben. Es
schmerzt, wenn man sich ständig mit all der Schwere befasst. Heute
habe ich mich entschlossen das Thema „Mauer“ näher zu bringen. Das
nächste Mal, schreibe ich über die interne palästinensische
Situation, danach wieder über meine Arbeit mit den Jugendlichen, die
sehr gut weiter geht und Quelle meiner Kraft und Hoffnung ist.
Die MAUER
zwischen unseren beiden Völkern mit Gewalt errichtet, unterstützt
die Ideologie der Landnahme und der Ausgrenzung der Palästinenser.
UN-Resolutionen, Internationale Menschen- und
Völkerrechtskonventionen sowie unterschriebe Verträge werden
missachtet und umgangen. Nicht Ethik und Gerechtigkeit, sondern
einzig Macht bestimmt die Politik von Heute. Die Bezeichnungen „
Schutz- oder Sicherheits-Zaun“, „Trenn-Wand“, „Barriere“,
oder „Apartheid- Mauer“ bringen Verwirrung, verschleiern die
Realität und zeigen deutlich den Widerspruch zwischen den nationalen
Interessen beider Völker. Wenn Mauern Sicherheit garantieren, warum
werden sie dann nicht auch als Sicherheitsstrategie in anderen
Ländern errichtet? Die Antwort ist einfach: Hier herrscht eine
Besatzung, die Land und Boden will, und die Palästinenser
kontinuierlich „aushungern“ will.
Die bereits am
25.August 1978 veröffentlichte Landkarte in der Zeitung Al Hamishmar
zeigte die Wunschvorstellung von Sharon im Bezug auf die besetzten
Gebiete. Die Teilgebiete, die den Palästinensern damals übrig
bleiben sollten, ähneln sehr stark den Gebieten nach Fertigstellung
der Mauer. Geht ein Traum(a) von vor 25 Jahre nun in Erfüllung?
In meinen Ohren
klingt ein Satz von einem israelischen Politiker: “Im Krieg macht
man Dinge, die in Normalzeiten nicht zu machen sind.“
Die Situation des
Chaos und die Spirale von Gewalt und Gegengewalt ist ideal, um auch
auf anderen Gebieten – von der internationalen Öffentlichkeit fast
unbemerkt - Tatsachen zu schaffen:
Die Grenze Israels
von 1967 (die sog. Grüne Linie) beträgt 360 km. Die geplante Mauer
wird 1000 km überschreiten, weil sie sich tief in die besetzten
Gebiete schlängelt. Ein erster Teilabschnitt von 145 km, ist jetzt
fertig gestellt. Es folgt eine kurze Beschreibung dieser ersten
Phase. Als Grundlage dient dabei der Bericht von B’Tselem, einer
israelischen Menschenrechtsorganisation, mit dem Titel „ Behind The
Barrier“ von April 2003:
Die Trenn-Mauer, auch
Barriere genannt, besteht teils aus Beton teils aus einem
Stacheldrahtzaun.
Bestandteile der
Mauer sind: Elektronische Zäune mit Warnsignale sowie Wachtürme mit
Scharfschützen. Auf der östlichen Seite der Barriere erstreckt
sich eine so genannte „ service road“ umgrenzt von Stacheldrahtzaun.
Östlich davon sind Gräben, einige Meter tief und breit. Auf der
westlichen Seite der Barriere sind: ein Kontrollstreifen und eine
Panzerspur. Dahinter erstreckt sich ein zweiter Stacheldrahtzaun.
Die Mauer reicht
sechs bis sieben km tief in die Westbank, um Hinterland für
Siedlungen zu sichern. Sie schafft Enklaven im Saumgebiet zwischen
den beiden parallel verlaufenden Abgrenzungen. Die Mauer nimmt den
Palästinensern rund 161,700 Dunum, was 2,9% der Westbank ausmacht.
Betroffen sind 210,00 Einwohner in 67 Dörfern und Städten.
Viele Gemeinden und
Menschen werden durch die Mauer nun aber auch willkürlich von ihren
Ländereien getrennt: Ihre Häuser liegen westlich, ihre Länderein
östlich der Mauer. Betroffen sind 72,200 Einwohner in 36 Dörfern.
* 32
Brunnen, = 18% der westlichen Wasserreserven, sind im Saum
eingeschlossen und gehen den Palästinensern verloren.
* Eine
Verbindungsstrasse, die den Israelis freie Fahrt die von Nord nach
Süd mitten durch die Westbank ermöglichen soll, vereinnahmt 17% der
Besetzten Gebiete, weil eine Zone von der Größe dreier
Fussballfelder auf beiden Seiten entlang der Strasse, als
Sicherheitszone genommen dient.
Fünf Haupttore und 26
„Agrar-Tore“, an denen jeweils Passierscheine verlangt werden, sind
errichtet worden. Es ist sehr schwer solche Passierscheine zu
bekommen, die Beantragung bzw. Bewilligung dauert Tage, mitunter
Wochen.
Die Schäden für die
Wirtschaft, Bildung, das soziale Leben durch diese, den Menschen
auferlegte Bewegungseinschränkung, der Verlust von Land und Eigentum
sind jetzt schon unermesslich hoch und bedrohen in einem noch
stärkeren Maße als bisher die Existenz der Palästinenser. Wie wird
es erst nach Fertigstellung der Mauer sein? Für den Beobachter liegt
die Vermutung nahe, dass sich mit all dem die Absicht verbindet, den
Menschen das Leben so schwer zu machen, dass sie es nicht mehr
ertragen können und sich entschließen das Land zu verlassen. Ist
damit die Sicherheit wieder hergestellt?
Die jetzige Politik
verfolgt ehrgeizig den Mauerbau, ungeachtet der Schäden und des
Leids, welche der israelischen Gesellschaft und den Menschen in
Israel und Palästina zugefügt wird.
Die Hudna-
Waffenstillstand:
Endlich war es
möglich, dass ein Hudna, Waffenstillstand, seitens der
Palästinenser, erreicht wurde. Hoffnungsvolle Atmosphäre und
Erleichterung wurden spürbar, verknüpft mit beginnender Verbesserung
der Alltagssituation. Dem Israelischen Militär passte die Hudna
nicht, denn das würde bedeuten, die Militäraktionen müssen stoppen.
Die Taktik von Ben Gurion, passte genau: „Provozieren um zu
reagieren, wir sagen Ja, wenn sie nein sagen, und wir sagen nein,
wenn sie Ja sagen“. Die Israelische Regierung verkündete, dass Hudna
eine palästinensische Angelegenheit sei, und Israel die Politik der
Ausschaltung politischer Aktivisten weiter führen werde. Die Hudna
wurde vom Militär, sowie Uri Avnery (ein israelischer
Schriftsteller) schrieb, wie folgt kommentiert:“ Jeder Tag Hudna ist
ein Desaster! Die Reduktion der Gewalt auf fast Null ist ein großer
Unglück: Unter dem Deckmantel der Hudna können sich die
Terrororganisationen erholen und neu formieren. Jeder verhinderte
Anschlag heute wird uns morgen umso härter treffen.“
Innerhalb der ersten sechs Wochen
Hudna, tötete israelisches Militär 21 Palästinenser, und verletzte
mehr als 160 Menschen bei der sog. „gezielten Tötung“ von
Aktivisten, mit Raketen und Bomben auf offener Strasse, sodass auch
viele Zivilisten, darunter Kinder getötet oder verletzt wurden.
Hauszerstörungen, Landnahme und Mauerbau gingen weiter. Damit war
die Hudna zum Scheitern verurteilt. Der Kreis der Gewalt und
Gegengewalt eingeleitet: Am 8. August 2003 töteten israelische
Soldaten zwei Hamas Kämpfer in Nablus. Die Vergeltung fand am 12.8.,
sechs Wochen nach beginn der Waffenruhe seitens der Palästinenser
statt: Hamas Attentäter töteten einen Israeli in Rosh-Ha’ayn und
einen Siedler in Ariel Siedlung. Dies war nun der Anfang neu
ausbrechender und eskalierender Gewalt. Jeden Tag werden Menschen
getötet, andere verletzt, gefangen genommen und gefoltert. Das
Leiden wird schrecklicher und blockiert den Weg zur Versöhnung.
Solange Besatzung, Unterdrückung und Ungerechtigkeit herrschen, so
lange wird es Widerstand geben. Tausende sind bereit sich zu wehren
– und das mit allen Mitteln. Wie viele müssen noch getötet werden,
und wie erreicht man, dass keine neue Generationen von Kämpfern
folgen werden? Die Antwort ist: Ende der Besatzung, und eine
gerechte Lösung, entsprechend der internationalen Legitimität, die
einen wahren Frieden für beide Seiten bringt. Beide Gesellschaften
leiden schwer und erkranken zunehmend am Verlust ihrer
Menschlichkeit und Moral. Wir brauchen eine Internationale
Intervention, die beiden Seiten zur Vernunft verhilft. Anschläge auf
Zivilisten und jegliches Töten sind Verbrechen, das niemals
akzeptiert werden dürfen. Dieser Kreislauf muss sofort enden. Jede
Verletzung, Tötung, jedes Unrecht vertieft die Gräben der
Feindseligkeit und erschwert die Heilung und Genesung auf beiden
Seiten. Wir müssen Rechenschaft ablegen uns selbst gegenüber, müssen
unser Versagen zugeben und Verantwortung wahrnehmen. Wir müssen
unsere Menschlichkeit wahren und unsere Vernunft wieder finden.
Ihre/eure Sumaya
Farhat-Naser
Sumaya
Farhat-Naser, Birzeit Palästina
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